Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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APÉRO


Tony Cragg, fotografiert von David Kaluza,


in seinem Atelier


D


ie Queen hat ihn hochdekoriert. Aus


dem bürgerlichen Tony Cragg wurde


Sir Anthonyonyony und ein und ein Commander


of the British Empire. Der gebürtige Liver-


pooler ist einer der bedeutendsten Künst-


ler Großbritanniens. Doch auch fern seiner


Heimat ist Cragg eine Größe. Seit über 40


Jahren lebt und arbeitet der Turner- und


Praemium-Imperiale-Preisträger in Deutsch-


land. Um genau zu sein in Wuppertal. Von


dort aus hat er seine anmutig rätselhaften


Skulpturen in die internationale KunstSkulpturen in die internationale KunstSkulpturen in die internationale Kunstweltwelt


geführt. In den großen Museen dieser Welt,


in den Gärten und Parks privater Sammler


sind Craggs fließende Formen und tanzende


Säulen zu Hause. Dieser Erfolg hat sicher


auch die deutsche Politik angeregt, den re-


nommierten Bildhauer und ehemaligen Rek-


tor der Düsseldorfer Kunstakademie mit dem


Bundesverdienstkreuz 1. Klasse auszuzeich-


nen. Zurzeit gestaltet Cragg eine sechs Meter


hohe Skulptur für den Deutschen Bundes-


tag. Sie wird am Marie-Elisabeth-Lüders-


Haus stehen– dem Epizentrum der politi-


schen Macht. Doch mit dem Brexit wird


auch für Cragg das Kunstleben rund um den


Globus komplizierter werden. Auf den


letzten Drücker hat er die deutsche Staatsbür-


gerschaft beantragt. Und erhalten.


BLAU: Wie viele Fragen haben Sie beim


Einbürgerungstest nicht beantworten können?


—Tony Cragg: Ich vermute, nur wenige,


sonst wäre ich jetzt nicht deutscher Staats-


bürger.


Was sagen Ihre Gefühle zum deutschen Pass?


—Die sind nicht so stark beteiligt. Dass


ich die deutsche Staatsbürgerschaft erst nach


über 40 Jahren beantragt habe, hat einen


praktischen Hintergrund. Bislang war der bri-


tische Pass ausreichend. Als Mitglied der


EU hatte ich nie Probleme. Doch mit dem


Brexit wird alles anders. Mit nur dem briti-


schen Pass muss ich mich dann wahrschein-


lich am Düsseldorfer Flughafen bei der


Einreise in die lange Schlange der Non-EU-


Bürger einreihen. Das würde eine fürchter-


liche Zeitverschwendung für mich bedeuten.


Haben Nationalisten wie Boris Johnson und


Nigel Farage es Ihnen leicht gemacht, Deut-


scher zu werden?


—Diese Männer sind zwar echt schrecklich.


Aber die Frage stellt sich für mich nicht,


denn sie haben keinen direkten Einfluss auf


mich, da sie keine singulären Erscheinungen


sind. Wir leben in einer Welt von macht-


hungrigen Lügnern und Psychopathen, die


alle vorgeben zu wissen, was das Beste für


die Bürgerinnen und Bürger ihres Landes ist.


Dabei sind sie alle so geschichtsvergessen.


Nehmen wir nur England: Nach dem Krieg


ging es den Briten wirtschaftlich wirklich


nicht gut, doch mit dem Eintritt in die EU


verbesserte sich die Situation. Warum um


Himmels willen will man nun die EU verlas-


sen, die so viele Jahrzehnte ein Garant für


gute europäische Zusammenarbeit war?


Und dann die ganzen Nationalisten, die Aus -


grenzungen fordern. Das Genom aller


Menschen ist zu 99,9 Prozent gleich. Man


sollte die feinen Unterschiede zwischen


Menschen zelebrieren, statt sie negativ zu


beurteilen. Aber die Politiker nutzen das


alles, um ihre eigenen Ziele zu erreichen.


Das ist sehr frustrierend und macht einen


richtig wütend.


Mit Ihrem deutschen Pass könnten Sie hier


politisch aktiv werden.


—Schrecklich, die Vorstellung. Künstler sind


keine Politiker. Man muss aufpassen, dass


man als Künstler nicht dasselbe blöde Spiel


spielt wie die Politiker. Das heißt: Keine


Allgemeinplätze schaffen, keine vordergrün-


digen Thesen vertreten. Kunst mit vorder-


gründiger politischer Mission interessiert


mich nicht. Statt Massen zu manipulieren,


bietet die Kunst die Möglichkeit, eine Vielfalt


individueller Haltungen zu bilden und


darzustellen.


Viele Künstler sehen das anders.


—Das beobachte ich auch. In den vergan-


genen Jahren musste man den Eindruck


gewinnen, dass Kunst nur dann für gut be -


funden wird, wenn sie im Gewand einer


CNN-Nachrichtensendung daherkommt.


Das finde ich problematisch. Die Kunst


hat immer versucht, Bilder zu schaffen für


Dinge, die jenseits unseres Wissens sind.


Dinge, die wir nicht sehen und nicht verste-


hen können. Das versuche ich auch mit


meiner Arbeit. Ist es nicht erstaunlich, dass


wir überhaupt da sind? Ein Wunder. Aber


leider geht dieses Wunder immer wieder in


der Alltagswelt unter, weil wir viel zu sehr


mit banalen existenziellen Problemen be -


schäftigt sind und mit einer Fülle von über-


flüssigen sozialpolitischen Themen wie


zum Beispiel dem Brexit konfrontiert werden.


Das erschwert die Beschäftigung mit wich-


tigeren Themen.


Wie ist der Engländer Cragg 1977 in Deutsch-


land aufgenommen worden? Haben Sie


sich am Anfang als Fremder, als Gast gefühlt?


—Wenn ich ehrlich bin, fühle ich mich im-


mer noch als Gast.


Nach 42 Jahren?


—Meine Kindheit, meine Ausbildung, meine


ersten Erfolge als Bildhauer sind engstens


mit der englischen Lebens- und Denkweise


verknüpft. Dazu gehört auch der britische


Humor, der mich auch heute noch in schwie-


rigen Situationen stützt. So sehr ich mein


Leben in Deutschland genieße, bin ich doch


in England aufgewachsen und habe in Eng-


land eine ausgezeichnete Ausbildung genos-


sen. Und das, was man in frühen Jahren


lernt, begleitet einen das ganze Leben lang.


Gibt es Dinge, die Sie in Deutschland


vermissen?


—Ja, das Wetter, das Essen und, wie erwähnt,


den Humor.


Dafür, dass Sie sich immer noch als GastDafür, dass Sie sich immer noch als GastDafür, dass Sie sich immer noch als Gast füh füh-


len, haben Sie es aber doch geschafft, in Wup-


pertal neben Pina Bausch und der Schwebe-


bahn zu einem Teil der städtischen Identität


zu werden.


—Okay, vielleicht muss ich das etwas rela-


tivieren: In Wuppertal fühle ich mich wirklich


zu Hause.


Würden Sie sagen: „Das ist meine Heimat.“?


—Heimat ist ein schwieriger Begriff.


„Künstler sind keine Politiker.


Man muss aufpassen,


dass man als Künstler nicht


dasselbe blöde Spiel spielt


wie die Politiker“


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