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REVUE
O.T. (I SUPPORT, I)
2007, Stift und Tinte auf Papier, 67×10 2 cm
möchte. Eine psychedelische Hölle, bevölkert von einem Arsenal
fataler Frauen und verzweifelter Männer, verloren in verbotenen
sexuellen Fantasien und unterdrückten Trieben, gesteuert von mör-
derischen Konventionen und Ideologien.
E
in Festival toxischer Männlichkeit, in dem dein Nachbar
und der Junkie von der Straße ebenso auftreten wie Mafiosi,
sämtliche US-Präsidenten oder Hitler und Stalin – und
über dem fragmentarische Sätze stehen wie „Niemand liest
mehr Dostojewski“ oder „Zerstöre das Manuskript, aber
hebe alles auf, was dir geblieben ist.“ Pettibons Bilder, die von den
niedersten menschlichen Trieben erzählen, sind dabei nie zynisch
oder nur lustig. Im Gegenteil, sie hatten schon damals mit ihrer merk-
würdigen Sprache, den geborgten Sätzen aus Filmen und Büchern
gemischt mit Pettibons eigenen Gedanken etwas Leeres, Ungelöstes,
wie ein Haiku. Und dabei konfrontierten sie einen immer mit einer
fast ausweglosen Geschichte der Gewalt, in der nichts mehr sicher
scheint, auch nicht mehr, was nun „gut“ oder „böse“ ist.
Ein Symbol für diese Unsicherheit sind Charles Manson und
seine Family, die im Frühwerk ständig auftauchen. Die Tate-LaBianca-
Morde der Manson-Sekte bezeichnen 1969 das Ende der Unschuld
und der Utopien der Hippie-Ära. Als dann ein paar Jahre später Punk
anbricht, wird Manson zu einer Art Pop-Ikone für eine resignierte
Generation, die in ihm die Verlogenheit der Subkultur sieht, aber auch
eine Antwort auf ein korruptes Establishment, zu dem die Musik-
industrie und Hollywood gehören. Als ich Pettibon erzähle, dass in
der Bar, in der ich damals arbeitete, morgens um fünf das von dem
Beach Boy Brian Wilson mitfinanzierte Folk-Album von Manson lief,
und er ganz schön romantisiert wurde, reagiert er aufgebracht:
„Ich bin absolut kein Fan von Charlie. Auf keinen Fall dulde ich in
meinem Werk irgendeine Form von Gewalt. Man kann Gewalt als
Thematik nicht ignorieren, aber deshalb befürworte ich doch nicht
Charles Manson und erst recht nicht die Family.“
Pettibon ist erstaunt, dass Manson so verharmlost wurde, und
meint, dass er sich noch an die Hippie-Kommunen damals und die
RAF in Deutschland erinnern könne. Ich erzähle, wie ein Schulfreund
von mir zur dritten Generation der RAF überlief und in Stamm-
heim einsaß, wie allgegenwärtig der linke Terrorismus war, auch die
Härte, mit der der Staat gegen ihn vorging. Dass Ulrike Meinhof
oder Gudrun Ensslin für uns nicht einfach Verbrecher, sondern kom -
plexe und natürlich auch faszinierende Figuren waren. „Nun“, sagt
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