Die Welt - 19.10.2019

(Nora) #1

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REVUE


I


ch will ihm in die Parade fahren, doch er


kommt mir zuvor. Seine Stimme zittert etwas.


„Überlasst das mal mir. Ich trage die Last


dieser gottverdammten Welt auf meinen Schul­


tern. Ich habe selber Hemmungen, da rum­


zupfuschen. Ich würde auch lieber Blumen, Na­


tur, Liebe und Frieden zeichnen. Kunst ist ein


Austausch von Ideen. Ich weiß, dass das ein Kli­


schee und unglaublich kitschig ist, aber deshalb


spiele ich mit. Das habe ich mein ganzes beschis­


senes Leben lang getan. Und es hat mir absolut


nichts gebracht. Aber ich kann nicht von Bord ge­


hen. Das ist das Einzige, was ich kann.“


Das hört sich absolut resigniert an für je­


manden, der mit einer der größten Galerien der


Welt arbeitet. Ganz offensichtlich ist Pettibon


seit Jahren von Menschen umgeben, die sich um


ihn kümmern, auf jede seiner Reaktionen und


Bedürfnisse achten. Seine Assistentin hält per­


manent Blickkontakt. Erst vor Kurzem hat Kim


Jones, der Direktor von Dior Homme, die Win­


terkollektion 2019/20 mit Motiven von Pettibon


entworfen, der auch eigens designte Leoparden­


muster, Bilder von Vögeln und noch nie gezeigte


Zeichnungen beisteuerte – und das Logo von


Dior neu interpretierte. Da kann er nicht wirklich


Geldsorgen haben. Seine Motive wurden zum


Teil mit Tausenden von Pailletten handbestickt,


extrem aufwendig und schön umgesetzt. Ich er­


zähle Pettibon, dass die Modenschau mit den Boys,


die rüberkamen, als würden sie gerade am First


Class Boarding stehen oder in der Rue du Fau­


bourg Saint­Honoré auf einen Sugar Daddy


warten, gespenstisch aussah. Das wirkte tatsäch­


lich so, als hätten sie Pettibons Motive im Wald


der Subkultur erlegt und sich wie Jagdtrophäen an


die Klamotten geheftet. Er entgegnet, das


Modelbusiness sei doch schon längst durch die


Kardashians und die Hadids korrumpiert, das


sei Nepotismus. Ich schnappe nach dem Köder


und versuche schnell, den Kunstbetrieb und die Modeindustrie als


Maschinerie des Bösen zu verkaufen, die nur den Superreichen dient.


Doch er bleibt völlig ungerührt. Das sei Quatsch, „light weight


Marxism“, es gäbe keine Konspiration der Reichen gegen den Rest


der Menschheit. Er sei all seinen Galeristen dankbar, besonders


David Zwirner, er habe auch nichts gegen seine Sammler, er würde


nur nicht mit ihnen rumhängen. Er sei auch nicht bei der Moden­


schau gewesen: „I am not part of the company.“


Seit den frühen Neunzigern wachsen Pettibons Zeichnungen


in Ausstellungen mit Wandmalereien zusammen, bilden Cluster,


vernetzen sich. Sie werden selbst auch immer malerischer, farbiger,


voller – mit Texten, ornamentalen Elementen, Strahlen, Verwi­


schungen. Erfand Phil Spector in den Sechzigern die „Wall of Sound“,


Popmusik mit tausend Effekten und unglaublicher Klangdichte,


schafft Pettibon seit seinem Eintritt in die Kunstwelt eine ähnlich


überorchestrierte „Wall of Poetry“. Ein absolutes All­Over, ein


Text­Bild­Gedankengeflecht, das den Betrachter überflutet und sein


Denken komplett überfordert.


Da ist immer noch das Repertoire, das Pettibon schon in den


Achtzigern entwickelt hat: die zeitreisende Knetgummifigur Gumby


und ihr Pony Pokey aus dem Sixties­Kinderfernsehen, der Gedan­


kenzug, der durch amerikanische Weiten oder die Weiten der Seele


streift, die Atombombenpilze, Baseballspieler und die tsunamiarti­


gen Gedankenwellen, durch die klitzekleine Surfer gleiten. Und da


ist der wohl wichtigste Charakter in Pettibons Bilderwelt: der Eski­


mojunge Vavoom aus dem Felix­the­Cat­Comic, von dem man wie


bei Kenny in Southpark nur die Kapuze sieht. Er schreit immer


nur ein Wort: VAVOOM! Doch Pettibons Kosmos hat sich verändert,


O.O.T. (FOR MY 2)T. (FOR MY 2)


2011, Acryl und Collage auf Papier, 76× 57 cm


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