Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1

Die


spinnen, die


Gallier


Asterix feiert seinen 60. Geburtstag mit


einem neuen Abenteuer. Gezeichnet hat


es der Franzose Didier Conrad.


Wer ihm bei der Arbeit zusehen möchte,


muss weit reisen. Ein Hausbesuch in Texas


von martin zips


D


as soll die Heimat des tapferen
Galliers sein? Eine laute Stadt
im fernen Amerika, die früher
einmal „Waterloo“ hieß? Die
heute vollgestopft ist mit Hips-
ter-Cafés, Musikkneipen und Computer-
firmen? Gibt es hier in Texas denn irgend-
etwas, das an das alte Dorf der Unbeug-
samen erinnert, an den tapferen Stamm,
der den Römern seit jeher die Stirn bietet?
Oder irgendjemanden?
Oh ja, den gibt es. Man findet ihn in der
Dämmerung manchmal an der Congress
Avenue Bridge. Didier Conrad, ein Mann
mit lichtem weißen Haar, einem kugelrun-
den Bauch und einer sehr dringlichen War-
nung: „Stellen Sie sich auf keinen Fall un-
ter die Brücke, wenn die Fledermäuse dort
starten. Sonst sind Sie gleich ganz voll mit
Fledermauspipi.“
Conrad ist Comiczeichner,
einer der alten Schule. Einer,
der lieber den Bleistift über Pa-
pier bewegt als die Maus über
den Schreibtisch. Nur zeichnet
er nicht Batman, was ange-
sichts der weltweit größten Fle-
dermauspopulation in einer
Stadt ja durchaus Sinn ergeben
würde. Der Franzose zeichnet
tatsächlich: Asterix und Obelix.
Aber wie hält man diese zwei
alten weißen Männer, die schon
seit 1959 gemeinsam Römer ver-
möbeln und Wildschweine ja-
gen, heute am Leben? Wie por-
trätiert man die beiden, ohne
sie einerseits aus der Zeit fallen
zu lassen und andererseits zu
verraten? Und dazu noch aus
der Ferne?
In Austin sind es nur ein paar
Schritte von der Brücke zu Di-
dier Conrads Haus. Er schätzt die Ruhe
und den Schatten der hügeligen Wohnge-
gend, in seinem Garten riecht es nach
Laub, Erde und feuchtem Holz. In den Bü-
schen und Bäumen nisten Vögel, Eichhörn-
chen laufen herum, auch Waschbären sind
zu sehen. Nur das Haus selbst wirkt ein
bisschen unheimlich. So wie Norman Ba-
tes’ Motel in „Psycho“. In den dunklen Gie-
beln warten wohl auch Fledermäuse auf
die Dämmerung, wenn auch nicht gleich
Hunderttausende wie in den Ritzen der
Congress Avenue Bridge. Im Nachbargar-
ten steht ein Mann mit Cowboyhut.
Das Haus, erzählt Conrad drinnen, habe
er mit seiner Frau vor fünf Jahren von
einem aus Libanon stammenden, ehemali-

gen Franziskanermönch gemietet. Es sei
nur von Vorteil gewesen, sich ihm als „Va-
ter von Asterix“ vorstellen zu können. Der
Libanese nämlich schätzt den Gallier
schon seit seiner Kindheit.
Am 24. Oktober nun erscheint der neue
Asterix. In Europa ist das immer ein gro-
ßes Ding. Allergrößte Geheimhaltung,
Pressekonferenz in Paris. „Die Tochter des
Vercingetorix“ wird der 38. Band der von
Albert Uderzo und René Goscinny konzi-
pierten Reihe sein – und der vierte, den Di-
dier Conrad und Texter Jean-Yves Ferri
gestaltet haben. Asterix feiert in diesem
Jahr seinen 60. Geburtstag. Und, lustig,
Conrad sowie der in den französischen Py-
renäen lebende Ferri ebenso.
Zu Asterix’ Jubiläum erscheinen in
Frankreich Sondermünzen und Briefmar-
ken, es gibt eine Ausstellung in
der Pariser Nationalbibliothek
sowie Asterix-Lesungen an der
Comédie-Française. Die absur-
den Geschichten aus dem Küs-
tenkaff im Nordwesten Galliens
gelten mittlerweile bei vielen In-
tellektuellen als Weltliteratur.
Zahlreiche Orte, von Brest über
Saint-Malo bis hin zum nörd-
lichsten Teil von Frankreich, be-
haupten, an genau jener Stelle
zu liegen, an der sich einst das
gallische Dorf unweit der römi-
schen Lager Kleinbonum, Ba-
baorum, Aquarium und Lauda-
num befand.
„Asterix, das ist eine Art fran-
zösisches Nationalheiligtum“,
sagt Didier Conrad und bittet
den Besucher die knarzende
Treppe hinauf, die vom kühlen,
dunklen Wohnzimmer ins deut-
lich hellere und wärmere Atelier
führt. „Ich glaube aber, auf dieser Seite des
Atlantiks zeichnet sich der Gallier wesent-
lich leichter.“ Conrad ist selten in Europa.
„Stimmt es eigentlich, dass es in Deutsch-
land Sex-Shops gibt?“ fragt er. Für einen
französischen Texaner sind deutsche Sex-
Shops mindestens so exotisch wie für den
deutschen Austin-Touristen Fahrradstän-
der in Fledermaus-Form, unten am Fluss.
Oder wie für die gemeinen Amerikaner ei-
ne Figur namens Asterix. „Ich erkläre de-
nen immer, dass ich für so etwas wie den
europäischen Superman verantwortlich
bin“, sagt Conrad. Ein Superman, der aus
der Verzweiflung heraus geboren wurde.

 Fortsetzung nächste Seite

Wie
erneuert
man
einen
Klassiker,
ohne
ihn zu
verraten?

DEFGH Nr. 242, Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019 11


BUCH ZWEI


Wie zeichnet Didier Conrad die
neuen Bände? Und wo? Das
exklusive Video unter sz.de/asterix

Frische Franzosen


ABBILDUNGEN: DIDIER CONRAD, ASTERIX® – OBELIX® – IDEFIX ® / © 2019 LES ÉDITIONS ALBERT RENÉ / GOSCINNY – UDERZO
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