Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1
 Fortsetzung von Seite 11

Rückblickins Jahr 1959. Es muss etwa fünf
Uhr morgens gewesen sein, als Comic-
Autor René Goscinny seinen Freund, den
Zeichner Albert Uderzo, in Bobigny nahe
Paris aus dem Schlaf klingelte. Ihnen sei ge-
rade ein wichtiger Auftrag weggebrochen,
habe Goscinny geschimpft, erinnerte sich
später Uderzo. Eine bereits gezeichnete
Fabel mit einem Fuchs könne in der neuen
JugendzeitschriftPilote nicht mehr ge-
druckt werden, ein anderer Zeichner habe
bereits eine allzu ähnliche Idee gehabt.
Die Männer trafen sich bei Uderzo, setz-
ten sich auf den Balkon, blickten zum be-
nachbarten Friedhof, tranken Pastis und
begannen, in alten Schulbüchern zu blät-
tern, auf der Suche nach einem neuen The-
ma. Goscinny fragte: „Womit fängt noch
mal unsere französische Geschichte an?“
Als Uderzo „mit Höhlenmenschen“ antwor-
tete, stoppte ihn Goscinny: „Bloß nicht, das
haben die Amerikaner schon gemacht. Die
Serie heißt ‚Familie Feuerstein‘.“
Über damals populäre Römer-Filme wie
„Quo Vadis“, „Spartacus“ oder „Ben Hur“
landeten die beiden schließlich bei den Gal-
liern. Ja, das könnte was sein: „De bello Gal-
lico“ einmal aus anderer, neuer, französi-
scher Sicht. In nur wenigen Minuten dach-
ten sich die Männer vier Charaktere aus:
einen Krieger (Uderzo mochte lieber einen
großen Helden, Goscinny einen kleinen),
einen Zaubertrank brauenden Druiden,
einen Häuptling und einen Barden.
Aus den Ohren des für die Fabel gezeich-
neten Fuchses wurden die Flügel am Helm
des Kriegers – an der Ausrichtung der Flü-
gel ist bis heute die Stimmung des Galliers
zu erkennen. „Asterix“
nannten sie ihn, nach
dem griechischen Wort
„asterískos“: Sternchen.
„Als wir ihn erfanden“,
meinte Goscinny einmal,
„sagten Marktforscher:
Der Held muss jung und
schön sein, damit der Le-
ser sich mit ihm identifi-
zieren kann, und es müs-
sen Probleme der heuti-
gen Zeit behandelt wer-
den.“
Doch Goscinnys und
Uderzos Helden waren weder jung noch
schön. Sie lebten im Jahr 50 vor Christus in
Aremorica, der heutigen Bretagne, denn
jenseits von Paris kannte Uderzo allein die-
se Gegend. Dorthin war er zu seinem Bru-
der gezogen, während des Zweiten Welt-
kriegs, als es in der Stadt nichts zu essen
gab. Und dort hatte Uderzo auch erstmals
Menhire, Hinkelsteine, gesehen, weshalb
Asterix noch schnell – geschichtlich etwas
ungenau – einen Menhir tragenden
Freund zur Seite bekam.
Wie kommt es, dass Asterix und Obelix
heute im ersten Stock dieses grüngrauen
texanischen Wohnhauses weiterleben?
Mehr als 8000 Kilometer von Paris ent-
fernt, mitten in Austin, einer demokrati-
schen Insel der Unbeugsamen im republi-
kanischen Texas?
Gemeinsam mit seiner Jugendliebe So-
phie und den beiden kleinen Kindern war
Didier Conrad Mitte der Neunzigerjahre
aus Südfrankreich in die USA gezogen.
„Mehr Weite, mehr Offenheit, mehr Licht“,
so fasst er es in leisem, französisch akzen-
tuiertem Englisch zusammen. Von der Ste-
ven-Spielberg-Firma Dreamworks hatte
er damals das Angebot erhalten, in Kalifor-
nien an „Der Weg nach El Dorado“ mitzuar-
beiten. „Ein Zeichentrickfilm! So etwas
war immer mein Traum“, sagt er in seinem
schwülen Atelier, während hinter ihm die
laute Klimaanlage anspringt. „Doch Pixar,
die Konkurrenz, hatte mit Toy Story be-
reits das Zeitalter des klassischen 2D-Zei-
chentrickfilms beendet. Ab jetzt war 3D.

Und 3D konnte ich nicht.“ Vorbei also der
Traum vom Kino. Hollywood suchte jetzt
Computerspezialisten, keine Typen mehr,
die einen Bleistift in der Hand hielten.
Die Conrads blieben trotzdem in Los An-
geles. Sophie dachte sich Comic-Geschich-
ten aus (in der Szene kennt man sie als „Wil-
bur“), Didier zeichnete. „Donito“, „Bob Ma-
rone“, „Les Innommables“, „Raj“, „Marsu
Kids“ – im frankobelgischen Raum ver-
kauften sich ihre Geschichten so gut, dass
sie auch in den USA davon leben konnten.
Aus seinem übervollen Archivschrank
holt Conrad nun mehrere Originale aus die-
ser Zeit – und blättert schnell weiter, wenn
irgendwo ein blanker Busen aufblitzt. „So
etwas geht heute natürlich gar nicht
mehr“, meint er. „Asterix verpflichtet. Hin-
ter ihm muss man ganz und gar zurücktre-
ten.“ Dann zieht er den großen Ordner mit
den Asterix-Originalen heraus. „Die gehö-
ren alle noch mir. Ich darf sie sehr, sehr lan-
ge nicht verkaufen“, sagt er. „Das ist so ab-
gesprochen mit dem Verlag.“
Mit den Zeichnungen zu seinem ersten
Band „Asterix bei den Pikten“ begann Di-
dier Conrad im Jahr 2012. Die von Jean-
Yves Ferri konzipierte Geschichte war in
einem internen Wettbewerb des Verlags
Hachette Livre ausgewählt worden, Didier
Conrad hatte sich verlagsintern
unter vier möglichen Nachfol-
gern von Albert Uderzo durchge-
setzt. „Für den ersten Band ga-
ben die mir damals nur neun Mo-
nate Zeit“, erinnert sich Conrad.
„Das war die Hölle. Tag und
Nacht habe ich durchgearbeitet
und 18 Kilo abgenommen.“
Mittlerweile ist alles viel ent-
spannter (und die Kilos sind
auch wieder drauf). Alle zwei
Jahre einen neuen Band, das be-
kommt man schon hin. Jean-
Yves Ferri denkt sich weiter die
Geschichten aus und mailt Con-
rad erste Entwürfe. In ihren frü-
hen Stadien erinnern Conrads
Zeichnungen an das Skizzen-
buch Leonardo da Vincis, so be-
sessen feilt er an seinem Strich.
Rote Linien markieren die frühe
Zeichenphase, schwarze die spä-
tere. Anschließend beginnt er
mit der Reinzeichnung. Erst mit
Bleistift, dann mit selbst ange-
rührter japanischer Tusche. „Es
ist großartig, sich in den absolut
perfekten Welten eines Albert
Uderzo zu bewegen und diese
weiterzuspinnen“, sagt er an sei-
nem Schreibtisch. Links sind in
kleinen Holzkästen Dutzende
Stifte, Pinsel und Gelenkpup-
pen zu sehen. An der Wand dar-
über hängt eine handgemalte
Geburtstagskarte seiner Frau:
„Ich liebe Dich immer mehr,
von Tag zu Tag“. Rechts führt eine Holzlei-
ter zum Schlaflager, eine Etage über dem
Schreibtisch. „Das ist, wenn ich abends wie-
der zu lange arbeite und meine Frau nicht
wecken möchte.“
Aber warum Texas? Die kalifornische
Oberflächlichkeit sei ihnen ziemlich auf
die Nerven gegangen, sagt Conrad. Austin
nennt man in Texas auch „Stadt der Son-
derbaren“. Das gefiel den Conrads. „Die
Kinder waren schon groß, und Austin kann-
ten meine Frau und ich von einer Urlaubs-
reise. Überall junge Leute, schöne Land-
schaften und gute Stimmung. Da sind wir
halt hierhergezogen.“ Und warum nicht
Frankreich? „Zu viele Besserwisser.“
Asterix’ Väter und ihre Vorfahren waren
allesamt Weltbürger. Der Franzose René
Goscinny, Jahrgang 1926, hatte polnische
Wurzeln und wuchs in Argentinien auf. Al-
bert Uderzo, Sohn eines Geigenbauers, heu-
te 92 und zurückgezogen lebend, stammt
aus Italien. Die Eltern von Didier Conrad zo-
gen aus der Schweiz über Chile nach Frank-
reich, die Vorfahren seiner Frau Sophie
sind Italiener und Österreicher. Und in Aus-
tin fahren die Conrads gerne in ihrem deut-
schen Auto zum Thailänder. Szenerist Jean-
Yves Ferri wiederum hat spanische Vorfah-
ren, wurde aber in Algerien geboren. Umso
unverkrampfter, da sind sich Ferri und
Conrad einig, dürfen sie in den Comics nati-
onale Klischees weiter pflegen. Die einfa-

che Völkerkunde war schon immer ein Mar-
kenzeichen von Asterix: „Ich will, dass es
still bleibt um meine Konten“, heißt es in
„Asterix bei den Schweizern“. In „Asterix
bei den Briten“ fragt einer: „Kann ich ha-
ben einen Tropfen Milch in meinen magi-
schen Trank?“, und in „Asterix in Spanien“
wird natürlich Flamenco gesungen: „Ayay-
ayay, Mama, ich bin so unglücklich!“
Viele der Anspielungen in den alten Al-
ben sind übrigens auch heute noch aktuell:
der Dauerstau in Lutetia, dem heutigen Pa-
ris; Steuereintreiber, die so reden, wie sich
ihre Formulare lesen; Baumeister, die Qua-
dratus heißen und ebensolche Trabanten-
städte bauen. Auch die Medien- und Gesell-
schaftskritik in „Der Papyrus des Cäsar“
oder die von der Politik geschmierte Sport-
branche in „Asterix in Italien“ hat eine Tie-
fe, die fast allen Filmadaptionen abgeht:
Es gibt acht Zeichentrickfilme, zwei Com-
puteranimationen und vier Realfilme mit
Gérard Depardieu als Obelix. Zuletzt lief
„Asterix und das Geheimnis des Zauber-
tranks“. Conrad fragt: „Sagen Sie, haben
Sie diesen neuen computeranimierten
Asterix-Film schon gesehen? Ich ja nicht.“
Mehrere Generationen von Kindern
sind mit den Comics und ihren Verfilmun-
gen aufgewachsen, ihr Bild von Völkern,
Stämmen und Nationen war ge-
prägt von den Typen, die Aste-
rix bei seinen Abenteuern ge-
troffen hat: fettleibige Belgier,
stolze Korsen, gierige Römer.
Zwischen den Witzchen
leuchtet an manchen Stellen
auch ernste Geschichtsverarbei-
tung durch. Im dritten Band „As-
terix und die Goten“, erschienen
18 Jahre nach dem Zweiten Welt-
krieg, arbeiten sich die Autoren
in Frakturschrift an den Deut-
schen ab: „Cervisia her, Cervisia
her, oder ich fall um!“ wird ge-
sungen, daneben wimmelt es
von Pickelhauben, Militaris-
mus, Kleinstaaterei, in einigen
Ausgaben finden sich Haken-
kreuze in den Sprechblasen. Ei-
nen Vergleich zwischen dem
Gallierdorf und der Résistance
im Zweiten Weltkrieg hatte
Uderzo indes stets abgelehnt.
Ende der Sechzigerjahre ver-
lor der deutsche Asterix-Her-
ausgeber Rolf Kauka wegen sei-
ner teutonischen Interpretati-
on des Werks seine Nachdruckli-
zenz. Kauka, der vor allem mit
Fix-und-Foxi-Heften erfolg-
reich war, machte aus den Aste-
rix-Abenteuern kurze Fortset-
zungsgeschichten. Sie erschie-
nen im Comic-Heft „Lupo“ –
mit dem Unterschied, dass Kau-
ka aus dem Gallier Asterix den
Germanen „Siggi“, aus dem ge-
mütlichen Obelix den kriegslüsternen „Ba-
barras“ und aus den römischen Besatzern,
ausgerechnet, die Alliierten gemacht hat.
Die Franzosen kündigten den Vertrag mit
Kauka, der Ehapa-Verlag übernahm.
In all den Jahrzehnten seit dem ersten
Band hat sich nicht nur das deutsch-franzö-
sische Verhältnis geändert. Was zum Bei-
spiel früher als freche Karikatur galt, wird
heute als echter Rassismus entlarvt. Es ist
eine Frage, die man sich auch jenseits des
gallischen Dorfs immer öfter stellt: Wie
umgehen mit Kulturgütern, die nicht
mehr in die Zeit passen? Wie kann ein Klas-
siker ein Klassiker bleiben, wenn zum Klas-
sischen gehört, was heute nicht mehr trag-
bar ist? Mit dieser Herausforderung
kämpft Pippi Langstrumpf genauso wie
die kleine Hexe und Tim und Struppi.
Und Asterix?
Dass dem schwarzen Piraten im Heft be-
schieden wird, er solle keine dicke Lippe ris-
kieren, ist in den neuen Ausgaben natür-
lich kaum vorstellbar. Aber Ferri und Con-
rad halten an den für Asterix so typischen
Typisierungen fest, abgefedert mit viel
Selbstironie: Ihre eigenen französischen
Vorfahren stellen sie als raufende, saufen-
de und Wildschwein fressende Trottel dar.
Zumindest die Männer unter ihnen. Denn
Frauen sind bei Asterix entweder sexy
oder mütterlich. „Wir schätzen die Frau zu
sehr, als dass wir sie in groteske Situatio-

nen versetzen, und so von ihr ein falsches
Bild zeichnen würden“, erklärte René
Goscinny einmal. Und doch: „Die Tochter
des Vercingetorix“ heißt der neue Band,
erst zum vierten Mal gibt es eine Titelhel-
din. Wie immer bleiben bis zur Veröffentli-
chung die Details der Handlung geheim.
Wer vorab etwas ohne Absprache mit dem
Verlag verrät, dem droht eine saftige Geld-
strafe. Aber natürlich könnte es, wenn
plötzlich die junge Nachfahrin des besieg-
ten Avernerhäuptlings in der Enklave Zu-
flucht sucht, schon unruhig werden zwi-
schen Häuptlingshütte und Mistelbaum.
„Jedenfalls ist sie weder Greta Thunberg
noch Marine Le Pen“, sagt Didier Conrad.
„Wenn schon, dann ist sie viel mehr Greta
Thunberg als Marine Le Pen“, präzisiert
Jean-Yves Ferri per E-Mail. „Eigentlich
aber geht es einfach um ein Mädchen, das
einen berühmten Vater hat. Und es geht
um die Pubertät im Allgemeinen.“
Der Band wird die Erfolgsgeschichte
fortschreiben, allein die Startauflage be-
trägt fünf Millionen Exemplare. Insgesamt
wurden bisher 380 Millionen Bände ver-
kauft, 130 Millionen davon allein in
Deutschland. In 80 Ländern, 111 Sprachen
und Dialekten erscheinen die Hefte. Seit
30 Jahren gibt es zudem den Parc Astérix
in der Nähe von Paris. Mit circa
zwei Millionen Besuchern jähr-
lich ist er eine Art gallische Ant-
wort auf das „Disneyland Paris“
(neun Millionen Besucher). Neu-
este Attraktion: ein 4-D-Kino na-
mens „Achtung Hinkelstein“.
Dabei hätte es mit dem Phäno-
men Asterix schon 1977 zu Ende
sein können.
Goscinnys plötzlicher Tod
während eines ärztlichen Belas-
tungstests mit nur 51 Jahren war
für die Comic-Szene ein Schock.
Nach 26 Jahren Zusammenar-
beit hätte Uderzo den geplanten
Band „Asterix bei den Belgiern“
am liebsten eingestellt. Doch der
Verlag zwang ihn per Gerichtsbe-
schluss zur Fertigstellung. Trot-
zig gründete Uderzo daraufhin
seinen eigenen Verlag („Les Édi-
tions Albert René“) und setzte
1980 mit „Der große Graben“ die
Reihe fort. Von 2001 an („Asterix
und Latraviata“) erhielt er Unter-
stützung der franko-marokkani-
schen Brüder Frédéric und Thier-
ry Mébarki.
Im Gegensatz zu Uderzos
Tochter Sylvie, die 40 Prozent an
„Les Éditions Albert René“ hielt,
hatten sich Albert Uderzo und
Goscinnys Tochter Anne im Jahr
2008 dazu entschlossen, ihre An-
teile (er 40 Prozent und sie 20
Prozent) an den Verlag Hachette
Livre zu verkaufen. Bedingung
hierfür war, dass es auch nach Uderzos Tod
mit Asterix weitergehen solle. Nach anfäng-
lichen Protesten und Prozessen fügte sich
drei Jahre später auch Uderzos Tochter Syl-
vie und verkaufte ihre Anteile ebenfalls.
Natürlich glaubte jeder, als Nachfolger
seien nun eigentlich die Mébarkis an der
Reihe. Doch der Druck wurde zumindest
Frédéric zu groß. Thierry Mébarki ist bis
heute für die Kolorierung der Zeichnungen
zuständig. Und, klar, so etwas wird heute
am Computer gemacht.
Bei Didier Conrad hingegen ist noch
alles Handarbeit. Mit leuchtend blauen Au-
gen erklärt er seine Radiergummis, Deck-
weißtuben und seinen Lieblingspinsel,
einen „Winsor und Newton, Serie 7 Num-
mer 0“. „Mein Schreibtisch ist deutlich bes-
ser aufgeräumt als die Küche“, sagt er (und
das stimmt). Während der entscheidenden
Phase zu einem neuen Album darf sein Pin-
sel nicht gewechselt werden. Kenner wür-
den das sofort bemerken.
So lebt Asterix also auch noch mit 60 Jah-
ren weiter. Anders als Tim und Struppi, de-
ren Abenteuer gemäß dem Willen ihres
Schöpfers Hergé nach seinem Tod nicht
fortgesetzt werden durften. Auch der 73
Jahre alte Lucky Luke ist dank seines aktu-
ellen Zeichners Achdé (der in Frankreich
lebt) noch 18Jahre nach dem Tod seines
Zeichners Morris äußerst lebendig. Eben-
so wie Superman (81 Jahre), Batman (80)

und Micky Maus (bald 91). „Die größte
Überraschung war es für mich, dass sich
Uderzo überhaupt 2009 dazu entschloss,
die Geschichten an jemanden zu überge-
ben“, sagt Didier Conrad, seit seinem sieb-
ten Lebensjahr Asterix-Leser. „Ich hätte
nie damit gerechnet, dass ich das bin.“
Conrad und Ferri haben sich übrigens
noch nie gegenseitig besucht. Ganz anders
als Goscinny und Uderzo, die einander oft
zum Essen einluden und mit ihren Frauen
und den Töchtern sogar gemeinsam in den
Urlaub fuhren. Conrad und der im Départe-
ment Ariège in der Nähe von Toulouse le-
bende Ferri sehen sich alle zwei Jahre auf
Presseterminen oder Buchmessen. Ansons-
ten mailen und skypen sie. „Ich hätte ein
bisschen Angst, nach Texas zu reisen“,
meint Jean-Yves Ferri. „Wegen dieser
jüngsten Fälle mit psychopathischen Mör-
dern. Aber ich sage natürlich nicht, dass
Didier einer von ihnen ist.“
Trotz der großen Entfernung sind sie
sich keineswegs unähnlich. Beide schätzen
Ruhe, Rotwein und hintergründigen Hu-
mor. (Bei Ferri kommen nach eigenen Aus-
sagen noch „halluzinogene Pilze, düstere
Filme und Kokain“ hinzu.) Diskussionen
gibt es meist nur über Details. Ferri etwa
liebt kleine aktuelle Anspielungen oder
Gastauftritte wie den des fran-
zösischen Schlagerstars John-
ny Hallyday in „Asterix bei den
Pikten“ oder Sophia Loren, Lu-
ciano Pavarotti, die Mona Lisa
und Silvio Berlusconi in „Aste-
rix in Italien“. Asterix war ja
nicht nur Völkerkunde, son-
dern immer auch Kulturver-
mittlung. Conrad aber sagt: „Zu
viele Anspielungen lenken nur
von der Geschichte ab.“ Auch
deshalb habe es zum Beispiel
der von Ferri verehrte Quentin
Tarantino aus seiner schwar-
zen Skizzenmappe bisher nicht
in ein Album geschafft.
Auch sei es richtig, dass Aste-
rix weder eine politische Mei-
nung noch eine Mission habe,
sagt Conrad. Über Politik reden
Ferri und er ohnehin nur selten.
Könnte daran liegen, dass Con-
rad den derzeitigen US-Präsi-
denten als „eigentlich ganz wit-
zig“ bezeichnet. Oder, dass er
kritisiert: „Die Franzosen mei-
nen ja immer, sie seien die wich-
tigste Nation der Welt. Von Te-
xas aus gesehen ist das aber
alles ein bisschen anders. Ganz
anders.“
Dass „le Patron“ Albert Uder-
zo um Mitternacht bei Conrad
anruft und ihn um Korrekturen
bittet, das kommt mittlerweile
nicht mehr häufig vor. „Er ist
müde“, sagt Didier Conrad.
Sind aber auf einer Zeichnung auf Obelix’
Hose mal mehr als die von Uderzo vorgege-
benen Streifen zu sehen, so plage den
Zeichner gleich schlechtes Gewissen, denn
„das geht eigentlich nicht“. Früher, als er
noch öfter anrief, nannte Uderzo seine
Nachfolger gerne „Les Garçons“, die Schul-
buben.
Bald ist Didier Conrad wieder in Europa,
um die neue Ausgabe zu bewerben. „In all
den Jahren habe ich viel gelernt. Auf öffent-
lichen Veranstaltungen gelingt es mir mitt-
lerweile sogar, meine französische Dauer-
depression gegen professionelle kaliforni-
sche Freundlichkeit einzutauschen“, sagt
er und lacht. Aber wie oft noch wird er die
Chance bekommen, sein Werk zu präsen-
tieren? Was seine berufliche Zukunft an-
geht, bleibt er gelassen: „Unser Verlag wür-
de niemals über uns sagen: Die sind jetzt
lebenslang die einzigen legitimen Nachfol-
ger von Uderzo und Goscinny. Die schauen
halt mal. Band für Band.“
Erst mal aber leben die Gallier weiter in
Didier Conrads feinem Pinselstrich. Sehr
analog und unglaublich weit von der breto-
nischen Küste entfernt. Auf einer unbeug-
samen, französischen Insel in den grünen
Hügeln einer texanischen Großstadt mit ih-
ren literweise pinkelnden Fledermäusen.
Und deren Start, da hat Didier Conrad ganz
recht, sollte man sich auf keinen Fall direkt
unter der Brücke anschauen.

12/13 BUCH ZWEI Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019, Nr. 242 DEFGH


Die Männer Trottel,
die Frauensexy
oder mütterlich:
Bei Asterix werden
Klischees auch nach
60 Jahren noch
fröhlich gepflegt.
ILLUSTRATIONEN: ASTERIX®-
OBELIX®-IDEFIX®/©
LES EDITIONS ALBERT RENÉ/
GOSCINNY–UDERZO

Conrad:
„Hinter
Asterix
muss
man ganz
und gar
zurück-
treten.“

Ferri:
„Ich
hätte ein
bisschen
Angst,
nach
Texas
zu reisen.“

21 Minuten benötigt Didier Conrad (Mitte) für einen Asterix,
wie eroben zu sehen ist. Konzipiert werden die auf den Bilderwelten
Albert Uderzos (unten links) basierenden Geschichten von Jean-Yves Ferri (unten
rechts). Das untere Bild stammt aus dem Jahr 2015.
SKIZZEN: DIDIER CONRAD, FOTOS: MARTIN ZIPS, EGMONT EHAPA VERLAG

Die ersten Entwürfe (links) entwickelt Didier
Conrad mitBleistift auf DIN-A4-Papier.
Die Skizzen zeigen die Seiten 39 und 40 aus
dem 2017 erschienenen „Asterix in Italien“.
Vom neuen Band „Die Tochter des
Vercingetorix“ darf Conrad noch nichts zeigen.
ZEICHNUNGEN: DIDIER CONRAD
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