Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1

E


s könnte dem Rest der Welt ziem-
lich egal sein, dass in Kanada am
kommenden Montag Wahlen
anstehen. Mal regieren die Libe-
ralen, mal die Konservativen,
das macht keinen großen Unterschied,
weil Kanada ein Land des Ausgleichs ist.
Jessica Johnson hingegen findet, dass es
bei den kanadischen Wahlen diesmal um
mehr geht. Sie sagt: „Wohin Kanada geht,
dahin geht die Welt.“
Johnson ist Chefredakteurin des renom-
mierten MagazinsThe Walrus, einer kana-
dischen Version desNew Yorker. Sie hat das
Gefühl, dass es diesmal nicht um die Frage
geht, ob die künftige Regierung ein biss-
chen weiter links oder ein bisschen weiter
rechts von der Mitte steht, sondern darum,
ob das Land sich beim Nachbarn im Süden
angesteckt hat. Und wenn selbst Kanada,
das gegen den Morbus Trump immun zu
sein schien, sich ansteckte, sagt Johnson:
„Was dann?“
Sie spricht diesen Satz im Zentrum
Torontos, in einem Café namens Dineen,
das allzeit überfüllt ist, obwohl man 15 Mi-
nuten auf einen verbrannten Espresso war-
tet. Johnson spricht den Satz nicht gelas-
sen. Sie spricht ihn nicht aggressiv. Sie
spricht ihn vor allem nicht so, als erwarte
sie eine Antwort. Was dann?
War nicht Kanada in den vergangenen
Jahren der Gegenentwurf zu den USA, in
denen Präsident Donald Trump mit einer
Mischung aus Wut und Lüge regiert, aus
Schamlosigkeit und Anmaßung? Kanada
wird oft als „Amerika, bloß ohne Waffen“
beschrieben. Aber ist das Land nicht so viel
mehr? War Kanada nicht immer das Land
der Toleranz, der Offenheit und der Ver-
nunft, mithin das aufgeklärte Land auf
dem nordamerikanischen Kontinent?
Allein der optische Gegensatz zwischen
dem kanadischen Premierminister Justin
Trudeau und dem amerikanischen Präsi-
denten Trump. Nun sagt es absolut nichts
über die Fähigkeiten und die moralische
Substanz von Politikern, wie sie aussehen,
aber im Fall von Trudeau und Trump
schien deren Auftreten immer so übersym-
bolisch zu sein. Hier Trudeau, in gut ge-
schnittenen Anzügen, braunen Schuhen,
bestens frisiert, umweht vom Hauch der
Jugend, eloquent, empathisch, fortschritt-
lich, gesegnet mit einem strahlenden Lä-
cheln und der Fähigkeit, Krawatten in der
richtigen Länge zu binden. Dort Trump.


Vor vier Jahren hatte Justin Trudeau
überraschend die absolute Mehrheit der
338 Sitze im kanadischen Unterhaus er-
obert. Es begannen lange Flitterwochen
mit der kanadischen Öffentlichkeit, und es
ist keine Übertreibung zu sagen, dass viele
Kanadier eine Weile eine Art Liebesaffäre
mit ihrem Premier hatten. Heute, vier Jah-
re später, ist von dieser Affäre übrig, was
meist von Affären bleibt, in die man sich
rauschhaft ergibt: Schmerz, und vor allem
Enttäuschung. Und trotzdem, sagt Jessica
Johnson: Wenn aus dieser Affäre nun kei-
ne Zweckehe werde, dann könne es das
ganz böse Erwachen geben.
Die Liberale Partei von Trudeau liegt in
den Umfragen ziemlich genau gleichauf
mit den Konservativen, denen ein Mann na-


mens Andrew Scheer vorsteht, ein 40 Jah-
re alter Bürokrat, der seit 15 Jahren im Par-
lament sitzt. Obwohl er von 2011 bis 2015
Sprecher des Unterhauses war, ist er ein
weitgehend unbeschriebenes Blatt in der
kanadischen Politik. Wenn Trudeau einen
Gegner mit mehr Charisma hätte, könnte
er seine Hoffnungen auf eine Wiederwahl
vermutlich begraben.
Scheer ist kein Trump, aber er hat im
Wahlkampf mit einem neuen Ton auf sich
aufmerksam gemacht. In einer TV-Debat-
te sagte er zu Trudeau: „Sie sind ein Lüg-
ner. Sie sind ein Betrüger. Sie verdienen es
nicht, dieses Land zu regieren.“
In den USA würden die politischen Kom-
mentatoren sich vermutlich fragen, war-
um Scheer so freundlich zu seinem Kon-
kurrenten war. Sie sind es mittlerweile ge-
wohnt, dass der Präsident seine Gegner
nicht nur beschimpft, sondern dass er ge-
gen sie hetzt. Die Hetze aus dem Weißen
Haus ist in den USA mittlerweile die Nor-
malität. „Lügner“ und „Betrüger“ sind in
Trumps Welt fast Koseworte. Wenn er wirk-
lich austeilt, spricht er von „Feinden des
Volkes“, von „Verrätern“, oder er nennt
sehr gesunde Menschen „sehr krank“.
In Kanada hingegen war Scheers Atta-
cke bemerkenswert. So funktionierten
Wahlkämpfe bisher nicht. Es wurde immer
hart debattiert, aber der persönliche
Angriff zählte nicht zum Arsenal der Kom-
battanten. Es ist noch nicht klar, ob An-
drew Scheer damit eine Tür geöffnet hat.
Ob er den Ton in der kanadischen Politik
dauerhaft verändert hat. Zumindest hat er
eine Grenze überschritten.
Chefredakteurin Jessica Johnson hat
vor drei Jahren in ihrem Magazin einen fas-
zinierenden Artikel geschrieben. Sie blick-
te darin auf ihr Land und erkannte es nicht
wieder. Beim Treffen in dieser Woche in To-
ronto erzählt sie, dass sie damals den Ein-
druck hatte, Kanada habe einen riesigen
Schritt vollzogen. Es sei von einem eher
provinziellen Land zu einem Land gewor-
den, das international beachtet wird, und
zwar aus zwei Gründen: Erstens schien,
während der Rest der Welt durchdrehte,
Kanada politisch den Kurs zu halten. Und
zweitens war Kanada, fand sie, insgesamt
plötzlich so cool geworden.
Es gab damals ein Foto von Trudeau, auf
dem er zwei Baby-Pandas im Arm hielt. Be-
kanntlich sind Panda-Fotos unter den Tier-
bildern die höchste Währung. Die beiden
kleinen Bären waren im Zoo von Toronto
geboren worden. Beim Premier schienen
sich die Pandas ebenso wohl zu fühlen wie
der Premier bei den Pandas.
DerNew Yorkerbefand seinerzeit, das
gehe jetzt wirklich zu weit. In einer Zeit, in
der ihn ohnehin alle über die Maßen lieb-
ten, sei es unverantwortlich von Trudeau,
solche Fotos zu veröffentlichen. Das Maga-
zin zitierte einen vermeintlichen kanadi-

schen Immigrationsbeauftragten mit den
Worten, das Foto sei so bezaubernd, dass
Kanada nun vor riesigen Problemen stehe:
„Schon jetzt sieht sich Kanada einer unver-
gleichlichen Krise gegenüber, da Millionen
von Amerikanern die Grenze überqueren
wollen.“ Nicht nur zeige das Foto Pandabä-
ren, sondern auch noch einen über die Ma-
ßen gut aussehenden Premierminister. Da
Satire nicht oft verstanden wird, vielleicht
sogar meistens nicht, schrieben sie beim
New Yorker„Satire“ über den Text.

Rund um die Panda-Bilder entstand in
den sozialen Medien der Hashtag #mean-
whileincanada – unterdessen in Kanada.
Die Botschaft dieses Hashtags war, dass
die Welt vielleicht am Rad dreht, dass es po-
litische Krisen hier gibt, Naturkatastro-
phen dort, dass in den USA ein Amoklauf
mit Dutzenden Toten auf den nächsten
folgt – aber in Kanada ist die Welt in Ord-
nung. Dutzende und Aberdutzende Bilder
wurden unter dem Hashtag veröffentlicht.
Eine Gänsefamilie, die in Reih und Glied
eine Straße überquert, um zu einen Laden
mit veganer Eiscreme zu gelangen. Ein
Bär, der einen Radfahrer jagt. Ein Bär, der
in einem Swimmingpool badet. Ein Mann,
der in Badehose in einem Liegestuhl im
Schnee liegt. Jessica Johnson fragte sich
damals: „Wenn Kanada so cool wird, ist es
dann noch Kanada?“
Sie erzählt jetzt von einem Phänomen,
das im Englischen „Tall Poppy Syndrome“
genannt wird, wörtlich übersetzt: das Syn-
drom der großen Mohnblume. Darunter
habe Kanada immer gelitten. Die Idee ist,
dass eine Mohnblume, die in einem großen
Feld über die anderen Blumen hinaus-
wächst, gestutzt wird. Alle sollen gleich
sein. Auf die kanadische Gesellschaft bezo-
gen: Wer zu sehr herausragt, hat ein Pro-
blem. Johnson glaubt, das Land habe die-
ses Syndrom in den vergangenen Jahren
zum Teil überwunden.
Kanada war nach Trudeaus Wahl im
Jahr 2015 zwischenzeitlich so cool, dass die
ModezeitschriftVoguesich an eine große
Geschichte über diesen Premierminister
machte. Exquisite Fotos der Familie, für
die das Magazin den exzellenten Porträt-
fotografen Norman Jean Roy anheuerte.
Exklusive Interviews mit dem Premier
und seiner Ehefrau Sophie Grégoire Trude-
au. Die ganze Präsentation hätte kein PR-
Magazin besser hinbekommen. Roy nahm
die Trudeaus eng umschlungen auf, in
einem Bild, das Nähe zeigt und zugleich
ziemlich sexy ist. Trudeau ist darauf eben-
so Sorgender wie Liebender. Auf anderen
Bildern inszenierte Roy den Premier als

Mann, der versonnen in die Ferne blickt, in
Schwarz-Weiß.
Das war die Zeit, als nichts zu kitschig
sein konnte. Trudeau hatte sein Kabinett
paritätisch mit Frauen und Männern be-
setzt. Er hatte versprochen, er werde sich
um die Anliegen der Ureinwohner küm-
mern. Er hatte Steuererleichterungen
nicht für die Reichen eingeführt, sondern
für Menschen mit Kindern. Die Wirtschaft
war stabil. Nicht zuletzt hatte Trudeau den
Konsum von Cannabis legal gemacht. Er
hatte es sogar geschafft, Donald Trump die
Hand zu schütteln, ohne dass dieser ihn
aus der Balance gebracht hat.
DerVogue-Text bewirkte zweierlei. Er
war die ultimative Anerkennung. Er feierte
Trudeau, er zeigte ihn im bestmöglichen
Licht. Zugleich aber stellte sich durch die-
sen Text die Frage, ob es jetzt nicht doch zu
viel war. Trudeau war die Mohnblume, die
viel zu hoch gewachsen war. Vielleicht, und
nur vielleicht, hätte man ihm sogar das
noch verziehen. Was man ihm aber nicht
verzieh, war die Tatsache, dass er sich als
fehlbar erwies.
Im Jahr 2016 machte er mit seiner Fami-
lie Urlaub auf einer Insel, die Karim Aga
Khan gehört, einem Milliardär, dessen Stif-
tung sich als Lobbyist bei der Liberalen Par-
tei Kanadas registriert hatte, der Trudeau
vorsteht. Mit anderen Worten: Er hatte auf
Kosten eines befreundeten Milliardärs ein
wenig ausgespannt. Das passte so gar
nicht ins Bild des Mannes, der behauptet,
sein eigener Herr zu sein, unabhängig von
Herkunft und vom großen Geld.
Im Februar 2018 reiste Trudeau dann
nach Indien. Er ließ sich mit seiner Familie
fortwährend in bunten Gewändern fotogra-
fieren, was auch seine indischen Gast-
geber irritierte, die größtenteils im Anzug
erschienen. Manche Kommentatoren be-
merkten, dass Trudeau seine Fotogenität
vielleicht ein wenig überschätzte.

Das war peinlich, doch es wäre ein klei-
neres Problem gewesen. Trudeau hatte
aber auch einen Mann namens Jaspal
Atwal zu einem offiziellen Dinner in Indien
eingeladen, der im Jahr 1987 wegen ver-
suchten Mordes an einem indischen Politi-
ker verurteilt worden war. Die indischen
Gastgeber waren empört. Graham Fraser,
Professor für Kanada-Studien am McGill-
Institut in Ottawa, sagt: „Die Leute fragten
sich in diesem Moment, ob Justin Trudeau
vielleicht sehr gut auf Fotos aussieht, aber
womöglich keinerlei Substanz hat.“
Fraser hat ein sehr langes Gesicht, er
kann oben in diesem Gesicht kritisch auf
Trudeau schauen und unten grinsen. Er er-

zählt von den Kleinigkeiten, lächelt oben
und fragt unten, ob es tatsächlich bloß Klei-
nigkeiten sind.
Trudeau und die Ureinwohner: Auf
einer seiner Wahlkampfveranstaltungen
im März 2019, auf der er Geld einsammeln
wollte, protestierte eine Ureinwohnerin
und wurde von Ordnern abgeführt. „Dan-
ke für die Spende“, rief Trudeau. Dafür ent-
schuldigte er sich später.
Im September dieses Jahres wurden
Bilder veröffentlicht, die zeigten, dass Tru-
deau sich vor knapp 20 Jahren das Gesicht
dunkel angemalt hatte, um auf einer Kos-
tümparty den Aladin zu geben. Trudeau
entschuldigte sich erneut, und zwar mehr-
mals. Dann tauchten mehr Bilder von Par-
tys auf, zu denen Trudeau mit angemaltem
Gesicht erschienen war. Er entschuldigte
sich wieder und wieder und wieder.
Ein weiteres, ein großes Problem ist,
dass Trudeau sich für einen Baukonzern
namens SNC-Lavalin einsetzte, der vor gut
zehn Jahren Schmiergeld an die libysche
Regierung zahlte, um Aufträge zu erhal-
ten. Die damalige Justizministerin Jody
Wilson-Raybould wollte im vergangenen
Jahr in dem Fall ermitteln lassen. Trudeau
wollte das verhindern. Der Konzern sitzt in
seinem Wahlkreis, in der Provinz Quebec.
Wilson-Raybould stammt von kanadi-
schen Ureinwohnern ab. Sie fühlte sich von
Trudeau bedrängt und trat zurück. Für
den Mann, der von sich sagte, dass er Femi-
nist sei, für den Mann, der versprochen hat-
te, sich um die Ureinwohner zu kümmern,
sah das nicht gut aus. Seine Verteidigung:
Er habe Arbeitsplätze bei SNC-Lavalin
schützen wollen.
Es mag absurd klingen, aber eine in Ka-
nada virulente Frage ist die, ob Trudeau
eher der Sohn seines Vaters ist oder der
Sohn seiner Mutter. Seine Mutter ist Mar-
garet Sinclair, eine Künstlerin. Sie schreibt
und fotografiert, sie galt und gilt als eine
der aufregendsten Frauen des Landes.
Sein Vater war Pierre Trudeau, Premier-
minister, mit kurzer Unterbrechung, von
1968 bis 1984. Im Alter von 51 Jahren heira-
tete Trudeau senior im Jahr 1971 die fast 30
Jahre jüngere Margaret Sinclair, die, so
sagt es die Legende, fortwährend feierte,
unter anderem mit denRolling Stones.
Als Justin vier Monate alt war, schaute
der damalige US-Präsident Richard Nixon
bei den Trudeaus vorbei. Es heißt, er habe
beim Dinner sein Glas gehoben und folgen-
den Trinkspruch vorgetragen: „Auf den
künftigen Premierminister Kanadas, Jus-
tin Pierre Trudeau.“
In der kanadischen Folklore gilt Tru-
deaus Vater als Mann des Intellekts, als
Politiker, der wenig Rücksicht nahm, als
ruchlos gar. Seine Mutter hingegen gilt als
Frau des Gefühls, als Künstlerin, die ihren
Instinkten folgte. Das sind die großen, die
ebenso dämlichen wie ermüdenden Kli-

schees. Doch egal, mit wem man in den po-
litischen oder künstlerischen Zirkeln in To-
ronto oder Ottawa spricht, früher oder spä-
ter taucht die Frage auf, ob Justin Trudeau
nach seinem Vater oder seiner Mutter
kommt. Ob er ein Mann des Intellekts sei
oder ein Mann des Gefühls. Dass man pro-
blemlos oder idealerweise beides sein
kann, spielt dabei keine Rolle.
Professor Fraser sagt: „Justins jüngerer
Bruder Alexandre hat mal einen Vortrag ge-
halten. Er wurde von einem Einwanderer
gefragt, wie man am besten Französisch
lernen könne.“ Der Bruder des Premier-
ministers hätte daraufhin auf die vielen
Kurse im Land verweisen können. Für Im-
migranten sind sie zahlreich und kosten-
los. Der Staat gibt sich alle Mühe, den Zu-
wanderern beide Sprachen beizubringen,
Englisch und Französisch. Alexandre Tru-
deau aber habe gesagt: „Lesen Sie Proust.“
Das sei exakt die Antwort gewesen, sagt
Fraser, die Trudeau senior gegeben hätte.
Arrogant, herablassend, im Bewusstsein
der eigenen Bildung. Und dazu ein kleines
bisschen witzig. Alexandre, sagt Fraser, sei
der Sohn, der nach dem Vater komme.
Justin sei das nur zum Teil. Was der in der
Situation getan hätte? „Justin hätte den
Fragesteller einfach umarmt“, sagt Fraser.

Viele Kanadier waren gerade darüber
froh, dass sie einen Mann gewählt hatten,
der eher nach seiner künstlerisch veranlag-
ten Mutter kam. Der Menschen umarmte.
Der mitfühlte, der empathisch war und
nicht einer der berechnenden, kalkulieren-
den Männer, die man so sehr kannte aus
der Politik. Als er aber im Skandal um die
Baufirma SNC-Lavalin die Justizministe-
rin absägte, obwohl er doch vorgeblich für
Frauen und für die Ureinwohner eintrat,
hatten viele Menschen das Gefühl, es eben
doch mit einem Trudeau zu tun zu haben,
der nach seinem Vater kommt.
Es ist unwahrscheinlich, dass Justin
Trudeau seine Mehrheit halten kann. Im
für ihn besten Fall wird er eine Minder-
heitsregierung anführen, für die er die Un-
terstützung des linken Teils des Parla-
ments braucht. Gut möglich, dass das funk-
tioniert, das Gros Kanadas wählt normaler-
weise eher linke Parteien. Er wird mit die-
sen keine Koalition bilden, das ist unüb-
lich; es gab bisher exakt eine Koalitions-
regierung in Kanada, im Ersten Weltkrieg.
Trudeau würde wohl ein paar informelle
Abkommen aushandeln. So er denn über-
haupt genug Stimmen bekommt.
In ihrem großen Artikel von 2016, in
dem sie Kanada nicht wiedererkannte,
weil es auf einmal so cool geworden war,
hatte Johnson das Land in „Canlandia“ um-
getauft, das war ihr Name für ein aufregen-
des Land, auf das die Welt schaut. Sie wähl-
te diesen Namen, weil „Kanada“ schon be-
setzt war: als Bezeichnung für dieses Land
der Vernunft, für das sich niemand jemals
interessieren würde.
Heute sagt sie: „Es geht in dieser Wahl
nicht nur um uns.“ Kanada wird so oder so
ein Signal senden. „Wenn Trudeau ge-
winnt, bleiben wir in der Mitte und zeigen
vielen anderen Ländern, dass das möglich
ist“, sagt sie. Und wenn nicht? „Dann zei-
gen wir, dass es auch uns erwischt hat.“

DEFGH Nr. 242, Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019 HF2 DIE SEITE DREI 3


Bei einer Reise 2018 nach Indien ließ sich Trudeau samt Familie fortwährend in bunten Gewändern fotografieren. Das irritierte irgendwann selbst seine indischen Gastgeber. FOTO: AJIT SOLANKI / DPA / AP

Seht, ein Mensch


Es war eine stürmische Liebe zwischen den Kanadiern und ihrem Premier Justin Trudeau.
Was sie ihm jetzt vor der Wahl aber schwer verzeihen: Auch er hat Fehler

von christian zaschke


Dass er seine Mehrheit halten
kann, isteher unwahrscheinlich.
Aber er könnte bleiben

In Kanada endet jedes Gespräch
mit der Frage: Ist er mehr wie
der Vater oder wie die Mutter?

Das muss man erst mal schaffen,
Trump die Hand schütteln und
trotzdem in der Balance bleiben

Und dann noch das Foto von


Trudeau und den Pandababys.


Das war fast zu viel des Guten

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