Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1

W


er mal eine Fernbeziehung
geführt hat, der ahnt, was
der Menschheit da blühen
mag. Bei jeder Fahrt am
Freitagabend vom Boden-
see nach Bottrop quält den Reisenden die
große Frage: Wann um Himmels willen bin
ich endlich da?
Ach, was träumen manche Menschen
vom Leben außerhalb dieses mittlerweile
auch ächzenden Planeten. Wie schön wäre
es, einfach abzuhauen, die Türe des Raum-
schiffs zu verriegeln, und schwups, ab in
den Himmel und darüber hinaus. Das
Problem sind nur die lieben Menschen, die
zurückbleiben, wenn der Traum vom Le-
ben auf dem Mars eines Tages Wirklich-
keit wird. Und dann sind es keine sieben
bis neun Google-Maps-Stunden mehr bis
zum heiß ersehnten Wiedersehen, dann
sind es sieben bis neun Monate Flug.
Während der Reisezeit leiden die Mus-
keln unter der Schwerelosigkeit, der Geist
unter Platzangst und Lichtmangel. Und
der von Pendelwochenenden gestresste
Beziehungsmensch müsste sich darauf ein-
stellen, dass eine Rückreise nicht jeden


Sonntag, sondern nur etwa alle zwei Jahre
möglich ist, einfach, weil sich Erde und
Mars ständig bewegen und mal sehr weit
und mal extrem weit voneinander entfernt
liegen. Und siehe da, bei genauem Hinse-
hen wäre es wohl eher ein Albtraum, den
Menschen auf den roten Planeten zu schi-
cken, während ihr eigener in Flammen
steht.
Hätte die Menschheit keine Probleme,
also wirklich keine, dann wäre der Wohn-
traum Mars eine charmante Idee. Doch lei-
der gibt es ein paar klitzekleine Baustellen
auf Mutter Erde, die man, also Mensch,
lösen könnte, anstatt davon zu träumen,
einen neuen Planeten zu besiedeln, sobald
er seinen alten dann eines Tages endgültig
in Schutt und Asche versenkt hat.
Der Albtraum beginnt allerdings schon
ein bisschen früher, bei ganz praktischen
Dingen. „No home is like earth“, sagen die
Physiker, und meinen damit, dass es auf
der Erde für den Menschen trotz Gewalt,
Klimakrise und Schlagerabenden eigent-
lich ganz angenehm ist, vergleicht man sie
zum Beispiel mit dem Mars. Bei all dem
Gerede von tollen neuen Chancen auf dem

Roten Planeten vergessen Multimilliardä-
re wie Space-X-Gründer Elon Musk allzu
oft, dass den Menschen hier zu Hause Ma-
gnetfeld und eine vergleichsweise dichte
Atmosphäre vor gefährlicher Strahlung
schützt.
Dieser Schutz fehlt auf dem Mars, die
Strahlen würden Menschen schwer schä-
digen, vor allem, wenn sie sich ihnen
über Jahre aussetzen. Und niemand
weiß, wie es ist, auf dem Mars schwanger
zu sein – oder Kleinkind, was ja beides ir-
gendwie dazugehört, wenn dort Men-
schen leben sollen. Bleibt als Lösung, den
Schutz der Erde zu imitieren, das wären
dann meterdicke Wände auf oder meter-
tiefe Siedlungen unter dem Marsboden.
Ob irgendwer Lust hat, sein Leben in
einem Bunker zu verbringen? Dann viel-
leicht doch lieber Milliarden in das Pro-
jekt Erdrettung investieren, wobei man
hier genau sein muss. Die Erde wird all
die Abgase in der Luft und Plastikfla-
schen im Ozean schon irgendwie überle-
ben, sie muss von niemanden gerettet
werden. Der fragile Teil in diesem Spiel
ist nur einer: der Mensch selbst.

Zum Mars


und zurück


Die Reise zum Roten Planeten rückt in den


Bereich des Möglichen. Und anders als


lange gedacht, könnten Astronauten


auch zur Erde zurückkehren – zum Glück!


illustrationen: julian schindler, text: felix hütten


DEFGH Nr. 242, Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019 WISSEN 37


Was schützt


vor den Gefahren


des Mars?


MIKROMETEORITEN
Winzige Meteoriten könnten auch die
Astronauten treffen. Daher ist ein besonderer
Schutz notwendig.

TEMPERATUR
Auf dem Mars gibt es Temperatur-
schwankungen von knapp 180 Grad Celsius.

STRAHLUNG
Da das Magnetfeld des Mars schwächer
und die Atmosphäre dünner als auf der
Erde ist, gelangt sehr viel mehr kosmische
Strahlung auf die Oberfläche. Diese kann
die Zellen der Astronauten schädigen – das
Risiko, an Demenz oder Krebs zu erkranken,
steigt.





Herkömmlicher Anzug

Kruste

Gesteinsmantel

Kern

Bio-Suit
Teile des Anzuges, die unter Druck stehen

REPARATUREN
Der Raumanzug könnte so konstruiert sein,
dass er nicht komplett unter Druck steht.
Kleinere Reparaturen könnten dann einfach
repariert werden, ohne dass Luft aus dem
Anzug entweicht.

AUFBAU DES PLANETEN
Weil der Mars keinen festen inneren Kern
hat, fehlt ihm ein globales Magnetfeld,
es gibt nur vereinzelte, schwache Felder.

SAUERSTOFFVERSORGUNG
Nach einer neuen Idee trägt der Astronaut
mehrere kleine Sauerstoffflaschen waagerecht
am Rücken. Das ermöglicht maximale
Bewegungsfreiheit.

NEUARTIGER RAUMANZUG
Herkömmliche Raumanzüge sind komplett aufgeblasen
wie ein Ballon. Nach einem neuartigen Konzept steht
lediglich der Helm unter Druck. Der Anzug liegt hauteng
am Körper an und simuliert auf mechanischem Weg den
atmosphärischen Druck der Erde.

SANDSTÜRME
Aufgrund der starken Tag-Nacht-Tempera-
turschwankungen auf der Oberfläche gibt es
tägliche Morgen- und Abendwinde. Während
des Marsfrühjahrs können aber auch heftige
Staubstürme auftreten. Da es auf dem Mars
keinen Niederschlag gibt, sind diese Partikel
lange Zeit in der Luft. Der Anzug verhindert
den Kontakt und damit einhergehende
Gesundheitsrisiken.

GRAVITATION
Die Gravitation ist auf dem Mars deutlich
geringer als auf der Erde. Das könnte zu
gesundheitlichen Problemen führen.

Ein Gegenstand, der auf der Erde ein
Kilogramm wiegt, bringt auf dem Mars
nur 380 Gramm auf die Waage.

1 G 0,38 G

0°C

-153°C +24°C
-89,2°C
+56,7°C
-100°C

Interface

Lampe

Tasche für
Proben

Der Mars ist ein für Menschen feindlicher Lebens-
raum. Um sich vor extremen Temperaturen,
Strahlung, Meteoriten und anderen Gefahren zu
schützen, soll ein besonderer Raumanzug entwickelt
werden. Dieser sogenannte Bio Suit ist ein elastischer
Ganzkörperanzug, der viel Bewegungsfreiheit erlaubt.

DER MARSANZUG

METHANTANK

SAUERSTOFFTANK

Eine wirklich


große Rakete


Starship und Super Heavy heißen die beiden
Raketenstufendes komplett wiederverwendbaren
Transportsystems des Unternehmens Space-X. Es soll
in Zukunft Satelliten im Orbit aussetzen und vor allem
preisgünstig Fracht und Menschen bis zum Mars und
wieder zurück zur Erde bringen. Noch hat Space-X
keinen konkreten Plan des Innenlebens der neuen
Marsrakete veröffentlicht. Die Illustration zeigt, wie
es aussehen könnte.





Cockpit

Aufenthaltsraum
Vorratsraum
Betten
Gewächshaus
Labor
Ausstieg

Lebenserhaltungssysteme

Küche

Werkstatt

Fitnessgeräte

Toilette
Lager

Starship 55 Meter

Space Shuttle 37 Meter

Duschen

STRAHLENSCHUTZRAUM
Ein Raum, der besonders vor Strahlen schützt.
Hierhin zieht sich die Crew bei Sonneneruptionen zurück.

AUSSENHÜLLE

LANDUNGSTANKS
Enthalten den für die Landung
benötigten Treibstoff.

DIE LANDUNG

FLÜGEL

STARSHIP
Enthält Treibstoff für die
Reise zum Mars und die
Landung sowie Crew und
Ausrüstung

Enthält zusätzlichen
Treibstoff

SUPER HEAVY

Mithilfe der Flügel kann
das Schiff in der Luft navigieren.

Das Schiff bringt sich in
Landeposition.

Kurz vor der Landung
bremst das Schiff mithilfe
des Raketenantriebs.

Landung auf dem Mars

Das Starship tritt mit
einer Geschwindigkeit
von 7,5 Meter pro Sekunde
in die Mars-Atmosphäre ein.

Das Raumschiff kann
weitgehend auf
aerodynamischem Weg
abgebremst werden.

SPACE-X - STARSHIP UND SUPERHEAVY

Die Flügel des Star-
ships sind, anders als
die eines Flugzeuges,
nicht dazu da, um
Auftrieb zu erzeugen,
sondern das Schiff
beim Landeanflug auf
den Mars zu steuern.

Während der Landungsphase fliegt das
Schiff mit der Spitze nach oben. Die
Unterseite dient als Schutz gegen die
Hitze, die beim Eintritt in die Atmosphäre
entsteht.

Die äußerste Schicht des Starships
besteht aus Stahl, weil dieses Material
im Vergleich zu Carbonfasern und
Aluminium einen höheren Schmelzpunkt
hat. Es übersteht Temperaturen von
bis zu 870 Grad Celsius.

Überleben auf


einem fremden


Planeten






GEWÄCHSHÄUSER
Zukünftige Kolonisten auf
dem Mars werden einen Teil
ihrer Nahrung selbst an-
bauen müssen.

WO LANDEN?
Der Äquator eignet sich für eine
Basis am besten, da dort die
Temperaturen nicht so extrem sind
und Solarzellen die meiste Sonne
empfangen können.

WASSER
Das Material der Marsoberfläche oder auch
Mars-Regolith besteht zu großen Teilen aus
Eisstaub. Roboter sammeln diesen ein und
bringen ihn zur Weiterverarbeitung zur Basis.

KOHLENSTOFFDIOXID
Kohlenstoffdioxid wird aus der Atmosphäre
des Mars gewonnen, die fast ausschließlich
aus CO besteht.

Nachts, wenn die Solaranlage
nicht arbeitet, kann ein Generator
zusätzlich Strom erzeugen.

95,9 % Kohlenstoffdioxid

1,9 % Stickstoff
0,14% Sauerstoff
0,06 % Kohlenstoffmonoxid

2,0 % Argon

ATMOSPHÄRE
Der Atmosphäre des Mars hat nur 0,1 % der Dichte der
Erdatmosphäre. Wasser wäre bei diesem Druck nicht flüssig,
sondern gasförmig. Menschen können ohne künstliche
Sauerstoffversorgung nicht überleben.

Sabatier-Reaktor

Generator

Solarzellen

Wohnraum

Lager

Elektrolyse
Wasserstoff-, Sauerstoff-undWassertanks
Labor

Kommunikation

Die Sonne erscheint am
Marshimmel bläulich und
deutlich kleiner.
Sonne von der
Erde aus

78 % Stickstoff

21 % Sauerstoff
1 % Argon

Wasser

Sabatier-
Reaktor

Elektrolyse Generator

Solar

Sauerstoff

Wasserstoff

CO

Wasser

Strom

Methan
Um das Transportgewicht zu senken, können
Baumaterialien, Wasser, Sauerstoff und Methan auf
dem Mars gewonnen werden. Und eine Chance auf
Rückkehr zur Erde besteht nur, wenn auch der dafür
benötigte Treibstoff auf dem Roten Planeten
hergestellt wird.

EINE INTERPLANETARE KOLONIE

Für den Transport zusammen-
gefaltet dienen aufblasbare
Kuppeln als Grundgerüst.
Darüber wird eine Schicht
Marsbeton gelegt, der vor
Strahlung und Meteoriten
schützen soll.

WOHNGEBÄUDE

Roboter können eingesetzt werden,
um Rohstoffe zu sammeln und
diese zu verwerten. Beispiels-
weise kann ein Rover Mars-
Regolith sammeln und aus ihm
Behausungen für die Kolonisten
bauen.

Unterhalb der Marsoberfläche werden
große Mengen gefrorenes Eis in Form
von unterirdischen Gletschern vermutet.
Diese könnten auch als Wasserquelle
genutzt werden.

UNTERIRDISCHES EIS

Betreuung: Hochschule Augsburg, Prof. Michael Stoll

Aus dem Marsgestein könnte zu-
sammen mit Schwefel eine Art
Beton hergestellt werden.

MARSBETON
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