Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1
von thomas hahn

D


rei Reporter stehen am Feld.
Sie sind falsch abgebogen auf
dem Weg zu den Tribünen im
Stadion von Yokohama. Vor ih-
nen liegt der makellose Rasen,
auf dem Neuseelands Rugby-Mannschaft
gleich gegen Südafrika in die Weltmeister-
schaft starten wird. Um sie herum tönt die
Atmosphäre einer hellen japanischen
Nacht. 64000 Menschen, zwei Mannschaf-
ten, die Hymnen. Die Reporter müssen
gehen, aber auf dem Grün, diesseits der
Mittellinie, treten die Männer in Schwarz
zusammen. „Lasst uns den Haka hier an-
schauen“, sagt einer der Reporter.
Ein kehliger Schrei weht zu ihnen her-
über. Dann das Kommando des Kapitäns
Kieran Read: „Kia Rite!“ Der Tanz der All
Blacks beginnt. Fliegende Fäuste. Hände,
die auf Unterarme schlagen. Dumpf hallt
der Gesang der Männer durch das Rund.
„Ka tū te ihi-ihi / Ka tū te wana-wana.“
Schau der Angst ins Gesicht / Bekämpfe
den Schrecken. Die Mannschaft stampft
und starrt und brüllt. Sie ist wie aufgela-
den von ihrem eigenen Vermächtnis. Eine
seltsame Kraft fließt. Die Reporter ver-
schwinden auf ihre Plätze, die Südafrika-
ner geben ihr Bestes, und die All Blacks ge-
winnen ihre erste WM-Partie.
Eine Mannschaft kann nicht größer wer-
den als ihr Spiel. Oder doch? Man weiß es
nicht mehr so genau, wenn man auf die
Rugby-Nationalmannschaft
Neuseelands bei ihrer großen
Japan-Reise schaut, die vor
vier Wochen begonnen hat und
am 2. November mit der zwei-
ten WM-Titelverteidigung en-
den soll. Denn so wie diese
Mannschaft vom neutralen Pu-
blikum bestaunt und gefeiert
wird, scheint sie tatsächlich
der Welt ihres Sports entwach-
sen zu sein.
Rugby hat es noch nicht ge-
schafft, überall bestaunt und
gefeiert zu werden. Es ist sich
lange treu geblieben nach sei-
ner Erfindung Mitte des



  1. Jahrhunderts in der Rugby
    School in Rugby, Warwickshi-
    re, England. Rugbys Königsvari-
    ante mit 15 Spielern pro Team
    ist erst seit 20 Jahren Profi-
    sport. Die erste Weltmeister-
    schaft fand 1987 statt, die aktu-
    elle ist die erste in Asien.
    Schon an der Besetzung der Viertelfi-
    nals, die am Samstag und Sonntag in Tokio
    und Oita stattfinden, kann man ablesen,
    dass Rugby noch auf dem Weg ist, ein ech-
    tes Weltgut zu werden: Japan ist als erstes
    asiatisches Team dabei, ansonsten: Com-
    monwealth-Staaten, Irland, Frankreich, ei-
    gentlich wie immer, und die Gruppenpha-
    se zeigte das steile Leistungsgefälle zwi-
    schen Favoriten und Außenseitern.
    Aber Neuseelands Nationalmannschaft
    sticht heraus. Ihr herber Charme, ihr Haka,
    ihr Trikot, dessen reines Schwarz nur der
    Schimmer des Silberfarns bricht – das ken-
    nen auch Menschen, die Rugby nicht ken-
    nen. Die All Blacks sind längst nicht mehr
    nur das erfolgreichste Team eines erdigen
    Kampfspiels, dreimal Weltmeister, seit
    zehn Jahren fast ununterbrochen Erster
    der Weltrangliste. Sie sind Missionare ihres
    Sports. Botschafter ihres Landes. Und eine
    Marke des Weltsport-Business, für die in-
    ternationale Werbepartner jedes Jahr zwei-
    stellige Millionensummen zahlen.
    „Wir haben einfach reines altes Wasser
    benutzt“, sagt All-Blacks-Chefcoach Steve
    Hansen. Es ist seine erste Pressekonferenz
    nach der Ankunft im schicken Teamhotel,
    das sich in den sterilen Hochhausschluch-
    ten des Tokioter Stadtteils Shiodome befin-
    det. Die Frage war, ob er ebenfalls Rugby-
    Bälle mit Babyöl einreiben lasse wie sein
    Kollege Warren Gatland von Team Wales,
    der so die besonderen Bedingungen in
    Japan simulieren wolle. Der japanische
    Herbst ist im September noch ziemlich
    schwül. Die Spieler schwitzen mehr, als sie
    das bei den Schlammschlachten in Europa


tun würden. Deshalb ist der Ball schwieri-
ger zu greifen. Alle müssen sich darauf ein-
stellen, auch die All Blacks, aber überhö-
hen mag Hansen das Problem nicht. Kein
Babyöl also. Kein Schnickschnack.
Mit Wasser kochen – das ist Hansens
Botschaft und das wird sie bleiben bei die-
ser WM-Kampagne. Er ist kein Verächter
des Fortschritts. Nach den Spielen schaut
er mit Interesse auf die GPS-Daten seiner
Akteure. Natürlich hat er nichts einzuwen-
den gegen die körperbetonenden Trikots
aus Funktionsstoff, die längst die schwe-
ren klassischen Rugby-Baumwollhemden
abgelöst haben. Aber Hansen, 60, mag
auch die bewährten Hausmittel. Er ist ein
Mann der alten fortschrittlichen Rugby-
Schule Neuseelands. Diese Schule besagt,
jeder All Black auf jeder Position soll ein
kompletter Rugby-Athlet sein, kicken, pas-
sen, tackeln können, damit das Spiel des
Teams immer schnell und offensiv ist.
Zweimal hat Hansen Neuseeland zum
WM-Titel geführt. Für viele in Neuseeland
hat er den zweitwichtigsten Job der Nation
hinter Premierministerin Jacinda Ardern,
die mit Wohnungsnot in den Städten und
sozialer Ungleichheit zu kämpfen hat.
Aber das lässt Hansen niemanden spüren.
Er vergisst seine Geschichte nicht, die als
Bauernsohn in Otago begann und zwi-
schendurch von Misserfolg als National-
coach von Wales geprägt war.
„Ich halte den Weltrekord für die meis-
ten Niederlagen in Serie. Und ich halte den
Weltrekord für die meisten Sie-
ge in Serie. Also was für ein
Trainer bin ich?“, sagt Hansen
am Tag nach dem Südafrika-
Spiel. Das 23:13 in Yokohama
war hart erkämpft. Am
Schluss mussten die All Blacks
mehr verteidigen, als es zu ih-
rem Stil passt, und Hansen
spürt, dass die Leute nicht
ganz überzeugt sind von sei-
ner Mannschaft. Sie hatte da-
vor kein perfektes Jahr. Hat
der Weltmeister gegen Südafri-
ka nur mit Glück gewonnen?
Hansens Ton klingt etwas
spitz, als er das zurückweist.
Aber eigentlich ist er gelassen
wie immer. Die WM läuft. Die
ersten Punkte sind da. Und die
Sympathien auch, wie der Be-
darf an Autogrammen und Fo-
tos zeigt. „Wir versuchen alles
zu machen“, sagt Hansen. „Wir
sehen die Leute als Fans des
Spiels, und das Spiel ist größer als wir alle.“
Es ist eine tiefere Verantwortung mit
der Ehre verbunden, ein All Black zu sein.
Weltmeister zu werden, ist nur ein Teil des
Auftrags. Die Kultur des eigenen Landes
und seiner Ureinwohner zu pflegen, gehört
auch dazu: Mit geschlossenem Kaugummi-
mund halblaut die Nationalhymne mitzu-
summen, können sich abgezockte Fußball-
profis leisten – ein All Black ist dem Ritual
der Mannschaft verpflichtet. Jeder muss
den Haka beherrschen, Tanz und Text,
und zwar zwei Versionen, das ursprüngli-
che Maori-Lied „Ka Mate“ und das „Kapa o
Pango“, das der Maori-Künstler Derek Lar-
delli 2005 eigens für die All Blacks schrieb.
Aus dem Rhythmus der Gemeinschaft
kommt die Kraft, die ein Team aus den ver-
schiedensten Neuseeländern zusammen-
schweißt, aus Maori, Polynesiern, Europä-
ern, Muslimen – genauso, wie es im wirkli-
chen Alltag der Vielvölker- und Seefahrer-
Nation sein soll.
Und der dritte Auftrag: mit Kindern
spielen.
Am Tag vor dem Kanada-Spiel in Oita
an der Nordküste der Südinsel Kyushu ist
das Convention-Center im nahe gelegenen
Kurort Beppu gut besucht. Die All Blacks
veranstalten einen ihrer Aktionstage zur
Rugby-Förderung. Am Eingang steht „Kia
Kaha Kapa o Pango!“, eine Anfeuerungsfor-
mel für die All Blacks, und drinnen werfen
Kapitän Kieran Read und andere Spieler
kleinen Japanerinnen und Japanern Bälle
zu. In der wuselnden Menge der Kinder wir-
ken die Spieler noch riesenhafter, als sie oh-
nehin schon sind, trotzdem passen sie in

diese Manege. Mit freundlichem Ernst ab-
solvieren sie Pass- und Fangübungen mit
dem Nachwuchs, lassen sich abklatschen
und ansprechen. Es gibt ein gemeinsames
Foto. Begleitet von einem Schulorchester
singen die 2000 Menschen in der Halle für
die Mannschaft Neuseelands Nationalhym-
ne. Ein Mädchen in Schuluniform spricht
ein Grußwort auf Englisch. Kieran Read
spricht seinerseits ein Grußwort. Es
herrscht ein rührendes Einverständnis zwi-
schen den Hünen von der entfernten Insel
und dem quirligen Volk der Gastgeber.
Nach etwa zwei Stunden verschwindet
jeder wieder in seiner Welt, und am nächs-
ten Tag überrennen die netten All Blacks
im Stadion von Oita das Team aus Kanada.
Endstand: 63:0.
„Tempo ist der Hauptunterschied“, sagt

Kanadas Conor Trainor nach dem Spiel. Er
ist frisch geduscht, steckt im knallroten
Teamanzug und hat die Krawatte ordent-
lich gebunden. Trotzdem wirkt er noch et-
was zerzaust nach diesem 80-minütigen
Sturm unter geschlossenem Stadiondach.
„Es gibt keine Pause, es ist eine ständige
Welle aus Angriffen.“ Trainor, studierter
Umweltingenieur, spielt als Profi in Frank-
reich, und er kann gut erklären, warum ei-
ne Mannschaft wie die seine gegen die All
Blacks vorerst nur hoch verlieren kann.
„Kulturell ist das ein riesiger Unter-
schied“, sagt er. Rugby ist das erste Spiel
der Wahl für Jungs in Neuseeland, in Kana-
da ist das anders. „Für viele von uns ist Rug-
by erst der dritte Sport.“ Er selbst hat in Van-
couver als junger Kerl auf gutem Niveau
Fußball gespielt, andere wuchsen mit Ka-

nadas Nationalspiel Eishockey auf oder mit
Basketball. Sie kamen nicht weiter bei die-
sen Spielen oder hatten irgendwann genug
davon, wie Trainor: „Ich bin beim Fußball
ausgebrannt.“ Sie fanden Rugby, dieses
Spiel, bei dem die Verantwortung noch
mehr als bei den anderen Spielen auf vielen
Schultern ruht, wurden trotz des späten
Einstiegs gut, besser, Nationalspieler, teil-
weise Profis. Die Liga in Kanada ist jung,
nicht alle schaffen den Sprung ins Ausland,
und so steht dann die Auswahl der besten
Kanadier vor diesem schwarzen Riegel aus
gebürtigen Rugbyspielern und blickt in
den Abgrund der Chancenlosigkeit.
Darren Shand kann Trainors Analyse be-
stätigen. Shand ist der Teammanager der
All Blacks, seit 16 Jahren dabei. „Rugby ist
für Neuseeland das Ding, das alle Gemein-
den im Land zusammenhält.“ Shand sitzt
auf einem eleganten Sofa im dritten Team-
hotel der Japan-Reise, Tokioter Bucht, Prä-
fektur Chiba. Draußen wühlt der Wind in
den Palmen, das Meer glitzert in der Son-
ne. Disneyland Tokio ist gleich nebenan
und ein Einkaufszentrum, dessen Gebäu-
de aussehen wie große bunte Zuckerware.
Einige All Blacks bewegen sich im Hotel
wie normale Gäste, und Shand hat sich um-
standslos Zeit genommen, um über die
Mannschaft und das Spiel zu sprechen.
Rugby also ist Neuseelands Nummer-
eins-Sport, eine Karrierechance und eine
gute Schule für Kinder aus sozial schwieri-
gen Verhältnissen. Ein All Black zu werden,
ist so etwas wie der neuseelän-
dische Traum. Und für den Na-
tionalverband NZRugby ist die
Mannschaft der Anker seiner
Agenda „Inspiring & unify-
ing“, Inspirieren und einen –
was wiederum ein existenziel-
ler Anspruch ist für ein Land
mit 4,4 Millionen Einwoh-
nern, von denen ein Viertel Ein-
wanderer sind.
Ein System aus Regeln und
Freiheiten hält die Mann-
schaft zusammen. Zunächst
aber vor allem ein Transferver-
bot, das wie das Relikt aus ei-
ner vergessenen Zeit wirkt.
Wer für die All Blacks spielen
will, muss bei einem Klub in
Neuseeland bleiben und darf
nicht in die einträglicheren
Auslandsligen wechseln. „Wir
glauben, wir würden das Spiel
zerstören, wie wir es kennen,
wenn wir das Tor öffnen wür-
den“, sagt Darren Shand. Die junge Markt-
wirtschaft des Rugby drängt, der Anzie-
hungskraft des größeren Geldes können
sich vor allem jene Spieler kaum entzie-
hen, die aus armen Familien kommen. „Es
ist ein ständiger Kampf“, sagt Shand. Talen-
te gibt es genug in Neuseeland, sie zu hal-
ten, das ist die Herausforderung. Die di-
cken Deals mit ihren Wirtschaftspartnern
sind deshalb durchaus eine Voraussetzung
dafür, dass die Werte der All Blacks ge-
schützt bleiben.
Noch steht das Transferverbot und wird
selbst von einem Ausnahmespieler wie
Beauden Barrett mitgetragen, dessen ele-
gante, zielstrebige Spielweise ihm sicher
sagenhafte Verträge in England, Frank-
reich oder Japan einbringen könnte. Aber
man bekommt ja auch etwas zurück, wenn
man es in die exklusiven Reihen der All
Blacks geschafft hat: nicht nur Geld und
die Aussicht auf Erfolg. Sondern auch den
Platz in einer präzise abgestimmten Hoch-
begabten-Gruppe, in der die Verantwor-
tung des Einzelnen fest verwoben ist mit
den Geboten des Kollektivdenkens. Rugby
fordert den Individualisten im Teamplay-
er. Wer im Spiel den Ball hat, muss spontan
entscheiden, was er tut; rennen, passen
oder kicken, damit die ganze Mannschaft
nach vorn kommt. Ein echter All Black
muss in der Lage sein, Entscheidungen zu
treffen. „Wir teilen die Führung mit den
Spielern“, sagt Shand, „denn wer kann das
Spiel nur beeinflussen? Die Spieler. Wir
können ihnen nicht einfach sagen, was sie
tun sollen. Wir müssen sie darauf vorberei-
ten, sich selbst zu managen.“

Führung ist ein Schlüsselwort bei den
All Blacks. Wann entscheidet wer was? Füh-
rung war auch das wichtigste Wort bei der
Aufarbeitung der Schmach von Cardiff,
wie man die 18:20-Niederlage gegen Frank-
reich bei der WM 2007 wohl nennen darf.
Aus im Viertelfinale. Krise und Verdruss.
Die Nation grollte und debattierte. Jeder
wusste was, während die All-Blacks-Chefs
eine marternde Selbstanalyse betrieben.
Ergebnis: „Die Führung auf dem Feld un-
ter Druck war wahrscheinlich das größte
Problem“, sagt Darren Shand. Richie
McCaw war damals der Kapitän. 26 Jahre
jung, noch etwas grün. Er machte Fehler,
die den Sieg kosteten. Aber die Lehre aus
der Niederlage damals saß. 2011 und 2015
führte Richie McCaw, ein begnadeter Ehr-
geizling, die All Blacks jeweils zum Titel.
Sie wurden zu dem Branchenführer, der
sie heute sind. Und Darren Shand sagt:
„Vor dieser WM haben wir auch wieder den
Bericht von 2007 rausgezogen.“ Man kann
nie genug aus seinen Fehlern lernen.
Später ist Teampressekonferenz. Die
Beteiligten tragen pinkfarbene T-Shirts
mit der Aufschrift: „Keep Rugby clean“,
Rugby sauber halten. Der Weltverband
World Rugby hat das Wochenende zum
Anti-Doping-Wochenende erklärt. Des-
halb sind jetzt alle ausdrücklich gegen die
künstliche Leistungsmanipulation. Tags
darauf tanzen die All Blacks wieder ihren
Haka. Diesmal im Tokio-Stadion, Stadtteil
Chofu. Namibia ist der Gegner. Steve Han-
sen hat seine Auswahl umge-
baut. Leute wie Beauden Bar-
rett und Kieran Read bekom-
men eine Pause. Der Anfang ist
zäh, aber am Ende steht es 71:9
für Neuseeland. All Blacks und
Namibier verneigen sich
gemeinsam vor den Fans. Und
Namibias Winger Janry du Toit
strahlt.
Im wirklichen Leben ist er
Discjockey, für die WM hat er
sich freigenommen. Er genießt
die Einsätze für sein Land, gera-
de gegen die All Blacks. „Das
hat mich ziemlich gepusht“,
sagt er, „da zu stehen, gegen-
über dem besten Team der
Welt, zu wissen, der Haka
kommt, und du musst dein
Spiel zu hundert Prozent bes-
ser machen.“
Es wirkt manchmal so, als
seien die All Blacks auch für ih-
re Gegner eine Attraktion. Alle
wissen, dass sie der wertvollste Hingucker
der Rugby-Welt sind. Indirekt profitieren
alle. Nur leise gibt es Kritik an ihrer Show
und ihrer Macht.
Die vierte Partie der All Blacks gegen Ita-
lien fällt aus. Am Spieltag fegt TaifunHagi-
bismit zerstörerischer Kraft über Japan,
bringt Überschwemmungen und Erdrut-
sche. Zum ersten Mal seit 2011 hat Disney-
land geschlossen. Züge stellen den Betrieb
ein. Bei den Italienern ist man sauer, weil
der Weltverband bei einer WM keine Aus-
weichtermine kennt, sondern ausgefalle-
ne Spiele ersatzlos streicht und als 0:0 wer-
tet. Mit einem hohen Sieg hätten die Italie-
ner den Sprung ins Viertelfinale schaffen
können. Die Aussicht war eher theoretisch,
die All Blacks haben noch nie ein WM-
Gruppenspiel verloren. Aber so kann das
ein stolzes Team nicht sehen, Italiens Kapi-
tän Sergio Parisse sagt: „Hätte Neuseeland
vier oder fünf Punkte gegen uns ge-
braucht, wäre es nicht abgesagt worden.“
Die All Blacks lassen solche Gedanken
nicht an sich heran. Sie sind jetzt wieder in
ihrem Teamhotel in Shiodome und schau-
en voraus. Das Viertelfinale in Tokio wird
schwierig. Irland ist der Gegner. Im Novem-
ber in Dublin haben sie gegen Irland 9:16
verloren. Vor der WM hatten sie kurz ihre
Weltranglistenführung an Irland abgeben
müssen. Schwergewichte treffen aufeinan-
der. Ausgang ungewiss. „Ich freue mich
drauf“, sagt Kapitän Read. Er und die ande-
ren All Blacks wissen, was zu tun ist, und
sie wissen, wie ihr Einsatz beginnen wird.
Mit einem kehligen Schrei und dem Tanz,
der ihre Kraft bündelt.

Die All Blacks
sind der
größte
Hingucker
der WM.
Kritik an
ihrer Macht
gibt es
nur leise

Das Relikt
gilt bis
heute: Kein
All Black
geht ins
Ausland, und
lockt dort
noch so
viel Geld

Bekämpfe


den Schrecken


Kann eine Mannschaft größer sein als ihr Spiel?
Neuseelands All Blacks sind bei der Rugby-WM in
Japan jedenfalls vieles gleichzeitig:
Beherrscher, Botschafter und Bewahrer.
Jetzt stehen sie vor ihrer schwersten Prüfung.
Eine Reise ins Herz des Haka

DEFGH Nr. 242, Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019 SPORT 41


Aktionstage zur Rugby-Förderung: In Oita bedanken
sich japanischeKinder singend für ein Training mit
den All Blacks. Und mit ihrer Dynamik (unten: Patrick
Tuipulotu beim 63:0 gegen Kanada) macht die
Mannschaft Werbung für Neuseelands Nationalsport.
Auf dem Foto oben: der berühmte Haka-Tanz.
FOTOS: M. CHILDS / REUTERS, H. PETERS / GETTY, A. FAVILA / AP
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