Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1
von peter burghardt

D


ésirée Nosbusch sitzt auf
einem Hamburger Hotelsofa
und schwärmt von Irlands
Westen. „Es gibt so magische
Orte“, sagt sie, Weltläufigkeit
hätte der Schauspielerin und Moderatorin
aus Luxemburg noch nie jemand abgespro-
chen. Wer schon etwas länger fernsieht
und Radio hört, den begleitet diese 54 Jah-
re alte Frau seit vier Jahrzehnten. Sie
spricht sechs Sprachen, hat Abermillionen
Menschen unterhalten und sogar Strauß
und Kinski überstanden.
In der Gegend von Galway entstanden
Teil eins und zwei der Irland-Krimis, die
als Donnerstagskrimi im Ersten laufen. Dé-
sirée Nosbusch spielt darin eine deutsche
Profilerin, die auf der Insel hängen geblie-
ben ist. Den PR-Tag hat ihr Management
nun so gestaltet, dass der nächste Inter-
viewer bereits nervös wird, das Interesse
an Désirée Nosbusch ist seit der SerieBad
Bankswieder enorm gestiegen. Sie erzählt
in dem plüschigen Zimmer trotzdem ange-
nehm ruhig von der irischen Mystik und
ihrem Leben, in dem sie sich ihre Rollen
plötzlich aussuchen kann.
Zur Nadelstreifenhose trägt sie T-Shirt,
die Haare gebunden. Auf einmal ist sie als
Charakterdarstellerin gefragt, ihre Ver-
wandlung wurde 2018 auf der Berlinale
und dann auf Arte und im ZDF sichtbar –
mit Perücke. Die gefeierte Banker-Intrige
Bad Banksbewahrte das Wunderkind von
einst davor, die Filmkarriere frustriert zu
beenden. „Ich bin voller Dankbarkeit, weil
ich aufgeben wollte“ sagt sie. „Ich wollte
mich abmelden. Ich dachte: Das, was ich
mir vorstelle, das kriege ich nicht, da lässt
man mich nicht rein. Das ist ein Kreis, in
den ich nicht vordringe.“ Warum? „Weil ich
einfach als Moderatorin zu präsent war.
Und ich war immer die Désirée.“

Mit zwölf war die Tochter eines Luxem-
burgers und einer Italienerin zum ersten
Mal bei Radio Luxemburg zu hören, mit 14
hatte sie ihre eigene Sendung. Mit 15 war
sie Teeniestar undBravo-Titel, kess, nied-
lich, international. „Mein Name ist Dési-
rée“, eröffnete sie 1980 die ZDF-Musik-
showHits von der Schulbankund begrüßte
das Publikum außerdem auf Französisch,
Italienisch, Englisch und Luxemburgisch.
Sie trug dabei einen orangefarbenen
Schlabberanzug und empfing unter ande-
rem Suzi Quatro, Georg Danzer undStatus
Quo, „What you’re proposing“, die Kreide-
namen der Bands strich sie nach deren Auf-
tritten auf einer Tafel durch.
Alte Videos stehen im Netz, das Internet
vergisst nichts, auch nicht den Besuch im
selben Jahr inAuf los geht’s losbeim schwer
onkelhaften Joachim Fuchsberger. Neben
beiden saß eine bayerische Beamtenanwär-
terin, die nicht in den Staatsdienst sollte,
weil sie zu dick sei, wofür der Ministerpräsi-
dent Franz Josef Strauß live und abge-
hackt am Autotelefon Verständnis zeigte.
Kaum hatte FJS aufgelegt, erhob die junge
Désirée die Stimme: „Also hör’ mal, ich ver-
steh’ nicht, was das alles soll.“ Das fiel un-
ter Majestätsbeleidigung. Mit 15 floh sie
auch vor Klaus Kinski aus dessen Hütte im
Wald, wie sie 2013 Markus Lanz verriet.
„Man muss nur lange genug warten und
älter werden, dann wird das Zivilcourage“,
sagt sie heute und lacht.
Die Schule schmiss sie nach der mittle-
ren Reife und ging auf eine New Yorker
Schauspielschule. Als sie 19 war, erklang
aus Fernsehern, deren Programm damals
noch überschaubar war, die Hymne der Eu-
rovision, man sah einen RTL-Ballon. Dann
sprach die Gastgeberin Désirée Nosbusch
im grauen Kleid vor 500 Millionen Zu-
schauern zur Einleitung „oh, la la, quelle at-
mosphère de fête ici“ und „oh, let me tell
you, this is one of the greatest moments of
all my young life, but it’s also the hardest“


  • „Herzklopfen nennt man so was, kann
    man es hören?“ Es war der Grand Prix, es
    gewann das schwedische TrioHerrey’smit
    „Diggi-lo Diggi-ley“.
    Désirée wurde ein Gesicht Europas,
    „Karriere eines Kindes“, schrieb 1985 die
    Zeit, der sie 34 Jahre später gerade sagte:
    „Ich hatte mich verloren.“ Debüt auf der
    Leinwand ebenfalls mit 15 (Nach Mitter-
    nacht), mit 16 phasenweise unbekleidet
    Der Fan, den sie sich gern erspart hätte. Sie
    spielte mit Celentano, sang mit FalcoKann


es Liebe seinund mitErdmöbelaus Köln.
Sie war mit Managern liiert, mit einem
Komponisten, einem Sänger, einem Schau-
spieler, inzwischen ist sie in zweiter Ehe
mit einem Kameramann verheiratet.
Sie ging nach Amerika, studierte in L.A.
Regie und war lange mit sich unzufrieden.
Sie trat auf in Filmen wieGood Morning Ba-
bylon,Eine Liebe in SaigonoderDie Jahr-
hundert-Lawine. Sie zog ihre Kinder groß,
spielte Theater, Shakespeare. Das Etikett
der Entertainerin blieb kleben. „Das zu
durchbrechen, ja klar, da braucht es eine
Person, die sagt: Ihr wollt’ das vielleicht
nicht, aber ich setz’ mich da jetzt durch“,
sagt sie im Hotel in Alsternähe. „Ich weiß
noch einen Satz von mir: Wenn mir doch
mal so was passieren könnte wie der Han-
nelore Elsner mit Oskar Roehler.“
Oskar Roehler holte Hannelore Elsner
2000 fürDie Unberührbare. Désirée Nos-
busch erschien der Erlöser 2017 in Gestalt
von Christian Schwochow, der sie fürBad
Bankszur zwielichtigen Investmentchefin
Christelle Leblanc machte. Sie saß vor ihm
und dachte: „Jetzt hab’ ich einmal im Le-
ben die Chance, etwas Gutes zu spielen,
und dann muss ich diese Perücke aufset-
zen.“ Im Nachhinein waren das Kunsthaar
und die strenge Rolle ein Geschenk. „Weil
ich dadurch wegkam vom Bild der Dési-
rée.“
Die Désirée wurde zu Christelle, auf
Augenhöhe mit Größen wie Tobias Moret-
ti, Jean-Marc Barr, Barry Atsma. „Ich war
so abhängig von jemandem, der einfach
mal Lust hat, mich mit anderen Augen zu

sehen“, sagt sie. Dass sie viele Zuschauer
erst nicht erkannten, „das ist das Beste,
was dir als Schauspieler passieren kann.“
Bad Bankswurde ihr neuer Grand Prix,
seither ist Désirée Nosbusch die Grimme-
Preisträgerin. „Verrückt, oder?“ An Pass-
kontrollen frage man sie nicht mehr nach
dem Grand Prix, sondern: „Sie sind doch
die Christelle vonBad Banks.“

Das Drama über die Abzocker beweist,
dass komplizierte Stoffe sogar im deut-
schen Fernsehen funktionieren, die nächs-
te Staffel folgt 2020. „Wenn du gute Figu-
ren hast, wenn du den Zuschauer emotio-
nal an der Hand nimmst, dann kannst du
ihm ganz viel zumuten“, hat Désirée Nos-
busch gelernt. Gewöhnlich mutet sich
Deutschland ja hauptsächlich Krimis zu.
Den Irland-Krimi hätte sie wegenBad
Banksbeinahe abgesagt. „Ich hatte Angst,

ich nehme etwas an und mache mir damit
etwas kaputt, was ich mir mühsam aufge-
baut habe. Nämlich die Anerkennung als
Schauspielerin.“ Dass sie doch dabei war,
hat ebenfalls mit einem Regisseur zu tun,
Züli Aladağ.Die Toten von Glenmore Abbey
undMädchenjägerheißen die ersten bei-
den Episoden. In der einen Folge geht es
um die katholischen Magdalenen-Heime,
in denen ledige Mütter, Prostituierte und
ihre Kinder verschwanden, in der anderen
um den Mikrokosmos der irischen Travel-
ler in ihren Wohnwagen. Désirée Nosbusch
hat sich für ihre Mission als Kriminalpsy-
chologin Cathrin Blake von einem Berliner
Professor beraten lassen und täglich von ih-
rem irischen Fahrer, einem früheren Poli-
zisten. Sie sei „sehr darauf bedacht, dass
wir nicht in eine Falle geraten, die ich gerne
‚Harry-fahr-den-Wagen-vor‘ nenne“, sagt
sie. Folge drei und vier sind in Arbeit.
In den Drehpausen geht sie am Meer
spazieren und liest Bölls„Irisches Tage-
buch“. Zwischendurch hat sie einen Luxem-
burgischen Orden bekommen und den
Deutschen Fernsehpreis moderiert, ein
bisschen Gala darf schon noch sein. Und
kürzlich stand Désirée Nosbusch, die es in
40 Jahren von RTL und Grand Prix zum
Grimme-Preis geschafft hat, in München
vor der Kamera. Mit Kollegen wie Axel Mil-
berg, Heiner Lauterbach, Veronica Ferres.
„Ich war zum ersten Mal Mitglied im Klub“,
sagt sie. „Ich gehörte dazu. Das spürt man.“

Die Toten von Glenmore Abbey, Das Erste, Don-
nerstag, 20.15 Uhr.

Intendanten müssen reden können. Von Sin-
gensteht nichts in ihrer Aufgabenbeschrei-
bung, weshalb es verwundert, wenn WDR 4
den singenden Tom Buhrow ankündigt. Als
Roadtripverkauft die Oldiewelle eine knappe
Stunde, in der das WDR-Funkhausorchester
und der WDR-Rundfunkchor mit dem Chef des
Hauses Klassiker der US-Musikgeschichte
präsentieren, vor allem Songs von Bob Dylan.
Von Buhrow weiß man, dass er ein riesengro-
ßer Fan des Literaturnobelpreisträgers ist. Man
weiß auch, dass er zehn Jahre USA-Korrespon-
dent war. Ab Sonntag weiß man auch, wie er
singt. Aufgenommen wurde das am 14. Sep-
tember im Kölner Funkhaus. Ohne große Wer-
bung. Auch nach der Veranstaltung gab es
kaum Hinweise auf die Troubadix-Versuche des
Hausherren. Buhrow moderiert lässig, erzählt,
was die Songs so aussagen wollen. Als Möchte-
gern-Crooner müht er sich niedlich am Frank-Si-
natra-Klassiker „Why Try To Change Me Now“
ab, was bei ihm ein bisschen wirkt, als versuche
da ein Fünfjähriger mit Charme klarzumachen,
dass er nun mal ist, wie er ist. Buhrows Stimme
tönt durchweg ein bisschen zu clean und untrai-
niert, so wie frisch gewaschen, was besonders
auffällt, wenn er sich an den Bob-Dylan-Songs
Slow TrainundSilvioversucht. Da müht er sich
hörbar, so zu singen, dass auch jeder den Text
versteht. Er ist halt ein großer Vermittler, Mode-
rator und Diplomat. Dass die Lieder im Original
von Dylans Knarzigkeit und seiner Art der pho-
netischen Vernachlässigung leben, fällt da
unter den Tisch. Buhrow bleibt sauber. Er kann
nicht anders. Vielleicht nützt ihm solch ein
Auftritt in Sachen Eigen-PR, weil nun alle wis-
sen, dass er als Intendant so viel besser wirkt
als vor dem Gesangsmikrofon. hans hoff


Klassik Populär: Roadtrip, WDR 4, So. 19 Uhr.

Podcasts haben einen neuen Boom des
Geschichtenhörens ausgelöst – im Fiktio-
nalen wie im Dokumentarischen und bei
Ratgebern. Sie befördern neue Formate,
etwa Serien, und bringen neue Produzen-
ten hervor. Die SZ-Medienseite stellt jeden
Monat ihre Favoriten vor.

Geheimakte Peggy
antenne.de/podcast
Der Fall der 2001 im Alter von neun Jahren
in Oberfranken verschwundenen, später
tot aufgefundenen Peggy ist bis heute
ungelöst. Und es steht zu befürchten, auch
wenn aktuell wieder ermittelt wird, dass
der Mörder nie gefunden wird. Warum das
so ist, erklärt Christoph Lemmer akribisch
in seinem für Antenne Bayern produzier-
ten Podcast: Polizei und Justiz haben
schlampig gearbeitet und einseitig ermit-
telt in einem Maß, das geeignet ist, das Ver-
trauen in den Rechtsstaat zu erschüttern.
Ein 2004 rechtskräftig Verurteilter ist in
einem Wiederaufnahmeverfahren freige-
sprochen worden – was außergewöhnlich
ist, denn die Unschuld muss in so einem
Fall bewiesen werden. Zeugen, darunter
Kinder, sind manipuliert, Erkenntnisse
eines Ermittlers ignoriert worden. Auch

wenn die Machart der nachgestellten
Szenen befremdet, wurde der Podcast ver-
dientermaßen mit dem Deutschen Radio-
preis ausgezeichnet. stefan fischer

Conviction
gimletmedia.com/shows/conviction
Manuel Gomez ist Privatermittler in New
York. Seine Stimme klingt gepresst und
rau. Er sieht sich als Bestrafer der Bösen
und Beschützer der Schwachen.Der Jour-
nalist Saki Knafo hat Gomez mehr als ein
Jahr lang begleitet. Daraus ist ein True-
Crime-Podcast mit sieben Episoden ge-
worden. Überwiegend geht es um den Fall
von Pedro Hernandez, der ein Jahr ohne
Prozess einsaß, weil er einen anderen Ju-
gendlichen angeschossen haben soll. Kna-
fo folgt Gomez auf der Jagd nach korrup-
ten Polizisten und bei der Suche nach Ent-
lastungszeugen. Befragungen und Telefo-
nate sind zu hören, Gomez gibt Auskunft
über Geschehnisse, die ohne Mikrofon ab-
liefen. Knafo ergänzt, wo erforderlich, mit
sanfter Stimme. Conviction hinterfragt
sämtliche Figuren, liefert notwendiges
Hintergrundwissen und verliert sich nur
selten in der immer komplexer werden-
den Handlung. kevin scheerschmidt

Dope!
rbbkultur.de/serienstoff
Alkohol ist die Droge des Abendlandes,
meint Vanessa Paschke. Er werde toleriert,
alle anderen Drogen werden tabuisiert. Je-
doch wird all dieses andere, von Cannabis
bis hin zu Speed, auch willig konsumiert.
Anstatt als Pharmazeutin zu arbeiten, ver-
legt sich Paschke in Tim Staffels Hörspiel-
serieDope!aufs Dealen, was als Freundin
eines ambitionierten Grünen-Politikers
gar nicht leicht ist. Zu ihren Kunden zäh-
len bald: ein CDU-Abgeordneter, ein ehe-
maliger Profifußballer, ein Neurologe und

Oma Zuppe. So amüsant diese Figuren ge-
zeichnet sind – sie sind echten Menschen
und Erlebnissen nachempfunden. Staffel
arbeitet inDope!das Thema Alltagsdoping
bittersüß auf. Pluspunkt für den Autor:
Mal nicht einen Typen zum faulen, geld-
und adrenalingeilen Dealer zu machen,
sondern eine Frau. carolin gasteiger

Sticky Notes
stickynotespodcast.libsyn.com
Man wollte längst mehr klassische Musik
hören. Hat früher gern Klavier gespielt,
würde auch mal wieder ins Konzert gehen,
aber dann ist immer irgendwas. Da hilft
der Podcast des Dirigenten Joshua Weiler-
stein. Der 1987 geborene Amerikaner ist
künstlerischer Direktor des Orchestre de
Chambre in Lausanne, er will klassische
Musik allen näherbringen: vom Anfänger
bis zur Musikerkollegin. Weilerstein er-
klärt, wie atonale Musik verständlich wird
oder dass Orchester früher viel schlechter
spielten als heute. Vor allem analysiert er
einzelne Stücke, Phrase für Phrase, Beetho-
vens 4. Sinfonie, StravinskysFeuervogel,
DvoraksAus der neuen Welt. Musikschnip-
sel und kundige, enthusiastische Erläute-
rungen wechseln sich ab. Welche Motive

tauchen in der Komposition wo wieder
auf? Welche biografischen Hintergründe
könnten eine Rolle spielen? Ohne musikali-
sches Vorwissen kommt man wohl nicht
immer mit. Aber man entdeckt die Lust an
der Musik wieder. elisa britzelmeier

Aufgschnappt
aufgschnappt.podigee.io
Claudia Pichler ist Poltologin, eine Exper-
tin für den Kabarettisten Gerhard Polt al-
so. In dem Podcast der Münchnerin
kommt er ebenfalls vor, aber auch vieles
andere, was Bayern ausmacht wie etwa
Bier, Karl Valentin oder die Mundart. Geht
es um Bier, sitzt Pichler mit einer Wiesn-
bedienung im Englischen Garten und in-
terviewt einen brauenden Schauspieler. In
der Musikfolge trifft sie unter anderem
den Rapper Monaco F. Für alle Nichtbay-
ern könnte es wegam Dialekt a bissal
schwer wern – wegen des Dialekts zu Un-
verständlichkeiten kommen. Bayernbe-
geisterten liefert der Podcast Einblicke ins
Brauchtum, die man in dieser Kombinati-
on noch nie gehört hat. Und ein bisschen
Polt schadet nie! maresa sedlmeir

sz.de/podcast-tipps

Als Manuela Kampp-Wirtz, Geschäfts-
führerinder BurdaStyle-Gruppe, die Re-
daktion am Freitag um zehn Uhr in den
Konferenzraum bat, da ahnten sie bei
Freundinschon, dass dies nichts Gutes
bedeuten würde. Die Gerüchte waberten
seit Monaten durchs Haus: Es werde in
diesem Jahr noch Entlassungen geben, je-
den könne es treffen. An normales Arbei-
ten war beiFreundinschon länger nicht
mehr zu denken, die Nerven lagen blank.
Sie habe schlechte Nachrichten, sagte
Kampp-Wirtz erwartungsgemäß: Die An-
zeigenerlöse seien rückläufig. Um die
Marke zu erhalten, habe man harte Maß-
nahmen beschließen müssen. Doch wie
hart diese am Ende sein würden, damit
hatte in der Redaktion keiner gerechnet.
Alle Ressortleiter werden entlassen,
die Ressorts Mode, Layout, Living und
Food komplett eingestampft. 23 Mitarbei-
ter sind betroffen, das ist mehr als die
Hälfte der Redaktion. Damit ist die dienst-
älteste deutsche Frauenzeitschrift – sie
wurde 1948 gegründet, vier Jahre vorBri-
gitte– nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Schon den 70. Geburtstag im vergange-
nen Jahr hatte der Verlag ungewöhnlich
verhalten gefeiert. Im März dann teilte Ni-
kolaus Albrecht, Chefredakteur seit sie-
ben Jahren, mit, er werde seinen Posten
in absehbarer Zeit abgeben und sich neu-
en Aufgaben zuwenden. Am 1. September
nahm eine Doppelspitze den Dienst auf:
Anke Helle und Mateja Mögel kündigten
an, sie wollten ein zeitgemäßeres Frauen-
bild vermitteln, den Titel stärker digital
ausrichten und den Leserdialog auf Insta-
gram stärken. Was man eben so sagt,
wenn man heutzutage eine Frauenzeit-
schrift übernimmt. Sparmaßnahmen, so
heißt es aus Verlagskreisen, seien da
längst beschlossene Sache gewesen. Die
beiden Chefredakteurinnen konnten
dem entsetzten Team nur noch mitteilen,
es tue ihnen leid, sie stünden für Gesprä-
che bereit.

DieFreundinhat, wie alle Frauenmaga-
zine, zuletzt spürbar an Auflage einge-
büßt, wenn auch weniger verheerend als
die Konkurrenz. Sie verkauft alle 14 Tage
immer noch fast 250000 Hefte und er-
reicht damit 1,6 Millionen Leserinnen.
Vor allem aber wendet sie sich an Frauen,
für die sich sonst höchstens nochBrigitte
zuständig fühlt: noch nicht alt, aber auch
nicht mehr jung, berufstätig, aber nicht
in Führungsjobs, gebildet, aber nicht eli-
tär. Es sind Frauen, die keine Lust haben,
sich in ein Laufstegkleid hinein zu hun-
gern (es auch gar nicht bezahlen könnten)
und sich von einer Zeitschrift nicht nur
Unterhaltung, sondern auch Antworten
auf praktische Lebensfragen erwarten.
Diese Leserinnen, nennen wir sie im bes-
ten Sinne „normal“, durften sich von
Freundinstets ernst genommen fühlen.
Im aktuellen Heft finden sich etwa ei-
ne ausführlich recherchierte Ratgeber-
Geschichte über Schmerzen beim Sex
und eine Hymne auf moderne Heldinnen
wie Carola Rackete und Alexandria Oca-
sio-Cortez. Sechs Leserinnen, die erfri-
schenderweisenichtwie Models ausse-
hen, führen ihre Lieblingsteile vor, ge-
folgt von den „schönsten Herbstkleidern
unter 150 Euro“. Dass das Heft kein eige-
nes Moderessort mehr haben wird, ist
schwer vorstellbar. Da Kampp-Wirtz da-
von sprach, die Kräfte künftig „stärker zu
bündeln“, spricht einiges dafür, dass eine
andere BurdaStyle-Redaktion die Mode
zuliefern wird, mutmaßlich die derInSty-
le. Auch dort hat man neun Prozent Aufla-
ge verloren, auch dort rollten am Freitag
Köpfe: Vier Grafiker sind gekündigt, das
Layout übernimmt nun eine externe Ab-
teilung, und für dieFreundingleich mit.
Für die Betroffenen sollen laut Verlag
sozialverträgliche Lösungen gefunden
werden. Im Arabellapark traf man den-
noch auf weinende Mitarbeiter. Ihre Aus-
sichten im prekären Zeitschriftenmarkt
sind nicht gerade rosig. tanja rest

Der singende Intendant


Ich hatte Angst, ich nehme
etwas an und mache mir
damit etwas kaputt,
was ich mir mühsam
aufgebaut habe.
Nämlich die Anerkennung
als Schauspielerin.“

Désirée Nosbusch

Bei derInStylesind vier
Grafiker gekündigt, das Layout
kommt künftig von extern

PODCASTS DES MONATS


Nur noch ein


Schatten


Beider „Freundin“ muss mehr als
die Hälfte der Redaktion gehen

Die Tatorte vom HR sind, wie Aficionados
wissen, viel mehr als Krimis. Man hört
die feinen Dialoge, man überlegt sich, in
welchem Film man dies oder das schon
mal irgendwo mitbekommen hat. Die Ge-
schichten sind auch Reminiszenzen an
Filmklassiker, aber weil bei den Hessen
so viel Kreativität und, ja, Liebe zum De-
tail im Spiel ist, entsteht immer etwas
neues Schönes. In der legendären Folge
„Im Schmerz geboren“ haben sie Shake-
speare und Tarantino miteineinander in
Berührung gebracht, und Anfang des Jah-
res erlebte Kommissar Murot (Ulrich
Tukur) seinen Murmeltiertag.
Am Anfang von „Angriff auf Wache
08“ kommt gleich eine irre Szene. Ein
Rollkommando der Polizei auf dem Weg
in eine Wohnung, Männer in schwerer
Montur schieben sich durch Flure, aber
weil all das unterlegt wird vonMy girlvon
denTemptations, wird eine leichte Cho-
reografie daraus, in die das Fingerschnip-
pen genauso eingepasst ist wie das He-
cheln eines Hundes in seinem Korb.
Die Episode von Thomas Stuber (Buch
Clemens Meyer) ist ein Remake von John
CarpentersAssault – Anschlag bei Nacht,
dort ist eine runtergekommene Polizei-
dienststelle wesentlicher Ort der Hand-
lung, hier ist es die alte Polizeiwache na-
he Offenbach, genannt „O-Town“. Es be-
gegnen sich Murot, sein früherer Polizis-
tenfreund Walter Brenner (Peter Kurth),
ein Mädchen mit Knarre, eine Verkehrs-
polizistin sowie Häftlinge aus einem ge-
strandeten Gefangentransport. Eine
doch sehr heterogene Gruppe, die irgend-
wie eins werden muss – weil sie von drau-
ßen angegriffen wird.
Schöne Kombination aus Thriller, Wes-
tern, Action- und Horrorfilm, die Vorlage
wird lässig in die deutsche Provinz verla-
gert. „In dieser Hitze raus nach Butzbach



  • ich kotz im Kübel“, sagt ein hessischer
    Schutzmann, da weiß man gleich, wo und
    woran man ist. Eine herrlich entschlosse-
    ne Zertrümmerung der Sonntagabendkri-
    mitradition mal wieder, aber auch Traditi-
    onalisten kriegen dosiert ihren Stoff:
    „Wenn sich der Abschaum der Welt zu-
    sammenrottet, dann gnade uns Gott“,
    murmelt Polizist Brenner. Darauf kann
    man sich einigen, in Zeiten wie diesen.


Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.


Die Schule schmiss sie nach der
mittlerenReife. Sie spielte
mit Celentano, sang mit Falco

48 MEDIEN HF2 Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019, Nr. 242 DEFGH


Angekommen


Désirée Nosbusch galt lang als Entertainerin – seit „Bad Banks“ ist


sie auch eine Charakterdarstellerin. Über einen späten Durchbruch


„Zum ersten Mal Mitglied im Klub“: Désirée Nosbusch ist seit 40 Jahren zu hören und zu sehen. FOTO: IMAGO/FUTURE IMAGE

von holger gertz

O-Town


Folge28/2019
Kommissar: Murot

TATORTKOLUMNE

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