Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1

HELL’S KITCHEN (XL)


TorhüterdebattenDa siehtman mich
mit zwei Streithähnen – und der arme
Maier Sepp war immer mittendrin. Wo-
bei man sagen muss: Oliver Kahn und
Jens Lehmann haben sich schon respek-
tiert, wenn sie sich getroffen haben, ihre
Kämpfe haben sie mehr über die Medien
ausgetragen. Natürlich war mir der Oli nä-
her, ich habe zu ihm gehalten, als der
Jens bei der WM 2006 zur Nummer eins
gemacht wurde. Das war nicht fair, Kahn
war der bessere Torwart und hätte es im
eigenen Land verdient gehabt. Und ich
wurde deswegen hinterrücks als Torwart-
trainer ausgebootet. Aber so ist das halt
mit den Torhütern, das sind spezielle Ty-

pen, Einzelkämpfer, das war schon zu
meiner Zeit so und wird sich auch nicht
mehr ändern. Der eine will endlich spie-
len, der andere seinen Platz verteidigen,
da werden harte Bandagen aufgefahren.
Ich muss aber sagen, dass mir die aktuel-
le Diskussion um Manuel Neuer und
Marc-André ter Stegen auf den Keks
geht. Der Manu ist die Nummer eins, bas-
ta. Und der ter Stegen hat nur seine Lage
dargestellt, das ist nicht verwerflich. Der
FC Bayern hat seinen Teil zur Eskalation
beigetragen, die Aussagen vom Uli Hoe-
neß waren unnötig. Beim Kahn hätten sie
damals was sagen sollen und uns beide
nicht hängen lassen, so schaut’s aus!

RATTELSCHNECK


WeltmeisterVomWert her der größte
Pokal meines Lebens, sonst aber eigent-
lich nicht. Von der Masse gibt’s da viel
sperrigere Dinger! Wenn man Weltmeis-
ter wird, dann hat man schon was geleis-
tet, auch wenn einem das in dem Mo-
ment gar nicht so bewusst ist. Man hält
zwar eine Trophäe hoch, man freut sich
auch riesig – aber die Bedeutung reali-
siert man erst Wochen später. Ich weiß
noch, wie strapaziös das 1974 war: Ter-
rorszene, Baader-Meinhof, das war eine
schwierige politische Lage in Deutsch-
land. Sechs Wochen unter Vollbewa-
chung, trotzdem haben die Leute im ei-
genen Land natürlich den Titel erwartet.
Und dann gab’s im Vorfeld des Turniers
ja noch das Gestreite wegen der WM-
Prämien. Die Hälfte der Mannschaft hat
damit gedroht, dass sie heimfährt, wenn
sie nichts Anständiges bekommt. Letzt-
lich ist’s ja so: Klar, man spielt für die Eh-
re, aber für die Ehre muss auch ein biss-
chen was rausschauen.

von christian zaschke

Mein Kumpel Alex Pepperman, der
gern redetund deshalb im Hauptberuf
Schauspieler ist und im Nebenberuf
einer der besten Barmänner Manhat-
tans, erklärt mir oft, dass ich nicht alle
Latten am Zaun hätte, wenn ich an
seinem Tresen erscheine. Das liegt
daran, dass ich, wenn ich auf Reisen
bin, nicht anders kann, als beim selt-
samsten Barbershop am Ort reinzu-
schauen, um mir einen Haarschnitt
verpassen zu lassen. Oft sehe ich daher
so aus, als hätte ich mich selbst mit der
Heckenschere frisiert.
Als ich Mitte dieser Woche in Pepper-
mans Bar einkehrte, schaute er mich
an und seufzte. Man muss Besuche in
dieser Bar sehr gut dosieren, denn man
verliert dort das Gefühl für Zeit und
Raum, und immer, wenn man gerade
gehen will, kommt ein neuer Gast an
den Tresen und erklärt die Welt.


„Unfassbar, wie mies du schon wie-
der aussiehst“, sagte Pepperman.
„Danke, ich weiß“, sagte ich.
Pepperman ist Anfang 30, er sieht
irre gut aus, die Frauen am Tresen
vergöttern ihn. Aber seine Haare lich-
ten sich. Vermutlich wird er mit 35 eine
Glatze tragen. Ich hingegen habe, als
die Götter am Anbeginn der Zeit die
Haare verteilten, wohl gerade an was
anderes gedacht und nebenbei immer
die Hand gehoben, wenn noch eine
Ladung Haar vergeben wurde, weshalb
ich nicht nur über behaarte Handrü-
cken verfüge, sondern auch über einen
vollen Schopf. Wenn Pepperman kriti-
siert, dass ich diesen Schopf in grotes-
ke Formen schneiden lasse, sage ich:
„Alex, ich mache das, weil ich es kann.“
Ich habe mir in Kalifornien, in Alaba-
ma und in Texas miese Haarschnitte
abgeholt. In South Carolina und in
Arizona. Dennoch bleibt mein Stamm-
barber Robert in Hell’s Kitchen der
schlechteste Friseur, den ich kenne.
Vielleicht war er mal ein guter Friseur,
aber seine Hände zittern oft sehr stark,
und die Flasche Wodka, die er im Regal
stehen hat, lässt mich vermuten, dass
er in seinen Zitterphasen entweder zu
wenig oder zu viel getrunken hat.
Kürzlich hat wenige Meter rechts
neben Roberts Laden ein neuer Barber-
shop aufgemacht, mit jungen, agilen,
womöglich nüchternen Friseuren, mit
einer modernen Einrichtung und mit
einem Schild, auf dem „Hair Lounge“
steht. Der Laden ist immer voll. Als ich
mich Anfang dieser Woche aufmachte,
um ihn mal auszuprobieren, traf ich
Robert auf der Straße, der mit zittern-
den Händen vor seinem Laden ein paar
Zigaretten rauchte.
„Hi Robert“, sagte ich, „wie läuft’s?“
„Hi Christian“, sagte Robert.
Ich rauchte eine von seinen Zigaret-
ten, und er erzählte mir zum ungefähr
zehnten Mal vom angeblich legendä-
ren Konzert der BandForeignerim
Madison Square Garden von 1979.
„Ich hatte das nicht schon mal er-
wähnt?“, fragte er.
„Absolut nein“, sagte ich.
„Haarschnitt?“, fragte er.
„Unbedingt“, sagte ich.


Schlechter Schnitt


ErziehungMeineliebe Mutter und ich.
Wir waren eine zusammengeschweißte
Familie, aber die Rollenverteilung war
ein bisschen verdreht: Von meinem Va-
ter habe ich nie eine Watschen bekom-
men, nur von meiner Mama. Und die
hat ein Lausbub wie ich halt schon mal
gebraucht, zwei oder drei hat’s am Tag
eigentlich immer gegeben. Wir waren ei-
ne begeisterte Sportlerfamilie, Diszi-
plin und Ehrgeiz waren also schon wich-
tige Tugenden für meine Eltern. Was
mich aber bis heute schmerzt: Meine
Mutter hatte so viel zu tun, dass sie nur
einmal bei einem meiner Fußballspiele
dabei sein konnte, ehe sie 1963 starb.

EheglückEin sehrschönes Foto und ein
sehr schönes Paar. Das war an meinem


  1. Geburtstag, da wird schon mal ange-
    stoßen mit meiner Frau. Kein Witz, die
    Moni und ich haben noch nie gestritten.
    Dafür ist ja auch keine Zeit, wir lachen
    nur immer – und das von früh bis abends.
    Wir sind einfach zwei fröhliche Men-
    schen, wir genießen das Leben und reden
    über alles. Es ist das Allerwichtigste, dass
    man über Sorgen und Kummer des ande-
    ren Bescheid weiß, die Freude kommt
    dann von ganz allein. Wir können auch al-
    les zusammen machen, reisen, entspan-
    nen, wandern, wirklich völlig egal. Und
    ich hoffe, dass das noch lange so bleibt.


KarriereendeWenn man das Auto sieht,
dann glaubt man, dass das keiner überle-
ben kann. Das Datum wird mir ewig im
Kopf bleiben: Samstag, der 14. Juli 1979.
Ich bin wegen Aquaplaning von der Fahr-
bahn abgekommen und frontal in ein an-
deres Auto geknallt. Ich habe alles dem
Uli Hoeneß zu verdanken, er kam ins
Krankenhaus, er hat mir die richtigen Ex-
perten besorgt und sich um alles geküm-
mert. Mein Körper war mit drei Liter Blut
vollgelaufen, im letzten Moment haben
sie mich operiert, sechs Stunden lang.
Zum Glück hatte ich eine Versicherung ge-
gen Spielunfähigkeit: Deshalb habe ich
die Million genommen und aufgehört.

GeschäftsmannDas sind meine erste
Frau Agnes und meine Tochter Alexan-
dra in meiner ehemaligen Tennishalle in
Anzing. Das darfst du eigentlich keinem
Menschen erzählen, aber: Ich habe die
Halle damals mit einem 300000-Euro-
Kredit mit sechs Prozent Zinsen finan-
ziert, gewährt vom FC Bayern als kleines
Schmankerl meiner damaligen Vertrags-
verlängerung. Ein Darlehen! Ich wollte
mich finanziell absichern, und das hat
auch ganz gut geklappt. Mit der Halle ha-
be ich mehr Geld verdient als mit dem
Fußball, das waren halt noch andere Zei-
ten damals. Rückblickend betrachtet war
das wohl die Investition meines Lebens.

Es ist ein skurriler Moment in der „Erlebniswelt“ des FC Bayern: Die Besucher widmen sich den


Trophäenund der Geschichte des Rekordmeisters und bemerken gar nicht, wieSepp Maier, 75,


vorbeispaziert. Der frühere Nationaltorwart ist eine Säule des bayerischen Erfolgs und hat alles


gewonnen, was es zu gewinnen gibt: unzählige Titel– und die Herzen mehrerer Fangenerationen


protokolle: thomas hürner

Neben dem Lieblingsfriseur
gibt esjetzt eine Hair Lounge


  • mit nüchternem Personal


SpaßvogelDa wurde ich von einer Boule-
vardzeitung zum Mann des Jahres ge-
kürt, damals musste man sich in so ein Ge-
wand zwängen. Aber wann bekommt
man schon mal vom Kaiser höchstpersön-
lich eine Ritterrüstung übergestreift? Der
Franz (Beckenbauer, Anm. d. Red.) und ich,
das war schon immer was Besonderes, lei-
der sehen wir uns inzwischen nicht mehr
so oft. Wir kennen uns ewig, sind zusam-
men in den Urlaub gefahren und haben
auch sonst viel Schmarrn gemacht. Wenn
ich da nur an unsere Faschingsdienstage
denke: Nach dem Training sind wir ab in
die Stadt, rein ins Getümmel, den ganzen

Tag, abends ins Weinhaus Neuner und
hinterher noch in den Nachtclub Moulin
Rouge. Und von dort dann am Aschermitt-
woch um 9 Uhr früh direkt zum Training
an die Säbener Straße – natürlich noch
mit ein bisschen Schminke im Gesicht.
Der Udo Lattek hat dann mal gesagt: „Von
daheim kommt ihr aber nicht.“ Und wir ha-
ben geantwortet: „Trainer, da könnten Sie
fast recht haben!“ Würde heute nicht
mehr gehen, aber wir haben am Samstag
trotzdem gut gespielt. Der Spaß war mir
immer wichtig, das ist noch heute so, was
wäre das Leben auch ohne Spaß? Klar, das
konnte den ein oder anderen auch mal ner-

ven, unseren damaligen Bundestrainer
Helmut Schön zum Beispiel. Der hat im-
mer gesagt: „Ach Sepp, immer der Sepp,
jetzt hör doch mal auf mit dem Scheiß!“
Beim Abschiedsspiel vom Wolfgang Ove-
rath etwa, Köln gegen die Nationalmann-
schaft. Da hab ich den Geißbock genom-
men und ins Tor gestellt, damit er biss-
chen Gras fressen kann. Und der Helmut
Schön schrie mich an: „Sepp, du spinnst!
Du veräppelst hier die ganzen Zuschau-
er!“ Ich hab bloß gesagt: „Mei Chef, das ist
der Abschied vom Overath, da muss doch
ein bisschen Gaudi sein!“ Die Zuschauer
fanden’s witzig, das steht fest.

FOTOS: IMAGO (5); SAMMY MINKOFF, HJS-SPORTFOTO/PA; PRIVAT

FOTOALBUM


54 GESELLSCHAFT Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019, Nr. 242 DEFGH

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