Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1

L


iteratur: offiziell das Gegenteil von
Oberflächlichkeit. Weswegen es
auf seriösen Buchveranstaltungen
ja leider nie so pastellfarben aussieht
wie in „Sex and the City“, sondern eher
mausgrau. Die einzigen Extravaganzen,
die sich weibliche Autoren erlauben,
sind verwegene asymmetrische Frisuren
oder Brillen. Selbst wenn man gerade
den Literaturnobelpreis bekommen hat,
so wie Olga Tokarczuk. Die Polin trug
auf der Frankfurter Buchmesse nichts,
was dem modisch sensiblen Auge wehge-
tan hätte, nämlich ein einfach schwarzes
Kleid und eine steingraue Stola. Nur die
transparenten Strümpfe in rustikalen
Stiefeletten könnte man ihr vorwerfen,
allerdings sind die ja auch schon wieder
ein Statement: Der denkenden Frau
müssen solche Details egal sein. Die
normale Frau hätte einen kleinen Vor-
schuss des nicht unbeträchtlichen Preis-
gelds natürlich sofort in eine Valentino-
Boutique getragen, um die Garderobe
der Eleganz des neuen Status anzupas-
sen. Allerdings bekommt man mit dieser
Einstellung keinen Nobelpreis für Litera-
tur, ja würde es vermutlich nicht mal
schaffen, jemals ein Buch zu Ende zu
bringen. Denn Schreiben ist ja haupt-
sächlich wochenlanges Sitzen im Käm-
merlein und also nichts für Leute, die
gerne in schönen Kleidern flanieren.
Schade ist das trotzdem, denn Mode ist
auch Kommunikation. Vielleicht hätte
die Autorin der lautstarken Debatte um
Peter Handkes Preiswürdigkeit in einem
kapriziösen Hammerkleid etwas entge-
gensetzen können. Aber wie gesagt,
Schreiben – vor allem das weibliche – ist
leider geräuschlos. julia werner


D


ass in den letzten Tagen sehr viel
über Peter Handke und weit
weniger über Olga Tokarczuk
gesprochen und geschrieben wurde,
liegt neben vielen anderen Gründen
vielleicht auch daran, dass Handke ein
leicht konsumierbares Bild vom Groß-
schriftsteller abgibt. Schon der Name
kommt ja selbst Nichtlesern gut und
bedeutsam von den Lippen. Als Handke
vor über 50Jahren in Princeton die Grup-
pe 47 zerlegte, war er ein Typ mit komi-
schem Haarschnitt und leicht femininer
Ausstrahlung, insgesamt eine sehr avant-
gardistische Erscheinung. Das hat sich
heute zu einem nostalgischen Intellektu-
ellen-Look ausgewachsen, einemNach-
denklichenwie aus dem Manufactum-
Katalog. Bei seinem jüngsten Ausfall vor
Journalisten erklärte er selbst und unge-
fragt, er komme nun mal von Homer
und Cervantes. Na ja, zumindest in sei-
ner Erscheinung kann man Peter Hand-
ke eine gewisse künstlerische Zeitlosig-
keit attestieren. So wie er sich hier kurz
nach der frohen Kunde aus Stockholm
präsentierte, würde sich das jedenfalls
kein Schmonzetten-Regisseur mehr
trauen: mit leicht verlottertem Anzug
und T-Shirt-Kragen, die eine Clochard-
Rolle jenseits des Bürgerlichen so roman-
tisch unterstreichen. Mit den Wiesenblu-
men am Revers, als untrüglichem Hin-
weis auf poetische Superempfindsam-
keit und Freude am Einfachen. Und
natürlich diese perfekte Bohemebrille!
Neben sich hatte er auf einem Tischchen
auch noch rotbackige Äpfel liegen. Dem
Betrachter war sofort klar: Handke hat
jeden dieser Äpfel zuvor mit zarter In-
brunst aufgelesen. max scharnigg


Die Nüchternheit


der Literatin


Der Künstler als


alter Mann


FOTOS: GETTY IMAGES, AFP

LADIES & GENTLEMEN


von max scharnigg

Z


u den durchaus bedenkenswer-
ten Regeln für den richtigen Um-
gang mit Alkohol gehört auch die-
se: Nie zu Hause trinken! Wer
sich erst in eine Bar oder ein Res-
taurant aufmachen muss, so die Annahme,
und nur in professioneller Atmosphäre die
Eiswürfel klimpern lässt, betreibt das Gan-
ze maßvoller. Den zumindest halbwahren
Kern dieser Idee muss jeder anerkennen,
der nach einer Party daheim schon mal Al-
kohol in nicht haushaltsüblichen Mengen
übrig hatte oder auch nur einen ungewohn-
ten Bierkasten. Auf einmal ist jeder Abend
ein Feierabend und beginnt auch immer
früher – plopp! Eine gepflegte Hausbar ist

in dieser Lesart eine Art konstante, sünd-
hafte Verlockung in den eigenen vier Wän-
den und hatte vielleicht auch deshalb kei-
nen besonders guten Ruf. Ihre Vergangen-
heit in den verrauchten Chefzimmern der
60er-Jahre, ihre Abwandlung zur depressi-
ven Tiki-Bar im deutschen Hobbykeller, ih-
re enge Verstrickung mit albernen Rock-
bands und verwüsteten Hotelzimmern
und nicht zuletzt die spießige, heimische
Cocktailmixerei in den 90er-Jahren (Sex
on the Beach, hihi!), ließen die Hausbar je-
denfalls eher wie ein verzichtbares Relikt
der doofen alten Zeit erscheinen.
Das ändert sich aber wieder, seit selbst-
ernannte Brennmeister, Connaisseurs und
andere Männer dem Fachgebiet Manufak-
turschnaps so viel von ihrer Tagesfreizeit
opfern. Denn all die neuen Gins und Whis-
kys, die wiederentdeckten Rums, Wodkas
und sonstigen Hip-Destillate unterstrei-
chen ihre Klasse ja vor allem mit gewitz-
tem Verpackungsdesign. Generell lässt
sich sagen: Das Zeug sieht heute meist
kunstvoller aus, als es schmeckt. In der ent-
sprechenden Abteilung eines großen Su-
permarkts steht man jedenfalls vor einem
eindrucksvollen Altar neuer Ginsorten
und jede davon posaunt das Märchen ihrer
Einzigartigkeit via Flasche und Etikett her-
aus. Egal, ob als feine Art-Deco-Vase (Le
Tribute Gin), mit Schmuggler-Chic (Cuate
Rum), Bauhaus-Würfel (Copenhagen Gin)
oder als Steingutflasche (Gin Sul): So se-
henswert die Formenvielfalt der Flakons,

der kunstvoll gestalteten Namen und Vi-
gnetten, der Korken, Deckel und Stopfen-
Variationen ist, sie buchstabiert doch im-
mer die gleiche Botschaft: Hallo, ich bin
kein Gesöff. Ich bin eine Investition in den
guten Geschmack.
Eigentlich folgen die modernen Spirituo-
sen damit mehr der Marketinglogik einer
Parfümabteilung als der ihrer Verwand-
ten, die im Getränkemarkt kistenweise ver-
kauft werden. Denn während bei Bier und
Wein das Etikettendesign zuletzt zwar
ebenfalls stark eskalierte, ist dort die Varia-
tion der Flaschenform begrenzt. Beim Bier
aufgrund der Pfandsystemnormen und
bei der Weinflasche, weil sie formal oft mit
Rebsorte oder Anbaugebiet verknüpft ist.
Bei neuem Hochprozentigem hingegen ist
alles erlaubt, was den Griff zur Flasche
zum sinnlichen Gesamterlebnis macht.
Und ja, die Distinktion, die etwa von ei-
ner Flasche „Isle Of Harris“-Gin ausgeht,
ist schon beachtlich. Der mit Seetang ver-
setzte Wacholderschnaps von den Hebri-
den schwappt in einer filigranen, türkisen
Glasbouteille mit atlantikwelligen Rippen.
Die vornehme Erscheinung wird mit Holz-
verschluss und einem minimalistischen
Etikett abgerundet, das individuell noch
mit einem Stück Blattkupfer und einem Fit-
zel Zuckertang verziert wird. Toll! Aber
auch: unpraktisch. Niemals wird man so ei-
ne Flasche in den Altglascontainer werfen
können, das Teil muss vererbt werden.
Aber mit solcher Detailliebe gewinnt man
eben den deutschen Verpackungspreis
2016 und die Herzen derjenigen, die noch
einen schönen Drittgin für ihre Vitrine su-
chen. Der Verkaufspreis (49 Euro/0,7 l) ist
offenbar verschmerzbar, wenn man nicht
nur ein Destillat, sondern gleich ein Deko-
objekt bekommt. Und das ganze Produkt
ist derart intensiv auf tiefere Bedeutung ge-
trimmt worden, dass es zum Trinken sowie-
so zu schade ist. Nein, das ist schon eher
einconversation starter: Isle of Harris? Zu-
ckertang? Darf ich die Flasche streicheln?

Einen leichten Knacks bekommt die Sa-
che freilich, wenn man erfährt, dass diese
Flasche nicht von einer schottischen Glas-
bläser-Familie, sondern ganz markenstra-
tegisch in der Steiermark zusammenge-
setzt wurde. Denn dort hat in Köflach die

Stölzle Glass Group ihren Hauptsitz (Slo-
gan:We inspire your spirits), einer der welt-
weit führenden Produzenten von Spezial-
Verpackungsglas für „Prestige Spirituo-
sen“. Im Portfolio der Österreicher sieht
man noch viele andere der attraktiven Ein-
zelgänger auf einem Haufen – gediegene
Single Malts aus Schottland, maskuline
Wodkas aus Finnland oder die mediterran-
verspielte Malfy-Ginflasche aus Italien ha-
ben ihr Outfit hier verpasst bekommen.
Auch die sechseckigen Flaschen für die
legendären Edelbrände der Stählemühle
am Bodensee wurden bei Stölzle gefertigt.
Entworfen hatte die ikonische Schnapsfla-
sche 2013 aber der Berliner Gestalter Mark
Braun, der heute auch eine Professur für
Design bekleidet. „Produktdesign ist eine
Sprache ohne Worte. Die sechseckige Fla-
sche steht in der Apothekengeschichte ei-
gentlich für Gift. Da sollte damals die Bot-
schaft mitschwingen, dass auch beim Alko-
hol die Dosis das Gift macht und der Inhalt
bewusst genossen werden soll. Außerdem
geht es bei Destillaten immer ein wenig um
Alchemie“, erinnert sich Braun. Er ist bis
heute einer der wenigen Autorendesigner
geblieben, die regelmäßig die moderne
Barkultur mitgestalten. Gerade hat er etwa
im Auftrag der erfolgreichen Gin-Marke
Monkey 47 ein Tumbler-Glas entworfen,
in dem eine neue, fassgereifte Variante zur
Geltung kommen soll. Entstanden ist ein
mundgeblasenes Glas mit elegantem Reli-
ef, das der Wiener Traditionshersteller Lob-
meyr nach Brauns Vorgaben fertigt – und
das von den Gin-Fans trotz eines Stückprei-
ses von 45 Euro gleich ausverkauft wurde.
Die hochgerüstete Hausbar verlangt eben
nach entsprechendem Zubehör. „Die Ziel-
gruppe für so ein Produkt waren natürlich
nicht die Feiertrinker, sondern die Genie-
ßer. Es sollte ein repräsentatives Acces-
soire für Purtrinker werden“, sagt Braun.
Die Gestaltungsexplosion bei Spirituosen
erklärt sich der Designer auch mit dem
Charakter der jungen Marken. „Viele bezie-
hen sich auf eine ausgeprägte, lokale Iden-
tität. Diese Identität muss das Design ver-
mitteln, es soll das Produkt mit Geschichte
aufladen.“
Nüchtern betrachtet muss man zuge-
ben – so eine heutige Hausbar sieht des-
halb natürlich besser aus als vor zwanzig
Jahren, als man beim Stichwort Flaschen-
design noch an den roten Plastikhut auf
der Tequilaflasche gedacht hat. Die damali-
gen Bacardi-, Wodka- und vor allem die ab-
solut banalen Bols-Flaschen der Cocktail-

mischer waren vielleicht Barstandards,
aber eher nicht zum Herzeigen gemacht.
Wer wirklich einen Salon mit Bar unter-
hielt, füllte die Sachen daheim deswegen
tunlichst in Kristallkaraffen um. Damit wä-
re man heute aber ein Spielverderber,
denn so geht ja der ganze Markenmythos
flöten!

Mit der Ästhetisierung der Behälter
wird das ganze Drumherum und nicht zu-
letzt das heimische Verkosten aufgewertet.
Und wenn niemand zu Besuch kommt,
sind Instagram und Co. dankbare Schau-
fenster für die eigene Geschmacksinszenie-
rung. Das Fotografieren der schönen Fla-
schen, zusammen mit Barutensilien oder
passenden Gläsern ist jedenfalls ein Zeit-
vertreib der Connaisseurs geworden. Un-
ter dem Hashtag #humboldtgin etwa lässt
sich auf Instagram nachverfolgen, wie ein
neuer Nischen-Gin aus Berlin mit Hilfe
von feinem Verpackungsdesign und Pro-
duktlegende (mit Kräutern destilliert, die
Humboldt entdeckt hatte, etc.) zu einem be-
gehrenswerten Genussobjekt wird – Hun-
derte haupt- und vor allem nebenberufli-
cher Barkeeper zeigen die Flasche in freier
Wildbahn oder stilvollem Close-up. So zärt-
lich wie in dieser Epoche wurde Alkohol
vermutlich noch nie behandelt.
Früher hängte man sich abstrakte
Kunst übers Sofa, um interessant zu wir-
ken, heute reichen geistvolle Wässerchen
auf der Kommode. So konnte das Prinzip
Hausbar wieder Boden gut machen. Als
Präsentationsfläche des eigenen Kenner-
tums, aber auch Fußnote eines Interieur-
trends, der seit Jahren Salonatmosphäre
propagiert: Opulente Tapeten, Teppiche,
Samtpoufs, Vintage-Glühlampen und aller-
lei Messing- und Kupferapplikationen wer-
den immer noch containerweise auf den
Wohnplattformen verscherbelt und bilden
die Prohibitions-Kulisse für die mondänen
Flaschen und Gläser. Im frisch gelieferten
Ohrensessel sitzen, sich japanischen Whis-
key in ein graviertes Glas einschenken und
auf Netflix „The Crown“ gucken, wo die Ty-
pen im Buckingham-Palast auch nichts an-
deres machen – das ist mehrheitsfähige Le-
bensart-Vision urbaner Menschen mittle-
ren Alters. Klingt gut? Na ja. Vielleicht
stimmt’s ja doch: Nie zu Hause trinken!

DEFGH Nr. 242, Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019 61


STIL


Hochprozentig protzen


DasAuge trinkt mit: Zu neuen Spirituosen gehört heute fast zwingend hochwertiges


Flaschendesign. Damit wird auch die Kultur der Hausbar wiederbelebt


Früher bedeutete
Flaschendesign: der rote
Plastikhut auf dem Tequila

So zärtlich wie in dieser Epoche
wurde Alkohol
vermutlich noch nie behandelt

Nie wird man so eine Flasche
in den Altglascontainer werfen.
Das Teil muss vererbt werden!

Charakterhälse:
Ineiner Hausbar darf
heute jede Flasche stolz
ihre Markengeschichte
erzählen. Und zum
gepflegten Drink gehört
natürlich das richtige Glas


  • der Tumbler unten
    wurde von Mark Braun
    extra für den neuen
    Monkey Gin entworfen
    und bei Lobmeyr in
    Wien mundgeblasen.
    FOTOS: MONKEY47,
    YUCEL MORAN/UNSPLASH,


Breite Schultern für sie, elegante
Zweiteiler für ihn: Die wichtigsten
Modetrends der Saison  Seite 62

Brutal schick

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