Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1
Das Wochenende startet bewölkt. Dann
setzt sichdie Sonne durch. Es bleibt über-
wiegend trocken.  Seite R20

18 °/10°


Ihr Lokalteil auf Tablet und Smart-
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von heiner effern

München– ImLeben von Politikern gibt
es die Zeiten, in denen sie gestalten kön-
nen. Das sind die schönen Jahre zwischen
den Wahlen. Dann kommen aber auch die
Perioden, in denen sie um ihre persönli-
che Zukunft kämpfen müssen. In einer sol-
chen stecken gerade viele Kandidaten für
den Stadtrat, schon Wochen und Monate
vor der Kommunalwahl am 15. März


  1. Denn bevor die Münchner entschei-
    den, wen sie wählen, entscheidet die eige-
    ne Partei, wer auf ihrer Liste überhaupt zu
    wählen ist. Es sind die Wochen, in denen
    sich Karrieren in nichts auflösen. In de-
    nen Freundschaften zerbrechen können.
    In denen jedes Wort der Parteifreunde
    registriert, jedes Tuscheln und Augen-
    zwinkern interpretiert werden. Alles kon-
    zentriert sich auf drei Fragen: Wer kann
    Stadtrat werden? Wer kann Stadtrat blei-
    ben? Und vor allem: Wer fliegt raus?
    So manche Antwort könnte am Sams-
    tag auf dem Programm-Parteitag der Sozi-
    aldemokraten an den Gesichtern abzule-
    sen sein. Die SPD steckt gerade mitten im
    Auswahlprozess, die Nerven sind extrem
    angespannt. „Eine echt schwierige seeli-
    sche Grätsche“ müsse man über Wochen
    hinlegen, sagt einer, der die erste Etappe
    erfolgreich geschafft hat: Fraktionsvize
    Christian Vorländer. Geschätzte Kollegen,
    mit denen man über Jahre angenehm und
    konstruktiv zusammengearbeitet habe,
    würden urplötzlich zu Konkurrenten.
    Plötzlich kann es heißen: Er oder ich.
    In Vorländers Fall geht es um den Stadt-
    ratskollegen Jens Röver. Beide kommen
    aus dem Süden Münchens, beide gelten
    als Stützen der Fraktion, beide hätten an
    der Spitze in ihrer regionalen Vorauswahl
    stehen können. Dort wird wie auch sonst
    bei der SPD streng im Reißverschlussver-
    fahren nach Mann und Frau aufgestellt.
    Vorländer landete auf Platz eins, Tendenz


Stadtratsmandat sicher. Röver bei den
Männern auf Platz drei, Stadtratsmandat
hoch gefährdet. Ihr freundschaftliches
Verhältnis, sagt Vorländer, „ist im Mo-
ment enorm belastet“. Röver will sich zu
den internen Vorgängen bis zum Aufstel-
lungsparteitag nicht äußern. Zu viel steht
wohl für ihn auf dem Spiel.

Die SPD neigt nicht nur im Bund dazu,
ihr Personal quälend lange schaulaufen
zu lassen, sondern auch in der Stadt. Sie
hat München in vier Teile zerlegt, analog
zu den Wahlkreisen einer Bundestags-
wahl. Jeder erstellt eine Reihenfolge von
Kandidaten, die sich in mehreren lokalen
Vorstellungsrunden präsentieren muss-
ten, im Osten zum Beispiel drei Mal. Jedes
Mal die Frage: Komme ich an oder nicht?
„Das geht an die Substanz, selbst wenn
man optimistisch ist“, sagt Anne Hübner,
Stadträtin und ebenfalls stellvertretende
Fraktionsvorsitzende.
Bei ihr steht die Entscheidung am Mon-
tag an, im Norden sollte am Freitagabend
gewählt werden. Nach dem Abschied von
Alexander Reissl in Richtung CSU-Frakti-
on und dem Verzicht von Christine Strobl
auf eine weitere Kandidatur wurden dort
zwei sicher verbuchte Spitzenplätze frei,
was den Rest des Feldes etwas entspannt

haben dürfte. Anfangs bewarben sich vier
amtierende Stadträtinnen um zwei aus-
sichtsreiche Plätze. Am Ende wird dann
eine eigene Findungskommission aus den
vier regionalen Listen eine zentrale erstel-
len. Im November entscheidet endgültig
ein Parteitag darüber. Dabei hat offiziell
der SPD-Vorstand, in Wahrheit aber Ober-
bürgermeister Dieter Reiter, noch bis zu
fünf Freischüsse, die er vergeben kann. Es
gibt also Hoffnung bis zum Schluss, auch
nach Pleiten in der Vorauswahl.
Die CSU hat ihren Aufstellungspartei-
tag gerade hinter sich, am Mittwoch in der
Isarpost am Stachus. Dieser verströmte
das glatte Gegenteil von Hoffnung bis
zum Schluss. Abstimmungsleiter Cle-
mens Baumgärtner arbeitete die 80 Kandi-
daten in zehn Minuten ab, immer nach
dem gleichen Muster: Name, gibt es Ge-
genkandidaten? Nein. Name... Das liegt
daran, dass die Liste von den neun Stadt-
viertel-Fürsten, den Kreischefs, bis ins
letzte Detail vorher festgelegt wird. Gerun-
gen um Plätze und Positionen wird dort in
den inoffiziellen Runden und vorher in
den Kreisverbänden selbst unter den Orts-
verbänden. Wie jeder Kreisverband seine
Regionalliste beschließt, bleibt ihm über-
lassen. Sieben regelten es per Vorstands-
beschluss, einer per Delegierten- und
einer per Mitgliederversammlung.
In der finalen Abstimmung wurde in
Neuner-Runden gerechnet: Zuerst wur-
den die Kreisspitzenkandidaten in eine
Reihenfolge gebracht, dann die zweiten
und die Dritten. Davor und dazwischen
konnten sich die Kreischefs auf Freischüs-
se einigen. Wer in der Vorauswahl raus-
flog, dessen Karriere ist vorbei. Dieses
Schicksal erwischte Johann Sauerer im
Westen, der ein paar Mal zu oft demons-
triert hatte, dass er einen eigenen Kopf
und eine eigene Meinung hat. Obwohl er
vom menschlichen Umgang und der Kom-
petenz her der kommende Sprecher der

CSU in Planungsfragen hätte sein können,
senkten Kreischef Josef Schmid und sein
Vorstand den Daumen.
Die Grünen haben ihre Aufstellung
schon vor Wochen abgeschlossen, auf
maximal basisdemokratische Weise. Je-
der durfte in einer Stadtversammlung auf
jeder Position kandidieren, gerne auch
mal fünf für die gleiche. Jeder konnte ein-
mal eine Bewerbungsrede halten, und es
wurde zwei Tage lang abgestimmt bis die
Finger auf den elektronischen Geräten
glühten. Bei Platz 26 mussten sie aus Zeit-
gründen kapitulieren, der Rest wurde
dann im Block abgestimmt. Eine offizielle
Vorreihung gab es nicht, die Grünen ver-
trauten auf die Schwarmintelligenz, sagt
der Stadtvorsitzende Dominik Krause.

Die SPD verspürt den Druck diesmal be-
sonders. Nach den letzten Wahlergebnis-
sen steht zu befürchten, dass sie noch we-
niger Stadträte erhält als die 24 von der
Kommunalwahl 2014. Das führt dazu,
dass alle mehr und intensiver rechnen
müssen als jemals zuvor. Die Basis dafür
bilden Vierer-Runden. Die vier Einser
unter den Frauen und die vier unter den
Männern in den Regionallisten müssen
verteilt werden, dann die vier zweiten von
beiden Geschlechtern, und so weiter. Oft
wiederholen müssen die Sozialdemokra-
ten dies bei den letzten Wahlergebnissen
eher nicht. Stadträtin Julia Schönfeld-
Knor musste am Freitagabend im Norden
ran. Sie hat bei der SPD schon verschiede-
ne Verfahren erlebt und sich die der Kon-
kurrenz diesmal angesehen. „Absolut ge-
recht ist keines“, sagt sie. Am Ende müsse
jemand vor oder hinter anderen stehen.
„Da ist immer Gefühl im Spiel.“

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von anna hoben

M


anchmal führt die Autobahn des
Lebens die große Politik und
den kleinen Alltag ganz eng zu-
sammen. In diesem Fall: die Abgeordne-
ten im Deutschen Bundestag und den All-
tag des Dachauer Immobilieninvestors
und Porschefahrers Christian Zahner,
der sich auf seinem Instagram-Profil so
beschreibt: „I’d rather be sad in the Por-
sche than in the tram.“ Auf einem Foto
sitzt er im Schneidersitz neben seinem
PS-Schatz und tätschelt ihm zärtlich das
Hinterteil: „Wenn du weißt, dass es eine
Bindung für immer ist.“ Zahners Autobio-
grafie („Vom Junkie zum Millionär“) ist
zu entnehmen, dass er eine Vergangen-
heit mit einigen Schlaglöchern hat, die
ihn aber zu dem geformt habe, was er heu-
te ist, also ein Immobilienmillionär und
Porschefahrer, der sein Vermögen mit
Flüchtlingsheimen gemacht hat.
Vor ein paar Tagen war Zahner also auf
der A 5 in Hessen bei Butzbach auf einem
Baustellenabschnitt unterwegs, als ihn
auf seiner Erfolgsspur ein Smartfahrer
ausbremste. Auf dem Smart stand eine
Telefonnummer, und was tat Zahner? Er
rief einfach an: „Hallo, grüß dich, der
Christian hier. (...) Die linke Spur ist zum
Überholen da. Also sei doch so gut und
lass mich vorbei.“ – „Ich glaub, dir geht’s
nicht ganz gut, oder?“ – „Mir geht’s gut,
aber du bist der Depp, der auf der linken
Spur fährt.“ Zahner hat das Ganze auf ei-
nem Video festhalten lassen, das er an-
schließend ins Netz stellte, wo es die Run-
de machte. Irgendjemand gab daraufhin
der Münchner Polizei einen Hinweis. Die
ermittelt nun – wegen Telefonierens am
Steuer und Beleidigung.
Am Donnerstag dann stimmte der Bun-
destag in Berlin gegen ein Tempolimit
auf deutschen Autobahnen – wenn es um
die freie Fahrt geht, kann sich der kleine
Mann und Porschefahrer einfach auf sei-
ne Volksvertreter verlassen. Ein CDU-Ab-
geordneter verwies in der Parlamentsde-
batte auf eine ansonsten nötige „Total-
überwachung“, um die Begrenzung zu
kontrollieren. Dass das nicht klappen
kann, sieht man an Ländern, die ein Tem-
polimit haben. Also an allen Ländern der
Welt, bis auf Somalia, Afghanistan, Nord-
korea und noch einer Handvoll anderer.
Damit Deutschland zu Recht in diesem er-
lesenen Kreis bleibt, bräuchte es mehr
Christian Zahners. Sie könnten kontrollie-
ren, dass die Leute auf der Autobahn wei-
terhin schnell genug sind. Eine kleine
Armee von Porschefahrern, auf der lin-
ken Spur unterwegs im Dienste der Frei-
heit. Geeignete Bewerber ließen sich auf
der Münchner Maximilianstraße finden.


NACHTS

Anna Hoben sitzt lieber
in derTram als traurig
im Porsche.

Handarbeit an der Demokratie: In sehr unterschiedlichen Versammlungen stellen derzeit die Parteien ihre Kandidatenlisten für die Kommunalwahl im März 2020
auf, ermitteln also, wer mit welchen Chancen ins Rennen um die Plätze im Stadtrat geht. Im Bild: eine frühere SPD-Abstimmung. FOTO: FLORIAN PELJAK


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von nina bovensiepen

S


ie wird fehlen. Christine Strobl zieht
sich aus privaten Gründen nach der
Kommunalwahl im März nächsten
Jahres zurück. Der Schritt ist nachvoll-
ziehbar und absolut respektabel – die
Lücke, die die dritte Bürgermeisterin der
Stadt hinterlassen wird, ist groß. In der
Stadtpolitik, in sozialen Belangen wird
Strobls Stimme fehlen. Zudem tritt mit
ihr eine Politikerin ab, die wie wenig
andere ein lebendiges Vorbild dafür ist,
wie sich beharrlich und erfolgreich für
Gleichstellung und Frauenrechte eintre-
ten lässt.
Über Genderfragen wird inzwischen ja
täglich, im echten Leben wie in der digita-
len Welt, und manchmal höchst aufge-
regt gestritten. Strobl ist für die Gleichbe-
rechtigung und die Förderung von Frau-
en schon eingetreten, als noch niemand
Kanäle wie Facebook oder Twitter herauf-
dämmern ahnte – und vor allem, als der-
lei Themen noch überhaupt keine Kon-
junktur hatten. Sie ist dabei beharrlich ge-
blieben, und wenn man mit ihr nach jahr-
zehntelangem Einsatz in ihrem Büro im
Münchner Rathaus darüber diskutiert,
tut sie das angenehm unaufgeregt und
doch nach so langer Zeit immer noch
leidenschaftlich.

Ihre Glaubwürdigkeit rührt auch da-
her, weil sie selbst so viel durchlebt hat
von dem, über das Frauen heute auch im-
mer noch zu Recht klagen. Dass die Fami-
lienpolitik der Realität hinterherhinkt.
„Ich war die erste seit Hildegard Hamm-
Brücher, die als Stadträtin Kinder bekom-
men hat“, hat Strobl einmal gesagt. 1994
und 1998 kamen ihre Tochter und der
Sohn auf die Welt. 2003 starb dann ihr
Mann plötzlich mit nur 42, nach einem
Herzinfarkt bei einer Wanderung. Sie war
alleinerziehend, überstand später noch
dazu eine Krebskrankheit, trotzdem
schaffte sie es im Rathaus nach oben.
Strobl füllt einigen Widrigkeiten zum
Trotz ihre politischen Ämter mit Lust und
Erfolg aus. Meistens wenig öffentlich-
keitswirksam, aber effektiv und mit Nach-
druck, meistens mit ruhigem Tempera-
ment, aber wenn ihr etwas zu sehr gegen
den Strich geht, haut sie, im übertrage-
nen Sinne, auch auf den Tisch. Ihr Ein-
satz gilt den sozial Benachteiligten, der
Schul- und Sportpolitik und weiterhin
der Gleichstellung. Vermutlich auch, weil
sie aus der jahrzehntelangen Tätigkeit
die gläserne Decke gut kennt – gäbe es sie
nicht, wer weiß, vielleicht wäre Christine
Strobl Münchens erste Oberbürgermeis-
terin geworden.

NULL ACHT NEUN

Stau auf der


Überholspur


VielEinsatz, auch für die Sportpolitik:
Christine Strobl im Stadion an der
Grünwalder Straße. FOTO: ROBERT HAAS

Das große Zittern


Wer kann Stadtrat werden? Wer kann Stadtrat bleiben? Wer fliegt raus? In diesen Tagen entscheidet sich, wer
mit welchen Chancen in den Kommunalwahlkampf zieht. Die Schicksalsstunden laufen in jeder Partei anders

CHRISTINE STROBLS RÜCKZUG

Frühe Kämpferin


in Genderfragen


Ihre Glaubwürdigkeit speiste
sich auch aus ihrer Biografie

Die jüngsten Wahlergebnisse
haben den Druck bei der SPD
kräftig steigen lassen

DAS WETTER


NR. 242,SAMSTAG/SONNTAG, 19./20. OKTOBER 2019 PGS


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