Nach ihrem Höhenflug im Sommer
gehendie Umfragewerte für die Grü-
nen wieder zurück. Laut dem aktuel-
len Politbarometer der Forschungs-
gruppe Wahlen liegen CDU und CSU
deutlich vor den Grünen – obwohl die
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karren-
bauer so schlechte Noten wie noch nie
bekommt. Groß ist nach dem Attentat
von Halle die Ablehnung von Rechtsex-
tremismus: 78 Prozent der Befragten
meinen, es werde nicht genug dage-
gen getan. Und 72 Prozent teilen den
Vorwurf, die AfD trage eine Mitschuld
an rechtsextremen Gewalttaten.SZ
Union vorn – trotz AKK
Washington –Es gibt, grob gesagt, zwei
Arten, wie ein Politiker mit einem Skandal
umgehen kann. Erstens: alles leugnen und
hoffen, dass nichts herauskommt, was ihn
der Lüge überführt. Zweitens: alles zuge-
ben und hoffen, dass es die Wähler am En-
de nicht kümmert. Beide Methoden erfor-
dern ein gewisses Maß an Disziplin, was öf-
fentliche Aussagen betrifft.
Disziplin ist freilich keine Charakterei-
genschaft, die im Orbit von Donald Trump
weit verbreitet wäre. Insofern ist es kein
Wunder, dass die Verteidigungsstrategie
des US-Präsidenten und seiner Mitarbei-
ter im Ukraine-Skandal zwischen Leug-
nen und Zugeben hin und her schwankt
wie eine Palme im Taifun. Manchmal hat
das beinahe tragische Züge, so wie zum
Beispiel am Donnerstag, als Trumps Stabs-
chef Mick Mulvaney versuchte, seine Sicht
der Dinge zu erklären.
Mulvaney begann seine Pressekonfe-
renz mit einem Geständnis. Ja, so räumte
er überraschend ein, Trump habe eine
Tranche von Militärhilfe an die Ukraine in
Höhe von etwa 400 Millionen Dollar zu-
rückgehalten, um Druck zu machen. Kiew
sollte gezwungen werden, gewisse Dinge
zu untersuchen, die mit den US-Demokra-
ten zu tun hatten. Dabei ging es zum einen
um die bizarre, von Trump aber gleich-
wohl hartnäckig verfolgte Theorie, dass
die Ukrainer Zugriff auf Computerserver
der Demokraten aus dem Wahljahr 2016
haben, auf denen irgendetwas Verräteri-
sches abgespeichert worden ist. Zum ande-
ren ging es um den Vorwurf, dass der frü-
here Vizepräsident und heutige demokrati-
sche Präsidentschaftsbewerber Joe Biden
einen dubiosen ukrainischen Gaskonzern
vor Ermittlungen geschützt haben soll, für
den sein Sohn Hunter arbeitete.
Trump, so Mulvaney, habe im Großen
und Ganzen nur sicherstellen wollen, dass
die Ukraine hart gegen Korruption und an-
dere finstere Machenschaften im Land vor-
geht und deswegen Bedingungen für die
Auszahlung der Militärhilfe gestellt. „Das
machen wir andauernd in unserer Außen-
politik“, sagte Mulvaney. „Findet euch da-
mit einfach ab.“
Das Problem an dieser Darstellung war
allerdings nicht nur, dass die Behauptung,
Trump interessierte sich für den Kampf ge-
gen Korruption, hohl klang. Denn Mulva-
ney hatte kurz zuvor bekannt gegeben,
dass der Präsident den G-7-Gipfel im kom-
menden Jahr in seinem finanziell ange-
schlagenen Golfresort Doral in Florida ab-
halten werde. Mit seinem Geständnis zer-
störte Mulvaney auch Trumps wichtigstes
Verteidigungsargument – dass er nämlich
in den Gesprächen mit Kiew nie eine expli-
zite Verbindung zwischen der Auszahlung
von US-Militärhilfe und den ukrainischen
Ermittlungen gegen die Demokraten her-
gestellt habe. Keine Erpressung, kein Ge-
gengeschäft, „kein Quidproquo“. Also war
alles in Ordnung und das Amtsenthe-
bungsverfahren der Demokraten ist und
bleibt eine Hexenjagd – diese Version wie-
derholt Trump seit Wochen. Aber nun
stand da sein eigener Stabschef und buch-
stabierte genau dieses Quidproquo für die
Journalisten aus.
Das Prinzip Leugnen kollidierte in die-
sem Moment frontal mit dem Prinzip Zuge-
ben. Im Weißen Haus brach Panik aus.
Trumps Rechtsberater ließen wissen, sie
hätten nichts zu tun gehabt mit Mulvaneys
Aussage, die den Präsidenten nun be- statt
entlastete. Ein paar Straßenblocks vom
Weißen Haus entfernt verkündete Energie-
minister Rick Perry seinen Rücktritt. Per-
ry, den sein bisheriger Stellvertreter Dan
Brouilette ersetzen wird, ist bisher eine
Randfigur im Ukraine-Skandal. Aber auch
er wurde vom Kongress vorgeladen, um
auszusagen. Offenbar will er das als Privat-
mann tun, nicht als Minister. Und weil Mul-
vaney letztlich wohl auch lieber sich selbst
widerspricht als seinem Chef, gab er nach
seiner missglückten Pressekonferenz eine
Erklärung heraus, in der stand, was in sol-
chen Erklärungen zu stehen pflegt: Dass al-
les in Wahrheit ganz anders war und die
Medien seine Worte verdreht hätten. Aber
darauf kommt es vielleicht gar nicht mehr
an. Dass Trump und eine ganze Reihe von
seinen Unterlingen die Ukraine dazu brin-
gen wollten, gegen einen innenpolitischen
Gegner des Präsidenten zu ermitteln, ist
seit der Veröffentlichung eines entspre-
chenden Telefonprotokolls vor einigen Wo-
chen bekannt und belegt. Das Besondere
am Ukraine-Skandal ist es ja, dass das am
schwersten wiegende Beweisstück gleich
zu Beginn ans Tageslicht kam und nicht
erst am Ende langer Ermittlungen. Die
Zeugen, die von den Demokraten im Abge-
ordnetenhaus im Zuge der Impeachment-
Ermittlungen bisher vernommen wurden,
haben diese Machenschaften und Trumps
Rolle dabei eher bestätigt als aufgedeckt.
Das Besondere am Ukraine-Skandal ist
aber auch, dass er nicht juristisch in einem
Gerichtsverfahren aufgearbeitet wird, son-
dern politisch per Impeachment, also ei-
ner Art Prozess vor dem Kongress. Und da
bleibt nach Ansicht der meisten Washing-
toner Beobachter – Mulvaneys Geständ-
nis hin oder her – die Prognose unverän-
dert: Die Demokraten mit ihrer Mehrheit
im Abgeordnetenhaus werden wohl in den
kommenden Wochen eine Amtsenthe-
bungsanklage gegen Trump beschließen.
Im Senat, so die Erwartung, werden die Re-
publikaner dann aber eine Verurteilung
verhindern. Vielleicht kommt es anders.
Doch die Chance, dass Trump Weihnach-
ten mit einem Freispruch feiern kann, ist
noch immer groß. hubert wetzel
Mal hü, mal hott
Der Stabschef des US-Präsidenten redet sich in der Ukraine-Affäre um Kopf und Kragen, der Erfolg eines Impeachments bleibt dennoch fraglich
Mal zugeben, mal leugnen: Präsi-
dent Donald Trump diese Woche
in Dallas.FOTO: GETTY IMAGES/AFP
von christiane schlötzer
Istanbul– Esdauert bis Freitagmittag,
erst dann meldet sich auch Recep Tayyip
Erdoğan in Istanbul zu Wort, und was er
sagt, macht die Lage auch nicht wirklich
klarer. Am Abend zuvor hat der türkische
Präsident die Interpretation der überra-
schenden türkisch-amerikanischen Abma-
chung von Ankara seinem Außenminister
überlassen. Der zeigte sich in Plauderlau-
ne. Er habe gar nicht gemerkt, sagte Mev-
lüt Çavuşoğlu, „wie so viele Stunden ver-
gangen sind“. Es waren gut vier.
Wie Çavuşoğlu spricht auch Erdoğan
nicht von Waffenstillstand, sondern nur
von „fünf Tagen Pause“ der Kampfhand-
lungen in Nordsyrien. Und er bleibt dabei:
Die Türkei wolle einen Sicherheitskorri-
dor, 32 Kilometer tief und 444 Kilometer
breit, auf syrischem Gebiet, vom Euphrat
bis zur irakischen Grenze. „Unsere Streit-
kräfte werden die Region nicht verlassen“,
die syrische YPG-Miliz werde sich aber zu-
rückziehen, sagt Erdoğan. Die regierungs-
nahe ZeitungYeni Şafakliefert dazu die
passende Schlagzeile: „Großer Sieg“.
„Die USA haben den türkischen Plan,
das Staatsgebiet um 30 Kilometer zu er-
weitern, gebilligt“, twittert Brett McGurk,
der ehemalige Syriengesandte der USA. Er
schreibt aber dazu: „Nicht umsetzbar.“ So
sieht es offenbar auch der aktuelle Syrien-
beauftragte James Jeffrey, der in Ankara
dabei war. Er lässt wissen, aus Sicht der
USA gehe es nur um ein Gebiet, in das die
Türkei bereits vorgedrungen sei. Dasselbe
sagen die Kurden: Die Vereinbarung be-
treffe eine etwa 100 Kilometer breite Zone
zwischen den Städten Ras al-Ain und Tal
Abjad, um die in den letzten Tagen heftig
gekämpft wurde, so Maslum Abdi, der
Kommandant der Syrischen Demokrati-
schen Kräfte (SDF), in denen die YPG die
führende Rolle spielt.
Erdoğan selbst sagt, die Türkei habe bis-
lang 1360 Quadratkilometer unter ihre
Kontrolle gebracht. Das wären erst etwa
zehn Prozent der von ihr beanspruchten Si-
cherheitszone. Der türkische Präsident
sagt dann noch – und dies macht die Ver-
wirrung über die Tragweite der Vereinba-
rung nicht geringer: Wenn das syrische Re-
gime in die von der YPG verlassenen Gebie-
te vorrücke, habe die Türkei nichts dage-
gen. Bislang gibt es zwischen Damaskus
und Ankara offiziell keinerlei Absprachen,
lediglich Geheimdienstkontakte soll es
seit einiger Zeit schon wieder geben.
Die Waffenruhe, die US-Vizepräsident
Mike Pence ausgehandelt hat, wurde offen-
bar weitgehend respektiert. Rund um die
Grenzstadt Ras al-Ain habe es aber erneut
Granatenbeschuss und Maschinengewehr-
feuer gegeben, berichtete die Syrische Be-
obachtungsstelle für Menschenrechte. Da-
bei seien mindestens sieben Zivilisten und
vier syrische Kämpfer getötet worden. Der
kurdische Rote Halbmond erklärte, seine
Fahrzeuge kämen nicht in die Stadt, um
Verwundete abzuholen. Erdoğan bestritt,
dass die Türkei für einen Bruch der Waffen-
ruhe verantwortlich sei.
US-Präsident Donald Trump feierte das
Abkommen von Ankara als „großartigen
Tag für die Zivilisation“, es werde Millio-
nen Menschenleben retten. Trump hatte
allerdings mit seinem Abzugsbefehl für
die in Nordsyrien stationierten US-Solda-
ten die türkische Militäroffensive erst er-
möglicht. Die Präsenz der amerikanischen
Soldaten hatte das Nato-Land Türkei bis
dahin von der mehrmals angekündigten
Offensive abgehalten. Zur Begründung für
den Einmarsch am 9. Oktober nannte Erdo-
ğan türkische Sicherheitsinteressen. Die
YPG sei wegen ihrer engen Verbindung zur
türkisch-kurdischen PKK eine Gefahr für
die Sicherheit der Türkei, argumentiert
Ankara.
„Friedensquelle“ nannte die Türkei die
Operation und drohte Kritikern der Offen-
sive im eigenen Land mit dem Staatsan-
walt. Fast 190 vorübergehende Festnah-
men gab es bereits, 34 Personen wurden
„wegen Terrorpropaganda“ verhaftet, be-
richtete das Webportalt24am Freitag.
Nach der Vereinbarung mit Washington
aber melden sich neue Kritiker. Der be-
kannte Fernsehmoderator Fatih Portakal
twitterte: Falls sich die Türkei nicht aus Sy-
rien zurückzieht, „wird sie dort ein Besat-
zer sein“. Das würden weder die USA noch
Russland auf Dauer erlauben. Am kom-
menden Dienstag ist bereits ein Treffen
von Erdoğan und Russlands Präsidenten
Wladimir Putin in Sotschi geplant. Russ-
land hat sich zuletzt um gute Beziehungen
zur Türkei bemüht, aber Ankaras Offensi-
ve ebenfalls deutlich kritisiert. Moskau
möchte dem syrischen Regime die Kontrol-
le über ganz Syrien zurückgeben.
Amnesty International wirft der türki-
schen Armee und den mit ihr verbündeten
Milizen schwere Menschenrechtsverlet-
zungen und Kriegsverbrechen in Syrien
vor. Bei Angriffen auf Wohngebiete seien
Zivilisten verwundet und getötet worden,
so Amnesty. Nach Schätzungen der UN
sind etwa 166 000 Menschen vor den
Kämpfen geflohen.
Die Bundesregierung begrüßte die Eini-
gung auf eine Waffenruhe im Nordosten
Syriens, sie hält aber zunächst am Rüs-
tungsexportstopp für die Türkei fest. Ein
Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin
sagte, noch seien viele Fragen zu den politi-
schen Folgen der türkischen Offensive
ungeklärt. Seite 4
Barcelona– In Barcelona haben Anhän-
ger der katalanischen Separatisten am
Freitag den fünften Tag in Folge prote-
siert. Zehntausende Menschen zogen
durch die Straßen. Hunderte Demons-
tranten auch die Zugänge zur weltbe-
rühmten Basilika Sagrada Familia in Bar-
celona. Die Separatisten protestieren seit
Montag für die Abspaltung der Region Ka-
talonien von Spanien, entflammt hatte
die neuen Proteste die Verurteilung von
neun Separatistenführern am Montag.
Der Oberste Gerichtshof in Madrid verur-
teile neben Bürgeraktivisten auch ehema-
lige Mitglieder der separatistischen Regi-
onalregierung des nach Belgien geflüch-
teten Carles Puigdemont wegen der Aus-
führung eines verfassungswidrigen Un-
abhängigkeitsreferendums vor zwei Jah-
ren. Einige Beschuldigte wurden wegen
„Aufruhr“ und Veruntreuung öffentli-
cher Gelder zu 13 Jahren Haft verurteilt.
Separatistische Bürgerbewegungen re-
agierten mit teils gewalttätigen Protes-
ten in Barcelona, wo am Freitag zudem
zum Generalstreik aufgerufen wurde. De-
monstranten hatten bereits in den Näch-
ten zuvor Hauptverkehrsstraßen mit Bar-
rikaden, brennenden Müllcontainern
und Autos blockiert. Es kam zu heftigen
Straßenschlachten mit der Polizei. Fast
200 Personen wurden festgenommen,
Dutzende verletzt. Am Freitag erreichten
auch fünf „Märsche für die Freiheit“ Bar-
celona. Zehntausende Demonstranten
aus ganz Katalonien nahmen an den Pro-
testzügen teil, die zu großen Verkehrspro-
blemen in der sieben Millionen-Region
führten. Die sozialistische Zentralregie-
rung in Madrid forderte ein Ende der Ge-
walt. Premier Pedro Sanchez weist aber
Forderungen der konservativen Oppositi-
on zurück, Katalonien unter Zwangsver-
waltung zu stellen. kna/reuters
Ein magerer Deal
US-Präsident Trump spricht von einem „großartigen Tag für die Zivilisation“, die regierungsnahe türkische Presse
von einem „großen Sieg“. Das türkisch-amerikanische Abkommen schafft aber viele neue Unklarheiten
Kabul –Bei einem Anschlag in einer
Moschee in der ostafghanischen Provinz
Nangarhar sind mindestens 62 Men-
schen getötet und 36 verwundet wor-
den. Das teilte der Sprecher des Provinz-
gouverneurs am Freitag mit. Demnach
stürzte aufgrund einer oder mehrerer
Explosionen während des Freitagsge-
bets das Dach der Moschee im Bezirk
Haska Mina ein. Bisher bekannte sich
niemand zu dem Anschlag. In Nangar-
har sind die militanten islamistischen
Taliban sowie die Terrormiliz Islami-
scher Staat (IS) aktiv. Ein Taliban-Spre-
cher bestritt auf Twitter eine Beteiligung
an dem Anschlag. Vergangene Woche
wurden bei einem Anschlag in der Pro-
vinzhauptstadt Dschalalabad mindes-
tens zehn Menschen getötet. dpa
Berlin– Die Bundesregierung will nicht
mit Griechenland über Reparationen für
die von Deutschland in beiden Weltkrie-
gen verursachten Schäden verhandeln.
Das Auswärtige Amt überreichte dem
griechischen Botschafter Theodoros
Daskarolis am Freitag eine diplomati-
sche Note, mit der eine entsprechende
Aufforderung der griechischen Regie-
rung formell zurückgewiesen wird. „Die
Rechtsauffassung der Bundesregierung
in dieser Frage ist unverändert: die Repa-
rationsfrage ist abschließend geregelt.
Daran hat sich nichts geändert“, sagte
ein Ministeriumssprecher der Deut-
schen Presse-Agentur. Griechenland
hatte Deutschland Anfang Juni offiziell
mit einer sogenannten Verbalnote offizi-
ell zu Verhandlungen über Reparationen
aufgefordert. dpa
Generalstreik
in Katalonien
Separatisten protestieren gegen
Verurteilung ihrer Anführer
London und Brüssel einigen sich am Don-
nerstag, 17. Oktober, aufein neues Abkom-
men zum Brexit. Nach Tagen intensiver
Verhandlungen hatten Expertenteams aus
Brüssel und London letzte Streitpunkte
ausgeräumt. Am Abend nahmen die
Staats- und Regierungschefs der EU-
das Abkommen einstimmig an. Fraglich
ist jedoch,ob das britische Unterhaus
dem neuen Deal zustimmtund Großbri-
tannien sich tatsächlich am 31. Oktober
von der EU trennt. Im Falle einer Ableh-
nung ist Premierminister Boris Johnson
durch ein Gesetz verpflichtet, die EU um
eine weitere Fristverlängerung zu bitten.
Nach Gesprächen mit demtürkischen
Präsidenten Recep Tayyip Erdoğanteilt
der amerikanischeVizepräsident Mike
Penceam Donnerstagabend, 17. Oktober,
in Ankara mit, man habe sich aufeine
Waffenruhe in Nordsyriengeeinigt. Sie
soll 120 Stunden dauern, um den Kurden
einen Rückzug zu ermöglichen. Erdoğan
hatte dies bis dahin strikt abgelehnt und
eine Verständigungmit der Kurdenmiliz
YPGausgeschlossen. Gegen diese richtet
sich die türkische Offensive. Pence sagte,
die USA wollten ihre Sanktionen gegen die
Türkei bei einer dauerhaften Waffenruhe
aufheben.
Das Fiasko um diePkw-Mautbringt
BundesverkehrsministerAndreas Scheu-
er (CSU)weiter in Bedrängnis. Die Opposi-
tionsfraktionen Grüne, FDP und Linke be-
antragen am Dienstag, 15. Oktober,einen
parlamentarischen Untersuchungsaus-
schuss. Er soll klären, ob Scheuer das CSU-
Prestigeprojekt aus wahltaktischen Grün-
den auf Kosten der Steuerzahler durch-
drückte und auch den Bundestag hinters
Licht führte. Scheuer steht in der Affäre un-
ter Druck, weil er mit zwei Unternehmen
2018 einenmilliardenschweren Betrei-
bervertragschloss, lange bevor klar war,
ob er die Pläne sicher umsetzen kann.
Die deutschen Sicherheitsbehörden
warnen vor einer „Gefährdung der Demo-
kratie“ durch denRechtsextremismus.
Am Mittwoch, 16. Oktober, spricht der Prä-
sident des Bundeskriminalamts, Holger
Münch, mit Blick auf den antisemitischen
Anschlag auf die Synagoge in Halle von
einem„Klima der Angst“, geschürt durch
Gewalttaten und Hassattacken. BKA und
Verfassungsschutz gehen von 43 Ge-
fährdern in der rechtsextremen Szene
aus, die als akut gefährlich gelten und be-
sonders überwacht werden.
Die nationalpopulistische Partei
Recht und Gerechtigkeit (PiS) bleibt in
Polenstärkste politische Kraft.Die PiS
gewinnt die Parlamentswahlam Sonn-
tag, 13. Oktober, klar vor der linksliberalen
Koalition. Demnach kann die PiS ohne
einen Koalitionspartner weiterregieren.
Spaniens Oberster Gerichtshofverur-
teiltam Dienstag, 15. Oktober,neun kata-
lanische Politiker und Separatisten-
führerfür ihre Rolle in der Unabhängig-
keitsbewegung 2017 zu teils langen
Haftstrafen. Der katalanische Ex-Vizeprä-
sident Oriol Junqueras erhält wegen Auf-
ruhrs und Zweckentfremdung öffentli-
cher Gelder 13 Jahre. Acht weitere Ex-Poli-
tiker müssen bis zu zwölf Jahre in Haft.sz
Auch in deutschen Städten kann man der-
zeit erleben, wie ein alter Konflikt wieder
aufbricht. Fast täglich gehen kurdische Ak-
tivisten auf die Straße, immer wieder
kommt es dabei zu Gewaltausbrüchen. Die
türkische Militäroffensive in Nordsyrien
hat aus Sicht vieler Kurden eine ethnisch
motivierte Vertreibung zum Ziel. Aber
auch rückt es ihre Vision von einem unab-
hängigen Staat in weite Ferne.
Bislang sind die schätzungsweise drei-
ßig bis vierzig Millionen Kurden, die es
weltweit gibt, eine Volksgruppe ohne ei-
nen eigenen Staat. Die meisten von ihnen
leben von Ackerbau und Viehzucht auf
größtenteils gebirgigem Gebiet, durch das
nach dem Ende des Ersten Weltkrieges die
Grenzen der Türkei, Syriens, Irans und des
Irak gezogen wurden. Dort werden unter-
schiedliche kurdische Dialekte gespro-
chen, die sich wegen der fehlenden staatli-
chen Einheit aber teils sehr unterscheiden.
Trotzdem hat sich über die Jahrhunderte
eine starke kurdische Identität gebildet,
die einerseits im traditionellen nomadi-
schen Stammeswesen wurzelt und sich an-
dererseits im gemeinsamen Kampf gegen
die Fremdherrschaft gefestigt hat.
Die Konflikte zwischen militanten Kur-
den und dem türkischen Staat schienen
sich in den vergangenen Jahren zu beruhi-
gen. Unter Premier Recep Tayyip Erdoğan
war das Verbot der kurdischen Sprache ge-
lockert worden. Doch einen unabhängigen
Staat will der türkische Präsident keines-
falls zulassen. phbo
8 POLITIK HMG Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019, Nr. 242 DEFGH
Attentat auf Betende: 62 Tote
Kein Geld für Griechenland
KURZ GEMELDET
Am Ende ist es wie immer
im Trump-Orbit: Die Medien
sind an allem schuld
Angaben in Prozent, (in Klammern: Veränderung zu
Ende September 2019 in Prozentpunkten)
Wenn am nächsten Sonntag
Bundestagswahl wäre...
CDU/CSU
29
(+2)
AfD
13
(-1)
Grüne
24
(-3)
FDP
6
(±0)
Sonstige
6
(±0)
SPD
14
(+1)
Linke
8
(+1)
Schwankungsbereich
nach oben und unten
SZ-Grafik; Quelle: Repräsentative Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen, 1226 Befragte
Irak
Syrien
Türkei
Iran
83
Millionen
Einwohner
81
40
19
Wo die Kurden leben
Prozentanteil der Kurden an der Bevölkerung
in Millionen
8%
Kurden
8%
Kurden
18%18%
16%16%
RIAD 8%8%
TIFLIS
KAIRO
MASKAT
ATHEN ASCHGABAT
BAGDAD
ANKARA
ABU DHABI
BAKU
E
AMMAN
TEHERAN
MANAMA
NIKOSIA
KUWAIT
STADT
ERIWAN
SOFIA
BEIRUT
DOHA
JERUSALEM
DAMASKUS
Kar
Que
Herat
Zahedan
Heraklion
Medina
Kandahar
Kerman
Gorgan
Maschhad
Alexandria
Bandar Abbas
Sivas
Schahr-e
Kord
Izmir
Birdschand
Batman
Ardabil
Istanbul
Schiras
Antalya
Kermānschāh
risa
Yazd
Erzurum
Bodschnurd
Bartin
Port Said
Urmia
Ahwas
Gaziantep
Semnan
Buschehr
Stara Sagora
Rascht
Konya
Thessaloniki
Arak
Van
Adana
Dammam
Sari
Bursa
Kayseri
Sanandadsch
Chorramabad
Zandschan
Haifa
Ghom
Plowdiw
Kaswin
Derbent
Ma
Sch
Zhetys
Zabol
Torbat-e
Heidarije
Sirdschan
Rafsandschan
Ar Raqqah
Mosul
Shahreza
Limassol
Schahrud
Latakia
Bandırma
Dezful
Marand
Mahabad
Kaschan
Khoy
Saveh
Hebron
Aswan
El Wahat El
Kharga
Tschaghtsch
Asyout
Maimana
Marsa
Matrouh
Hurghada
Buraydah
Hail
El Menia Tabouk
lis
El Tour
Sakakah
Bani Sueif
Ermoupoli
Arar
Akaba
Mugla
Kafr El Sheikh Yasudsch
Sinope
Mytilini
Giresun
Afyonkarahisar
El Areesh
Artvin
Canakkale
El Fayoum
IRAN
SAUDI-
ARABIEN
TÜRKEI
ÄGYPTEN
EN
AFGHANISTAN
PAKISTA
TURKMENISTAN
USBEKISTAN
IRAK
SYRIEN
GEORGIEN
IRAK
Teheran
Bagdad
Damaskus
Ankara
Im Verlauf des Krieges gegen den
sogenannten Islamischen Staat (IS)
haben kurdische Kämpfer nahezu
ein Drittel des Staatsgebietes
besetzt und beanspruchen nun
Autonomie. Die syrische Regierung
erkennt diesen Status nicht an.
SYRIEN
Die Region im Nordosten des
Irak ist seit 1992 semiautonom,
mit einer kurdischen Regional-
regierung. Finanziell ist sie
weiterhin von der Zentral-
regierung in Bagdad abhängig.
IRAK
Die iranische Regierung bekämpft
die militante „Partei für ein freies
Leben in Kurdistan“, eine
Schwesterorganisation der PKK.
Kurdische Aktivisten wurden in der
Vergangenheit zu langjährigen
Haftstrafen verurteilt.
IRAN
Kurden bilden etwa ein Fünftel der
türkischen Bevölkerung. Im Konflikt
zwischen kurdischen Separatisten und
der türkischen Regierung sind
Schätzungen zufolge bereits mehr als
vierzigtausend Menschen gestorben.
TÜRKEI
Istanbul
Erbil
SYRIEN
TÜRKEI
IRAN
SZ-Karte/Maps4News
200 km
1514
Die meisten
kurdischen
Fürstentümer
fallen unter
osmanische
Herrschaft.
1920
Nach dem Ersten
Weltkriegteilen die
Siegermächte das
Osmanische Reich
auf. Den Kurden
wird die
Unabhängigkeit
versprochen.
1923
Mustafa Kemal
Atatürk ruft die
Türkische Republik
aus. Von einem
Kurdenstaat ist im
Friedensvertrag
von Lausanne keine
Rede mehr.
1978
Die Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK)
bildet sich und
beginnt von Mitte der
Achtzigerjahre an
einen Guerillakrieg in
den türkischen
Kurdengebieten.
1988
Der irakische
DiktatorSaddam
Husseinsetzt Militär
und Giftgas gegen
Kurden im Nordirak
ein. Zehntausende
Kurden werden
ermordet.
1992
Nach dem zweiten
Golfkrieg
erkämpfen sich die
Kurden eine
autonome Region
im Nordirak.
2016
Die kurdischen
Kämpfer gegen die
Terrororganisation
IS erklären den
Nordosten Syriens
zur autonomen
Region.
2019
Nach dem Sieg
überdenIS und
einem Rückzug der
amerikanischen
Truppen beginnt
die Türkei eine
Militäroffensive in
Nordsyrien.
31 %
der 19580 syrischen Asylsuchenden in
Deutschland im 1. Halbjahr 2019
waren Kurden, obwohl nur8%der
syrischen Bevölkerung kurdisch sind.
GRAFIK: JULIAN HOSSE
RECHERCHE: PHILIPP BOVERMANN
Chronik des kurdischen Kampfes um Autonomie
Traum von Kurdistan
Das Ringen der Kurden um einen eigenen Staat reicht weit in die Geschichte zurück
wichtigste Siedlungsgebiete der Kurden
Quellen: Reuters, BAMF, CIA World Factbook
Diyarbakır
WOCHENCHRONIK VON 12. BIS 18. OKTOBER
Ein Volk hofft
auf einen eigenen Staat
Wenn Assads Armee vorrücke in
die Grenzregion, hätte er nichts
dagegen, sagt Erdoğan