Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1
interview: christiane lutz
undegbert tholl

F


ür Thom Luz und Nora Schlocker
ist der Neustart am Residenzthe-
ater auch das Fortführen einer
erfolgreichen Arbeitsbeziehung.
Gemeinsam mit Julia Hölscher
bildeten sie schon in Basel das Hausregie-
Dreigespann unter Intendant Andreas
Beck. Nun werden sie gemeinsam in Mün-
chen arbeiten. Luz startet am 26. Oktober
mit „Olympiapark In The Dark“, Schlo-
ckers Inszenierung „Die Verlorenen“ eröff-
net an diesem Samstag die Spielzeit, nach-
dem die ursprünglich geplante Produkti-
on von Simon Stone wegen eines Filmpro-
jekts verschoben werden musste. Luz und
Schlocker wollen zum Gespräch im Innen-
hof des Theaters sitzen, um ein wenig
Herbstsonne abzukriegen.


SZ: Sie beide sind neu in München. Woher
wussten Sie, ob Sie überhaupt Lust auf die
Münchner haben? Als Sie den Vertrag un-
terschrieben, konnten Sie ja gar nicht wis-
sen, wer Ihr Publikum sein würde.
Thom Luz:Nein, kann man nicht wissen.
Aber man kann die Bereitschaft mitbrin-
gen, sich einzulassen. So zu starten, dass
man eine gegenseitige Neugier sucht.
Nora Schlocker:So ein Umzug nach Mün-
chen ist ja keine Verhaftung. Wir sind zwar
eine Art Familienverband mit Andreas
Beck, dennoch trifft man ja eigenständig
die Entscheidung, ob man den Weg an die-
sen Ort weiter gehen will.


Sie sind Andreas Beck aus Basel gefolgt.
Haben Sie sich abgesprochen? Hat Sie der
Intendant bekniet?
Schlocker:Andreas Beck war sehr transpa-
rent. Ohne dass man das explizit ausspre-
chen hätte müssen, hat er von Anfang an ei-
ne Einladung in den Raum gestellt.
Luz:Es war wie klar: Wir gehen jetzt da
hin.
Das ist im Theater-Universum ungewöhn-
lich. Dort sind solche verbindlichen Lang-
zeitbeziehungen ja eher selten.
Schlocker:Das stimmt schon. Der Um-
gang miteinander unter Andreas Beck hat
schon eine spezielle Qualität, die ich in der
Form von einem anderen Haus bis dato
auch nicht kannte. Es herrscht ein sehr ver-
trauensvolles, direktes Verhältnis.
Luz:Als Beck am Theater Basel gestartet
ist, war es so, dass viele Leute aus Wien
mitgekommen sind und man mit denen
das Ensemble eingerichtet hat. Dieser Vor-
gang wiederholt sich jetzt, wir kommen
mit einer größeren Stammzelle aus Basel
und reichern die hier an.
An Theatern wird gerade viel über Struk-
turen und die Macht des Intendanten dis-
kutiert. Von Außen betrachtet wirkt es so,
als versuche Andreas Beck zumindest, Hi-
erarchien flacher zu halten. Ist das so?
Schlocker:Für mich ist und war das ein we-
sentlicher Grund, warum ich Lust hatte,
mich auf so ein langfristiges Projekt einzu-
lassen. Weil ich fand, dass von Anfang an
gewisse Grundkonstellationen anders ge-
setzt waren. Es war bei Andreas immer so,
dass zum Beispiel viele Frauen an zentra-
len Positionen arbeiten. Das war per se nie


ein machisticher Theaterbetrieb, wie ich
ihn an anderen Theatern kennengelernt
hatte. Im Gegenteil, wir mussten gefühlt
immer schauen, dass es außer Andreas
überhaupt noch einen Mann in einer Lei-
tungsposition gab.
Also herrschen unter Andreas Beck ideale-
re Zustände als an anderen Theatern?
Schlocker:Ich finde schon. Aber natürlich
gibt es auch hier wie überall Punkte, die
sich nur langsam ändern, beziehungswei-
se Fragen aufwerfen. Was ist eine gerechte
Bezahlung, was verdient ein Anfänger?
Bekommen Sie beide die gleiche Gage?
(Schlocker und Luz schauen sich an.)
Schlocker:Ich glaub schon.
Luz:Ich glaube auch. Theater insgesamt
ist ein hierarchischer Ort, aber es gibt hier
den Willen, Strukturen zu verändern.
Wenn Theater eine kleine Keimzelle jener

Veränderung sein will, die man in der Ge-
sellschaft sehen möchte, dann hegen wir
den Wunsch, daran zu arbeiten.
Nora Schlocker, wann haben Sie erfah-
ren, dass Ihre Produktion „Die Verlore-
nen“ plötzlich auf den Eröffnungspremie-
renplatz rutscht?
Schlocker:Fünf Minuten, bevor es die
Presse erfahren hat.
Hat das irgendwas für Sie verändert?
Schlocker:Nein. Es hat sich ja an dem Pro-
jekt nichts geändert. Ich muss den Außen-
kosmos ohnehin verdrängen, damit wir
frei sind und Spaß haben beim Arbeiten.
Ist es für Sie nicht besser, dass Simon
Stone nicht jetzt inszeniert? Ein gehypter
Super-Typ, der das Gefüge durcheinan-
der bringt und Aufmerksamkeit zieht?
Schlocker:Ich hab kein Problem mit Si-
mon. Andreas hat uns nie das Gefühl gege-

ben, dass das sein Rennstallpferd ist. Na-
türlich war seine Absage blöd fürs Haus.
Ich finde es aber super, dass Andreas das
als Lücke stehen lässt und nicht versucht,
eine Art von Ersatzprogramm zu erfinden.
Wie haben Sie sich auf München und das
Publikum hier vorbereitet?
Luz: Als die Entscheidung für München ge-
fallen war, bin ich viel her gefahren und
hab mir Stücke angeschaut, um das Haus
und das Publikum kennen zu lernen. Und
mir war immer sehr wohl, in diesen Publi-
kümmern – sagt man das so? – zu sitzen.
Fühlt sich das Münchner Publikum an-
ders an als das Basler Publikum?
Luz:Für mich ist es schwierig zu sagen,
weil ich ja aus der Schweiz komme. Ich ken-
ne das Schweizer Publikum in seiner Ei-
genart sehr gut, mit dem Eindruck einer
gewissen Zurückhaltung.
Meinen Sie das Gefühl, eine Aufführung
ist zu Ende und man fragt sich: Sitzt da
überhaupt jemand?
Schlocker:Auch während der Aufführung!
Luz:Der Stellenwert des Theaters in der
Gesellschaft ist überall anders. Als ich hier
her kam, habe ich eine Lust verspürt, die-
sen Menschen etwas zu zeigen. Die sind
da, die sind zahlreich, die sind präsent.
Ziehen Sie jetzt nach München?
Schlocker: Wir sind in dieser Spielzeit
noch Hausregisseure in Basel. Aber nein,
ich werde auch nächstes Jahr nicht hierher
ziehen. Ich habe eine Familie in Berlin, die
ich nicht alle vier Jahre woanders hin mit-
nehme. Zwei kleine Kinder. Ich werde eine
Pendler-Natur bleiben.
Luz:Mir träumt von einer Art Laube in
München, einer Art Pied-à-Terre, einer
Zweitwohnung. Ein Ort erschließt sich ei-
nem anders, wenn man nicht nur für die
Arbeit dort lebt, das ist natürlich klar. Man
erfährt mehr, wenn man den weiten Be-
griff der Haus-Regie auch so deutet, dass
man versucht, sich auf den Ort einzulas-
sen. Aber jetzt muss es erst mal anfangen.
Thom Luz, Sie haben die Stadt gleich im
Namen Ihres Projekts „Olympiapark in
the Dark“. Sind Sie dafür mit der Stirnlam-
pe um den Olympiaturm gekrochen?
Luz:Nein, es geht nicht primär um den
Park, sondern mehr um die Stadt. Was
klingt hier? Und was hat hier in den letzten
Jahrhunderten geklungen? Das Ankom-
men in einer Stadt aus der Perspektive ei-
nes Fremden heißt: erst mal zu horchen.
Und was klang in München?
Luz:Ich bin durch die Stadtchronik gegan-
gen und habe mir alles herausgeschrieben,
was geklungen hat. Die Uraufführung von
„Idomeneo“, das Standkonzert zum zweiten
Jahrestag des Kriegsbeginns, selten gehörte
Musik von Dieter Roth und Freunden im
Lenbachhaus, das Glockenspiel, das bei sei-
ner Premiere fürchterlich schräg geklungen
hat, so dass sich die Stadt genötigt sah, eine
Spezialkomposition in Auftrag zu geben.
Was wollen Sie im Idealfall damit beim Zu-
schauer erreichen?
Luz:Robert Walser hat in seinem Tage-
buch nach einem Theaterbesuch in Mün-
chen notiert: „Die Theaterkunst sollte sich
doch vielleicht vermehrt darum bemühen,
die allzu sehr Verwirrten dieser Welt zu be-
ruhigen, und die allzu sehr Beruhigten die-
ser Welt zu verwirren.“ Das ist ein Motto,
das ich mir für die Theaterarbeit grund-
sätzlich und auch für diesen ersten Abend
auf die Fahne schreibe. In dieser Stadt gibt
es Verwirrte und Beruhigte, beiden kann
ich versuchen, was zu präsentieren
Zu welcher Gruppe gehören Sie?
Luz:Ich bin schon verwirrt über den Lauf
der Welt.
Schlocker:Würd’ ich auch sagen, ja.
Sie machen sehr unterschiedliche Dinge.
Nora Schlocker, Sie nehmen sich beste-
hende Texte vor und versuchen, die auf
der Bühne umzusetzen. Und Sie, Thom
Luz, überlegen sich kryptische Titel und
machen musikalische Klang-Stücke
draus. Geben Sie einander Ratschläge?

Schlocker:Wir sind sehr ehrlich miteinan-
der und stehen in einem intimen Beschrei-
bungsverhältnis. Das ist ein kostbarer und
seltener Vorgang, dass man über so viele
Jahre die Arbeiten eines Kollegen sieht
und sich ohne Konkurrenzdruck begeg-
nen kann.
Luz:Ich erlebe unser Zusammenarbeiten
als frei von Territorialkämpfen. Darauf
hätte ich auch keine Lust. Der Austausch
zwischen Nora und mir ist osmotisch.
Stimmt es, dass der allererste Satz dieser
neuen Spielzeit sein wird: „Hallo, hört
uns jemand?“
Schlocker:„Hallo, hört uns jemand, kann
uns jemand ...“ Ich finde es schön, dass das
der erste Satz ist, der in dieser Spielzeit im
Residenztheater fällt.
Der Satz kann eine Kontaktaufnahme be-
deuten – klingt aber auch nach Raumkap-
sel auf einem fremden Planeten, die Insas-
sen tapsen herum und fragen in die Leere.
Schlocker:Daran müssen wir arbeiten,
dass es nicht so wird.

Wie kriegt man hin, dass das Stück nicht
so deprimierend wirkt, wie es klingt?
Schlocker:Natürlich steckt in den Texten
von Ewald immer auch ein großer Ab-
grund. „Und der leere Himmel klaffte auf.“
Da versuche ich, dagegen zu halten als Re-
gisseurin. Durch die Lust des Spiels. Und
durch die Lust am gemeinsamen Denken.
Für Ewald Palmetshofer ist das Theater
ein Ort des gemeinsamen Nachdenkens,
der Begegnung. Ein Ort, an dem die Men-
schen sich gewissen Fragen stellen, in
dem man Schmerz und Intimität als Grup-
pe empfinden kann. Das trifft auf eine mei-
ner Theatermacherutopien. Deswegen fin-
de ich es fabelhaft, dass ich das Stück zur
Eröffnung inszenieren darf.
Theater als Ort für die Suche nach dem
Sinn der Welt?
Schlocker:Was ist schon die Welt? Was ist
ihr Sinn? Oder ist ihr Sinn vielleicht nur,
dass sie ist? Ich finde es wichtig,, dass man
sich nicht nur in einem fatalistischen Zu-
kunftspessimismus ergeht, der gerade heu-
te so stark im Raum steht.
Sie haben zwei Kinder. Da wäre Zukunfts-
pessimismus blöd.
Schlocker: Meine sechsjährige Tochter
spricht mich inzwischen auf viele Dinge
an. Zum Beispiel fragt sie, warum manche
Leute sagen, es ist besser, heutzutage kei-
ne Kinder zu kriegen. Da hilft nur das Spre-
chen. Miteinander. Auch wenn das schwer
ist. Und viele Antworten fehlen.
Luz:Theater kann im besten Fall eine ad-
äquate Antwort sein auf das seltsame Ge-
schenk der Gegenwart. Theater kann
Pracht erzeugen durch Perspektivenwech-
sel, Trost spenden durch Erzeugung von
flüchtiger Schönheit. Das sind Dinge, die
ich versuche in meiner Arbeit.
Also doch alles nicht so hoffnungslos?
Schlocker:Wenn man sich im Theater als
Mensch öffnen könnte, die Hosen runter-
lässt, eine Gemeinschaft bildet, dann wäre
das doch etwas zutiefst Aufmunterndes.
Es gibt nur uns hienieden. Das ist ja auch
eine riesige Chance.
Wir haben nur uns?
Schlocker:Wir haben nur uns. Aber was
heißt hier „nur“?

Theater kann
Pracht erzeugen durch
Perspektivenwechsel,
Trost spenden
durch Erzeugung von
flüchtiger
Schönheit.“

Thom Luz

Ein mystisches Glühen soll das Publikum
schon von Ferne empfangen, wenn es an
diesem Samstag über den Münchner
Max-Joseph-Platz eilt, zur ersten Premie-
re der Ära des Intendanten Andreas Beck.
Das Bayerische Staatsschauspiel hat Ingo
Maurer beauftragt, den Wintergarten
des Residenztheaters mit einem neuen
lichtgestalterischen Konzept zu verse-
hen. Und Maurer, der 87 Jahre alte Magi-
er des Lichts, der mit dem Designpreis
der Bundesrepublik für sein Lebenswerk
ausgezeichnet worden ist, und jüngst als
Münchner den Schwabinger Kunstpreis
erhielt, hat dafür tief in den Zylinder ge-
griffen: „Silver Cloud“ nennt er das Ob-
jekt, das anlässlich der Uraufführung des
Stücks „Die Verlorenen“ zum ersten Mal
zu sehen sein wird.
Es ist zwölf Meter lang, hat eine ovale
Grundform und ist nicht etwa eine Lam-
pe. Die Wolke wird indirekt beleuchtet.
Sie besteht aus 3000 Silberblättern, die
zart mit einem Gittergeflecht verbunden
und ständig in Bewegung sein werden.
Dafür sorgen sieben goldfarbene Ventila-
toren im Inneren des Objekts, die einen
„Windhauch“ durch die Wolke schicken.
Die „Silver Cloud“ schwebt unter einer
tief rot gestrichenen Decke. „Wir haben
dafür mit einem Experten für extrem
starke Pigmente zusammengearbeitet“,
sagt Axel Schmid, der in Maurers Team
mit der Cloud intensiv befasst war und
seit 21 Jahren für ihn arbeitet. „Wenn
man unter dieser Decke steht, kann man
nicht genau sagen, wie tief oder hoch die
Decke ist. In dem Objekt selbst sieht jeder
etwas anderes, ein Tier, eine Pflanze oder
ein schimmerndes Fell.“ Je nachdem wie
der Betrachter unter oder neben der Wol-
ke steht, ob es Tag ist oder Nacht, der Him-
mel draußen grau oder blau, wird sie sich
verändern. Mit der Wahrnehmung der Re-
alität spielt Maurer im Foyer also ähnlich
wie die Theatermacher auf der Bühne.

Mit dem Entwurf greift er auf seine ei-
gene Geschichte zurück, Maurer bezieht
sich damit auf ein Lichtobjekt, das er vor
20Jahren für den japanischen Modema-
cher Issey Miyake gestaltet hat. Es be-
stand ebenfalls aus reflektierenden Blät-
tern. Die der „Silver Cloud“ bestehen aus
handversilberten Papierbögen, deren
Oberflächen versiegelt sind. Dafür wur-
den Papiere unterschiedlichen Alters ein-
gesetzt, damit sich die Blätter nicht nur in
der Form, sondern auch in der Farbe un-
terscheiden: von Silber über Gold bis zu
Grau- und Braunschattierungen.
Vom Max-Joseph-Platz aus werden
Passanten jedoch nicht nur das exponiert
gehängte Objekt durch die Scheiben des
Wintergartens im ersten Stock funkeln
sehen. Das Residenztheater kämpft seit
jeher mit seiner Lage und Sichtbarkeit
zwischen dem Bau der Residenz und der
Staatsoper. Deshalb soll es zudem durch
einen neuen roten LED-Schriftzug auf
sich aufmerksam machen, der auf die
Glasfassade gesetzt wird und der so die
„Silver Cloud“ durch zwei Worte rahmt:
„Residenz“ und „Theater“. Auch wenn
am Samstag die Wolke ihren Zauber zum
ersten Mal entfalten soll; ihre offizielle
Einweihung findet erst am 24. Oktober
statt. Einen neuen Star könnte das Resi-
denztheater damit jedenfalls schon ein-
mal haben. susanne hermanski

Das war per se
nie ein machisticher
Theaterbetrieb,
wie ich ihn an
anderen Theatern
kennen
gelernt hatte.“

Nora Schlocker

Neue Spielzeit, neue Intendanz, neues Design: Zur Saisoneröffnung erstrahlt das Residenztheater in schimmerndem Glanz – vor allem durch Ingo Maurers zwölf Meter lange „Silver Cloud“, bestehend aus 3000 Silberblättern. FOTO: INGO MAURER

Beruhigen


und verwirren


Am Residenztheater beginnt die


neue Spielzeit. Die Hausregisseure


Nora Schlocker und Thom Luz über ihre Ziele


und die ersten Produktionen für München


Blätter, die die


Weltbedeuten


Ingo Maurers schwebendes
Lichtkonzept am Residenztheater

Die Österreicherin Nora Schlocker, 36, und der Schweizer
Thom Luz, 37, sind Teil des neuen Resi-Teams unter
Intendant Andreas Beck. An diesem Samstag hat Schlockers
Inszenierung „Die Verlorenen“ Premiere.FOTO: SEBASTIAN GABRIEL

Neben der „Silver Cloud“ gibt
es einenneuen LED-Schriftzug

DEFGH Nr. 242, Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019 KULTUR R9

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