Süddeutsche Zeitung - 12.10.2019

(singke) #1
von uwe ritzer
und olaf przybilla

O


hne Zweifel hat Tassilo Forch-
heimer, 51, die höheren Wei-
hen, die muss einer einfach ha-
ben, der so oft und so nah mit
dem Papst zusammen war. Jah-
relang begleitete Forchheimer als Leiter
des ARD-Studios in Rom Franziskus auf
seinen vielen Reisen. Und wenn Papst und
Vatikan gerade Ruhe gaben, dann widmete
sich der vom Bayerischen Rundfunk ent-
sandte Korrespondent italienischen Regie-
rungskrisen. Wie öde erscheint all dem ge-
genüber Forchheimers neue Dienststelle
als Leiter des BR-Studios Franken in Nürn-
berg. Aber man sollte sich nicht täuschen.
Am 1. Oktober hat Forchheimer den Pos-
ten an der Wallensteinstraße im Südwes-
ten der Stadt angetreten. Der größte deut-
sche ARD-Außenposten, in einem weitläu-
figen Park gelegen, ist gerade in mehrerlei
Hinsicht eine Baustelle – und das nicht nur
des schicken Multifunktionssaals wegen,
der dort im Entstehen ist und das Studio in
ein neues Zeitalter führen soll. Gewisser-
maßen als Polier hat BR-Intendant Ulrich
Wilhelm Forchheimer nach Franken ge-
schickt, einen Mann, der im BR-Kosmos ei-
nen formidablen Ruf genießt und unbelas-
tet von regionalen Verquickungen von au-
ßen an die Aufgabe herangehen kann.


Ganz unbelastet geriet sein Dienstan-
tritt allerdings nicht. Der Rundfunkrat als
zuständiges Aufsichtsgremium hat die Per-
sonalie Forchheimer nicht mit der übli-
chen Einstimmigkeit abgesegnet. Beteilig-
ten zufolge soll in der Juli-Sitzung mehr
als ein Viertel der Rundfunkräte gegen den
neuen Studioleiter in Franken gestimmt
haben, was in diesem Gremium als ein äu-
ßerst ungewöhnlicher Vorgang gilt.
Dem Vernehmen nach aber richteten
sich die Gegenstimmen weder gegen den
integren Journalisten Forchheimer, noch
müssen sie als Zweifel an seiner Qualifikati-
on interpretiert werden. Sie dürften viel-
mehr eine Reaktion auf die seltsamen und
unklaren Umstände sein, unter denen
Forchheimers Vorgängerin Kathrin Deg-
mair im Frühjahr nach nur fünf Jahren als
fränkische Studiochefin geschasst wurde.
Worüber ist Degmair so kurzfristig wie
überraschend gestolpert? Tatsächlich, wie
es hieß, über ihren angeblich zu robusten
Führungsstil, die Klagen, die dieser bei Un-
tergebenen ausgelöst haben soll und die
Unzufriedenheit des Intendanten mit ihrer
Art, das Franken-Studio zu leiten?
Die Spekulationen um die Personalie er-
hielten eine neue Wendung, als vor einer
Woche durch dieSüddeutsche Zeitungbis-
lang intern behandelte Vorwürfe Degmairs
gegen ein einflussreiches Mitglied eines
BR-Aufsichtsgremiums öffentlich wur-
den. Der Mann soll sie mehrfach verbal se-
xuell belästigt haben, was er vehement be-
streitet. Landtagspräsidentin Ilse Aigner
kümmert sich in ihrer Eigenschaft als BR-
Verwaltungsratsvorsitzende um den Fall,
bei dem nun Details durchsickern. Infor-
mationen aus Senderkreisen zufolge hat
Degmair ihre Vorwürfe konkretisiert.
Demnach habe der Mann ihr bei einem
Arbeitsessen in einem italienischen Res-
taurant erklärt, sie sei „mehr als eine Sün-
de wert“. Degmair behauptet, er habe auf
schlüpfrige Weise versucht, sie zu einem
Besuch in seinem Appartement zu überre-
den, auf einen Absacker und um gemein-
sam „Spaß“ zu haben. Er soll immer wie-
der explizit mit seiner sexuellen Leistungs-
fähigkeit und diesbezüglichen Erfolgen
bei Frauen geprahlt haben. Nachdem sie
die wiederholten Avancen mehrmals abge-
lehnt habe, soll das Gremiumsmitglied so-
gar ungebeten mit in ein Taxi gestiegen
sein, mit dem Degmair habe nach Hause
fahren wollen. Dabei sollen Sätze gefallen
sein wie „Es ist nur Sex“ – ihr Ehemann
werde ganz sicher nichts davon erfahren.
Bei einem anderen Arbeitsessen zum
Thema, ob man den Sender ARD-Alpha
nach Nürnberg holen könnte, soll der
Mann aus dem BR-Gremium Degmair zu
gemeinsamem Spaß in seiner Sauna aufge-
fordert haben. Bei einer dritten Zusammen-
kunft soll er ihr offenbart haben, gerade
auf Partnerinnensuche zu sein.
Bei alledem steht weiterhin Aussage ge-
gen Aussage. Der Mann weist auch auf er-
neute Nachfrage alle Vorwürfe entschie-
den zurück: „Es gab keinerlei sexuelle Be-
lästigung meinerseits gegenüber Frau Dr.
Degmair. Es gab kein Fehlverhalten, keine
anzüglichen, intimen, prahlerischen oder
grenzüberschreitenden Bemerkungen
meinerseits gegenüber Frau Dr. Degmair“,
erklärt er. „Ich habe nicht versucht, Frau
Dr. Degmair zu einer sexuellen Beziehung
zu bewegen. Ich möchte nochmals beto-
nen, dass die Arbeitsessen auf Wunsch von
Frau Dr. Degmair stattgefunden haben.“
Nun ist es nicht ungewöhnlich, wenn
sich eine BR-Führungskraft mit einem ein-
flussreichen BR-Gremiumsmitglied zu Ar-


beitsessen trifft. Im Fall Degmair steht die
Frage im Raum, weshalb sie die vorgewor-
fenen verbalen Übergrifflichkeiten aus
den Jahren 2015 bis 2017 intern nicht so-
fort angezeigt hat. Zumindest einem BR-
Kollegen aber soll sich Degmair kurz da-
nach anvertraut haben, wie dieser auf SZ-
Anfrage bestätigt. Offiziell aber hat sie die
Vorwürfe erst im Februar 2019 erstmals
adressiert, beim Gespräch, in dem der In-
tendant ihr offenbarte, dass ihr Vertrag als
Studioleiterin nicht verlängert wird.

Indessen steht auch die Frage im Raum,
wie der Sender in den vergangenen Mona-
ten mit Degmairs Hinweisen umgegangen
ist und ob er ihnen von sich aus mit mehr
Konsequenz und Nachdruck hätte nachge-
hen müssen. Nein, heißt es aus dem Sen-
der, zu vage und noch dazu ohne Namens-
nennung seien diese gewesen. Degmair ha-
be bei den intern zuständigen BR-Stellen
keinen ihrer Vorwürfe „konkret einge-
speist“, erklärte BR-Justitiar Albrecht Hes-
se vor einer Woche. Man könne Vorwürfen
schließlich nur nachgehen, „wenn Betroffe-
ne diese auch zur Kenntnis bringen und
konkretisieren“. Demgegenüber seien „Ge-
rüchte und vage Andeutungen ohne Na-
mensnennung“ schwer zu verifizieren.
Dieser Darstellung widerspricht nun
Degmair und wirft dem BR über ihren An-
walt Untätigkeit und Gleichgültigkeit vor.
„Beginnend im Herbst 2018“ habe seine
Mandantin „die Thematik intern in geeig-
neter, dem Sachverhalt nach gebotener
Sensibilität/Diskretion anbringen und den

BR so in die Möglichkeit versetzen“ wollen,
den Vorwürfen nachzugehen, teilt Deg-
mairs Anwalt mit. Doch trotz „wiederhol-
ter Angebote, nähere Ausführungen zu ma-
chen, ist zunächst über einen langen Zeit-
raum hinweg nichts geschehen“.
Wer auch immer bei alledem recht hat –
es ist nicht das erste Mal, dass im Zusam-
menhang mit dem BR-Studio Franken der
Vorwurf sexueller Belästigung aufkommt.
Nach SZ-Informationen soll eine Führungs-
kraft seines Umgangs mit Frauen wegen
schon länger in der Kritik stehen. Einer jun-
gen Frau soll er noch vor deren Dienstan-
tritt als Praktikantin im Studio schwülsti-
ge und schlüpfrige Textnachrichten ge-
schickt und dabei auch frivole Bemerkun-
gen zu ihrem Äußeren gemacht haben. Die
junge Frau beschwerte sich bei der Gleich-
stellungsstelle des BR und legte die Nach-
richten vor, woraufhin der Mann 2017 eine
Abmahnung kassierte. Weder er, noch der
BR wollten sich auf Anfrage dazu äußern.
Gesprächsstoff liefern die beiden Vor-
gänge natürlich trotzdem auf dem fränki-
schen BR-Areal. Hier ist ein Mann offenbar
belästigend auffällig worden, hat seine Ab-
mahnung akzeptiert und ist nach wie vor
in Führungsamt und Würden. Eine Studio-
leiterin, die Vorwürfe erhebt, selbst Opfer
sexueller Belästigung geworden zu sein,
ist hingegen weg. Wobei der BR betont,
dass die erhobenen Vorwürfe nichts mit
der Abberufung zu tun haben. Degmair
und der BR haben sich nach jener Abberu-
fung auf eine Trennung Ende 2020 geei-
nigt; bis dahin ist sie freigestellt, erhält wei-
ter ihr Gehalt, plus Abfindung obendrauf.
In dieser Gemengelage erlebt Forch-
heimer seine ersten Tage in neuer Funkti-
on, und auch wenn er aus Rom heikle The-
men gewöhnt ist – die Einstiegsbedingun-
gen in Franken könnten komfortabler sein.
Zumal es dort noch andere Baustellen gibt.
Wer sich derzeit im fränkischen BR um-
hört, erfährt Geschichten, die häufig von
großer Unzufriedenheit handeln und ihren
Ursprung zum Teil lange vor der kurzen
Ära der Studioleiterin Degmair nahmen.
Manches trägt fast schon unfreiwillig-ka-
barettistische Züge und würde gut in die
Fernsehformate passen, die in Nürnberg
aufgezeichnet werden. „Kabarett aus Fran-
ken“ zum Beispiel, oder „Asül für alle“.

Diese Shows werden seit 2000 im Foyer
des dortigen Fernsehgebäudes produziert,
das dafür etwa zehn Mal pro Jahr zum TV-
Studio mit Platz für Besucher umfunktio-
niert wird. Erstaunlich nur, dass internen
Dokumenten zufolge, die der SZ vorliegen,
dafür über viele Jahre hinweg weder die
vorgeschriebenen bau- noch brandschutz-
rechtliche Genehmigungen vorlagen. Was
im BR entweder lange niemandem auffiel
oder womöglich einfach ignoriert wurde.
Am Anfang, so teilt der Sender auf Nach-
frage mit, habe man noch „einzelfallbezo-
gene Genehmigungen“ bei den Behörden

eingeholt. Dann eine lange Zeit wohl nicht
mehr. Geregelt wurde die Angelegenheit
erst 2017, unter anderem nachdem Exper-
ten der Nürnberger Feuerwehr bei einer
Ortsbegehung massive Sicherheitsmängel
rügten. Seither hat der BR nach eigenen An-
gaben „eine mittlere fünfstellige Summe“
in baulichen Brandschutz investiert. Nun
hat alles seine gute Ordnung. Übergangs-
weise. Bis im Frühjahr 2021 der neue Multi-
funktionssaal in Betrieb genommen wird.
Auch dieses Bauprojekt hat eine ganz ei-
gene Geschichte. 8,25 Millionen Euro soll
der Saal kosten. „Wir haben über das Pro-

jekt in den vergangenen Jahren gründlich
nachgedacht“, versicherte Intendant Wil-
helm beim Spatenstich 2018. Als dann die
Baukosten davonzugaloppieren drohten,
kam es intern zu kuriosen Spardebatten.
So sollte die Heizleistung im Saal reduziert
werden, was bei Veranstaltungen mit weni-
ger als 40 Teilnehmern diese hätte frieren
lassen. Zwischenzeitlich wurde auch ein
Verzicht auf die Befeuchtungsanlage favo-
risiert, was die von Anfang an geplanten
musikalischen Produktionen mit Flügel
und Holzinstrumenten unmöglich ge-
macht hätte. Auch Abstriche bei der Raum-
akustik standen im Raum, wodurch Kam-
mermusik-Produktionen unmöglich ge-
worden wären. Und zu guter Letzt wies die
Stadt Nürnberg darauf hin, dass maximal
zehn Veranstaltungen über 22 Uhr hinaus
pro Jahr zulässig wären. Aus Gründen des
Lärmschutzes für die Anwohner.
Inzwischen seien für all dies Lösungen
gefunden, versichert der BR. Für den An-
wohnerschutz gebe es ein Konzept, das
mehr als nur zehn Abendveranstaltungen
erlaube. Die Raumakustik werde man sinn-
voll für „möglichst viele Nutzungen“ gestal-
ten, und die Befeuchtungsanlage soll auch
eingebaut werden. Alles gut also?
Klar würde man nun gerne wissen, was
Tassilo Forchheimer über all das denkt.
Und auch darüber, ob der Weg von Rom
nach Nürnberg ein wirklich verlockender
Karriereschritt ist? BR-Leute sagen: Dass
mit Forchheimer einer aus der ersten Rie-
ge der BR-Auslandsstudio-Leiter nach
Franken gesandt wurde, zeige, welche Be-
deutung dem Regionalstudio derzeit beige-
messen wird. Forchheimer stehe für diplo-
matisches Geschick und gute Nerven. Ein
Mann eben, den das Haupthaus in kompli-
zierte Gebiete schicken kann: erst Italien –
jetzt Franken. Forchheimer selbst mag der
SZ dazu nichts sagen. Dass Schweigen mit-
unter das Beste ist, was man tun kann, das
wird er im Vatikan beobachtet haben.

Tassilo Forchheimer ist neuer
BR-Chef inNürnberg.

Der Mann habe immer wieder
mit seiner sexuellen
Leistungsfähigkeit geprahlt

Der BR Franken als
Baustelle: Im Juni
2018 schritten
BR-Intendant Ulrich
Wilhelm (zweiter von
links) sowie
die damalige
Landtagspräsidentin
Barbara Stamm und
Studioleiterin
Kathrin Degmair zum
Spatenstich. Der neue
Multifunktionssaal
soll das Studio in
ein neues Zeitalter
führen.FOTOS: BR,
PHILIPP KIMMELZWINGER,
VITTORIO ZANNELII

Der Polier aus Rom soll es richten


TassiloForchheimer hat die Leitung des BR-Studios in Nürnberg übernommen. Auf den ehemaligen Italien-Korrespondenten wartet dort einiges an Arbeit.
In der Causa Degmair sind noch etliche Fragen offen – und auch sonst ist der Außenposten der ARD in vielerlei Hinsicht eine Baustelle

DEFGH Nr. 242, Samstag/Sonntag, 19./20. Oktober 2019 BAYERN R21


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