Berliner Zeitung - 19.10.2019

(Tina Sui) #1
BLZ/GALANTY; QUELLE:
AMTACHELES.DE

Oranienburger
Tor

Oranienburger

Str.

Linienstr.

Friedrichstr.

Johannisstr.

Hotel Bestand
Neubau

Wohnen

Wohnen

Arbeiten

Arbeiten

Arbeiten

Einkaufen Einkaufen

Einkaufen

Einkaufen

Einkaufen

Einkaufen

Einkaufen

Einkaufen

Wohnen

Wohnen

Wohnen Wohnen

Kultur
Eingang zur
Passage

Kunsthaus
Tacheles

Berlin


10 * Berliner Zeitung·Nummer 243·19./20. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································


Stasi,Trabi,


CIA-Fritzen


A


ufdem Bahnhofseheicheinselt-
samesPlakat:Deramerikanische
Sänger David Hasselhoff steht in ei-
ner Mauer-B resche,die aussieht, als
habe sie ein panischerElefant der
Truppen Hannibals beim Durch-
bruchhinterlassen.HinterHasselhoff
ragt der Fernsehturmindie Höhe.
AlsosindwirnichtbeiHannibal,son-
derninBerlin.QuerüberdemPlakat
steht „Upagainst the Wall. Mission
Mauerfall“. In kitschigenFarben. Es
geht,wiemanliest,umeinHörbuch
Hasselhoffszum9.Novembervor
Jahren.Essolldie„vielleichtwahrsten
FaktenzurWende“enthalten.
„Hör mir uff! Vonwejen wahrste
Fakten“,schimpftmeininnererBerli-
nersofortlos.„Watsoll’nwadaschon
Neuet erfahrn?Wirwissen dochalle:
DerHaselhopfhat die Mauer wegje-
sungen.Ditisdie historische Wahr-
heit. Zumindestgloom dit die Amis.
,Aiiif bien luckingvorFriedämm‘,
hatta jeträllert. Wenn de den süßli-
chen Quatsch hörst, denn weeßte
ooch,warumdieMauerumjefallnis.
DabröseltamEndejedaStein.“
Ichberuhige meinen unsachli-
cheninnerenBerlinerundguckemir
an, was die „wahrstenFakten“ sind,
umdieesimHasselhoff-Hörbuchge-
hen soll. Ichfinde folgende Ge-
schichte:DerCIA-AgentNickHarper
weilt1989inBerlin.ErsolldenStasi-
General Hoedel finden, bevor dieser
denMauerfallverhindernkann.Kurz
nach dem Grenzübertritt wirdNick
Harper leider vonStasi-Agenten
überrascht.SeinGlückist,dasserDa-
vidHasselhoffzumVerwechselnähn-
lich sieht. Er entkommt,weil ihn
Hildy,ein Hasselhoff-Fan, in ihrem
TrabimitnachHausenimmt.Parallel
dazuwirdderechteDavidHasselhoff
vonder CIA-AgentinGreta mit Nick
Harper verwechselt.Als sie merkt,
dass er nicht Harper ist, versucht sie
erst, ihn auszuschalten.Doch dann
müssenbeidevorderStasifliehen.Es
beginnt ein irres Abenteuer,das sie
querdurchBerlinführt.
„Halt! Stopp! Sofortuffhörn!!“,
ruft mein innererBerliner.„So ein
Blödsinn!Stasi,Trabiund Haselhopf
als CIA-Fritze. Re icht et nich, detta
jesungenhat?“Ja,doch,reicht.
Apropos gesungen:Wenn ich an
die 89er-Zeit vordem Mauerfall
denke,dann habe ichnicht den an-
geblich so einflussreichen „Free-
dom“-Song Hasselhoffs im Kopf,
sondernganz andereLieder.Näm-
lich jene,die die Stimmung des
Landes einfingen, das auf denUm-
bruchzutrieb.„IndiewarmenLän-
der/würdensiesogernefliehn./Die
verlornenKinder/indenStraßen
vonBerlin“,sangSilly.Oder:„Das-
selbeLandzulangegesehn,/die-
selbeSprachezulangegehört./Zu
langegewartet,/zulangegehofft,/
zulangediealtenMännerverehrt.“
EinSongvonPankow.Washabenwir
denn gewollt?Soziale Gerechtigkeit
undFreiheit!
„Boah,ja!DusensiblerOssi-Fritze!
Ditwill doch keena mehr wissen“,
ätztmeininnererBerliner.„AmEnde
hat sich ehmHaselhopf uff ditJanze
ruffjesetzt und ist mit Blinklichta
anne Jacke amBrandenburjerTor
rumjehopst.SoisditmitteJeschichte.
Milljonensindin’Westenjeranntund
mit Cola und billijeElektronik zu-
rückjekomm.UndallehamseHasel-
hopf jehört.Unddie janzenKoof-
michs ham fetten Schmott jemacht
mitte Mauer.Und keena wusste
mehr,wie’t wirklich war.Isjao och
ejal.IckjehjedenfallsjetzintBette.“
Da steh ich nun, ganz allein, mit
der Bresche vorAugen, dieHassel-
hoffsElefantinderMauerhinterlas-
sen hat.Oder war ’s doch Hannibal?
Egal.SchöneFeier!


ZumWeiterlesen:Torsten Harmsen:Der Mond ist
ein Berliner. Wunderliches aus dem Hauptstadt-
Kaff, be.braVerlag,Berli n2019. 224S.,14Euro.


Harmsens Berlin


TorstenHarmsen
drehtsichderKopfvor
krudenGeschichten
zum9.November.

N


ach Jahren desStillstan-
des tut sich was auf der
großen Stadtbrache zwi-
schen Oranienburger
Straße,Friedrich- und Johannis-
straße: Kräne transportieren Lasten,
Bagger schiebenSand vonhier nach
dort, Betonmischer fahren auf und
ab.Esi stwuseligundlaut.DasLeben
ist eine Baustelle,nun auch aufdem
ArealdesTachelesinMitte.Dortsol-
lenindenkommendenJahrenBüros
und Einzelhandel sowie 275Woh-
nungen entstehen–und zwar aus-
schließlich inEigentum.Dasalleine
wäreinZ eitenvonWohnungsnotund
Enteignungsdebatte umstritten ge-
nug. Doch dann ist da noch dieGe-
schichtemitderumstrittenenkünfti-
gen kulturellenNutzung der alten
Kaufhausruine.
DasHausstammtvomAnfangdes
vorigen Jahrhunderts–und erzählt
alleine wegen seiner vielerEigentü-
mer-und Nutzungswechsel ein viel-
sagendes Stück deutsch-deutscher
undBerlinerGeschichte.
Anfang1908wurdedieFriedrich-
straßenpassage eröffnet–schon ein
halbes Jahr später meldete das dor-
tige Kaufhaus Konkurs an.Noch vor
Ausbruch des Ersten Weltkriegs
wurde dasGebäude zwangsverstei-
gert. Später war es Schau- undVer-
kaufsgebäude der AEG, danach
Adresse für NSDAP-Dienststellen, zu
DDR-ZeitenObjektdesFreienDeut-
schen Gewerk schaftsbundes,an-
schließend Kinostandortbezie-
hungsweiseHeimat einesReisebü-
ros, einer Artistenschule und einer
Hundeschuranstalt.

UnterDenkmalschutz
1980 schien dieGeschichte zuEnde
zu sein, ein großerTeil des Hauses
wurde ausStatik-Gründen abgeris-
sen. Derzunächst übrig gebliebene
Teil sollte Anfang 1990 endgültig ge-
sprengt werden.
Docheheesdazukam,hattesich
der Lauf derGeschichte bekanntlich
malwiedergeändert.Am13.Februar
1990, kurzvor der geplantenSpren-
gung, besetzte die Künstlerinitiative
TachelesdieRuineundgabihrsoden
Namen, unter dem dasGebäude bis
heuteberühmt-berüchtigtist.
DieInitiativeließ ein neuesGut-
achten zurBausubstanz undStatik
erstellen.Aufgrund des positivenEr-
gebnisses wurde dasHaus zunächst
vorläufig unterDenkmalschutz ge-
stellt.ZweiJahrespäterkamdurchein
weiteres GutachtendieBestätigung.
DasTacheles entwickelte sich
raschzumMusterbeispielfürdieKul-
turder Zwischennutzung,fürdieBer-
lin in derNachwendezeit internatio-
nal berühmt war.Die Besucher ka-

meninScharen,auchdannnoch,als
diedor tproduzierteKunstlängstbe-
liebiger Ramsch geworden und die
Ruine nur noch ein bunter,pittores-
kerJahrmarktwar.
DasHauswurdebuntbemalt,aus
Schutt entstanden Skulpturen. Es
etabliertesicheinfestesKunst-,Akti-
ons-,Veranstaltungs-undKommuni-
kationszentrum.ImHausebefanden
sich zwischenzeitlich dreiDutzend
Künstl erateliers,Ausstellungsflächen
und Verkaufsräume fürzeitgenössi-
sche Kunst, dasKino High End54,
Bars und Veranstaltungsorte wie das
Café Zapata, in denenKonzerte ,Le-
sungen ,Ausstel lungen undPerfor-
mancesstattfanden.Dazugabesauf
der Freifläche hintermHaus einen
ParkausMetallskulpturen.
Es war insgesamt ein ziemlich
düsterer ,aberinseinenbestenZeiten
auch aufregender Ortmit ziemlich
widerspenstigen Bewohnernund
Nutzer n,diei hneinfachnichtaufge-
ben wollten.Dabei war dieRuine
spektakulärdreckig,stanknachUrin,
warwildbespraytundinihrerBaufäl-
ligkeitdurchausauchgefährlich:Ein-
malstürzteeineBesucherindurchei-
nen Mauerdurchbruch in denTod.
AmEnde,sos ahesau s,konnteman
dem gesamtenTacheles beim jahre-
langenöffentlichenSterbenzusehen.
1998 erwarb dieFundus-Gruppe
des Immobilienunternehmers Anno
August Jagdfeld das1250 Quadrat-
meter großeGrundstück für 2,8Mil-
lionenD-Mark.EinArchitektentwarf
ein Quarti er am Johannishof, das
rund 400 Millionen Euro kosten
sollte.Ein Investor dafür wurde nie
gefunden.
DerTacheles-Verein nutzte die
Gunst der Stunde,inder der Kapita-
lismus offensichtlich schwächelte,
und handelte mit der Fundus-
Gruppe einenMietvertragaus.Als
Mietewurde eine symbolischeMark
proQuadratmeterundMonatverein-
bart,pluseinelangeZeitnichtgenau
bezifferteNutzungsentschädigung.
Ende2008liefderVertragaus.Da-
nachgingesSchlagaufSchlagwiein
einem Wirtschaftskrimi:DerVerein
meldete Insolvenzan,weilerdiege-
forderte Nutzungsentschädigungvon
mehrals100000 Euronichtaufbrin-
gen konnte.Der Fundus-Gläubiger
HSH Nordbank forcierte eine
Zwangsversteigerung. Undauch das
gab es: EinVerstei gerungstermin
wurdenochamselbenTagabgesagt.
Einen Tagspäter verließen die übrig
gebliebenen Gastronomen gegen
Zahlung voneiner Million Euro das
Tacheles.Kurzdarau fwurden das
Kino,derHinterhof,aufdemKünstler
jederCouleureinekleineBudenstadt
etablierthatte n, sowiedas gesamte

CHRONIK

1908/





Eröffnung der Friedrichstraßenpassage,
der damals zweitgrößten Einkaufspas-
sageder Stadt. Schon ein halbes Jahr
später wird Konkurs angemeldet

1980





Der Abriss beginnt, derkomplett erhalte-
ner Kuppelbau sinkt in Schutt und Asche.
Nur ein Gebäuderest bleibt stehen

1990





Die KünstlerinitiativeTacheles besetzt
das Gebäude und leiht ihm seinen
Namen. Künstler,Gastronomen
undVeranstalter ziehen ein

2012





werden die Künstler nach langem Kampf
geräumt. Inzwischen wird auf dem
Geländegebaut. 2022 soll das sanierte
Kunsthaus eröffnen, Anfang 2023 sollen
alle Häuser stehen.

Erdgeschoss geräumt. 80 Künstler
verbliebenmitihrenAteliersundMe-
tallwerkstätten im Gebäude.Eine
WocheließderZwangsverwaltereine
knappdreiMeterhoheMauererrich-
ten,diedenDurchgangvonderOra-
nienburgerStraße zum Hofmit den
Werkstättentrennte.
ImSeptember2012wardannend-
gültigSchluss,dieAtelierswurdenge-
räumt, die Künstlervordie Tür ge-
setzt–aufeineOranienburgerStraße,
diemitdemTachelesdasletzteStück
Alternativkulturverlor.
Dennochpassierteauchnachder
ZerstörungderUtopielangeZeiterst
einmalnichts,dasHausbliebleer,die
BracheeineBrache ,unddasineiner
Gegend mit astronomischenImmo-
bilienpreisen.
Erstim September2014verkaufte
die Fundus-Gruppe,die mit dem
Geldvon Fonds-Anlegerndas Hotel
Adlon, das Quarti er 206 und das
Grandhotel Heiligendamm an der
Ostsee noch zuwegebrachte,dasGe-
lände endgültig an dieNewYorker
VermögensverwaltungPerella Wein-
bergPartn ers(PWR).
Wieesh ieß, brauchteFundus
Geld, um einenMillionen-Kredit bei
derHSHNordbankabzulösen.Inzwi-
schenistderFondsAermontCapital
mitSitzin derSteueroaseLuxemburg
Eigentümer.
Aufeiner Fläche von22500Qua-
dratmeternsollnundieklaffendeLü-
ckezwischen Oranienburger,Fried-
rich-undJohann isst raßegeschlossen
werden.VorgesehensindelfGebäude
unddreiöffentlichePlätze. Auch ei-
nenwerbewirksamenNamengibtes:
AMTACHELES.Dasumgedrehte„A“
inTachel esistals Markeeingetragen.
Rund 700 Millionen Euro sollen ins-
gesamtausgegebenwerden.

WohlklingendeNamen
AermontCapitalwillmitdemProjekt
die„höchsten relevanten Öko-Aus-
zeichnungen“ erreichen und den-
noch–odererst recht? –„hochquali-
tative, moderneImmobilen mit be-
deutenden öffentlich zugänglichen
Freiräumen“ schaffen. SchönsteIn-
vestoren-P rosa.
Sebastian Klatt, Geschäftsführer
des Projektentwicklerspwrdevelop-
ment GmbH, kann bei demWortge-
klingel locker mithalten.Geplant sei
einoffenesundöffentlichesQuartier
mit „vielfältigen Nutzungsmöglich-
keiten,aufsehenerregenderundkos-
mopolitischer Architektur und drei
öffentlichen Plätzen“, sagte er bei
Grundsteinlegung im September.
Manwolle das gesamte Areal „zu
neuemLebenerweckenundalsein-
zigartigen Kultur-, Handels- und
Wohnstandortetablieren“.Dasdenk-

malgeschützte ehemaligeKunsthaus
soll erhalten, saniertund integriert
werden.
NebendemhandelsüblichenEin-
kaufspassagen-Mix mit beliebigen
RestaurantsundCafésverspricht vor
allem dasWohnkonzeptAbwechs-
lung.BekannteA rchitektenbüroswie
Herzog&deM euron,Brandlhu ber+
Muck Petzet so wieG rüntuch Ernst
planen auf einemDrittel desGelän-
desGebäudemitklingendenNamen
wieO ro(Gold)undwohlfeilenSprü-
chen wie„Wohnen in der neuen Ar-
chitekturikoneBerlins“ –275 wohl-
weislich ausschließlich hochpreisige
Eigentumswohnungen.
Doch was ist mit derKultur? Fegt
derSiegeszugdesGeldesdieKünstler
endgültigvomStadtplan vonBerlins
mittigsterMitte.Oderblei btwomög-
lichdocheinFreirau mzumAusleben
kreativerIdeenundzur Auseinander-
setzungmitThemenderZeit?
Im Moment sieht es so aus: Die
Ruine steht unter Denkmal schutz.
DasBüroHerzog&deM euron,dasin
Berlinderzeitwegender Planungfür
ein doch sehr scheunenartigesMu-
seumde rModerneimKultur forumin
derKritiksteht,sollsiebehutsamsa-
nieren. Dabei,soheißtesind enUn-
terlagen derInvestoren ,sollen „die
Spuren de rVergangenheit bewahrt
undrespekti ert“werden.

InteresseausSchweden
DenPlänen zufolge soll dasKunst-
hausTachel esauchweiterhineinKul-
turstandortbleiben.AlsgroßerFavo-
ritfürei n„internationalesMuseums-
konzept, inklusiveRestaurant und
Veranstaltungsmanagement“ wird
Fotografiskagehandelt,eineArtFoto-
museuminderschwedischenHaupt-
stad tStockholm.
DieSchwedenbestätigtenderBer-
linerZeitungihrInteresseamTache-
les. Mansuche nach einem passen-
den Platz in Berlin und spreche der-
zeitübermehrereOrte.Aberkonkret
sei noch nichts:„Wir haben mit nie-
mandem einen Mietvertrag abge-
schlossen.“
Kannjanochwerden.Jedochgibt
es auch Kritik anFotografiska.Da es
weder über eine eigeneSammlung
verfügenochForschungbetreibeund
überdiesprofitorientiertsei,seiesgar
kein Museum. Treffender ist derBe-
griff Galerie .Böse Zunge sprechen
voneinem„IkeafürBilder“.
Istdies eine adäquate „kulturelle
Nutzung“,wieesderBezirkMitteim
Bebauungsplan fürsTacheles eigens
formulierthat?Ephraim Gothe(SPD),
Stadtrat für Stadtentwicklung, will
sich jedesKommentars überAusfor-
mung undQualit ät dieserNutzung
enthalten.Er kenne zwar dasKon-

RundumsTachelesentsteht


einneuesQuartier.Jetzthatder


KampfumdasErbedes


ehemaligenKunsthausesbegonnen


VonElmar Schütze


Die


Ideale


sind


ruiniert,


rettetdie


Ruine!

Free download pdf