Berliner Zeitung - 19.10.2019

(Tina Sui) #1

Report


2 * Berliner Zeitung·Nummer 243·19./20. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································


A


uf der einenSeite der Landstraße
fahren amerikanischePanzerwa-
gen undTransporter,Banner mit
den Stars andStripes flatternim
Wind. Ihnen kommen Lastwagen und Pick-
upsentgegen,siesindmitFlaggenindensy-
rischen Farben geschmückt. Es sind sehr
symbolischeBilder,die dieserNachrichten-
filmvorwenigenTagenausdemNordenSy-
riensge zeigthat: Dieeinenziehenab,diean-
derenrückenvor.Essind Bildereinergeopo-
litischenWende,die der Mann im Weißen
HausmitseinemBefehlzumAbzugderUS-
Truppeneingeleitethat.
„Ami go home“, das war eine über viele
Jahrzehnte fast in allerWelt beliebteParole,
wenndieUSAsichirgendwowiedereinmal
als Weltpolizist aufspielten.Nunist es eine
Parole,die DonaldTrump sich zu eigen
macht und seinenTruppen zuruft: Ami,
come home!DieBegründung lieferterp er
Twitter:„Miristegal, werSyrienhilft,dieKur-
denzubeschützen,obRussland,Chinaoder
Napoleon Bonaparte .Hoffentlich machen
sieesgut.Wirsind7000Meilenweitweg.“


7000 MEILEN WEIT WEG,das ist jetzt die
neuestrategischeDoktrinderUSA.Wirsind
uns selbst genug, bedeutet sie,lasst die an-
deren jenseits der großenMeeredoch ihre
langweiligenKriegealleinführen,washaben
wirdamitzutun.
Mankann das alsGerede einesverant-
wortungslosenSchwätzersabtun.Dochdie-
ser Mann ist Oberbefehlshaber der mäch-
tigsten Streitkräfte derWelt und politischer
Führer des dazugehörigen Landes.Und so
entsetzt derAufschrei in den westlichen
HauptstädtenundimKongressinWashing-
ton auch war–wieder einmalzeigt Donald
Trump,dassihmvielesgleichgültigist,nicht
aber dieGefolgschaft seiner Anhänger.Ih-
nenhatteerimWahlkampfversprochen,die
amerikanischenSoldaten aus den fernen
Kriegenzurückzuholen.Dassetzternunum.
Über dieFolgen mag er freilich selbst am
meistenstaunen.
Trump führtsein Land zurück in eine
Rolle,die es vorgenau einhundertJahren
schon einmal hatte.ImN ovember 1919
lehnte derrepublikanisch beherrschteKon-
gressdenvomdemokratischenPräsidenten
Woodrow Wilson mit ausgehandeltenVer-
trag vonVersaillesunddamitauchdenBei-
tritt zumVölkerbund ab.Damit verabschie-


deten sich die USA für fast 20Jahreaus der
Weltpolitik, begannen aber,ihreweltweiten
Wirtschaftsinteressen umso aggressiver zu
verfolgen.„DieamerikanischePolitikwarin
denZwanzigerjahrenmithinnichtbereit,in-
ternationaldiekonstruktiveRollezuspielen,
die dem Land gemäß seiner ökonomischen
und militärischenPotenz zukam“, stellt der
Amerikanist Horst Dippel in seiner „Ge-
schichtederUSA“fest.EsklingtwieeinUr-
teilüberdieVereinigtenStaatenderÄraDo-
naldTrump.
NunstecktindemAppellandieUSA,eine
Rolle als international wirkende Ordnungs-
macht wahrzunehmen, und in derParole
„Ami go home“ ein offenkundigerWider-
spruch.EsisteinWiderspruch,derdieWelt-
machtUSA,diesiespätestensmitdemEnde
desZweitenWeltkriegswurden,seitjeherbe-
gleitet. Dabei ist die positivsteErzählung
nochjene,diesichmitdiesemKriegverbin-
det.WennesnachderLogikTrumpsgegan-
gen wär e–immerhin liegen zwischenWa-
shington undBerlin auch noch gut 4000
Meilen–hättensichdieUSAdarangarnicht
beteiligt.SoaberwurdensiemitderSowjet-
union die entscheidende Kraft, dieHitlers
Deutschland in die Knie zwang.Unddie
danndenzunächstwenigbegeistertenWest-
deutschen denWegine ine liberaleDemo-
kratie wiesen, die sich bis heute als insge-
samt doch sehr lebenstüchtig und lebens-
werterwiesenhat.
In der Bundesrepublik ist den USA ein
KunststückgelungenwiewohlkeinerBesat-
zungsmachtzuvor:dassausdenSiegernVer-
bündete und in mancherHinsicht sogar
Freunde wurden.Dabei spielte dieBedro-
hung desKalten Krieges hier,and er Naht-
stellederverfeindetenSystemeundihrerMi-
litärblöcke,natürlich eine entscheidende
Rolle.InB erlin(West)hatdieLuftbrückeden
Wandel vonder misstrauisch beäugtenSie-
germacht zur gerngesehenen Schutzmacht
schon früh beschleunigt.Wann wären eins-
tige Besatzer sowehmütig verabschiedet
worden wie 1994 die letztenSoldaten der
amerikanischenBerlinBrigade?
Daswar 25 Jahrenachdem auch durch
West-BerlinerStraßen dieParole „Ami go
home“ schallte: während der großenDe-
monstrationengegendenVietnamkrieg.Da
zeigten die USA ihreandere, die hässliche
Seiteder Weltmacht,diemitallenMittelnih-
renhegemonialenInteressennachging.Da-
beidrehteessichwiestetsdarum,denEin-

DerAngriff auf den


Irak hat die ganze


Region in Brand


gesetzt und


denTerrorismus des


sogenannten


IslamischenStaats


überhaupt erst


entstehen lassen.


WennTrump nun die


US-Truppen aus


Nordsyrien abzieht,


ist es dieFlucht


vordieser


Verantwortung der


Vereinigten Staaten.


Siehaben die


verheerenden Kriege


erst entfacht


und verweigernnun


die Hilfe beim


Löschen und beim


Schützen derOpfer.


flussbereich der kommunistischen Mächte
Sowjetunion und China zu begrenzen, den
Zugang zuRohstoffen zu sichernund über-
hauptdafürzusorgen,dassdieUS-amerika-
nischenInteressen politischer und ökono-
mischerNaturmöglichstüberallaufderWelt
zurGeltungkamen.DazuwareninWashing-
ton alleMittel parat:Stellvertreterkriege in
Afrika, Umstürze linksverdächtigerRegie-
rungen in Lateinamerika, direktes militäri-
schesEingreifenwieinVietnam.
DerVietnamkriegwardanneininvielerlei
HinsichtprägendesEreignisfürdieVereinig-
tenStaaten.ErstmalsverlorendieUSAeinen
Krieg,dasLandglittMitteder Siebzigerjahre
ineinekollektiveDepression.DieBildervon
derEvakuierungderletztenUS-Diplomaten,
Militärs undZivilisten aus der umzingelten
BotschaftinSaigonmithilfevonHubschrau-
bernvom Dach des Gebäudes gruben sich
als Zeichen der Schmach in das kollektive
Gedächtnis der USA ein. Es waren an die
60000 tote US-Soldaten zu beklagen (sowie
1,1 Millionen nordvietnamesischeSoldaten
und zweiMillionen vietnamesischeZivilis-
ten); und im öffentlichenStraßenbild der
USAwarendieunzähligenKriegsversehrten
nichtzuübersehen.EineständigeMahnung
an einen Krieg fernder Heimat, der den
Amerikanernnichts als Leid eingebracht
hatte.EineechteDebatteüberdenSinnsol-
cherKriegkamdennochnichtinGang.Noch
ordnetensichsolcheAuseinandersetzungen
in die großeSystemkonkurrenz mit dem
Kommunismusein,demsichdieVereinigten
Staaten in diesemFall geschlagen geben
mussten.
DarausaberwolltendiewenigstenAme-
rikanerdenSchlussziehen,solchesEngage-
ment künftig sein zu lassen.Im Gegenteil.
Denn gleichzeitig brachte dieAuseinander-
setzung mit diesem Krieg die stärkstenSei-
tenderamerikanischenDemokratiezuTage.
UnabhängigeMedien, die der Regierung
Täuschung der Bürger über dieVorberei-
tung, dieZiele und dieErfolge des Krieges
nachwiesen.EineunabhängigeJustiz,diedie
Veröffentlichung der „Pentagon Papers“
durchdieNewYorkTimesunddieWashing-
ton Post gegen den erbittertenWiderstand
der Regierung vonPräsident RichardNixon
durchsetzte.Ine inem Grundsatzurteil legte
der ObersteGerichtshof fest, dass dasGe-
heimhaltungsinteresse desStaates anvon
WhistleblowerngeliefertengeheimenRegie-
rungsdokumenten im Zweifelsfall hinter

dem Interesse der Öffentlichkeit und der
Pressefreiheitzurückstehenmüsse.
EinUrteil,dasheutesoaktuellundwich-
tigistwiedamals.Gerade versuchtdieRegie-
rung mit allenMitteln, den Whistleblower
zum Schweigen zu bringen, der die Öffent-
lichkeit über das AnsinnenTrumps infor-
mierthat,denukrainischenPräsidentenim
Wahlkampf zu instrumentalisieren. Und
schließlichgabesdamalseinebreiteBürger-
bewegung, die mit ihrenProtesten letztlich
die Regierung zumFriedensschluss inViet-
nam und schließlichNixonzum Rücktritt
zwang. Eszeigte sich eine militärisch ge-
schlagene,politischundmoralischamEnde
aber überlegeneGesellschaft.Um gerade
dieseWerte–Freiheit, Demokratie,Rechts-
staat –zuv erteidigen, sei derKampf gegen
den Kommunismus imZweifel auch mit
WaffenundanjedemOrtderWelterforder-
lich,solautetedieübergeordneteLesartam
Endeder Vietnam-Tragödie.

AM ENDE DER ACHTZIGERJAHREhatte sich
der Kampf gegen denKommunismus dann
sozusagenvonselbsterledigt.DieMauerfiel,
dieSowjetuniongabsichselberaufunddie
Systemkonkurrenz war beendet.DerSieger
hieß Kapitalismus und seine Führungs-
machtUSA.EsfolgtenwildeNeunzigerjahre,
in denen derNeoliberalismus nahezu alle
Schranken einriss,die westliche Staaten
eben um derSystemkonkurrenz willen er-
richtet hatten. Sozialstandards wurden
ebenso geschliffen wie dieRegulierungvon
BankenundFinanzmärkten,derStaatwurde
zurückgedrängt,derMarktsollteseineKräfte
ungezügelt entfalten und seine Überlegen-
heitzeigenkönnen.
Dasfiel zusammen mit derAusbreitung
desInternetsunddererstendigitalenRevo-
lution.PlötzlicherlangtendieUSA,dieöko-
nomischschonvonJapanabgehängtzuwer-
den drohten, neue Dominanz.Microsoft,
Apple,Google übernahmen die technologi-
sche und kulturelleHerrschaft der digitalen
Welt.DasMilitärischespielteindenNeunzi-
gerjahren kaum noch eineRolle,überall
wurde abgerüstet, dasWort vonder Frie-
densdividende war in allerMunde.Ein lä-
chelnder,weltoffenerBill Clinton führte die
USA trotz desvonhysterischenRepublika-
nerngegen ihn betriebenen Amtsenthe-
bungsverfahrens durch ihr glücklichstes
Jahrzehntseitlangem.

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2 * Berliner Zeitung·Nummer 243·19./20. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································


US-PräsidentDonaldTrumpholtseine


TruppennachHause.Diesegeopolitische


WendewirddieWeltverändern


DPA/HUBERT VAN ES; DPA/WOLFGANG KUMM

VonHolger Schmale


Ami,


comehome


1994 –Proben für die letzte Militärparade derWestalliierten.
Nach 49 Jahren ziehen die USA sämtlicheTruppen aus Berlin ab.

1975 –US-Diplomaten, Militärsund Zivilistenwerden vom Dach der
umzingelten Botschaft in Saigon gerettet.
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