Berliner Zeitung - 19.10.2019

(Tina Sui) #1

Berlin bewegt sich


20 Berliner Zeitung·Nummer 243·19./20. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································


Ruhig und trotzdem rasant: Eisschnellläufer beimTraining im Horst-Dohm-Stadion in Wilmersdorf. THOMAS UHLEMANN


VonSusanne Rost

MitKarachoindieKurve


ZumStartderEislaufsaison:EinSelbstversuchaufderlangenKufe


A


ufdem WegzumWilmers-
dorfer Eisstadionmussich
an Gunda Niemann-Stir-
nemann denken, an Clau-
dia Pechstein und AnniFriesinger:
WiesieinihrenhautengenAnzügen
mit langenruhigen Schritten über
dasEisgleiten,denOberkörperweit
vorg ebeugt,indenKurvendeninne-
renArmaufdenRückengelegt,wäh-
rend der äußeremitschwingt.Ele-
gantundrasantwirktedasimmerim
Fernsehen. Spitzenläufer erreichen
eine Geschwindigkeitvon48Kilo-
meterproStunde,imS printmanch-
mal kurzzeitig sogar 60 km/h, habe
ich bei derVorbereitung auf meine
Schnupperstunde imEisschnelllauf
gelesen.


BrotmesseruntermSchuh

Aufdem 400-Meter-Ring desHorst-
Dohm-Eisstadions inWilmersdorf
drehen an diesemMontagnachmit-
tag schon ein gutesDutzend Läufer
ihreRunden. Einige tragen dünne
Ganzkörperanzüge,anderenormale
Laufklamotten.Zwei Männer sind
unglaublich schnell unterwegs,sie
fahren ganz eng hintereinander –
wiebeimSpeedskaten.
„Manistsovielschnelleralsbeim
normalenLaufen,dasmachtSpaß“,
sagtHerbertMollien.Der68-Jährige
ist der Obmann, also eine ArtPräsi-
dent, derEisschnellläufer imBerli-
nerEissportverband.InseinerHand
hälterdieSchlittschuhefürmich:Ihr
Lederistweichunddünn,derSchuh
endet unterhalb des Knöchels,die
Kufeistvielleicht40Zentimeterlang


–viellängeralsbeieinemKunstlauf-
Schlittschuh. Siehat vorneauch
keine Zacken und scheint deutlich
dünner,wirkt fast wie einBrotmes-
seruntermSchuh.
Barfuß schlüpftHerbertMollien
in seine Schlittschuhe.„Da hat man
ein besseresGefühl“, sagt er.Als er
sich erhebt und RichtungEisbahn
geht, macht es bei jedem Schritt
„Klack“.SeineSchuhehabenbeweg-
licheKufen,arrettiertsindsiemitei-
nemKlappgelenkunterdemVorder-
fuß, dieFerse kann man abheben
wie beim klassischen Langlauf.
„Klack, klack, klack“–HerbertMol-
lien ist schon fast auf derEisbahn.
Nichtswiehinterher!
ZudiesemZeitpunktbinichnoch
frohgemut und zuversichtlich:
Schlittschuhe sind mirvertraut, die
Bewe gungaufdemEisauch.Sogroß
kann der Unterschied zwischen
Kunstlauf-undSchnelllaufnichtsein,
denkeich.Undfreuemichschonauf
dasGunda-Anni-Claudia-Gefühl.
Doch schon der erste Schritt auf
demEisistandersalsgedacht.Mei-
nen Füßen fehlt derHalt der knö-
chelhohen Schlittschuhe,oft kni-
ckenmeineSprunggelenkenachin-
nen ein, dann beginnen auch noch
meineKniezuzittern.Ichtrauemich
kaum,einenSchrittzumachen.
HerbertMollien nimmt mich an
derHand,gemeinsamtastenwiruns
amäußerenRanddesRingsentlang,
während innen dieProfis vorbeiflit-
zen. Wirkommen dagegen nur im
Schritttempo voran–anGleiten,
Flitzen, Sprintenistnichtzudenken.

Einkleines Mädchen läuftvonhin-
ten heran, schaut uns kurzzuu nd
fragtmichdann:„DeinerstesMalauf
Langkufen?“DieSiebenjährige er-
zählt,dassihrderUmstiegvomEis-
hockeyschuhaufdieSchnelllaufkufe
auch nicht leichtgefallen ist.Aber
jetztmerktmandavonnichtsmehr:
IsabelstakstmitenergischenSchrit-
tenim Sprintdavon.Etwasneidisch
gucke ich dem Mädchen mit dem
BSV-92-Überzieherhinterher.
DerBerliner Sportverein (BSV)
von1892 ist einervonsiebenVerei-
nen mitEisschnelllaufabteilung in
derStadt.DiedesBerlinerTSCistmit
rund200 Mitgliederndiegrößte,die
mit elf Angehörigen kleinste ist die
der Eisbären Juniors.Dortist aber
Berlins prominenteste Eisschnell-
läuferin Mitglied: die fünffache
OlympiasiegerinClaudiaPechstein.
Aber auch der BSVvon1892 hat
Spitzenathleten in seinen Reihen:
Lukas Mann, seit Februar Junioren-
Weltmeister über die 5000-Meter-
Distanz.HerbertMollienerzähltbe-
geistertvon dem 20-Jährigen,
schließlichisterobendreinderVor-
sitzendederEisschnelllaufabteilung
des BSV ,die er 1978 mitgegründet
hat.ÜberdenHochschulsportseier
einstzumEislaufgekommen.Alsdas
WilmersdorferStadion1974eröffnet
wurde ,warMollienschondabei.
NachunserererstenRundeführ ter
mich zurBande.Wir halten uns dort
fest. Nebeneinanderstehendzeigt er
mir,wiesichdieBeinebewegenmüs-
sen, wie derAbstoß funktioniertund
dasBeinanschließendkorrektwieder

nach vornekommt. Etwa ein Jahr
dauerees, bis ein Anfänger gut eis-
schnelllaufenkönne,sagter .Ichkon-
zentrier emich auf dasGezeigte und
wageeineneueRunde,diesmalallein.
Es geht etwas besser,fühlt sich
aberimmernochwackeligan.„Geh
mehr in die Knie,beug dich nach
vorn“,ruftmirmeinPrivattrainerzu.
Dannläuft HerbertMollieneinpaar
Meter vormir,ich versuche,seine
Bewe gungen zu imitieren, lege wie
ereine HandaufdenRücken.

FliegenoderFallen
„Das sieht schon viel besser aus“,
ruft mir Gertraud Budde zu, die ich
in der Umkleidekabine kennenge-
lernt habe.Sie sei vomEiskunstlauf
undEistanzvormehrals zehnJahren
zum Eisschnelllauf gekommen. „Es
fühltsichanwiefliegen“,schwärmt
die Frau, die bei internationalen
WettkämpfeninderAK70startet.
DiesesGefühlwillsichbeimirge-
rade noch nicht sorecht einstellen.
Statt Fliegen denke ich ansFallen.
Aber ab und an gelingt es mir,für
eine Sekunde oder zwei, auf einem
Bein zu gleiten.Icherinneremich,
was mirIsabel zugerufen hat: „Du
musst dein ganzesGewicht auf das
eine Bein verlagern, das andere
muss ganz leicht sei.“Dann versu-
cheich,dasfreieBeinsonachvorne
zuführen,wieHerbertmirdasander
Bandege zeigthat. Undwieichesaus
den Fernsehübertragungen kenne.
Ichbekomme zumindest eine Ah-
nung, wie es sich anfühlen könnte,
wennmandieTechnikbeherrscht.

HIER GEHTS RUND

Vereine:Sieben Eisschnell-
laufvereine gibt es in Berlin.
Sie zählen insgesamt knapp
550 Mitglieder.Mehr Infor-
mationen auf der Internet-
seite desVerbandes:
http://www.eissport-berlin.de

Kinder:Ein Probetraining
für den Nachwuchs bieten
der Eissportverein 08,
(Di/Do 16.30–18.30 Uhr),
der SCC (Mi /Fr 16–18 Uhr)
und derBTSV (Di 17–18.
Uhr &Fr16–17.45 Uhr.

Erwachsene:Beim BSVvon
1892 gibt es mittwochsvon
17.30 bis 19 Uhr eine Lauf-
zeit mitAnleitung für Erwach-
sene imWilmersdorfer Horst-
Dohm-Stadion. Mehr Infor-
mationen: http://www.bsv1892.de

Eisschnelllaufexperte HerbertMollien und die kleine Isabel unterstützen die Autorin
bei ihren ersten Schritten auf der langenKufe. THOMAS UHLEMANN

AnderfrischenLuftundinderHalle


Rund


A


nzweiOrtenin BerlingibtesEis-
schnelllauf-Ovale–inH ohen-
schönhausenundinWilmersdorf.
In Hohenschönhausen ging es
bereitsinden60er-Jahrenrund,da-
mals noch unter freiemHimmel.
1986wurdedie400-Meter-Kunsteis-
bahn dann überdacht.Heute exis-
tiertimS portforumHohenschön-
hausennebendemklassischenRing
nocheine266-Meter-Kurzbahn.
Allerdings kann dortimM oment
nicht gelaufenwerden:Wegen einer
Havariegibt es derzeit kein Eis. Der
ursprünglich fürMitte September
geplanteSaisonstartfür den Publi-
kumslaufverzögertsichvoraussicht-
lich bis Ende Oktober oder Anfang
November,sod erBetreiber.
BereitsseitAnfangOktobergeöff-
net ist dagegen der 400-Meter-Ring
im Horst-Dohm-Stadion in Wil-
mersdorf.MehrInfosim Internet:
http://www.form-dienstleistungen.de
http://www.horst-dohm-eisstadion.de

A


uchim1956eröffnetenNeuköll-
nerWerner-Seelenbinder-Sport-
parkgab es zeitweise eineEis-
schnelllaufbahn.Dafür wurden die
beiden Eisflächen miteinanderver-
bunden und dieBande abmontiert.
Aufder 200 Meter langenKurzbahn
wurdenzwischen1958und1968so-
gar sechsDeutsche Meisterschaften
ausgetragen.Heute sind dieFläche
für den Publikumslauf sowie die
„Kampfbahn“ fürEishockey dauer-
haftgetrennt.AndiesemSonnabend
startet dasEisstadion in derOder-
straße182indieneueSaison.
Ursprünglich wollte auch das
Erika-Heß-Eisstadion im Wedding
an diesemSonnabend erstmals öff-
nen. Aber weil es zu Wochenbeginn
sowar mwar,seiesnichtmöglichge-
wesen, auf derFreifläche Eisaufzu-
bauen, hieß es.Saisonstartsoll nun
am26. Oktobersein.MehrInfos:
http://www.berlin.de/special/sport-und
fitness/adressen/eisbahn/

Eckig


B


erlins jüngste Eissportanlage
steht in Charlottenburg:Dieim
März2012 eröffneteHalle an der
Glockenturmstraße wirdaber
hauptsächlichvonVereinengenutzt,
am Wochenende findet beispiels-
weise gar kein öffentlicherEislauf
statt. In der „PO9“ genannten, seit-
lich offenen Halle haben dieEis-
meister schonWasser gefrieren las-
sen,bereitsseitdem7.Oktoberkann
man dortSchlittschuhlaufen. Aller-
dingsstehtdieHalleinderZeitvom
28.Oktoberbis26.Novemberfürdie
Öffentlichkeit gar nicht zurVerfü-
gung.
Neben den staatlich betriebenen
Eissportanlagen gibt es private,die
aber traditionell immer erst später
öffnen: die in Lankwitz und am Rü-
bezahlam9.November,dieam See-
badFriedrichshagenvoraussichtlich
erst Ende November.Daneben wird
es im Rahmen vonWeihnachts-
märktenweitereEisbahnengeben.

Seitlich offen


Eisschnelllaufhalle im Sportforum
Hohenschönhausen IMAGO IMAGES

Eisschnellauf im Neuköllner Sta-
dion, um 1970 GSH

Publikumslauf in der Charlotten-
burger Halle AKUD/LARS REIMANN
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