Berliner Zeitung·Nummer 243·19./20. Oktober 2019–Seite 32**
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Panorama
NACHRICHTEN
Vater von isolierterFamilie
wollte offenbar Sekte gründen
ImmysteriösenFallumdieisolierte
FamilieaufeinemBauernhofimnie-
derländischenRuinerwoldkonzen-
trierensichdieErmittlungennunauf
dasMotiv.Vielesweistdaraufhin,
dassderamDonnerstagfestgenom-
meneVatereinesekt enähnlicheGe-
meinschafterrichtenwollte.Der6È-
jährigeGerritJanvanD.sollnachAn-
gabenderPolizeischonvorvielen
JahrendasisolierteLebeninderNa-
turunddieSelbstversorgungmitei-
genemGemüsepropagierthaben,so
wieesaufdemBauernhofdanntat-
sächlichgeherrschthabe.VanD.ge-
hörteinden80er-JahrenderVereini-
gungskirchedesKoreanersMoonan.
DieSekte soll eraber198È verlassen
undseineeigeneGruppegegründet
haben.AuchderPächterdesHofes,
derebenfallsfestgenommene58
JahrealteÖsterreicherJosefB.,habe
lautPolizeiderSekteangehört.(dpa)
Lange Zeit festsitzender
Marsmaulwurf gräbt wieder
DerlangeZeitfeststeckende„Mars-
maulwurf“gräbtwieder:Derin
DeutschlandentwickelteBohrrobo-
teraufdemMarshatsichindenver-
gangenenzehnTagengutzweiZen-
timeterweiterindieTiefebewegt.
Dasseien„guteNachrichten“,teilte
dasDeutscheZentrumfürLuft-und
Raumfahrt(DLR)amFreitaginKöln
mit.DasalsMaulwurfbezeichnete
GerätHP3solldenWärmestromim
InnerendesRotenPlanetenmessen
unddafürfünfMetertiefindenBo-
deneindringen.Essteckteaber
mehralseinhalbesJahrlanginnur
35 ZentimeternTiefefest.(dpa)
Hobby-Pilzforscherin
findet neue Pilzart
Der Neuzugang im Pilz-Universum heißt:
Inocybe heidelbergensis. DPA
DieVielfaltderArtennimmtgenerell
ab,aberabundzuwerdenauchneue
gefunden:DieHobby-Pilzforscherin
DitteBandiniausHeidelberghatge-
radeeineneueArtausder Gattung
derRisspilzeentdeckt.AufEntde-
ckungstourimGebietder Sandgrube
Mauerbei Heidelberghabesieden
biszufünfZentimeterhohenLamel-
lenpilzmithellbraunerKappegefun-
den,teilteBandinimit.ObderPilz
wiediemeistenExemplar ederGat-
tunggiftigist,seinochunklar.(dpa)
28 Tote nach Hochwasser in
Ghana
ImNordostenGhanassindbeiÜber-
schwemmungen28Menschenums
Lebengekommen.Nachsintflutarti-
genRegenfällenseienzudemhun-
derte EinwohnerausihrenHäusern
geflohen,wiedieBehördenamFrei-
tagmitteilten.Meteorologenwarn-
ten,dassderRegennochbisNovem-
beranhaltenkönnte.„Etwa640
MenschensindausetwasechsGe-
meindenvertri ebenworden“,sagte
derSprecherdesKatastrophen-
schutzes.„WirstellenihnenUnter-
künftezurVerfügung.“Hilfsgüter
seienausder800Kilometerentfern-
tenHauptstadtAccraaufdem Wegin
diebetroffeneRegionnaheder
GrenzezuB urki naFaso.(AFP)
LEUTE
Robbie Williams und HeleneFischer
sindglücklichvereint!Derbritische
Superstar(45)unddiedeutsche
Schlagersängerin(35)habensichfür
einenachgeradeheiligeMissionzu-
sammengetan:Williamswirdam22.
NovemberzumerstenMalinseiner
Karrier eeinAlbummitWeihnachts-
liedernveröffentlichen,esheißt„The
ChristmasPresent“undenthälteben
aucheinDuettmitFischer–diebei-
dengebendenEartha-Kitt-Klassiker
„SantaBaby“zumBesten.Williams
schwärmt:„Heleneistunglaublich
hübschundhateinegroßartige
Stimme.InihrerNähehabeichmich
immerwohlgefühlt.“Wow!
ChristinaKoch undJessicaMeirha-
bengemeinsamGroßesvollbracht:
MitdenbeidenUS-Astronautinnen
sinderstmalsinderGeschichteder
bemannten(sic!)Raumfahrtzwei
FrauenbeieinenAußeneinsatzander
InternationalenRaumstationISSal-
lein(!!!)unterwegsgewesen.Halten
wirfest:WirschreibendasJahr2019 ́
zweiFrauenohnemännlicheBeglei-
tungsSensation!Echtjetzt·!Fürdie
studierteElektroingenieurinKoch
(40)waresbereitsdervierteAußen-
einsatz,dieBiologinMeir(42)verließ
zumerstenMaldieRaumstation.Die
Frauenrepariertenaufihrerhistori-
schen,rundsechsstündigenMission
amFreitageinenStromregler.
WilliamundKatewurdenordentlich
durchgeschüttelt.Bekanntlichsind
derbritischePrinz(3È)undseine
Frau(3È)geradeaufBesuchinPakis-
tan.DochinderNachtzuFreitag
konnteihrFlugzeugwegeneines
SturmsnichtinderHauptstadtIsla-
mabadlandenund
musste,wieeshieß,in-
mitten„schrecklicher
BlitzeundTurbulen-
zen“aufeinenan-
derenFlughafen
ausweichen.Wil-
liamscherzteim
Anschlussgegen-
überdenmitgeflo-
genenJournalis-
ten,erselbstseige-
flogen,undnahmdie
Unannehmlichkeiten
aufseineKappe.
DurchläuchtigerWitz-
bold!(schl.)
Ob’sstürmt, ob’stost: Eure
Majestät belieben zu
scherzen. GETTY IMAGES
TIERE
Die Macht des Drogenkartells,die
StadtmitderhöchstenMordrateder
Welt:Medellngalteinstalsgefähr-
lichsterOrtderWelt.Dochinden
letzten20JahrenhatsichdieHaupt-
stadtderkolumbianischenBerg pro-
vinzAntioquiazueinermodernen
Metropolegewandeltundwurde
2013vomWallStreetJournalsogar
zur„innovativstenStadtder Welt“er-
nannt.Undalswär edasnichtgenug:
MedellnhataucheinenZoo,den
kleinen,aberfeinenParqueZoolo-
gicoSantaFe.Vondor terreichenuns
jetztdiefriedlich-flauschigenBilder
vongeradeeinmaleineWochealten
Flamingo-Küken.(schl.)
Früh übt sich: der Ein-Bein-Stand
beim Flamingo. AFP/JOAQUIN SARMIENTO
S
ovielvorab:Ichhattekeineigenes
Tretauto.Meine Elternwollten
das nicht. Ichweiß nicht, warum.
AbermeinFreundReinerhatteeins–
und zweiGeschwister.Die können
sichdas Spielgerätteilen,hattenRei-
ners Elterngesagt und eins gekauft.
EswardasTretauto„Liliput“,derVor-
gänger vomvierrädrigenZekiwaMC
104.ReinersFahrzeugwargrün,hatte
zweiluftbereifteRädervornundeins
hinten.Besondersmarkantwarinder
MittedesRahmenseinHebelmitei-
nem runden Knauf. Es war der
Bremshebel,der bei Reiner nicht so
rechtfunktionierte.
Ichdurfteauchabundzufahren.
Für Sahnebonbons natürlich.Gegen
das süßeZeug hatten meineEltern
nichts,abergegeneinTretauto.So
wuchs ich also imBezirkKarl-
Marx-Sta dtauf–mitmeinem
FreundunddessenGefährt.
Als dieBeineüber das
Lenkrad hinausgewach-
sen waren, kam „Lili-
put“indenKeller.Rei-
nerhat es voreinem
halben Jahr ent-
sorgt.
LutzSch nedelbach
DasDDR-Kettcar
K
aumein anderesSpielzeuginder Vorstadtsiedlunger-
zeugtemehrNeid:DasKettcarwolltejederhaben.Eswar
nichteinfachnureinTretauto,sondernstandwegenseinerro-
busten Stahlkonstruktion und der damit einhergehenden
SchwerfälligkeitindenkbargrößterNähezumAuto.
DarumgingesbeimKettcar:Ume inAutofahrerlebnis,des-
senMotorlosigkeitdurchschiereWucht igkeitsowieeinstabi-
les,zumalwack elfreiesLenkradwettgemachtwurde.DasKett-
carwarirgendwieechtimSinnevon:erwachsen.DieRealitäts-
illusionkonnteübrigensnochsteigern,wersow ieichallerlei
Motorengeräuschevorsichhinbrummte.Perfekt!
DiegrößteHerausforderungfürmichundmeinKettcarwar
allerdingsdieTodesp iste .Son anntenwireinesehr,sehrsteile
Abfahrtind ernahegelegenenKiesgrube .AufdieserPisteras-
tenwirhinunter–mindestenssoschnellwieeinrichti gesAuto.
Dachte nwir jedenf alls.Die eigentliche Lektion aber lautete:
WerAutofährt,suchtdieGefahr.ChristianSchlüter
Vorschuledes Autofahrens
M
eine Karrier eals anständiges
Mädchen endete an einem
Heiligen Abend in denSechzigern,
alsichdabeierwischtwurde,wieich
einer langhaarigen Puppeeinen
Kurzhaarschnittverpasste.Was mir
logisch erschien, denn nur zu die-
sem Zweck hatte ich sie mir ge-
wünscht.Fortan wurde ich in der
SpielzeugfragestetssowiemeinBru-
derbehand elt, er bekam dieEisen-,
ichdie Autobahn,erdasMatchbox-
Feuerwehrauto,ichde nKrankenwa-
gen.Undsof ort.An sonstenhießes:
teilen,abgeben.
DasKettcar,das fette ,zum Bei-
spiel. Wasbedeutete: kämpfen um
jedeRundeaufdemDing,dasschwer
warwieeinPanzer .Beieinemdieser
Straßenkämpferumpelte derNach-
barsjunge,derden Platzam Volanter-
oberthatteunddemichmichkühnin
denWegstellte,mitdemlinkenKett-
car-Vorderrad über meinen zarten
Fuß.Zehzermalmt,Herzgebrochen.
Beidesheilte.BettinaCosack
Feminismus
D
asSpielgerätKettcarhatwesentlichzumeinerEntwicklungbeigetragen.Ichbesaßnäml
keines.StattdessenstähltemicheinRuderrennerausdemHauseMargareteSteiff,immu
kulärenundimzwischenmenschlichenBereich:beimZiehenaneinemRundholznebstRie-
men,derdieHinterachsedeshölzernenGefährtsantrieb.UndbeimZiehenüberdenTisch.
JenerKinder,dieeininallenBelangenüberlegenesKettcarfuhren.
InfastallenBelangen.DennmeineRaritäterwiessichalsaußergewöhnlichattraktives
Tauschobjekt.SowaricheinKettcarbenutzer,ohneKettcarbesitzerzusein,undumdieEr-
kenntnisreicher,dasssicheinevermeintlicheSchwächeineineStärke verwandelnlässt.
WomitwirbeieinemganzanderenThemawären.DochwarumichirgendwanneinRuderer
wurde ,kannichjaspätermalerzählen.ChristianSchwager
Unverhoffte Alternative: Der Ruderrenner von Steiff
D
awarsie–dieFreiheit!Siekam
auf vier Rädern,standvor der
Tür des Elternhauses.Ein Kettcar.
EinGeschenkmeinesOpas.Ichwar
begeistertund vielleicht vier oder
fünf Jahrealt. Es war einSommer-
abend, und meineElternund mein
Opawinkten mir,als ich mit dem
FlitzerausStahldavonbretterte.Nur
dieStraßerunterundeinmalumden
Spielplatz und dann wieder zurück,
lautete derBefehl desRennstallbe-
sitzers ,meinesVaters,andenFahrer
desBoliden–mich.
Doch derRufder Freiheit war zu
laut, derAbend zu schön, die Räder
rolltenzuschnellüberdiefreienBür-
gersteigedesViertels ,ind emwirleb-
ten und in dem ich später die
Grundschulebesuchen sollte.
Ichvergaß Zeit und Raum
undElternundfuhrdavon
gen Horizont! DerAus-
flug endete allerdings
dannrechtabrupt,als
mein wütenderVa-
termichnachzwei
Stundenwieder
einfing.
Marcus
Weingärtner
Ruf der Freiheit
Totaler
Schaden
DerSchock:Kettler,derHers teller
deslegendärenKettcars,stelltnach
70JahrendieFertigungein.Das
Unternehmenistinsolvent.Sechs
RedakteureringenmitderFassung
underinnernsichanihrTretauto
lich
us-
B
ei den jüngerenModellen sticht
sofortdie dicke Bereifung ins
Auge.DerTrendzumSUVscheintin
den letztenJahren auch denMarkt
vonTretautos beeinflusst zu haben:
RobustheitvorEleganz. An einer
ähnlichenFrage ist meineKettcar-
Karrier ebereits196Ègescheitert.Zur
sportlichenEinübung derVerkehrs-
regeln wurde auf dem Schulhof ein
Wettrennenveranstaltet.DieFahr-
geräte sahen klasse aus,wir gaben
unsNamenwieJochenA, JackBrab-
hamundGrahamHill.AllesamtFor-
mel-1-Stars,wir kannten uns
schließlich aus.Ich war Jacky Ickx,
derBelgier.Ließsichleichtausspre-
chen,aberschwerschreiben.
Dann ging alles ganz schnell, ich
fasste nicht richtig Tritt. Mangels
Übung fehlte es an derErkenntnis,
dass man filigran eintreten muss,
ehemanaufTourenkommt.Ichaber
trat zu und dieKette sprang ab.Für
denautomobilenRennsportwarich
verloren –fürimmer.HarryNutt
Wege zur Formel 1
DasKettcar:Ein soli-
de gebauter,allemal
robuster Autosimula-
tor,gewissermaßen
der Mercedes unter
denTretautos. DPA/KETTLER
DPA VEB KINDERFAHRZEUGE MÜHLHAUSEN