Süddeutsche Zeitung - 24.10.2019

(Nora) #1
von juliane liebert

W


as macht eine Tötungsmaschine,
wenn ihr Auftrag erfüllt ist? Sie
wird Gardinenverkäufer. Was
passiert, wenn man ein böses Cyberunter-
nehmen auslöscht? Es entsteht ein neues
böses Cyberunternehmen. Was passiert,
wenn man einen Filmklassiker so lange
fortsetzt, bis wirklich keinem mehr etwas
Neues einfällt? „Terminator: Dark Fate“.
„Terminator: Dark Fate“, der sechste Teil
der „Terminator“-Reihe, schließt an den
zweiten Teil an, ist also genau genommen
der dritte Teil. Eigentlich wäre es sogar tref-
fender, ihn als den zweiten zweiten Teil zu
bezeichnen, denn „Terminator: Dark Fate“
ist bis in Handlungsdetails eine Kopie von
James Camerons „Terminator 2“.
Damit man das versteht, findet sich am
Anfang des Filmes ein Übergang: Man
sieht Recaps von Sarah Connor, wie sie in
der Irrenanstalt schwört, dass die Welt un-
tergehen wird – das ist dann schon der be-
wegendste Moment des Films. Dann
nimmt sich der Regisseur Tim Miller zwei
Stunden, um dieselbe Geschichte noch ein-
mal zu erzählen – nur mit (teilweise) ande-
ren Figuren.
Das heißt: Es kommt ein Killertermina-
tor (diesmal nicht Arnie, sondern Gabriel
Luna) aus der Zukunft, um diesmal nicht
John, sondern Dani Ramos (Natalia Reyes)
zu töten. Geschickt von einer anderen, bö-
sen künstlichen Intelligenz. Gleichzeitig
taucht eine aus der Zukunft gesandte Be-
schützerin namens Grace (MacKenzie Da-
vis) auf, und, als Bindeglied, die schwer
traumatisierte Sarah Connor (Linda Hamil-
ton), inzwischen eine alte, aber keinesfalls
harmlose Lady.

Alle laufen vor dem übermächtigen, da
gestaltwandlungsbefähigten Gabriel Luna
weg, der diesmal Danis Bruder und Vater
umgebracht hat. Zwischendurch sammeln
sie auch noch Arnold Schwarzenegger ein,
der immer noch ein altes Terminatoren-
Modell spielt, hier aber nichts mehr zu tun
hatte und deswegen Familie und ein Gardi-
nengeschäft hat.
Das könnte eigentlich einer der interes-
santen Aspekte des Filmes sein: Was pas-
siert mit einer Waffe in Menschenform,
wenn ihr sich Auftrag erledigt hat, der Auf-
traggeber verschwunden ist? Lernt sie stri-
cken? Malen? Wird sie verrückt? Schaltet
sie sich ab? Altert sie? Sucht sie sich einen
neuen Lebensinhalt? Goldfische? Hätte
James Cameron mehr als nur die Grund-
idee beigesteuert, wäre hier Raum für Cha-
rakterentwicklung gewesen – oder sogar
den ein oder anderen aufregenden Gedan-
ken. Aber da Millers Gesamtkonzept eher
„politisch aktualisiertes Abpausen“ heißt,
kriegen wir nichts davon, und Arnie ... ist
halt irgendwie dabei.
Ziemlich viel Filmzeit geht dann auch
dafür drauf, zu erklären, warum dieser
Film existiert. Dafür werden die Figuren
selbst eingespannt, die etwa auf einem Zug
sitzen – zur Lagebesprechung. Dani: „Sie
wollen mich also töten, weil ich den Rebelli-
onsführer gebären werde?“ Sarah: „Du
bist ich!“ Zuschauer: „Ah! Jetzt versteh ich
das auch! Wie damals!“ Sarah Connor
wirkt zu Recht latent ein bisschen sauer,
dass jetzt keiner aus der Zukunft mehr ge-
schickt wurde, um sie zu töten, ihr ganzes
Lebensleiden umsonst war und der Unsinn
einfach weitergeht.
Genau derselbe Plot ist es immerhin
doch nicht, weiße muskelbepackte Män-

ner, die alle umbringen, um weiße Frauen
und/oder Kinder zu beschützen, das wäre
nicht mehr zeitgemäß. Deswegen ist die
neue Hauptfigur eine Latina und natürlich
eine starke Frau. Es gibt wieder einen Aus-
flug ins Spanische, diesmal zu einem
Schlepper, aber einem lieben Schlepper,
der „die Leute nicht einfach in der Wüste
zurücklässt“. Es werden in einem Versuch,
aktuelle Relevanz zu simulieren, sogar Mi-
granten in Käfigen präsentiert.

Zudem behauptet Arnie, dass in den letz-
ten Jahren innerhalb des Filmuniversums
immer wieder Terminatoren auftauchten


  • die von Sarah Connor jedes Mal elimi-
    niert wurden. Irgendeine Superintelligenz
    gibt es immer, die Tötungsmaschinen in
    die Vergangenheit schickt wie ein Abo, das
    sich nicht kündigen lässt. Und wie sich die-
    se Prozesse im Terminatoruniversum ver-
    selbständigen, so geschieht es auch in den
    Franchises – deren Universen, sei es „Ter-
    minator“ oder „Star Wars“ – immer weiter-
    wuchern und ihre Schöpfer zurücklassen.
    Obwohl Cameron und Hamilton wieder
    an Bord sind, ist der Film nicht gut. Ein Ku-
    chen ist eben doch mehr als die Summe sei-
    ner Zutaten. Ein Teil des Charmes von „Ter-
    minator 2“ war, dass es ein Erwachsenen-
    film für Kinder war. Er entstand in einer
    Zeit, in der andere Tabus galten, was
    Gewalt betrifft, und John Connor war nicht
    nur ein beliebiges Terminatoren-Opfer,
    sondern ein allmächtiges Kind in einer Er-
    wachsenenwelt. Die Idee, dem Zehnjähri-


gen die absolute Befehlsgewalt über eine
nahezu unbesiegbare Tötungsmaschine
zu geben, machte einen großen Teil des Rei-
zes der Konstellation aus. Das Kind verbat
Arnold dann auch erst einmal, zu töten,
„weil man das nicht macht“. Arnie schoss
den Polizisten fortan in die Beine.
Zudem hatte John Connor eine Mutter,
die von der Welt als verrückt abgestempelt
und eingesperrt worden war. Eine Mutter,
die er deswegen für eine Verräterin hielt.
Das Auftauchen seines Killers war für ihn
deswegen zugleich ein Glücksfall. Dass es
den Terminator gab, bedeutete, dass seine
Mutter nicht gelogen hatte, dass die
Erwachsenen unrecht gehabt hatten, dass
das Absurdeste möglich und er wirklich
ein Auserwählter war. Es war der Sieg der
Verrücktheit über die Normalität, des
Abenteuers über den Alltag. Als Johns Ter-
minator im kochenden Stahl versank, tat
er es mit einem Thumbs-up-Zeichen.
Solche tieferen Konflikte fehlen in
„Dark Fate“. Dani ist ein unbeschwertes
Mädchen mit der einzigen Charaktereigen-
schaft, eigensinnig und willensstark zu
sein. Sie ist den Maschinen untergeordnet,
die aus der Ferne über ihr Leben und ihren
Tod entscheiden. Sie hat die Wahl, wegzu-
laufen oder sich zu stellen. Aber jeder Sieg
ist nur ein Sieg auf Zeit. Egal, wie viele Zu-
künfte man rettet – irgendwann kriegen
sie einen doch.

Terminator: Dark Fate, USA/China 2019 – Regie:
Tim Miller. Buch: David S. Goyer, Justin Rhodes, Bil-
ly Ray. Kamera: Ken Seng. Schnitt: Julian Clarke.
Mit Linda Hamilton, Arnold Schwarzenegger, Gabi-
rel Luna, Mackenzie Davis, Natalia Reyes. Verleih:
Fox (Disney), 129 Minuten.

Es gibt kein Problem. Nur einen Unter-
schiedzwischen dem Soll- und dem Istzu-
stand. So erklärt es der Heizungstechniker
der jungen Wissenschaftlerin in ihrem un-
geheizten Büro: Von den Heizkörpern solle
sie die Finger lassen. Den Sollwert müsse
sie an der zentralen Steuerung am Eingang
einstellen; ein Thermostat messe die Tem-
peratur im Raum, den Istwert; das Hei-
zungssystem stelle sodann „von selbst den
gewünschten Zustand her“.
Mit anderen Worten: Es ist kalt – mit
oder trotz System. Und es wird schlau da-
hergeredet. Sogar noch schlauer als sonst.
Denn am Institut für Simulationsfor-
schung der Berliner Universität weht mitt-
lerweile ein rauer Wind. Drittmittel aus
der Wirtschaft müssen eingeworben wer-
den, sonst ist Schluss. Eine Evaluation
droht. Also werden sexy neue Forschungs-
vorhaben aus dem Boden gestampft. Ir-
gendwas mit Virtual Reality und Nudging.
Was genau das ist oder was das bringen
soll? Im Grunde völlig egal. Hauptsache, es
zieht. Ob man nicht ein süßes Baby in die
Präsentation vor den Gutachtern einbauen
könne, fragt Dr. Alfons Abstract-Wege sei-
ne auf Designermöbeln tagenden Kolle-
gen. Am Ende eines seiner Vorträge fängt
ein Chor der Studierenden an zu singen:
„Danke für diesen schönen Vortrag. Dan-
ke, denn er war wirklich gut durchdacht.“
Richtig miese Gags sind das. Aber das
soll offenbar so sein. Schließlich haben
Pointen denselben Zweck wie wissen-
schaftliche Erkenntnisse: Sie blasen den
Nebel weg, für ein bisschen Durchblick.
Um Durchblick geht es hier aber nicht. Es
ist ja, so scheint der Film zu sagen, allen
längst klar, was das Problem ist: nämlich
der Neoliberalismus – die ewige Selbsteva-
luation, durch die man gar nicht mehr zum
Nachdenken kommt. Die junge Simulati-
onswissenschaftlerin weiß es; die Instituts-
leiterin, gespielt von Sophie Rois, spricht
es mit ihrem morbiden österreichischen
Akzent aus. Trotzdem halten sie den Laden
am Laufen. Mit Virtual Reality.

„Ich will mich nicht künstlich aufre-
gen“, der erste Film von Regisseur Max
Linz aus dem Jahr 2014, setzte noch auf die
widerständige Kraft der Theorie. Seine Fi-
guren aus der Berliner Kunstwelt zitierten
Adorno, Deleuze, Butler, und sie redeten
auch selbst, als hielten sie geschriebene
Vorträge. Eigentlich waren sie wandelnde
Diskursautomaten, die Texte aufsagten
und dabei guckten, als hätte ihnen der Neo-
liberalismus die Seelen ausgesaugt. Brecht
fürs Kino. Diskurspop fürs Kino. Aber mit
Humor. Und mit dem stillen Pathos der
Idee, dass die Verfremdung möglicherwei-
se noch etwas ausrichten kann.
Auch in „Weitermachen Sanssouci“ ist
wieder alles Requisite. Die Plastikfernroh-
re der Forscher zum Beispiel. Aber ebenso
die Theorie – sie wird ja doch nur im Diens-
te der Evaluation aufgeführt. Und so wir-
ken nicht allein die Schauspieler, als wür-
den sie innerlich streiken, sondern der
Film insgesamt. Als Satire betreibt er –
ziemlich genial – Arbeitsverweigerung. Au-
thentisch ist allenfalls noch eine düstere
Grundahnung, dass die Simulationsblase
irgendwann platzen wird. Wie nah sind wir
dem schon? Was passiert dann?
Das sind die Fragen, die sich die Figuren
stellen könnten. Aber sie tun es nicht. Einst-
weilen nickt die Dozentin im Seminar-
raum ein, während der Student sein offen-
bar per Copy and Paste erstelltes Referat
über Klima-Kipppunkte („ab denen die Fol-
gen nicht mehr, halt, abzuschätzen sind“)
runterleiert. Einstweilen werden die Hei-
zungen ja warm. philipp bovermann

Weitermachen Sanssouci, D 2019 – Regie: Max
Linz. Buch: Linz, Nicolas von Passavant. Mit: Sarah
Ralfs, Sophie Rois. Filmgalerie 451, 80 Minuten.

Es ist ein märchenhafter Job, Polizeidienst
in einer kleinen Stadt am Mittelmeer. Was
man als Kriminaler nicht alles erzählt be-
kommt, bei den ersten Vernehmungen an
den Schreibtischen im Präsidium, wenn
die Eindrücke noch frisch sind. All die Men-
schen, die bei einer Razzia in einem Sado-
masoclub erwischt wurden und die nun,
noch in Ledermontur und mit Masken auf
dem Kopf, den Polizisten ihre Geschichten
erzählen. In aller Unschuld, versichern sie,
natürlich mit der gebührenden Naivitäts-
miene. Ihre Narrative, so heißt das inzwi-
schen auch außerhalb der wissenschaftli-
chen Diskurse – Narrative der Spießigkeit,
mit denen das Unberechenbare in Rech-
nung gestellt, das Leben in seiner Normali-
tät gestützt und geschützt werden soll.
Auch auf der anderen Seite der Schreibti-
sche werden Narrative fabriziert, bei den
Polizisten. Kommissarin Yvonne Santi
zum Beispiel, tragisch zur alleinerziehen-
den Mutter geworden – ihr Mann ist bei ei-
nem Einsatz ums Leben gekommen – der
Capitaine Jean Santi. Die Stadt ehrt sein An-
denken, indem sie zu Beginn des Films ein
Denkmal für ihn enthüllt, finster und mit
erigiertem Schussarm. Nichts stimmt an
dieser Figur, moniert Yvonne sarkastisch,
nur die Waffe. Auch sie bleibt Santi über
den Tod hinaus verpflichtet, verklärt all-
abendlich seine Heldentaten am Bett des
kleinen Sohnes, und das Kino führt uns die-
se Fantasien alle vor, mit den furiosen Mit-

teln des brutalen Actionkinos. Die Fanta-
sien des Jungen, der Mutter? Eine Ode an
die Fiktion hat Regisseur Piere Salvadori
den Film genannt, eine Geschichte, die von
der Bedeutung der Geschichten erzählt.
Adèle Haenel ist Yvonne, sie war vor ein
paar Jahren in „Die Blumen von gestern“
von Chris Kraus und am kommenden Don-
nerstag wird ihr neuer Film bei uns star-
ten, „Porträt einer jungen Frau in Flam-
men“ von Céline Sciamma. Haenel ist in
„Lieber Antoine als gar keinen Ärger“, der
im Original „En liberté!“ heißt, sensibel
und draufgängerisch, verletzlich und ver-
stört, auch auf eine sehr komische Weise.

Sie will zurück auf die Straße, in den akti-
ven Dienst, nachdem man sie nach dem
Tod des Capitaine schonend zum Büro-
dienst abkommandierte. Aber dann kriegt
sie, zufällig, ein ganz anderes Narrativ be-
züglich ihres Mannes mit, die fiese Rücksei-
te der Heldengeschichte. Korruption! Bei
der Aufklärung eines Überfalls auf ein Ju-
weliergeschäft, der vom Besitzer selbst in-
szeniert war, hat der Mann dann mit die-
sem gemeinsame Sache gemacht, einen
Teil der Beute kassiert – darunter der Hoch-
zeitsring für die Frau. Und: ein Unschuldi-

ger musste dafür ins Gefängnis, für acht
Jahre. Ein schrecklicher Prozess des
Fremdschämens setzt ein, das Bild des Hel-
den in den Gute-Nacht-Fantasien splittert
immer mehr von Abend zu Abend, die Zäh-
ne werden ihm ausgeschlagen.
Antoine (Pio Marmaï), der für den Juwe-
lenraub unschuldig acht Jahre im Gefäng-
nis war, kommt dann frei, stolpert in die
normale Welt zurück, für die er nicht mehr
fit ist. Obsession. Depression. Und eine

simple Ökonomie: Lieber Arschloch als Op-
fer. All das, wofür er durch die acht Jahre
bereits bezahlt hat, wird er sich nun erfül-
len. Yvonne heftet sich an Antoines Fersen,
will ihm helfen, will aktiv werden. Sie wird
Zeuge, wie Antoine am Tag der Entlassung
nach Hause zurückkehrt, zu seiner Frau Ag-
nès. Du bist zu früh, sagt sie, sie ist mit dem
Hausputz noch nicht fertig. Audrey Tautou
ist Agnès, und wie sie die Wiederkehr des
geliebten Mannes inszeniert, gehört zu

den vertracktesten, schönsten Kinomo-
menten der letzten Jahre. Sie schickt Antoi-
ne zurück zur Gartentür und lässt ihn noch
einmal an die Haustür herangehen ...
Pierre Salvadori kümmert die ganze
komplizierte Geschichte und ihre Drama-
turgie wenig, ein gruseliges Männchen,
das immer wieder im Präsidium vor-
spricht und von seinen Mordtaten erzählt,
wird immer weiter links stehen gelassen,
von Mal zu Mal hat er mehr Plastiktüten da-
bei, um seine Taten anschaulich zu bewei-
sen ... Salvadori will Kino als reine Inszenie-
rung, als Rhythmus und Musikalität, die
Musik des Actionfilms. Ganz in der Traditi-
on des klassischen amerikanischen Kinos,
orientiert an den Filmen von Ernst
Lubitsch. „Mein Kumpel, mein Bruder!“
Wie bei Lubitsch sind auch hier die Zu-
schauer in jeder Szene implizit mit einge-
baut, ihre Reaktionen, ihre Reflexionen.
Und es klingt wie eine bewährte Lubitsch-
formel, wenn es am Ende heißt: C’était
faux, mais c’était beau. Es war falsch und
fake, aber es war schön. fritz göttler

En liberté!, F 2019 – Regie: Pierre Salvadori. Buch:
Benjamin Charbit, Benoît Graffin, Pierre Salvadori.
Kamera:Julien Poupard. Musik: Camille Bazbaz.
Schnitt: Isabelle Devinck, Julie Lena, Géraldine Man-
genot. Mit: Adèle Haenel, Pio Marmaï, Audrey Tau-
tou, Damien Bonnard, Vincent Elbaz, Hocine Chou-
tri, Octave Bossuet. Neue Visionen, 108 Minuten.

Die Starts ab 24. Oktober auf einen Blick,
bewertet vonden SZ-Kritikern. Rezensio-
nen ausgewählter Filme folgen.


Addams Family
susan vahabzadeh:Der Addams-
Clan wird für diesen Zeichentrickfilm
vonConrad VernonundGreg Tiernan
in die Gegenwart katapultiert, was ihm
nicht viel schadet, aber auch nichts
nützt. Die Kinder sind jetzt laut, schnell
und haben Handys. Eine wild gewordene
Vorstadt-Designerin mit Trump-Frisur
will dem Addams-Haus einen modernen
Look verpassen – darum gruppiert sich
eine Nummernrevue. In den Cartoons
von Charles Addams sind Morticia,
Gomez und ihre Kinder sympathische
Freaks – dieser Film macht sie geradezu
zu Werbefiguren für Toleranz.


Bayala
ana maria michel:In der Elfenwelt
Bayala welken die Pflanzen, das Eis
schmilzt, und Drachen gibt es auch kei-
ne mehr. Daran ist jedoch nicht der
Klimawandel schuld, sondern eine böse
Königin mit Allmachtsfantasien.Aina
Järvines Animationsfilm basiert auf
den Elfenfiguren der Firma Schleich und
wirkt zum Teil wie eine Sortimentsvor-
stellung. Der Hersteller aus Schwäbisch
Gmünd will schließlich neue Produkte
in die Kinderzimmer befördern.


Berlin 4 Lovers
magdalena pulz:Simple Doku über
das Datingverhalten junger Erwachse-
ner in Berlin. Zehn Menschen erzählen,
wie es ihnen bei der Suche nach der Lie-
be so geht. Antwort: Mal so, mal so, aber
speziell mit der Dating-App Tinder eher
schlecht. Eingestreut ist ein rosa einge-
färbtes Symbol-Date, das dem Ganzen
den Charme eines „X-Factor“-Beitrags
verleiht. Wer jemanden kennt, der im di-
gitalen Raum nach einer Beziehung
sucht, wird wenig Neues erfahren. Allen
anderen liefertLeonie Loretta Scholl
Einblicke in Einsamkeit, Großstadt-An-
onymität und den Warencharakter von
Menschen auf Dating-Portalen.


Brittany Runs a Marathon
martina knoben:Abnehmen macht
glücklich. Ja, wirklich! InPaul Colaizzos
Selbstfindungskomödie kann man der
am Anfang dicken und ziellosen Heldin
dabei zusehen, wie sie dank eines unfrei-
willigen Lauftrainings Kilo um Kilo ver-
liert und dabei immer selbstbewusster,
schöner und zufriedener wird. Dass ein
solches Frauen- und Körperbild fragwür-
dig ist, hat der Regisseur schließlich
selbst gemerkt. Seine Fabel macht trotz-
dem Spaß, was vor allem an Hauptdar-
stellerin Jillian Bell liegt, die einfach hin-
reißend spielt. Darauf eine Tüte Chips!


Easy Love
annett scheffel:Wie geht das heute
eigentlich mit der Liebe?Tamer Jandali
nimmt die Beziehungsentwürfe von sie-
ben jungen Kölnern in den Blick. Alle su-
chen sie nach dem richtigen Maß an
Sinnlichkeit und emotionaler Verbind-
lichkeit. Erfrischend unverkrampft und
sehr intim ist dieses Panorama der post-
modernen Ängste und Fantasien nicht
nur, weil Jandali ein feines Gespür für
kleine Alltagsmomente hat, sondern
auch durch seinen semidokumentari-
schen Ansatz. Die Protagonisten spielen
sich selbst, aber in einer imaginierten,
mutigeren Version ihrer selbst. Ein Film
über das Wollen und Wagen.


Lebe schon lange hier
philipp stadelmaier:Ein Jahr lang
hatSobo Swobodnikaus dem Fenster
seiner Kreuzberger Wohnung Schwarz-
Weiß-Aufnahmen der Straßenkreuzung
unten gemacht. Für Variation sorgen ver-
schiedene Ausschnitte, Zeitraffer und
Slow Motion, Tag und Nacht, Menschen
und Autos. Auf der Tonspur: Musik (erin-
nert an „Amélie“), Wohnungsgeräusche
(intimer Natur), Textsplitter (trivialer Na-
tur). Der Film summt vor sich hin, man
lebt ironisch. Berlin eben.


Lieber Antoine als gar kein Ärger
(Siehe Kritik unten.)


Salmas Geheimnis
ana maria michel:Einmal im Jahr,
so glaubt man in Mexiko, kehren die To-
ten zu ihren Familien zurück. Auch Sal-
ma möchte am Día de los Muertos ihre
Eltern treffen, die sie nie kennengelernt
hat, doch man verbietet es ihr. Salma
will nicht aufgeben, ein Zauberbuch
bringt sie in eine geheimnisvolle Welt.
Die Grundidee vonCarlos Gutiérrez Me-
dranosAnimationsfilm ist interessant,
auch wenn es dem Film an Tempo fehlt.
Allerdings wird die Story ab einem gewis-
sen Punkt leider viel zu kompliziert.


Terminator: Dark Fate
(Siehe Kritik oben.)


Weitermachen Sanssouci
(Siehe Kritik rechts.)


Zoros Solo
anke sterneborg:Der afghanische
Flüchtlingsjunge ist ein ganz schönes
Früchtchen und die Knabenchorleiterin
(Andrea Sawatzki) eine recht spröde Zi-
cke. Und natürlich läuft es darauf hin-
aus, dass sich die beiden in ihren Hoff-
nungen und Sehnsüchten näherkom-
men. Doch ganz vorhersehbar läuft die
Läuterung durch Musik und der Weg zur
Familienzusammenführung dann doch
nicht ab. DennMartin Buskerhat sein
Feelgood-Spielfilmdebüt mit ironischen
Brechungen und ein paar bösen Wider-
haken über Ängste und Vorurteile in der
Kleinstadt versetzt.


Früher gab es noch Ideen – wie
die, einem Kind Gewalt über eine
Tötungsmaschine zu geben

Die Schauspieler wirken, als
würden sie innerlich streiken –
aber das ist ziemlich genial

Plötzlich fängt das Bild des
Helden zu splittern an, die
Zähne werden ihm ausgeschlagen

Siege auf Zeit


In „Terminator: Dark Fate“ spielen Linda Hamilton und Arnold Schwarzenegger als gealterte Kämpfer


mit, ansonsten geht alles aktualisiert von vorn los. Mit mehr Frauen. Und Mexikanern in Käfigen


Tief in der Blase


Satire mit Arbeitsverweigerung:
„Weitermachen Sanssouci“

Es war falsch, aber es war schön


Die französische Tragikomödie „Lieber Antoine als gar keinen Ärger“ über einen vertrackten Betrugsfall bei der Polizei


Damien Bonnard und Adèle Haenel in der Geisterbahn. FOTO:NEUE VISION FILMVERLEIH

NEUE FILME


10 HF2 (^) FILM Donnerstag, 24.Oktober 2019, Nr. 246 DEFGH
Letztes Aufgebot: Egal ob Mensch oder Maschine, die Zeit ging nicht spurlos an Sarah (Linda Hamilton) und T-800 (Arnold Schwarzenegger) vorbei. FOTO:FOX

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