Süddeutsche Zeitung - 24.10.2019

(Nora) #1
Tunesien hat schwierige Jahre
hinter sich.Die Hoffnungen
vieler ruhen nun auf dem neu
gewählten Präsidenten:
Kaïs Saïed, 61, ein parteiloser
Rechtsdozent, der vor allem von
jungen Wählern Stimmen
erhielt, gilt als sehr konservativ
und unbestechlich. Wie sich
seine Präsidentschaft auf den
Tourismussektor auswirken
wird, dazu wagen selbst
Experten momentan noch keine
Einschätzung. Allerdings wird er
daran gemessen werden, ob es
den Tunesiern rasch
wirtschaftlich besser geht.
400 000 Tunesier leben nach
Schätzung des Auswärtigen
Amtes direkt oder indirekt vom
Tourismus. Kommen mehr
Gäste, bringt das den Menschen
bescheidenen Wohlstand – und
dem Land Stabilität. Tunesiens
Gästezahlen waren zuletzt
wieder kräftig gestiegen.
Tourismusminister René
Trabelsi war noch im Sommer
zuversichtlich, dass sich die
Zahl der deutschen Gäste
weiter steigern lässt: auf
400 000 im kommenden Jahr.
Damit wäre man fast auf dem
Vor-Revolutions-Level
angelangt. Doch nun bereitet
die Insolvenz von Thomas Cook
vielen Hoteliers vor allem an
der Küste Sorge. Hoffnung gibt
ihnen, dass der Reiseanbieter
Tui bereits Interesse signalisiert
hat, den für ihn wichtigen
Markt ausbauen zu wollen.
Man plane, „neue, zum Teil
auch bislang exklusive Thomas
Cook-Häuser in unser Portfolio“
aufzunehmen, so Tui-
Sprecherin Anja Braun.
Das Unternehmen gehe davon
aus, dass sich Tunesien weiter
positiv entwickelt. Geprüft
werde derzeit auch ein
Ausbau des Flug-Angebots
nach Tunesien. MAI

von anja martin

D


ie meisten sind schwarz, das
erstaunt nicht weiter. Gelbe
kommen überraschend oft
vor, weiße immer seltener.
Blau ist keines. Welche Farbe
ein Kennzeichen hat auf den Straßen im Sü-
den Tunesiens, sagt einiges aus über die Si-
tuation des Landes: Außer den heimischen
Autos mit den schwarzen Nummernschil-
dern fahren die der Algerier, am Heck gelb
wie früher die Franzosen. Und die weißen
der Libyer. Letztere sieht man inzwischen
seltener, denn die Grenze zum östlichen
Nachbarn ist nicht so durchlässig, wie sie
einmal war. Schließlich sind da die Trai-
ningslager des IS. Und Terroristen kann
das oft als Modellstaat der Demokratie in
Nordafrika bezeichnete Land nun wirklich
nicht gebrauchen. So hat die Armee vor
zweieinhalb Jahren einen 180 Kilometer
langen Graben ausgehoben. Zurzeit wird
die Grenze mit Hilfe aus Deutschland und
den USA zusätzlich elektronisch verstärkt
und verlängert.
Je weiter man in die Spitze des Landes
hineinfährt, das wie ein kleiner Keil vom
Mittelmeer in den afrikanischen Konti-
nent gehauen ist, umso dicker werden die
Staubschichten auf allem, am augenfälligs-
ten auf den Windschutzscheiben. Die Far-
be Beige dominiert in der Landschaft, das
wenige Grün wirkt matt. Siedlungen wer-
den seltener, genau wie Verkehrsschilder
und Wegweiser. Außerdem finden sich ne-
ben der Fahrbahn immer mehr Inseln aus
Plastikflaschen und Kanistern, in denen
Benzin aus Libyen für den Bruchteil des
Preises vertickt wird, den es an den Tank-
stellen kostet. Der Schmuggel füllt hier im
vergessenen Süden, wo die Arbeitslosig-
keit hoch ist und wenig investiert wird, in
vielen Häusern die Kühlschränke. Die Poli-
zisten drücken mal ein, mal zwei Augen zu.
„Ihr denkt immer, das ist so nah. Aber
ich war in meinem ganzen Leben noch
nicht in Libyen“, sagt der 42 Jahre alte
Dhaou Debara. Unter der Trainingsjacke
trägt er die Hose der Berber und um den
Kopf den Chech, ein Turbantuch, das so ge-
wickelt wird, dass man es über die Nase zie-
hen kann, um Sand und Staub abzuhalten.
Alles in Schwarz, wie eine Wiederholung
des Darth-Vader-Kostüms, das neben ihm
an der Lehmwand hängt. Dhaou Debara ist
in Ksar Haddada nördlich von Tataouine
und rund 120 Kilometer von der libyschen
Grenze entfernt für die Sicherheit zustän-
dig, und er ist auch eine Art Hausmeister.
Langsam geht er durch die bienenstockför-


mige Speicherburg mit ihren kleinen Lager-
höhlen, den Ghorfas, in denen die Berber
früher Lebensmittel aufbewahrt haben.
1997 wurde das Ksar zum Sklavenviertel
der Stadt Mos Espa im „Star Wars“-Film
„Die dunkle Bedrohung“. Dann zum Hotel.
Heute leben innerhalb der Burg nur Esel,
und Hunde, die frei herumstreunen dür-
fen, sobald die Tagesgäste weg sind.

Seit 2018 kommen die Gäste wieder flei-
ßig, sagt Dhaou Debara. Nach den Anschlä-
gen in Sousse und Tunis vor vier Jahren
ging die Zahl der westeuropäischen Touris-
ten vorübergehend um bis zu 75 Prozent
zurück: Regierungen sprachen Reisewar-
nungen aus, Flüge wurden gestrichen.
2019 kamen zwar immer noch 25 Prozent
weniger Europäer als vor der Revolution


  1. Dennoch war ein Aufschwung zu spü-


ren, auch deshalb, weil deutlich mehr Rus-
sen und Chinesen kommen. Der Süden je-
doch erholt sich langsamer. Dhaou ver-
misst weiterhin die Deutschen. Von Jahres-
beginn bis Mitte Oktober reisten
236000 von ihnen nach Tunesien – immer
noch 30 Prozent weniger als im Vergleichs-
zeitraum 2010. Tunesiens Tourismusmi-
nister René Trabelsi glaubt ganz fest an ih-
re Rückkehr. Dazu will er auch den Wüsten-
tourismus und Ausflüge zu kulturellen Zie-
len im Land stärken. Bislang gelingt es Tu-
nesien allerdings nicht mal, die Drehorte ei-
ner Kultfilmsaga so richtig zu vermarkten.
Im Ksar Haddada gibt es zu „Star Wars“
kaum mehr Informationen, als auf ein
selbstgebasteltes Plakat mit rotstichigen
Filmszenen passt. Der komplette Welt-
raumhafen Mos Espa, in der Realität eine
Ansammlung von Kulissen nördlich von
Nefta nahe der algerischen Grenze, verfällt
zusehends. Wenigstens wurde das mitten
in der Sandwüste liegende Set im Zuge ei-
nes Projektes der deutschen Gesellschaft
für internationale Zusammenarbeit (GIZ)
eingezäunt, Klohäuschen aufgestellt und
Schilder mit Beschreibungen angebracht.
Ein „Star Wars“-Fanklub hat mit Crowd-
funding-Geldern eine Düne umgeleitet,
die sonst alles begraben hätte. Einzig ein
paar Berber haben verstanden, dass sich
der Ort für sie lohnen kann: Sie versuchen,
Sandrosen und Tonvasen zu verkaufen.
Oder darf es ein Burnus sein? Der traditio-
nelle Wollumhang mit großer Kapuze
erinnert frappierend an die Roben der Jedi-
Ritter. Auch Tee und Fotos mit einem Dro-
medar haben die Berber im Angebot.
Vielleicht haben die Tunesier ja recht.
Wieso sollen sie sich mit schnell hingezim-
merten Filmkulissen beschäftigen, wäh-
rend die Wohnhöhlen und Speicher der Ber-
ber Jahrtausende überdauern? Wer durch
den Süden fährt, etwa ins Dahar-Gebirge,
merkt irgendwann, dass die Landschaft
nicht so unbewohnbar ist, wie sie aussieht.
An manchen Bergkuppen kann man Lö-
cher erkennen. Mehrere Meter tief gruben
die Menschen ihre Wohnungen und Speise-
kammern in den Fels. Douiret, 20 Kilome-
ter südwestlich von Tataouine, ist eine sol-
che Felsenburg. Früher war dies die wich-
tigste Stadt der Gegend, in der die großen
Karawanen haltmachten. Heute lebt im al-
ten Teil des Dorfes keiner mehr.
Besser sieht es im Nachbarort Chenini
aus, wo noch 123 Familien leben und viele
Ghorfas bewohnt sind. Es könnte bald zum
Unesco-Weltkulturerbe werden. Um die be-
gehrte Auszeichnung zu erhalten, müsste
aber einiges, wofür die Menschen in Cheni-

ni dankbar sind, wieder versteckt werden.
„Die Stromleitungen etwa“, sagt Habib Bel-
hedi, ein Zahnarzt, der in Tataouine lebt,
sich aber in Chenini engagiert, ein Restau-
rant betreibt und eine Höhlenpension eröff-
net hat. In den 700 Jahre alten und bis zu
18 Meter tiefen Zimmergrotten fühlt man
sich wie ein Archäologe. Eine Art Spielbrett
aus gleichförmig angeordneten Löchern
findet sich im ausgewaschenen Boden.
Hinten ist eine Hochzeitskammer, die nur
einmal nach der Heirat benutzt wird. Da-
nach verstaut man darin alles Wertvolle.
An der Decke sind Versteinerungen von Mu-
scheln, denn vor 200 Millionen Jahren war
hier ein Meer. Beinahe hätte der Starrsinn
der Behörden zur Folge gehabt, dass man
die Fossilien nicht mehr sehen kann. „Man
wollte von mir, dass ich eine Stahlbetonde-
cke über die Höhlendecke lege“, erinnert
sich Belhedi kopfschüttelnd. „Dabei ist der
Fels um ein Vielfaches stärker als Beton.“
Im Dorf begegnet man Frauen, die kom-
plett unter rot-weiß-karierten Tüchern ver-
schwinden, und versteht, was der Zahnarzt
Belhedi meint, wenn er sagt: „Für Massen-
tourismus ist das nichts.“ Die Frauen hät-
ten Angst, fotografiert zu werden, und wür-
den sich dann nicht mehr auf die Straße
trauen. Der Tourismusminister allerdings
hat Chenini schon als mögliches Sightsee-
ing-Ziel ausgemacht: Es könnte ein neues
Aushängeschild des Sahara-Tourismus
werden, findet der Minister, zusammen
mit Tataouine, Tozeur, Douz und Nefta.
Dann würden hier jedenfalls mehr Autos
mit blauen Nummernschildern parken,
denn die kennzeichnen Mietwagen.
Douz ist das Tor zur Wüste. Ein paar gro-
ße Hotels, ein rechteckiger Marktplatz mit
Café-Bestuhlung, viele kleine Gassen, in de-
nen sich die Jungen schon mal Rennen auf
ihren Araberhengsten liefern. Zum Spaß,
nicht für Touristen. Viele Urlauber starten
hier ihre Wüstentouren oder setzen sich zu-
mindest auf ein Dromedar und lassen sich
eine Runde in die Sandwelt hineinschau-
keln. Die Alternative, vor allem, wenn man
Strecke machen will: der Jeep.
Stundenlang Sand. Die Autos ziehen
Staubfahnen hinter sich her. Der feine
Sand drückt durch die Dichtungen in den
Innenraum. Gut, wenn man sich einen
Chech besorgt und den Beduinen ihre Wi-
ckeltechnik abgeschaut hat. Kaum Gegen-
verkehr. Keine Häuser. Keine Shops. Her-
den mit Hütejungs. Mal eine Oase, ganz un-
romantisch mit parzellierten Dattelpalmen-
plantagen, stumpfen Farben, Zweckarchi-
tektur, Baustellen. Einheimische auf
Quads. Motorradfahrer auf dem Trip ihres

Lebens. Aber meist einfach nur Sand, Sand,
Sand. Schnell versteht man, wie die perfek-
te Fahrlinie zwischen den Dünen verläuft:
nie obendrüber, eher so drum rumwedeln
wie beim Skifahren auf den Buckelpisten.
Wir müssen nun irgendwo da sein, wo
man laut Auswärtigem Amt nicht mehr wei-
terfahren soll. Die Behörde rät ab von Rei-
sen in die Wüste südlich und südöstlich ei-
ner Linie von der algerischen Grenze im
Westen über Douz, Tozeur, Tataouine bis
Zarzis. Tatsächlich sind vor elf Jahren hier
zwei österreichische Wüstenfahrer ent-
führt, aber wieder freigelassen worden.
Seitdem ist nichts mehr passiert. Das Ge-
biet zwischen algerischer und libyscher
Grenze ist schwer zu kontrollieren.

Nach 150 Kilometern taucht das Wüsten-
camp Zmela auf. Ein paar niedrige Gebäu-
de, dahinter Zelte. Etwa ein Quadratkilome-
ter, auf dem sich die Dünen drängen. Die
Oberfläche erinnert an die Haut auf zu hei-
ßer Milch. Kleine Falten überziehen die
Hügel. Der Sand ist so fein, dass der Wind
andauernd die oberste Schicht bewegt, was
wirkt, als würde ein seltsamer Schein auf
ihnen liegen. Hier trifft man nun auch mal
Touristen, alle aus dem Inland oder Emi-
grierte auf Heimatbesuch. Da ist die 29 Jah-
re alte Asma Mathlouthi, die in San Diego
Medizin studiert und jetzt mit alten Freun-
den durchs Land fährt. Ob die jungen Welt-
offenen mit dem perfekten Englisch ein-
mal zurückkommen? „Ja klar, irgend-
wann“, sagt Asma. Und fügt hinzu: „Aber
das kann noch dauern.“ Zwar gebe es seit
der Revolution viele Freiheiten im Ver-
gleich zu früher, als man nichts hätte sagen
dürfen. Aber die beruflichen Chancen sind
gleich null. Wo soll Asma denn ihre Karrie-
re als Gefäßchirurgin vorantreiben?
Vielleicht ist das auch die Krux des Lan-
des: Man fühlt sich so modern, so franko-
phil, so nah an Europa. Viele sind gut ausge-
bildet. Doch am Ende produziert Tunesien
dann doch vor allem Olivenöl und Kabel-
bäume – und selbst dieses Business sta-
gniert seit den Attentaten, die einfach doch
mehr Spuren hinterlassen haben als nur
die Einschusslöcher in der Aufzugtür im
Bardo-Museum in Tunis. „Monika, Clau-
dia, Sandra!“, rufen die Souvenirverkäufer
vor der Museumstür. Und: „Deutschland,
schönes Land!“ Man möchte zurückrufen:
Tunesien, schönes Land. Passt drauf auf.

Hoffnung


im Land


Hilfe von


Darth Vader


Tunesien will seine Urlauber


verstärkt in die Wüste schicken.


Dazu sollen auch die alten


„Star Wars“-Kulissen besser


vermarktet werden


Auch Tee und Fotos
mit einem Dromedar haben
die Berber im Angebot

Die junge tunesische Chirurgin
ist hier zu Besuch. Arbeit findet
sie nur im Ausland

Anreise:Mit Tunisair von München oder Frankfurt
direkt nach Djerba, ab 225 Euro, tunisair.com
Unterkunft:Wüstencamp Zmela, Zweier-Zelt mit
Halbpension 52 Euro, http://www.campement-zmela.com;
Höhlenhotel Kenza, 14 Euro pro Person mit Früh-
stück, http://www.kenza-chenini.com; Gite de Douiret, pro
Person elf Euro mit Frühstück, gitedouiret.com; Dar
Hi Life, eingerichtet von der frz. Designerin Matali
Crasset, DZ mit Frühstück ab 100 Euro, dar-hi.net
Veranstaltungen:Das Musikfestival Les Dunes Elec-
troniques findet am 16. / 17. November bei Nefta in
der Sandwüste statt, dunes-electroniques.com
Sicherheit:Das Auswärtige Amt rät weiterhin von in-
dividuellen, nicht organisierten Wüstenreisen ab. Au-
ßerdem von Reisen südlich und südöstlich einer Linie
von der algerischen Grenze über Tozeur, Douz, Ksar
Ghilane, Tataouine bis Zarzis an der libyschen Grenze.
Weitere Auskünfte:discovertunisia.com

150 km
SZ-Karte/Maps4News

LIBYEN

TUNESIEN

Tunis

Sousse

ALGERIEN

ITALIEN

MALTA

Mittelmeer

Zarzis
Tataouine

Ksar Haddada

Chenini

Nefta
Douz

Camp
Zmela

DEFGH Nr. 246, Donnerstag, 24. Oktober 2019


REISE


Reisen in die Sahara
hatten in den vergange-
nen Jahren ein Imagepro-
blem – da können die
Dromedare ihre Kund-
schaft noch so malerisch
durch die Dünen tragen.
Mittlerweile kommen
wieder mehr Gäste, um
die Berber-Architektur in
Tataouine zu sehen (oben
links) oder die Reste der
Star-Wars-Kulissen von
Mos Espa.
FOTOS: ANJA MARTIN (3),
MAURITIUS IMAGES

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durchdas italienische Bozen 31

Ungewisse Zukunft
Die Thomas-Cook-Pleite hat Mallorca hart
getroffen. Nun sucht man einen Ausweg 30
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