Süddeutsche Zeitung - 24.10.2019

(Nora) #1
Nichts als Sand und Steine – das ist
natürlichQuatsch. In der Wüste gibt
es sehr wohl Wasser; angeblich ertrin-
ken aufgrund von Starkregenfällen
sogar mehr Menschen in Wüsten, als
darin verdursten. Immerhin rund
150 000 Menschen leben weltweit in
Oasen, die dort zumeist und in durch-
aus beachtlichem Umfang Landwirt-
schaft betreiben. Wüsten sind ein
Lebensraum, wenn auch ein ziemlich
spezieller.

Besonders gut lässt sich das aus der
Luft beobachten. Denn die Draufsicht
ermöglicht einem eine Perspektive,
die beides in den Blick rückt: jene Area-
le, in denen den Menschen ein dauer-
haftes Leben möglich ist, und – zu-
meist in einem harten Kontrast dazu –
die aride Umgebung. Für diese Per-
spektive muss man hoch hinauf. Im
Fall des opulenten Bildbandes „Wüs-
ten – Lebensraum der Extreme“
bedeutet das: bis ins All. In Kooperati-
on mit der Münchner Firma European
Space Imaging präsentieren Markus
Eisl und Gerald Mansberger ein Bild
von Wüsten an den Schnittstellen von

schierer Trockenheit und möglicher
Zivilisation.
Schon das erste Kapitel veranschau-
licht, welch dynamische Landschaften
Wüsten sind – erdgeschichtlich ohne-
hin, aber auch in menschlichen Zeit-
spannen gemessen. Es gibt einige Vor-
her-nachher-Gegenüberstellungen in
dem Buch, die starke Veränderungen
in der Geografie innerhalb weniger
Jahre dokumentieren.
In dem Punkt unterscheidet sich
dieser aber noch nicht von anderen
Wüstenbänden. Spannend wird es,
wenn die Menschen als Bewohner hin-
zukommen. Sie selbst sind nicht zu
sehen – ein Pixel entspricht auf diesen
Bildern 30 Zentimetern –, aber ihre
Eingriffe. Es geht um Wüstenstädte,
um begrünte Bereiche und schließlich
um die Wüste als Wirtschaftsraum.
Aus dem All betrachtet, zeigen sich die
Landschaften häufig als beinahe grafi-
sche Strukturen. Es sind sehr klare Bil-
der, die jedoch nicht immer auf den
ersten Blick verraten, was sie eigent-
lich zeigen. Wüsten bergen eben etli-
che Geheimnisse. stefan fischer

Markus Eisl, Gerald Mansberger: Wüsten –
Lebensraum der Extreme. Verlag eoVision,
Salzburg2019. 256 Seiten, 49,95 Euro.

von brigitte kramer

A


n der Playa de Palma scheint die
Sonne, immer noch. Hier, wo sehr
viele Hotelbetten von Reiseveran-
staltern wie Thomas Cook ge-
bucht werden, ist von Krise auf den ersten
Blick nichts zu sehen. Bei badewarmen
25 Grad herrscht jetzt, Mitte Oktober, ent-
spannte Stimmung. Kinder planschen im
Wasser, in den Cafés sitzen Pärchen, Eltern
spazieren mit Kinderwägen. Sie genießen
das milde Herbstlicht und die angeneh-
men Temperaturen.
Und wie sieht es hinter der Kulisse aus?
An den Rezeptionen der Hotels hat man
sich offenbar verständigt, auf Nachfragen
mit einer fast gleichlautenden Floskel zu
antworten: „Wir sind davon nicht betrof-
fen. Fragen Sie doch mal nebenan.“ Auch
im Cook’s Club, einem Hotel, das Thomas
Cook erst im Mai an der Playa de Palma
eröffnet hat, möchte keiner der Offiziellen
etwas sagen. Und die Angestellten am Grill
und hinter der Rezeption wissen selbst
nicht, was die Insolvenz für sie bedeuten
wird. „Noch arbeiten wir“, sagt eine Kellne-
rin und wischt über den glänzenden Tre-
sen. Viel zu tun hat sie nicht. Das Restau-
rant ist leer, am Pool liegen zwei Gäste.
Mallorca, den Eindruck gewinnt man
schnell, will eines auf keinen Fall: mit ge-
schäftsschädigenden Begriffen wie Krise
oder Pleite in Verbindung gebracht wer-
den. Nach der Insolvenz von Thomas Cook
versucht die Insel, zum Tagesgeschäft der
Nachsaison zurückzukehren. Doch unter
der Oberfläche brodelt es. Für Thomas
Cook waren die Balearen eines der wich-


tigsten Zielgebiete. 43 500 Urlauber hat
der Konzern Ende September dort im Stich
gelassen. Er hatte 27 Gesellschaften in Spa-
nien, 14 davon auf Mallorca. Die Zentrale
für Spanien stand am Stadtrand von Pal-
ma, Thomas Cook betrieb auf den Balea-
ren 20 eigene Hotels, viele Gäste kamen
mit den Thomas-Cook-Airlines. 2018 hat-
ten sie zusammen mit Condor gut 1,2 von
16 Millionen Touristen auf die Inseln ge-
bracht.
300000 Touristen bleiben der Insel vor-
aussichtlich bis Frühjahr fern, denn sie
hatten mit Thomas Cook oder der Toch-
terfirma Neckermann ihren Urlaub ge-
bucht. Mindestens 3400 direkte Arbeits-
plätze fallen weg. Der Vorfall sei auf den In-
seln „beispiellos“, sagte ein Mitglied der ba-
learischen Regionalregierung. Nach dem
ersten Schock wird jetzt debattiert, welche

Lehre Mallorca daraus ziehen sollte. Könn-
te das Ereignis zu einem Wandel im Touris-
musmodell führen? Weg von den Reisever-
anstaltern, die derzeit mehr als 60 Prozent
der Urlauber auf die Insel bringen, hin zu
mehr Direktbuchungen? Oder könnte die
Krise zu einer aktiven Reduzierung der Be-
sucherzahlen führen, wie das Umwelt-
schützer und Bürgerbewegungen fordern?
„Die Insolvenz sollte uns vor Augen füh-
ren, wie anfällig unser Wirtschaftsmodell
ist“, sagt Margalida Ramis von der größten
Naturschutzgruppe der Inseln, Gob. Auch

in der Branche selbst gibt es erstmals
selbstkritische Töne. Die Grande Dame
des balearischen Tourismus, Carmen Riu,
sagte im balearischen Fernsehen IB 3: „Wir
sollten über eine Obergrenze nachdenken.
Wenn zu viele Touristen kommen, leiden
unsere Inseln. Wir schaden uns damit
selbst.“
Riu ist Chefin des gleichnamigen, fami-
liengeführten Konzerns. Sie profitiert von
der Insolvenz, denn das Unternehmen ist
seit den 1950er-Jahren am Touristikkon-
zern Tui beteiligt, dem großen Nutznießer
der Pleite. Das Unternehmen rechnet im
kommenden Jahr mit 500 000 zusätzli-
chen deutschen Gästen. Auf Mallorca will
die Tui AG ihr Angebot massiv ausbauen.
Der Konzern verspricht „sorgenfreies Bu-
chen“ für ehemalige Thomas-Cook-Kun-
den und lernt auf der Insel gerade ehemali-
ge Angestellte von Thomas Cook an.
Im Hotelverband von Mallorca macht
sich nach anfänglicher Verwirrung nun
Ärger breit. Die Vorsitzende Maria Fronte-
ra kritisierte vor allem die Informations-
politik des Konzerns: „In der Früh kam die
Nachricht von der Pleite, kurze Zeit später
standen schon die ersten Gäste von Tho-
mas Cook an den Rezeptionen.“ Der Ver-
band arbeitet nun mit zwei Anwaltskanz-
leien zusammen, die helfen sollen, das
Buchungs- und Zahlungschaos zu klären.
Joan Llull, Besitzer einer mallorquinischen
Hotelkette, sagte der LokalzeitungUltima
Hora, Thomas Cook sei bei ihm seit Juni in
Zahlungsverzug gewesen. Es sollen sich
20 Millionen Euro Schulden angehäuft ha-
ben. „Wir waren zu dumm“, sagt Llull, „Tho-
mas Cook hat uns alle betrogen.“

Nicht nur Hoteliers, auch Eventveran-
stalter, Radverleiher, Busunternehmer,
Reinigungsfirmen, Importeure oder Groß-
händler von Speisen und Getränken haben
unbezahlte Rechnungen. Bei einer Infover-
anstaltung der Handelskammer in Palma
kamen rund 70 betroffene Unternehmer
zusammen. Die Geschädigten wollten wis-
sen, was sie tun mussten, um an ihr Geld zu
kommen. Am Ende bekamen sie zu hören:
„Wahrscheinlich bleiben Sie auf Ihren
Schulden sitzen.“
Die Regionalregierung der Balearen hat
nun ein Rettungspaket geschnürt. Unter
anderem hat sie drei Millionen Euro aus
Steuermitteln bereitgestellt, um Unterneh-
mern zinslose Darlehen zu gewähren.
Angestellte, die jetzt ohne Einkommen da-
stehen, sollen vier Monate lang 500 Euro
Überbrückungshilfe erhalten. Monique
Lagrange, die aus Furcht vor Nachteilen
nicht mit richtigem Namen genannt wer-
den will, ist eine davon. Sie arbeitete bis
vor Kurzem bei einer Agentur von Thomas
Cook in Palma. Die Nachricht, dass ihr Ar-
beitgeber pleite ist, habe sie am 23. Septem-
ber morgens um fünf Uhr erhalten, erzählt
die 63-Jährige. Gerüchte gab es schon län-
ger, schließlich hatten Lagrange und ihre
760 Kollegen bereits ihr Gehalt für Septem-
ber nicht mehr bekommen. Sie habe jetzt
schlaflose Nächte, sagt Lagrange. Aber sie
kommt weiterhin jeden Tag zur Arbeit, das
habe der Konkursverwalter empfohlen.
„Wir wollen unser Septembergehalt und ei-
ne Abfindung.“ 23 Jahre lang betreute die
mehrsprachige Tourismuskauffrau Part-
nerunternehmen und Veranstalter. Seit
fast einem Monat hat sie nun nichts mehr
zu tun. Deshalb vertreibt sie sich die Zeit
mit Kaffeetrinken und Kollegen-Plausch.
Andere haben Karten mitgebracht oder
spielen am Computer. Klingt schön, ist es
aber nicht. „Die Nerven liegen bei uns
blank.“
35 000 Passagiere sind wegen der Tho-
mas-Cook-Pleite allein im Oktober wegge-
blieben. Die Slots, also die von den Flugge-
sellschaften beim Flughafen gekauften
Start- und Landezeiten, müssten schnellst-
möglich anderweitig vergeben werden, for-
derte der balearische Verkehrsminister
Marc Pons. Mittelfristig will Pons neue
Flugrouten etablieren, auch, um weniger
vom deutschen und britischen Markt ab-
hängig zu sein. Die Hälfte aller Mallorca-

Urlauber stammt bislang aus Deutschland
oder Großbritannien. Im Gespräch sind
Direktverbindungen mit Tel Aviv, Marra-
kesch, New York, Istanbul und Doha. Die
Balearen wollen auch mehr Geld für Wer-
bung ausgeben. Vergünstigte Flughafen-
steuern gehören ebenfalls zum Rettungs-
plan.

Für die Sprecherin der Naturschutzgrup-
pe Gob geht das alles in die falsche Rich-
tung – und gegen den Trend der Zeit. „Die
Regierung müsste jetzt den Weg aus der Ab-
hängigkeit von der Monokultur Tourismus
ebnen“, fordert Margalida Ramis. Sie solle
neue Branchen fördern und endlich aktiv
beginnen, die Gästezahlen zu minimieren.
„Das ist die erste Krise und sicher nicht die
letzte.“ Ramis fragt sich, warum die Balea-
renregierung Thomas Cook nicht verklagt.
Und warum sie beschließt, Langstrecken-
flüge zu bewerben, die Flughafensteuer zu

senken und mehr Tourismuswerbung zu
machen – wenige Tage, nachdem die Um-
weltabteilung der Balearenregierung den
Klimanotstand ausgerufen hat. „Gesell-
schaftlich, wirtschaftlich und ökologisch
ist das kompletter Unsinn“, sagt Margalida
Ramis.
Wie es weitergeht? Zum ersten Novem-
ber machen viele Hotels saisonbedingt zu.
Kellner, Verkäufer, Zimmermädchen freu-
en sich auf die kommenden Monate, in
denen sie sich vom Stress des Sommers er-
holen können und vom Arbeitslosengeld
leben werden. Wen man auch fragt: Die
Hoffnung ist da, dass es danach wieder Ar-
beit gibt. Monica Julve, Rechtsberaterin
des Hotelverbandes, hält das jedoch für il-
lusorisch. Die Folgen seien jetzt noch nicht
absehbar, sagt die Spezialistin für Handels-
recht, man könne mit einem Domino-Ef-
fekt rechnen. Offiziell hat Thomas Cook
150 Millionen Euro Schulden auf der Insel
hinterlassen, doch Julve glaubt, dass der
Betrag viel höher ist. Fünf Zulieferer ste-
hen kurz vor der Insolvenz. „Und“, so fürch-
tet Monica Julve, „es werden noch mehr
werden.“ brigitte kramer

Oasen überall


Mehr als Sand und Gestein: Ein


Band mit Satellitenfotos dokumentiert,


wie viel Leben es in der Wüste gibt


Neustart auf Mallorca


DieThomas-Cook-Pleite hat die Insel hart getroffen. Nach anfänglicher Verwirrung macht sich nun Ärger breit.


Umweltschützer fordern eine Abkehr vom bisherigen Massentourismus


Die Inseln wollen um neue
Kundenwerben: in den USA, in
Israel und den Emiraten

Noch kommen mehr
als 60Prozent der Urlauber
als Pauschaltouristen

Die Wasserreserven
schwinden, dasschränkt
wie hier in Saudi-Arabien
die Möglichkeiten der Kreis-
bewässerung ein.
Nahe Abu Dhabi unterdessen
werden neue Wohngebiete
in die Wüste gebaut, mit
gefällig geschwungenen
Straßenzügen. In der Atacama
können Menschen nur
entlang von Flüssen siedeln.
FOTOS: EOVISION / DIGITAL GLOBE /
EUROPEAN SPACE IMAGING

Vereint in Verzweiflung: zwei Mitarbeiterinnen von Thomas Cook im September am
Flughafen von Palma. Bis heute wissen viele Hoteliers, Eventveranstalter oder Bus-
unternehmer nicht, wie es weitergeht. FOTO: JAIME REINA / AFP

REISEBUCH


30 REISE Donnerstag, 24.Oktober 2019, Nr. 246 DEFGH


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