Süddeutsche Zeitung - 24.10.2019

(Nora) #1
von josef grübl

M


artin Moszkowicz ist ein Mann,
der mit beiden Beinen fest im Le-
ben steht. Außer im Büro, da wa-
ckelt er. Nach vorne oder hinten, zur einen
Seite oder zur anderen. Das Wackeln hat
nichts mit seinem Job als Vorstandsvorsit-
zender der Constantin Film AG zu tun, son-
dern mit seiner Laufbegeisterung. „Das
trainiert die Fußgelenke“, erklärt er. Er
meint damit das Fitnessgerät, das unter
seinem Arbeitsplatz liegt: ein Balance
Board mit Halbkugel auf der Unterseite.


Moszkowicz ist viel unterwegs, er produ-
ziert Filme und Serien, kümmert sich um
Künstler und Kreative, gerade erst wurde
er zum Leiter der Abteilung Produktion
und Medienwirtschaft an der Hochschule
für Fernsehen und Film München ernannt.
Nebenbei reist er jeden Monat für eine Wo-
che nach Los Angeles. Wenn er aber in Mün-
chen ist, geht er morgens um sechs im Eng-
lischen Garten laufen. Er hat einen Fitness-
Tracker am Arm, auf dem Schreibtisch
steht eine Wasserflasche. Den Tisch kann
er nach oben und unten fahren, je nach-
dem, ob er gerade stehen oder sitzen will.
Meistens stehe er, sagt er, mitunter eben
auch auf dem Balanciergerät.


Viel Platz hat er nicht. Der 61-Jährige
sitzt, steht oder wackelt mit den Kollegen
aus der Produktionsabteilung in einem gro-
ßen Raum. Immerhin ist sein Arbeitsplatz
etwas abgeschirmt in der Ecke. Wer am
Constantin-Hauptsitz nach Einzelbüros
sucht, wird nicht fündig. Die habe man alle
abgeschafft, erklärt Moszkowicz. Die Ge-
schäftsräume in der Münchner Feilitzsch-
straße wurden im vergangenen Jahr kom-
plett umgebaut. Die Arbeiten sind fast ab-
geschlossen, mittlerweile sind hier 170
Menschen beschäftigt, ohne einzelne Bü-
ros passen auch mehr Leute rein. Die Kolle-
gen vom Marketing sitzen auf einer Etage,
erklärt der Chef, die vom Verleih oder den
Finanzen auf einer anderen. Alle sollen mit-
einander kommunizieren, es gibt aber
auch Ruhe- und Telefonräume.
Das klingt alles sehr harmonisch. Vor
nicht allzu langer Zeit sah das aber noch an-
ders aus: Im Sommer 2018 beschwerte sich
Martin Moszkowicz in einem Interview
über den Medienstandort München und
die aus seiner Sicht zu träge Politik. Er
drohte sogar mit einem Wegzug aus Bay-
ern. Davon ist heute nichts mehr zu hören,
erst vor Kurzem habe man einen Mietver-
trag für knapp zwanzig Jahre unterschrie-
ben, sagt er. Die Constantin Film bleibt al-
so in Schwabing, hier ist sie seit Jahrzehn-
ten, zuerst in der Kaiserstraße, jetzt an der
Münchner Freiheit.
Moszkowicz kam 1990 in die Firma, an-
fangs arbeitete er als Produzent, dann
ging er nach Amerika, um das US-Ge-
schäft mit aufzubauen. Er konnte große Er-
folge feiern, das sieht man auch an den vie-
len Trophäen, die auf allen Etagen verteilt
wurden. Früher standen die Bambis, Bo-
geys oder Lolas im Büro des 2011 verstorbe-
nen Chefs Bernd Eichinger. Im Sonnen-
licht funkelte es dort fast genauso wie in ei-

nem Juwelierladen. Die Liste der nationa-
len Constantin-Erfolge ist endlos lang,
auch international gab es große Hits. Des-
halb thront hinter Moszkowicz eine Figur
aus der „Resident Evil“-Reihe, der soge-
nannte Axeman. „Den habe ich einmal von
einem Produzenten zum Geburtstag ge-
schenkt bekommen“, sagt er. Ebenfalls ein
Geschenk ist die streng limitierte Marvel-
Sammelbox. Eichinger kaufte die Rechte
an der Superheldenreihe „Fantastic Four“
bereits 1986. Und dann steht da noch auf
seinem Schreibtisch das Porträt einer sehr
bekannten Regisseurin. Das hat aber nicht
direkt etwas mit Martin Moszkowicz’ Be-
ruf zu tun, sondern mit seinem Privatle-
ben: Seit zwanzig Jahren ist er mit Doris
Dörrie liiert.

Wo Bambis und Lolas funkeln


Martin Moszkowicz wackelt. Das hat nichts mit seinem Job als Vorstandsvorsitzender der Constantin Film AG zu tun. Sondern mit einem Fitnessgerät unter dem Tisch.
In den Regalen stehen jede Menge Auszeichnungen, im Raum sitzen viele Mitarbeiter – der Chef verzichtet auf ein Einzelzimmer

Auf dem Schreibtisch von Martin Moszkowicz steht das Porträt einer sehr bekannten Regisseurin. Das hat aber nicht direkt
etwas mit seinem Beruf zu tun: Seit zwanzig Jahren ist der Constantin-Chef mit Doris Dörrie liiert.

MÜNCHNER
CHEFZIMMER

Wenn vom „Münchner ABC“ gesprochen
wird,meinen Insider nicht das altehrwürdi-
ge ABC Kino, sondern die großen Medien-
firmen der Stadt: Arri, Bavaria und Cons-
tantin Film. 1978 stieg Bernd Eichinger in
die 1950 gegründete Firma ein, mit Filmen
wie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ oder
„Die unendliche Geschichte“ feierte der
Produzent und Verleiher bald große Erfol-
ge. Die Geschäftsbereiche wurden ausge-
weitet, das internationale Geschäft ange-
kurbelt, Produktionsfirmen hinzugekauft.
1999 ging die Firma an die Börse. Im Janu-
ar 2011 starb Eichinger, seit 2014 ist Mar-
tin Moszkowicz Vorstandsvorsitzender
der Constantin Film AG. Mit Hits wie „Fack
ju Göhte“, der Eberhofer-Krimireihe oder
der US-Serie „Shadowhunters“ erzielte
man zuletzt einen jährlichen Umsatz zwi-
schen 250 und 400 Millionen Euro. GRÜ

Peter Harnisch, 60, war Ende August mit
dem Rad in München losgefahren. Sein
Ziel war nicht der Tegernsee, es war Tehe-
ran. In diesen Tagen kam nun eine E-Mail
von ihm. „Heute bin ich wohlbehalten
nach 5100 Kilometern durch neun Länder
am Azadi-Tower in Teheran angekom-
men“, schrieb er. „Durch Tausende Eindrü-
cke und Begegnungen bereichert, und zu-
nächst nur um einen Viertelzahn ärmer.“
Die Höhepunkte seien der Karpatendurch-
bruch der Donau, die Städte Istanbul und
Amasya, Ostanatolien mit dem Ararat und
natürlich „die mir bislang unbekannte
Welt Irans“ gewesen. Er sei dort überall auf
„wahnsinnig freundliche und begeisterte
Menschen“ getroffen. Überall? „Ich bin lei-
der 20 Kilometer vor Teheran dummes Op-
fer einer Pseudo-Polizeikontrolle gewor-
den“, schrieb er. „Geld, Dokumente und
auch meine Kamera mit den Fotos, alles
weg (bitte hierzu keine Fragen!).“ Er wisse
sich aber „auch dank hiesiger Unterstüt-
zung“ zu helfen. „Keine Sorge.“ gfi

Über alle wacht der Axeman.
„Den habeich einmal von einem
Produzenten zum Geburtstag
geschenkt bekommen“, sagt
Martin Moszkowicz.
Der Filmchef joggt jeden Tag.
Deswegen steht auf seinem
Schreibtisch immer eine Flasche
Wasser. In den Regalen
sind Auszeichnungen ausgestellt,
die Constantin-Filme gewonnen
haben. Moszkowicz’ größter
Schatz steht aber woanders.
Es ist eine streng limitierte
Marvel-Sammelbox.
FOTOS: CATHERINA HESS

Ein Besuch bei
Martin Moszkowicz
von Constantin Film
SZ-Serie · Folge 16

WAS WURDE AUS ...


Constantin Film


München– Zum Beispiel Fritz Scheuer-
mann. Einer aus der dritten, vierten Reihe,
wie er selbst sagt. Seit 2011 ist er als Frank
„Fränkie“ Brettschneider in „Dahoam is
dahoam“ als Schauspieler zu sehen, spielt
aber auch Anspruchsvolleres wie das Qual-
tinger-Stück „Der Herr Karl“. Auch als Ka-
barettist hat er sich schon versucht. Der
normale Überlebenskampf in der Schau-
spielmetropole München. Es ist kurz vor
sieben im Festsaal des Alten Rathauses, in
dem Oberbürgermeister Dieter Reiter
(SPD) gleich wieder den traditionellen
Empfang einläutet – für in München leben-
der und arbeitender Schauspielerinnen
und Schauspieler. Eine schöne Tradition,
wie Scheuermann findet: „Ich fühle mich
immer ganz geehrt. Und ich mag die Stim-
mung hier.“
Die Stimmung ist mit aufgekratzt unzu-
reichend beschrieben. Schon eine Viertel-
stunde vor Veranstaltungsbeginn geht es
zu wie im Taubenschlag. Ein Geräuschpe-
gel, angesichts dessen Hausherr Reiter
sich spaßeshalber die Ohren putzt, als er
die Treppe hochkommt. Der Lärm steigert
sich noch einmal, als er das Rednerpult en-


tert – Ovationen, wie er sie sonst wohl nur
als Gitarrist auf der Konzertbühne erlebt.
„Unglaublich“, ruft er, „vielleicht kann ich
Sie ab und zu mal buchen.“ Bei den anste-
henden Wahlen wird er für jeden Klatscher
dankbar sein. Er verspricht, kurz zu reden:
„Ich will Sie gar nicht lange stören. Fünf Mi-
nuten, und dann geht’s ab.“ Offiziell dauert
die Veranstaltung von 19 bis 20 Uhr, aber
Reiter weiß aus Erfahrung: „Das ist der
Empfang, der im ganzen Jahr am längsten
dauert. Das muss irgendwie mit dem Gen-
re zu tun haben.“
Hat es in der Tat. Schließlich gibt es so
viel zu erzählen. Dem Schauspielerjob ist
ja ein gewaltiger Networking-Anteil zu
eigen. Bei diesem Empfang potenziert er
sich: da ein Plausch mit dem Kollegen, dort
ein völlig unverbindliches Hallo bei der
Frau von der Casting-Agentur... Nur gut,
dass es reichlich kühle Getränke gibt sowie
Seelachs und Geschnetzeltes. Arndt Schim-
kat, der lange Mann fürs Komische, hat
sich geschickt positioniert: genau da, wo
dienstbare Geister die Teller aus der Küche
tragen. Es ist sein erstes Mal beim Emp-
fang, aber er hat sich auf einen längeren

Abend eingestellt: „Solange die hier Essen
raustragen, geht keiner heim.“ Als Post von
der Stadt im Briefkasten lag, hatte er zu-
nächst einen Strafzettel erwartet und war
dann umso angenehmer überrascht. Seine
Begleitung: Juliane Köhler, mit der er un-
längst zusammenarbeitete. Aber die hat er
längst aus den Augen verloren. „Und jetzt
muss ich mal dem Jürgen hallo sagen“, und
schon stößt er mit dem Kollegen Tonkel
an, dem legendären Radiomoderator aus
„Wer früher stirbt, ist länger tot“.
Und sonst so? Ernst Hannawald kommt
ganz in Schwarz, Sissi Perlinger wie immer
im Leo-Look, Richard Oehmann in Zivil.
Überhaupt die Garderobe: wohltuend un-
aufgeregte Streetwear, wenig Glitzer-Mini-
röcke oder ähnlich Aufsehenheischendes.
Dazu ein ebenso angenehm unaufgeregter
Bürgermeister. Der bekennt, dass er es in
Theater, Kino oder Konzert höchstens ein-
mal im Monat schafft und der auch zuge-
ben kann, dass er früher Bud Spencer und
Terence Hill toll fand. Man kann Fritz
Scheuermann schon verstehen: wirklich ei-
ne schöne Atmosphäre. Echt jetzt, ganz oh-
ne Schauspielerei. thomas becker

Im Leoparden-Look zu Gast beim Oberbürgermeister. Auch Schauspielerin Sissi
Perlingerfolgte der Einladung ins Münchner Rathaus. FOTO: SEBASTIAN GABRIEL

... dem Mann,
der mitdem Fahrrad
nach Teheran wollte

„Solange die hier Essen raustragen, geht keiner heim“


Angenehmunaufgeregt: Oberbürgermeister Dieter Reiter empfängt in München lebende und arbeitende Schauspieler im Rathaus


R6 (^) LEUTE Donnerstag,24. Oktober 2019, Nr. 246 DEFGH

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