Süddeutsche Zeitung - 24.10.2019

(Nora) #1
von anna weiss

Z


wei Ukrainer treffen sich zufällig in
der Lobby eines Münchner Hotels
und unterhalten sich über ihre Anrei-
se. Der eine erzählt, dass er am Vorabend
mehr als sechs Stunden mit dem Bus von
Frankfurt nach München gefahren sei. Der
andere pfeift ungläubig. „Ach, das ist doch
ganz normal“, sagt der Ältere und lacht.
Bei den beiden Männern, die sich zufäl-
lig treffen, handelt es sich um zwei der re-
nommiertesten ukrainischen Schriftstel-
ler. „Das war Serhij Zhadan“, sagt Juri An-
druchowytsch, der ältere der beiden, und
setzt sich wieder. Lyriker, Essayist, Roman-
autor, Feuilletonist: Der 59-Jährige gilt als
einer der wichtigsten Intellektuellen der
Ukraine, dieses zerrissenen Landes, das im
Zentrum Europas liegt und über Jahrhun-
derte von verschiedenen Großmächten
und Königreichen beherrscht wurde. Zu-
letzt von der Sowjetunion – und immer
noch wird es von Russland bedrängt.
Andruchowytsch, der mit zwei Freun-
den in den Neunzigerjahren eine Lyrik-Per-
formance-Gruppe gründete und mit ihnen
den Dadaismus in seiner Heimatstadt Iwa-
no-Frankiwsk etablierte, die ukrainische
Literatur revolutionierte, sieht an diesem
Vormittag vor allem etwas zerknittert aus.
Die lange Reise vom Vortag hat ihre Spuren
hinterlassen, aber das ist der Schriftsteller
gewohnt. Das Motiv der Reise zieht sich
durch sein Werk. Er ist seit Anfang Okto-
ber unterwegs, war zuvor bei der Frankfur-
ter Buchmesse, nun ist er mit dem deutsch-
ukrainischen Literaturfest „Brücke aus Pa-
pier“ erst in München, dann in Berlin.


Das Festival ist für ihn ein besonderes:
„Normalerweise sind Literaturfestivals
auf den Zuschauer ausgelegt. Bei der Brü-
cke liegt der Fokus auf der inneren Zusam-
menarbeit, wie ein Treffen“, sagt Andru-
chowytsch. Gegründet 2014, zu Zeiten des
Euromaidans, fand die „Brücke aus Pa-
pier“ bis zu diesem Jahr immer in der Ukra-
ine statt und nun zum ersten Mal in
Deutschland. Warum ist dieser Kontakt
zwischen den beiden Ländern so wichtig?
„Jeder Austausch ist für uns wichtig! Über
unser Land wird zu wenig berichtet, auch
kulturell“, sagt der Autor. Außer zwei, drei
bekannten Namen sei die vielfältige litera-
rische Landschaft in Deutschland unzurei-
chend bekannt.
Juri Andruchowytsch spricht mit tiefer,
dröhnender Stimme Deutsch, eine ukraini-
sche Färbung klingt durch. 1992 war er
zum ersten Mal im Westen – in München.
Ein Stipendium der Stadt führte ihn in die
Villa Waldberta in Feldafing. Dort schrieb
der junge Autor seinen zweiten Roman:
„Moscoviada“. Das Buch beschreibt eine
düstere und zugleich absurde Episode aus
dem Leben eines jungen Literaturstuden-
ten im Moskau des Jahres 1992, dem „Zen-
trum des Verfalls“, wie Andruchowytsch es
nennt. In seinen Werken treffen mythische
Begriffe und unzählige Anspielungen aus
verschiedensten kulturgeschichtlichen
Epochen auf karnevaleske Elemente und
scheinbar trockene Phänomene wie Gren-
zen oder Territorien. Die für Andrucho-
wytsch keinesfalls trocken, sondern essen-
ziell sind: Durch das Reisen und die Erfah-


rungen mit Grenzen und ihren politischen
und sozialen Auswirkungen hat der Autor
ein System für sich erschaffen, das er zu-
nächst „Weltanschauung“ nennt. Dann re-
vidiert er das: Es sei ein „kreatives Modell“.
Dieses Modell nennt er „Geopoetik“, eine
Anspielung auf die Geopolitik, in der Groß-
mächte Territorien ohne Rücksicht auf per-
sönliche Verluste und Identitätsgefühle
der Bewohner unter sich aufteilen. „Geo-
poetik stellt diese brutale Geopolitik infra-
ge“, sagt Andruchowytsch. In seiner Litera-
tur verarbeitet er die Auswirkungen dieser
Politik. Das Wort Grenze hat für ihn eine be-
sondere Bedeutung: Das Äquivalent des
deutschen Worts „Ausland“ heißt im Ukrai-
nischen „hinter der Grenze liegend“.
Aufgewachsen ist Andruchowytsch in
der nach außen abgeschotteten Sowjetuni-
on. Seine Eltern und seine Großmutter sei-

en keine Dissidenten gewesen, jedoch
nicht in der Partei und darauf bedacht, ihre
Ruhe zu haben und damit beschäftigt, das
materielle Überleben zu sichern. „Im Nach-
hinein weiß ich gar nicht, wie wir das ertru-
gen. Das war ganz nah an der Armut – aber
das war normal. Es gab Millionen, die wie
wir lebten.“ Er hält inne. „Aber es war im-
mer noch besser als in den Zeiten, in denen
die Westukraine unter der Herrschaft von
Polen oder Österreich-Ungarn stand.“
In den Jahren 1989 und 90 wurden
Freunde und er von der Idee erfasst, dass
die Ukraine unabhängig sein soll. Sie war
die Heimat, die Sowjetunion aber war eine
„nichtgewählte Heimat“, wie Andrucho-
wytsch lakonisch feststellt. Er schrieb Flug-
blätter, die in baltischen Ländern gedruckt
und mit einem Kurier zurückgeschickt
wurden. Wenn er davon erzählt, lächelt er,

es klingt nach einer aufregenden Zeit, aber
dann winkt er ab, das sei nur ganz kurz ge-
wesen. Über sein aktuelles politisches En-
gagement möchte er nicht sprechen. Er
sagt, er sei nicht politisch aktiv, nur litera-
risch. Nur um anschließend zu erwähnen,
dass es in seinen wöchentlichen Kolumnen
hauptsächlich um Politik geht.
Juri Andruchowytsch plädiert dafür,
dass sich die Ukraine von Russland und
den Nachwehen der Sowjetunion emanzi-
pieren soll, die auch das persönliche Leben
der Menschen prägten. In seinen Roma-
nen wird exzessiv gesoffen, in seinem De-
bütroman „Karpatenkarneval“ von 1992,
erst in diesem Jahr auf Deutsch erschie-
nen, trinkt sich eine Dichterrunde in einen
amtlichen Rausch. Andruchowytsch lacht:
„Wir waren damals eben so unterwegs.“
Und fügt danach so knapp wie ernüch-

ternd hinzu: „Wir hatten zum Teil auch
nichts anderes für unser Vergnügen.“ Heu-
te sei das anders. „Ich habe aufgehört zu
saufen. Ich kann mich nicht mal erinnern,
wann ich zum letzten Mal Wodka getrun-
ken habe.“ Dafür habe er jetzt guten Wein
für sich entdeckt.
Was passiert mit der Ukraine nach der
Sowjetunion, nach dem Suff? Ohne den be-
täubenden Rausch können nun andere Län-
der bereist werden, kann der Austausch in-
tensiviert werden. „Wir sind schon von
Russland getrennt, aber wir sind noch
nicht Teil von etwas anderem geworden.
Wir hoffen, dass wir ein integraler Teil von
Europa und Mitglied der Europäischen Uni-
on werden.“ Juri Andruchowytsch wünscht
sich das seit Jahren. Damit Grenzen noch
leichter überwunden werden können, per-
sönlich und künstlerisch.

Es war im Jahr 2016, und es war schön. Das
weltbesteMünchner Plattenlabel Trikont
und das Kulturreferat veranstalteten das
Lautyodeln-Festival, es gab Musik zuhauf,
im Fraunhofer Wirtshaus, im Volkstheater
und in der Allerheiligen-Hofkirche. Wer da-
mals nicht dabei sein konnte, konnte sich
grämen, musste es aber nicht, denn bei Tri-
kont erschien bald eine wundervolle Auf-
nahme, „Laut Yodeln, fern – nah – weit“,
und da war viel drauf von dem, was sich da-
mals ereignet hatte. Schon damals betraf
Jodeln keineswegs nur eine alpenländi-
sche Lautäußerung, wichtig war damals
auch schon zum Beispiel das „American Yo-
deling“, das entsteht, wenn schwarze Blues-
sänger auf weiße Hillbilly-Musiker treffen.
Und von der Mongolei wollen wir jetzt gar
nichts erst reden.

Drei Jahre später wiederholte sich auf
wundersame Weise, was damals passiert
war. Es gab wieder ein Festival, es gab wie-
der die profunde Widerlegung der Annah-
me, zum Jodeln bräuchte es ein alpenländi-
sches Ambiente, obwohl dies keineswegs
schadet, und es gibt nun wieder eine CD.
An diesem Donnerstag, 24. Oktober, wird
im Volkstheater „Laut Yodeln Vol. 2“ vorge-
stellt, bestehend aus Mitschnitten des Fes-
tivals. Bei der Präsentation mit dabei ist
Erika Stucky, wilde Schweizer Vertreterin
eines allumfassenden Experimentaljo-
delns, die auch gern mal mit FM Einheit
auftritt. Auf der CD klingt diese Zusam-
menarbeit dann erst einmal wie ein langge-
zogener Blues, dann verfällt Stucky vom
Englischen ins Schweizerische, im Hinter-
grund fuhrwerkt FMEinheit auf irgendwel-
chem Gerümpel herum, Stucky verfällt in
eine Art Rosenkranz-Deklamation, träumt
auf Englisch von einem Zuhause mit Kin-
dern und Gnocchi, erklärt das dann wieder
auf Schweizerdeutsch, nämlich auch, dass
sie die Nase voll hat davon, mit dem Tour-
bus umeinander zu fahren. Jodeln ist Hei-
mat. Aber ganz so leicht ist es nicht.
Dafür gibt es hier viele Beispiele, völlig
disparat gegeneinander gestellt, etwa die
österreichische GruppeAlma. Die machen
mit Geigen, Knopfakkordeon und Kontra-
bass, vor allem aber mit viel Stimme eine
Art akustischen Trance oder Techno oder
was auch immer, auf jeden Fall ist es irre,
soghaft, großartig. Am anderen Ende einer
imaginären Skala, die von Bluegrass, Cow-
boys und kraftvollsten Balkanpoetinnen
bestimmt ist, hausen dieSchwarzbären
Schuppel. Das sind acht junge Sänger aus
Urnäsch im Appenzell, und sie singen Stü-
cke, die so alt sind wie die Schweiz selbst.
Zäuerli sind das, die kann man im Appen-
zell hören, wenn das eine Jahr zu Ende geht
und das nächste anfängt, dann wandern
die Sylvester-Chläuse von Dorf zu Dorf
und tanzen und singen, und in Urnäsch ha-
ben sie ein Nest. egbert tholl

Erika Stucky, Donnerstag, 24. Oktober, 20 Uhr, Foy-
er des Volkstheaters, Brienner Straße 50

München–Es hat sich einiges getan in der
Münchner Jazzszene in den vergangenen
30Jahren. Es gibt mehr gute junge Jazzer
als je zuvor, nur mit den Auftrittsmöglich-
keiten sieht es so mau aus wie eh und je.
Schon damals war Selbsthilfe angesagt,
und so schlossen sich die Aktiven zur „Jazz-
musiker-Initiative München J.I.M.“ zusam-
men und veranstalteten auch ein kleines
Festival, das „Jazzfest“. Zunächst auf dem
Olympiagelände, dann an wechselnden Or-
ten, bis es vor einigen Jahren seinen festen
Platz im Gasteig fand. Mittlerweile ist es ei-
ne Institution. Mehr als 1000 Musiker sind
bisher aufgetreten, und von zunächst drei
ist das Festival auf fünf Tage angewach-
sen, heuer ausgetragen in zwei Blöcken im
Oktober und Dezember.


Schon seit Langem verpasst das einge-
spielte Veranstalter- und Organisations-
team rund um den Pianisten Andi Lutter
dem Konzertreigen ein Motto, oft ein ziem-
lich überraschendes („Medusa“ war mal so
eins). Mit „Bilder einer Ausstellung“ hat
man für das Jubiläum eine vielverspre-
chende Wahl getroffen. Lässt sich doch un-
ter diesem Titel zum einen gut die eigene


Geschichte Revue passieren lassen, zum
anderen lassen sich mit dem gleichnami-
gen Werk Mussorgskis samt den Bearbei-
tungen von Ravel bisEmerson, Lake & Pal-
merdie Kollegen inspirieren. Letzteres
wird allerdings vorzugsweise bei den neun
Konzerten im Dezember passieren, jetzt
geht es bei zwei Doppelkonzerten erst ein-
mal mit Rück- und Ausblicken los.
Eine CD-Präsentation macht am Freitag
wie am Samstag den Anfang. Beide Male
für das Enja-Label eingespielt von altge-
dienten Münchner Jazzern mit auswärti-
gen und ausländischen Freunden. Einmal
das Sextett des Schlagzeugers Matthias
Gmelin, der schon vor 20 Jahren in den hie-
sigen Clubs trommelte, zwischenzeitlich
den Job fast hingeworfen hätte und jetzt
richtig durchstartet. Seinen luziden Mo-
dern Jazz in der Postbop-Tradition befeu-
ern beiVibes Waltzder Vibrafonist Tim Col-
lins, der Saxofonist Jason Seizer und der
Trompeter Johannes Faber, die die Münch-
ner Szene in vielen Rollen seit Jahrzehnten
mitprägen, Perkussionist Diony Varìas As-
tudillo und der seit 20 Jahren in New York
lebende Pianist Emmanuel Ruffler.
Tags darauf ist Gitarrist Geoff Good-
man an der Reihe, der seit Jahren mit enor-
mer Schlagzahl Crossover-Ausflüge von al-
banischer Volksmusik über japanische Hai-
kus bis zu Soundcollagen unternimmt.
Und bei „the opposite of what“ mit Andre-
as Kurz am Bass und Matthieu Bordenave
am Saxofon, dem Berliner Bassklarinettis-
ten Rudi Mahall und dem amerikanischen
Schlagzeuger Bill Elgart auch mal richtig
groovt. Dazu gesellt sich am ersten Abend
mitArk Noireine der erfolgreichen jungen
Bands aus dem Münchner Techno- und In-
die-Jazz-Zirkel. Und am Schluss steht eine
fast sensationelle „Reunion“ an, wenn sich
der mit interaktiven Kunst- und Klangin-
stallationen bekannt gewordene Burkard
Schmidl im Trio mit dem Gitarristen Jo-
chen Volpert und dem Schlagzeuger Jan Ze-
linka auf seine Jazz-Wurzeln besinnt – al-
lerdings in einer zeitgemäß stiloffenen
und funkigen Mischung samt Electronics
und Loops. oliver hochkeppel

Jazzfest München, Fr. und Sa., 25. und 26. Oktober,
20 Uhr, Black Box im Gasteig, Rosenheimer Str. 5

München– Eswar eine ungewöhnliche
Reise ins Eis, die Magdalena Jetelová unter-
nahm. Eine Reise in jenes Eis, das man bis
vor Kurzem ohne langes Nachdenken das
ewige nannte. Doch mit jedem neuen Hin-
weis auf die Erderwärmung, die fruchtba-
res Land in Wüsten verwandelt, Perma-
frostböden tauen lässt, Trockengebiete
überflutet, die Entstehung von Wirbelstür-
men in eigentlich viel zu kalten Meeresregi-
onen ermöglicht, kurzum: Mit jeder neuen
Hiobsbotschaft über den Klimawandel
schmilzt auch die Selbstvergessenheit im
Umgang mit der Sprache über das Eis.
Nun könnte man sagen, Jetelovás Reise
ins Eis passe perfekt in die „Fridays for Fu-
ture“-Zeiten. Doch das Thema der Verände-
rung unseres Lebensraumes durch den Kli-
mawandel beschäftigt die Künstlerin in ih-
ren Land-Art-Projekten schon viel länger.
Die Aufnahmen, die derzeit unter dem Ti-
tel „Essential is Visible“ in der Galerie der
Deutschen Gesellschaft für Christliche
Kunst (DG) zu sehen sind, entstanden


  1. Die Idee dazu ist entsprechend älter.
    Darüber hinaus kann man ihr jüngstes Ge-
    samtprojekt „Pacific Ring of Fire“ als Wei-
    terentwicklung des „Iceland Projects“ se-
    hen, das Jetelová bereits 1992 realisiert
    hat. Beide Male arbeitete sie mit einem La-
    serstrahl, dessen Licht sich in die dunklen
    Schwarz-Weiß-Aufnahmen geradezu hin-
    einzufräsen scheint. In Island folgte dieser
    Strahl – mitunter schnurgerade – der
    Form eines Bergrückens, der dort verläuft,
    wo die europäische auf die amerikanische
    tektonische Platte trifft.
    In der Antarktis nutzte sie mathemati-
    sche Berechnungen, um – irgendwo zwi-
    schen Erde, Wasser und Eis – die geologi-
    sche Nahtstelle festzulegen und mithilfe
    des Laserstrahls zu kennzeichnen. Dass sie
    für die Langzeitbelichtungen oft stunden-
    lang zwischen Eisbergen auf einem
    schwankenden Boot ausharren oder für
    den passenden Standort eisbedecktes
    Land erklimmen musste, von dem vermut-
    lich nicht immer klar war, ob es sich tat-
    sächlich um das arktische Eisschild, um
    Schelfeisgebiete oder doch nur um riesige
    Tafeleisberge handelt, muss eine unglaub-
    liche Herausforderung an Körper und
    Geist gewesen sein. Vor allem wenn man


bedenkt, dass sie mit dem Laserstrahl zum
einen über Land, Wasser und Eis hinweg
exakte Linien zeichnete, zum anderen aber
auch Texte ins Dunkel der Nacht schrieb.
Und immer mussten die Lichtspuren von
der Kamera festgehalten werden, bevor sie
aufgrund von Zeit und Raum verwischt
wurden. Die Aufnahmen präsentiert Mag-
dalena Jetelová in zwei Meter breiten
Leuchtkästen, die einen fast magischen
Sog entwickeln.

Den Leuchtkästen gegenüber ist in der
Ausstellung in der DG ein Filmloop in Far-
be projiziert, der die Betrachter mitten hin-
ein versetzt ins schmelzende Eis. Die Schol-
le, die da vor dem Auge des Betrachters
auf- und niederschwankt, wirkt alles ande-
re als majestätisch. Auf der Balustrade der

DG-Galerie ist zudem ein Projekt Jetelovás
zu erkunden, in dem es um den Mond und
seinen Bezug zur Erde, genauer, unseren
akustischen Bezug zu ihm geht.
Dass das Thema der Grenzen für Magda-
lena Jetelová so eine wichtige Rolle spielt,
mag auch damit zusammenhängen, dass
sie einst der Begrenztheit der Tschechoslo-
wakei entfloh. Seither lebt die 1946 im
tschechischen Semily geborene Künstle-
rin überwiegend in München, wo sie viele
Jahre auch eine Professur an der Akade-
mie innehatte. Bekannt geworden war die
Documenta-8-Teilnehmerin durch ihre
großen Holzskulpturen von Tischen, Stüh-
len oder Treppen. Für Aufsehen sorgte ihre
pyramidenartige Aufschüttung im MAK in
Wien. Bedeutung erlangte ihre Fotoserie
des Atlantik-Walls. Auch dies eine Grenzer-
fahrung – und eine Reise, die das Wesentli-
che sichtbar machte. evelyn vogel

Magdalena Jetelová: Essential is Visible, Galerie
der DG, Finkenstr. 4, bis 7. Dez., Di-Fr 12-18 Uhr

München– Esgibt Songs, bei denen man
sofort seinen Job mit dem Sänger tauschen
möchte – wie er der da steht mit Piloten-
sonnebrille, Bärtchen, silbriger Duesen-
berg-Gitarre und einer Band im Rücken,
die gespannt ist wie die Feder einer bis
zum Anschlag aufgezogenen Uhr und eine
Hookline ins Publikum feuert, die Herzen
sprengt: „Lady, Don’t Leave“. Liebe kann
so cool sein. Und so tödlich. Tito Larriva
war mal der Mann für filmreife Songs, die
die Karriere vonTito & Tarantulaanscho-
ben – und in ihren Klauen hatten. Von der
Urbesetzung ist nur Tito übrig. Eben ha-
ben die neuen Tarantulas ein Album einge-
spielt, „8 Arms To Hold You“. Der stärkste
neue Song an diesem Abend: „Virtues
Glow“, ein großes, schemenhaftes Gemäl-
de über Religion, Wahnsinn und Amok. Die-
se Band schafft Atmosphäre mit reduzier-
ten Mitteln und lauscht im Verhallen der
Töne einem Gefühl nach.
Dazu braucht es die Präzision von Musi-
kern, die gerade wieder einen exzessiven
Tourblock hinter sich haben. Beim zweiten
Song „Slippin’ &Slidin’“ springt der Motor
an, stanzt unbeirrbar rollende Beats. Inno-
vation sucht hier keiner. Aber die junge All-
ysa Martinez, die Mandoline, Keyboard
und Geige spielt, tupft Farbe auf den sat-
ten Sound. Titos deutscher Kumpel Mar-
cus Praed sekundiert ihm als Gitarrist
auch mit dem Wolfsheulen der Bottleneck-
Slides, am Bass, unergründlich lächelnd,
Titos Tochter Lolita, die mit ihm das neue
Album geschrieben hat. Papa ist sehr stolz,
und das sagt er auch.
Papa plaudert gerne: darüber, wie ihn
Regisseur Robert Rodriguez übers Ohr
haute. Die Stimme zittert, als er von der
Mall in El Paso erzählt, die sein Vater baute
und die erst jüngst Tatort eines Massakers
eines Rassisten wurde. Der dazugehörige
Song „He’s A Liar“ ist auch neu und im Kon-
text der Rock’n’Horror-Show ein erstaun-
lich politisches Statement. „After Dark“
muss sein – wer will darf auf der Bühne
schlagengleich tanzen und sich fühlen wie
in der Filmbar Titty Twister. All das ist sehr
sympatisch. christian jooß-bernau

Irgendwo zwischen Erde, Wasser und Eis musste Magdalena Jetelová ausharren,
um ihre Lichtspuren zu fotografieren. FOTO: MAGDALENA JETELOVÁ

Worte mit Widerhall


Der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch spricht anlässlich des Münchner Festivals


„Brücke aus Papier“ über sein Heimatland, politisches Engagement und die Bedeutung des Saufens


Jetelovás Arbeiten haben meist
mit Grenzerfahrungen zu tun.
Das mag biografisch bedingt sein

Alma und


dieSchuppel


„Laut Yodeln Vol. 2“ mit
Erika Stucky im Volkstheater

Feste Größen


Im Gasteig startet das Jazzfest München


Eine Reise ins Eis


MagdalenaJetelovás Ausstellung „Essential is Visible“ in der DG-Galerie Rollende Beats


Die US-Band „Tito & Tarantula“
sprengt Herzen im Backstage

Seit Jahren in der Münchner Jazz-Szene
zu Hause: der aus New York stammende
Gitarrist Geoff Goodman. FOTO: PICASA


Verleiht seinen Texten Nachdruck: Juri Andruchowytsch am Montag beim Konzert mit der BandKarbidoim Muffathallen-Café. FOTO: MILA PAVAN

1992 war der Schriftsteller zum


ersten Mal im Westen –


in der Villa Waldberta in Feldafing


HÖRENSWERT


KURZKRITIK


R18 (^) KULTUR Donnerstag,24. Oktober 2019, Nr. 246 DEFGH

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