Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,24.OKTOBER2019 FORUM 15


V


ordergründig stellte der von
US-Präsident Trump angeord-
nete überstürzte Abzug der
US-Truppen aus Nordsyrien
und die damit verbundene Preisgabe der
kurdischen Verbündeten der USA ein
Einknicken vor der Militäroffensive des
türkischen Staatschefs Erdogan dar. Tat-
sächlich aber markiert dieser Verrat den
KKKulminationspunkt einer schon viel wei-ulminationspunkt einer schon viel wei-
ter zurückreichenden schleichenden
Kapitulation – der vor dem Regime As-
sads und seiner Schutzmächte Russland
und Iran. Und er symbolisiert auf drasti-
sche Weise die Abdankung der USA als
verlässliche globale Führungsmacht der
demokratischen Welt.
Die türkische Offensive gegen die kur-
dische PYD, der Trump den Weg frei
gemacht hat, nutzte die Kriegsachse Mos-
kau–Teheran–Damaskus sogleich für
Gebietsgewinne im Norden. Das ist of-
fffensichtlich Folge eines Deals zwischenensichtlich Folge eines Deals zwischen
Moskau und Ankara: Erdogan wird, zu-
mindest fürs Erste, die Errichtung einer
„Sicherheitszone“ an der türkischen
Grenze gestattet, und dieser macht im
Gegenzug Assad nicht länger die Herr-
schaft über das restliche Syrien streitig.
Damit geht Putins Kalkül in vollem Um-
fffang auf. Nicht nur hat er sich Erdogan,ang auf. Nicht nur hat er sich Erdogan,
jedenfalls bis auf Weiteres, zum Partner
gemacht. Er hat damit auch die von die-
sem erbittert bekämpfte PYD, den syri-
schen Ableger der in der Türkei operie-
renden terroristischen PKK, in ein of-
fffenes Bündnis mit dem Assad-Regimeenes Bündnis mit dem Assad-Regime
gezwungen. Unterschwellige Komplizen-
schaft mit diesem wurde der PYD schon
lange nachgesagt.
Mit der Aushandlung einer „Waffenru-
he“, die den einseitigen Abzug der kur-
dischen Kräfte aus dem von der Türkei
beanspruchten Gebiet vorsieht, hat Wa-
shington diese Konstellation gleichsam
offiziell legitimiert. Das strategische
Desaster der USA und damit auch der
ffführenden EU-Staaten, die sich einmalührenden EU-Staaten, die sich einmal
mehr hinter deren breitem Rücken ver-
steckten, hat eine Vorgeschichte, die weit
vor der Amtszeit Trumps beginnt. Viele
Jahre lang sah der Westen zu, wie die
Kriegsallianz Moskau–Teheran–Damaskus
einen Vernichtungskrieg gegen die eigene
Bevölkerung führte, der auch den Einsatz
von Giftgas einschloss. Die strikte Be-
schränkung des westlichen Engagements
in Syrien auf die Bekämpfung der Terror-
miliz IS bedeutete faktisch, Assad und
seinen Schutzherren freie Hand für die
AAAuslöschung der syrischen Oppositionuslöschung der syrischen Opposition
und die systematische Entwertung des
humanitären Völkerrechts zu geben.


Nunmehr hält Putin alle Fäden in der
Hand, um über die weiteren Geschicke
des Landes zu bestimmen. Unter seiner
AAAufsicht können die Autokraten in Da-ufsicht können die Autokraten in Da-
maskus, Teheran und Ankara jetzt weit-
gehend ungestört ihre Ansprüche in Sy-
rien unter sich aushandeln. Washington
spielt in dieser Konstellation faktisch
keine Rolle mehr. Und noch weniger die
Europäer, die sich als unfähig erwiesen
haben, in Bezug auf Syrien eine eigen-
ständige politische und militärische Per-
spektive zu entwickeln. Deshalb wirkt
Kramp-Karrenbauers plötzlicher Vorstoß
zur Einrichtung einer international kon-
trollierten Schutzzone seltsam realitäts-
fffern und abstrakt. Welchen Grund solltenern und abstrakt. Welchen Grund sollten
Putin und seine Waffenbrüder haben,
Teile Syriens internationaler Kontrolle zu
üüübergeben, nachdem sie auf ganzer Liniebergeben, nachdem sie auf ganzer Linie
die militärische Oberhand gewonnen
haben? Auch ein UN-Sicherheitsrats-
mandat für eine solche Mission ist ja
bekanntlich nur mit Zustimmung Mos-
kaus zu erhalten. Ohne eine vorherige
massive Veränderung der Kräfteverhält-
nisse in Syrien könnte Kramp-Karrenbau-
ers Plan, so er denn überhaupt Realisie-
rungschancen hat, darauf hinauslaufen,
dass europäische Soldaten die Herrschaft
des Assad-Regimes stabilisieren und die
türkischen Machtansprüche absichern
helfen.
Dass Kramp-Karrenbauers Vorschlag
die Einbeziehung Russlands und der
Türkei in ein Schutzkonzept vorsieht,
lässt fürchten, dass Berlin in diese Falle
laufen könnte. Unverdrossen hält man
hier an der Fiktion fest, Putin sei ein
potenzieller Friedensvermittler und nicht
vielmehr die Hauptkraft hinter der krie-
gerischen Zerstörung Syriens. Und wa-
rum soll es eigentlich nur eine Schutz-
zone in den Kurdengebieten geben und
nicht auch eine für die durch das Bom-

Der Westen


hat kapituliert


Erdogans Einmarsch in Nordsyrien ist die Folge


eines weit zurückreichenden Versagens der USA


und Europas. Auf ganzer Linie gesiegt hat Putin.


Die Idee einer internationalen Schutztruppe


könnte daher in eine Falle führen


RICHARD HERZINGER

LEITARTIKEL


Auch in Europa wächst der Wunsch,


sich mit Putin gut zu stellen


bardement der russischen und syrischen
Luftwaffe terrorisierte und vertriebene
Zivilbevölkerung der Provinz Idlib? Wenn
es um schlimmste Kriegsverbrechen geht,
scheint Putins Russland hierzulande nach
wie vor einen Bonus zu genießen. Zu
Recht schlagen in der deutschen Öffent-
lichkeit die Wellen der Empörung über
das brutale türkische Vorgehen in Nord-
syrien hoch. Gegen die fortgesetzten
Untaten der russisch-iranischen Achse
rührte sich jedoch zuletzt kaum noch
irgendwo Protest.
Das Versagen des Westens in Syrien
wird weit über die Region hinaus gra-
vierende Auswirkungen auf die global-
politischen Machtverhältnisse und die
internationale Rechtsordnung haben. So
halten Putin und Erdogan gegenüber den
Europäern ein mächtiges Instrument in
der Hand: Sie können jederzeit damit
drohen, syrische Flüchtlinge auf Europa
loszulassen und die liberalen Demokra-
tien damit weiter zu destabilisieren, soll-
ten sich diese ihren Plänen für Syrien
widersetzen. Die Folge dürfte sein, dass
sich Europa zunehmend den strategi-
schen Ansprüchen Russlands unterord-
net. Dies gilt umso mehr, als Trumps
aaabrupter Rückzug aus Syrien die bünd-brupter Rückzug aus Syrien die bünd-
nispolitische Glaubwürdigkeit der USA

aaaufs Schwerste beschädigt hat. ufs Schwerste beschädigt hat.
Unter Trumps Präsidentschaft ist die
amerikanische Tolerierung von Putins
Gewaltpolitik in Syrien in eine kaum
verhohlene Billigung derselben überge-
gangen. Trumps bizarre, willkürliche
AAAußenpolitik, die diesen Namen eigent-ußenpolitik, die diesen Namen eigent-
lich nicht verdient, weist nur eine Kon-
stante auf: die Unterminierung des welt-
politischen Einflusses der USA und der
universalistischen Prinzipien, auf die sich
ihre Stellung als globale demokratische
Führungsmacht gründete. Trumps Tirade
gegen den „Globalismus“ kürzlich vor
den UN verriet, dass er – sofern bei ihm
üüüberhaupt von ideellen Überzeugungenberhaupt von ideellen Überzeugungen
die Rede sein kann – auch ideologisch
dem autoritären Nationalismus Putins
und der globalen extremen Rechten ver-
pflichtet ist. Putin kann sich für sein
Bestreben, die USA als Garanten des
Projekts einer liberalen Weltordnung
aaauszuschalten, kaum einen besserenuszuschalten, kaum einen besseren
Gehilfen wünschen als Trump.
Doch statt dies als eminente Bedro-
hung für das demokratische Europa wahr-
zunehmen, suchen die Europäer selbst
zunehmend die Nähe des Kreml. Frank-
reichs Präsident Macron hat sich bereits
fffür eine europäische Sicherheitsarchitek-ür eine europäische Sicherheitsarchitek-
tur ausgesprochen, die größere Unabhän-
gigkeit von den USA gewährleisten soll –
und in die er auch Russland einbeziehen
will. Nicht zuletzt für die Ukraine bedeu-
tet dies nichts Gutes. Es ist zu befürch-
ten, dass Frankreich und Deutschland in
den kommenden Gesprächen über eine
Befriedung des Donbass Kiew dazu drän-
gen werden, dem russischen Aggressor
Zugeständnisse auf Kosten der ukrai-
nischen Souveränität zu machen. Putins
Triumph in Syrien fördert im zerfallen-
den Westen den Wunsch, sich mit dem
Sieger gut zu stellen.
[email protected]

ǑǑ


KOMMENTAR


ANJA ETTEL

Die Neue


bei der EZB


D


eutschland hat eine weitere
starke Frau in Europa: Die
Bonner Wirtschaftsweise
Isabel Schnabel soll in das Direktori-
um der Europäischen Zentralbank
(EZB) einziehen. Eine gute Wahl,
denn Schnabel hat viele Stärken: Sie
ist extrem kompetent, meinungs-
stark und redegewandt. Sie ist eine
Spezialistin für Finanzkrisen und
Regulierung und gehört seit Jahren
zu den wichtigsten wirtschafts-
politischen Beratern der Bundes-
regierung. Eine geldpolitische Dog-
matikerin, die für die harten deut-
schen Vorstellungen streitet, ist sie
allerdings nicht.
Ihre Berufung in das Direktorium
der EZB muss deshalb all jene ent-
täuschen, die darauf gehofft hatten,
die Regierung werde mit der Per-
sonalie versuchen, das Lager derjeni-
gen zu stärken, die für ein rasches
Ende der geldpolitischen Exzesse
kämpfen. Zwar hat Schnabel im
Detail durchaus Kritik geübt. Doch
im Grundsatz steht sie hinter den
Entscheidungen der Zentralbank und
ihres bisherigen Präsidenten Mario
Draghi. Die EZB zum Sündenbock zu
machen für das Leid der deutschen
Sparer, hält sie daher für falsch.
Mit der Entscheidung für Schna-
bel senden damit auch Bundeskanz-
lerin Angela Merkel (CDU) und
Finanzminister Olaf Scholz (SPD)
ein klares Signal. Die rasche Rück-
kehr zu einer Welt positiver Spar-
renditen ist in Berlin offensichtlich
nicht Priorität. Die Regierung hat
zuvor schon darauf verzichtet, Bun-
desbank-Präsident Jens Weidmann,
einen der entschiedensten Kritiker
Draghis, in das Rennen um die EZB-
Präsidentschaft zu schicken. Und
auch jetzt scheint man in der Re-
gierung darauf zu setzen, dass fun-
damentale Opposition aus Deutsch-
land in Fragen der Geldpolitik of-
fffenbar nicht zielführend ist. Dasenbar nicht zielführend ist. Das
könnte auch daran liegen, dass im-
merhin schon drei deutsche EZB-
Direktoren ihr Amt vorzeitig auf-
gegeben haben. Einen vierten Rück-
tritt dieser Art kann und will Berlin
nicht riskieren.
Doch gerade weil die Regierung
aaauf eine konfrontative Personalieuf eine konfrontative Personalie
verzichtet, gerade weil die Zinsen
niedrig bleiben werden und der
einstige Volkssport Sparen sich wei-
terhin nicht lohnt, wird etwas ande-
res umso wichtiger: es den Bürgern
zu ermöglichen, auf andere Art als
bisher für das Alter vorzusorgen. Die
Bundesbank hat gerade vorgerech-
net, auf welche horrende Schieflage
die gesetzliche Rente zusteuert. Eine
Transaktionssteuer für Sparer, die
privat über Aktien vorsorgen, wie
der Finanzminister sie plant, ist da
genau der falsche Weg. Die Regie-
rung sollte davon ablassen. Das wür-
de den Sparern deutlich mehr helfen
als jede EZB-Personalie.
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