Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1

2 THEMA DES TAGES DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,24.OKTOBER


Sowjetunion. Viel wichtiger dürfte
jedoch die geopolitische Vision
Moskaus sein. Putins Strategie ist
ein Nullsummenspiel: Er gewinnt,
wenn andere verlieren – in diesem
Fall die USA. Mit dem Rückzug
amerikanischer Truppen aus Sy-
rien machte US-Präsident Donald
Trump den Weg frei für Russland
als Ordnungsmacht in Nahost.
Moskau hat dort momentan so viel
Einfluss wie seit über 40 Jahren
nicht mehr.

2. Gewinner: syrisches Regime
AAAls die Proteste in Syrien 2011 be-ls die Proteste in Syrien 2011 be-
gannen, sah es so aus, als würde
Assad den Aufstand nicht überle-
ben. Acht Jahre später sitzt der sy-
rische Diktator wieder fest im Sat-
tel. Seine Kontrolle erstreckte sich
bis vor Kurzem über fast das ge-

S


echs Stunden dauerte
das Treffen zwischen
den beiden Präsidenten.
AAAls Wladimir Putin undls Wladimir Putin und
Recep Tayyip Erdogan schließlich
am Dienstagabend in Sotschi vor
die Presse traten, stand ihnen die
Anstrengung ins Gesicht geschrie-
ben. Doch: Sie hatten einen Deal
fffür Nordsyrien.ür Nordsyrien.


VON CAROLINA DRÜTEN

Die Vereinbarung verlängert
fffaktisch die Waffenruhe um 150aktisch die Waffenruhe um 150
Stunden, etwas mehr als sechs Ta-
ge. So viel Zeit haben die Kämpfer
der kurdischen YPG-Miliz, die Er-
dogan als Terrororganisation be-
zeichnet, um aus einem 30 Kilo-
meter breiten Streifen südlich der
türkischen Grenze abzuziehen. Sy-
rische Grenzpolizisten und die
russische Militärpolizei sollen den
AAAbzug sicherstellen. bzug sicherstellen. Ein Überblick
üüüber die Gewinner und die Verlie-ber die Gewinner und die Verlie-
rer des Deals.



  1. Gewinner: Russland
    Putin ist der engste Verbündete
    des syrischen Diktators Baschar al-
    Assad. Sein oberstes Ziel war es,
    ein vereinigtes Syrien unter die
    vollständige Herrschaft Assads zu
    stellen – mit Russland als Strip-
    penzieher. Dass die Türkei Assad
    nun als Herrscher Syriens akzep-
    tiert, ist für ihn ein entscheiden-
    der Schritt. Syrien ist militärisch
    bedeutend für Moskau. In der
    westsyrischen Stadt Tartus liegt
    der einzige russische Marinestütz-
    punkt außerhalb der ehemaligen


samte Land – außer den Norden.
Denn dort hatten die Kurden ein
de facto autonomes Gebiet kon-
trolliert. Doch dann griff die türki-
sche Armee in der Region an. Für
Assad erwies sich die Invasion als
Geschenk: Er musste weder mit
den Amerikanern verhandeln noch
Zugeständnisse an die Kurden ma-
chen. Kaum dass die kurdischen
Kämpfer angesichts des türki-
schen Angriffs unter Druck gerie-
ten, wandten sie sich von ganz al-
lein an das syrische Regime, um
Hilfe zu erbitten. Assad folgte der
AAAufforderung nur zu gern. Erdo-ufforderung nur zu gern. Erdo-
gans Militäroffensive trieb ihm die
einstigen Feinde geradezu in die
Arme. Damit ist er so mächtig wie
vielleicht seit Beginn des Bürger-
kriegs nicht mehr – trotz seiner
Kriegsverbrechen.

3. Gewinner: Der Iran
Der Iran spielte in den vergange-
nen Tagen eine eher passive Rolle,
doch er kann mit dem Ergebnis
der russisch-türkischen Verhand-
lungen zufrieden sein. Teheran
stützt wie Moskau das Assad-Re-
gime.Wie die Russen wollen auch
die Iraner vom Wiederaufbau Sy-
riens profitieren – und hoffen auf
einträgliche Infrastrukturprojekte
in den Sektoren Energie, Verkehr
und Immobilien. Die Kosten für
den Wiederaufbau werden derzeit
aaauf uf mindestens 250 Milliarden US-
Dollargeschätzt. Und: Teheran
will die sogenannte „Achse des
Widerstands“ stärken. So nennt
sich die antiamerikanische, antiis-
raelische Allianz zwischen dem
Iran, Syrien und der libanesischen
Hisbollah-Gruppe. Syrien ist Irans

Tor zum Mittelmeer und nach Is-
rael – und deshalb geostrategisch
zentral für Teherans Strategie.

4. Gewinner : Erdogan
(mit Einschränkungen)
RRRussland erkennt die „legitimenussland erkennt die „legitimen
Sicherheitsinteressen“ der Türkei
in Nordsyrien an, ein Zugeständ-
nis an Ankara. Auch den Abzug der
YPG kann Erdogan innenpolitisch
als Gewinn verkaufen, war es doch
Ziel der Militäroffensive, den an-
geblichen „Terrorkorridor“ in
Nordsyrien zu zerstören. Doch die
Sicherheitszone, die der türkische
Präsident im Sinn hatte, wird es
nicht im ursprünglich geforderten
AAAusmaß geben. 440 Kilometerusmaß geben. 440 Kilometer
lang, zwischen dem Euphrat und
der irakischen Grenze, und 30 Ki-
lometer breit sollte sie werden –

Gemeinsame Interessen:
Wladimir Putin (r.) und
Recep Tayyip Erdogan

Z


umindest öffentlich straft
die SPD die Verteidigungs-
ministerin vor allem mit
Nichtbeachtung. Am Montag hat
Annegret Kramp-Karrenbauer
(CDU) vorgeschlagen, eine inter-
nationale Sicherheitszone in
Nordsyrien einzurichten. Ziel ist
die Befriedung der Region, die Be-
kämpfung des IS, die Eindäm-
mung von Flüchtlingsbewegun-
gen, die Eindämmung auch von
Machtansprüchen Russlands und
der Türkei, die sich in der Region
breitzumachen versuchen. Ein ge-
wagter Vorstoß, der nach Antwor-
ten verlangt – auch vom Koaliti-
onspartner.


VON RICARDA BREYTON

In der wöchentlichen Presseun-
terrichtung der SPD-Bundestags-


fffraktion am Mittwoch aber ran-raktion am Mittwoch aber ran-
giert das Thema unter „ferner lie-
fffen“. Erst präsentiert Carstenen“. Erst präsentiert Carsten
Schneider, Erster Parlamentari-
scher Geschäftsführer der Frakti-
on, die Fortschritte der SPD beim
„Paketbotenschutzgesetz“. Dann
geht es um die Ausbildungsvergü-
tung, die die SPD modernisieren
will, und schließlich um die Ab-
schaffung des Solis. Unter dem

vierten Tagesordnungspunkt
kommt Schneider schließlich auf
den Vorschlag von Kramp-Karren-
bauer zu sprechen, den er als Idee
der „CDU-Vorsitzenden und Ver-
teidigungsministerin“ bezeichnet.
Der Verweis auf die Funktion von
Kramp-Karrenbauer als CDU-
Chefin scheint wichtig. Er betont
die Distanz zur SPD. Der Vor-
schlag sei „eine Luftnummer“ und

nicht durchdacht gewesen, son-
dern habe „einzig und allein“ auf
die öffentliche Wirkung in
Deutschland abgezielt, sagt
Schneider. Am Dienstagabend hät-
ten Russland und die Türkei ja be-
reits einen eigenen Plan für Nord-
syrien verhandelt, der die Vor-
schläge aus Deutschland nicht be-
rücksichtigt: „Die Idee von Anne-
gret Kramp-Karrenbauer hat nicht
mal 24 Stunden gehalten“, sagt
Schneider. „Putin und Erdogan ha-
ben das Problem gelöst.“
Schneider schiebt noch nach,
dass diese Lösung zwar nicht un-
bedingt gut sein müsse. Dennoch
klingt er erleichtert, dass sich die
Fraktion vorerst nicht mit dem
VVVorschlag aus dem Haus der Ver-orschlag aus dem Haus der Ver-
teidigungsministerin befassen
muss. In der SPD ist man empört,
dass Kramp-Karrenbauer einen

VVVorschlag gemacht hat, der mitorschlag gemacht hat, der mit
dem sozialdemokratischen Au-
ßenminister Heiko Maas nicht ab-
gestimmt war. Die Frage nach
AAAuslandseinsätzen der Bundes-uslandseinsätzen der Bundes-
wehr ist in der Fraktion zudem
ein delikates Thema. Ausgerech-
net an diesem Donnerstag steht
im Bundestag die Verlängerung
eines Mandats in Jordanien an,
das in der Fraktion heftig umstrit-
ten war.Es geht um Tornados der
Luftwaffe, die im Rahmen einer
internationalen Anti-IS-Koalition
üüüber Syrien im Einsatz sind. Sieber Syrien im Einsatz sind. Sie
schießen aus der Luft Aufklä-
rungsbilder, die den verbündeten
Partnern helfen sollen, Stellungen
von IS-Anhängern zu finden. Ei-
gentlich hatte die vorherige Ver-
teidigungsministerin Ursula von
der Leyen (CDU) versprochen, an-
dere Nationen zu finden, die die-

„Putin und Erdogan


haben Problem gelöst“


In der Fraktionsspitze der SPD hält man die Idee
einer Sicherheitszone in Nordsyrien für eine
„Luftnummer“. Alternative Pläne aber fehlen

SYRIEN IRAK

TÜRKEI

Tal
Abjad

Kobane

Euphrat

Ras
al-Ain

Rakka

Ain Issa

al-Kathaniaya

Kamischli

Hasaka

SDF unter Führung der
Kurden, zunächst unter-
stützt durch US-Truppen

Gebiet gemeinsamer
syrisch-türkischer
Patrouillen an der Grenze
Gebiet, aus dem sich die
SDF zurückziehen soll*

Von der Türkei unterstützte
Anti-Assad-Milizen

Syrische Regierung,
unterstützt durch
Russland und den Iran
Türkischer Vorstoß

* inkl. Manbisch und Tal Rifat

Russland und Türkei einigen sich auf Rückzugszonen

Quelle: ISW, Dpa

��� km

Gewinner und Verliererewinner und Verlierer


des Sotschi-Deals


Nach ihrem Treffen präsentieren Putin und Erdogan ihren Plan


einer Nachkriegsordnung in Nordsyrien. Assad bekommt die


Kontrolle, Russland triumphiert, und der Iran ist stiller Profiteur.


Auf der Verlierer-Seite stehen die Kurden und die USA. Eine Übersicht

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