Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1

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it diesem Angriff
hatte der Rowohlt-
Verlag bereits vor
Erscheinen des
Bestsellers gerechnet. Darum
waren Vorabexemplare des Bu-
ches „Tausend Zeilen Lüge“
über den Fall des hochstapeln-
den „Spiegel“-Reporters Claas
Relotius erst ganz kurz vor der
Veröffentlichung verschickt
worden, zum Beispiel an Jour-
nalisten für Besprechungen in
Medien. Um jeden Preis wollte
der Verlag vermeiden, dass Re-
lotius juristisch gegen die Ver-
öffentlichung vorgeht, bevor
das Buch überhaupt an die
Buchhandlungen ausgeliefert
war.


VON CHRISTIAN MEIER

Nun ist der Erfahrungsbe-
richt des „Spiegel“-Mitarbei-
ters Juan Moreno, der Claas Re-
lotius als Fälscher fast im
Alleingang und gegen Wider-
stände entlarvte, eines der best-
verkauften Sachbücher dieses
Herbstes. Und jetzt hat Reloti-
us, der sich bisher zu seinem
Fall nicht in der Öffentlichkeit
geäußert hat, den bekannten
Medienanwalt Christian
Schertz verpflichtet. Er geht ge-
gen das Buch vor, verlangt von
Verlag und Autor eine Unterlas-
sungserklärung bis Donnerstag
um 12 Uhr und wirft Moreno
laut Berichterstattung der
„Zeit“ vor, „Tatsachen verdreht
oder unzulässig arrangiert zu
haben“. Anwalt Schertz spricht
demnach von „erheblichen Un-
wahrheiten und Falschdarstel-
lungen“ und listet 22 Textstel-
len auf. Gegenüber WELT sagt
Schertz auf Nachfrage: „Das
Buch von Juan Moreno gaukelt
eine Recherche vor, die es in ei-
nigen wichtigen Punkten aber
nicht gegeben hat.“
Relotius selbst ergreift ge-
genüber der „Zeit“ erstmals das
Wort, wirft Moreno vor, eine
Figur „konstruiert“ zu haben:
„Ohne mich persönlich zu ken-
nen oder mit Menschen aus
meinem näheren Umfeld ge-


sprochen zu haben.“ Tatsäch-
lich kam Moreno dem Ge-
schichtenfälscher auf die Schli-
che, als er den Auftrag vom
„Spiegel“ bekam, gemeinsam
mit Relotius eine Geschichte zu
schreiben – und ihm dann der
Teil der Geschichte des Kolle-
gen verdächtig vorkam. Er hat-
te damals, schreibt er in seinem
Buch, mehrfach Kontakt mit
ihm, per Telefon und E-Mail,

begegnete ihm wohl auch flüch-
tig persönlich, was Relotius
aber bestreitet. Und er recher-
chierte für sein Buch in Reloti-
us’ Umfeld – was nun das „nä-
here Umfeld“ ist, von dem Re-
lotius schreibt, mag auch aus
juristischer Sicht Ermessenssa-
che sein. Wie auch immer: Der
Meisterfälscher sieht sich nun
selbst als Opfer. Abstrus auf der
einen Seite, dass ein Mann, der
in fast 60 Texten, die er in sei-
nen rund fünf Jahren beim
„Spiegel“ veröffentlichte, er-
hebliche Teile erfand, manipu-
lierte oder eben auch konstru-
ierte (darunter ein Interview
mit einer Holocaust-Überle-

ierte (darunter ein Interview
mit einer Holocaust-Überle-

ierte (darunter ein Interview

benden, in dem Passagen offen-
bar erfunden waren), eine Ver-
anlassung sieht, sich seinerseits
über eine Darstellung zu be-
schweren, die ihm konstruiert
erscheint. Moreno beschreibt
Relotius im Buch als einen no-
torischen Lügner, der in der Re-
daktion des „Spiegels“ zurück-
haltend, freundlich und höflich
auftrat. Auf der anderen Seite
hat aber auch ein Fälscher das
Recht auf eine journalistisch
einwandfreie Beschreibung sei-
nes Falles und seiner Person.
Persönlichkeitsrechte sind uni-
versell. Fragt sich nur, ob sich
das Buch von Juan Moreno zur
Anklage wirklich eignet.
Medienanwalt Schertz sieht
das so, zuvor hatte Relotius

übrigens eine Hamburger
Kanzlei mit seiner Vertretung
beauftragt. Zum besseren Ver-
ständnis eine der Textstellen,
in der Relotius und Schertz of-

fenbar gleich zwei „erhebliche
Unwahrheiten“ gefunden ha-
ben. Auf Seite 152 des Moreno-
Buches heißt es über Relotius
beim „Spiegel“: „Die Tür war

stets zu, er war meist in Lektü-
re vertieft, gleich neben ihm
seine Journalistenpreise.“ Nun
heißt es seitens der Kläger, die
Tür sei eben nicht immer ge-
schlossen gewesen und die
Preise hätten auch nicht „ne-
ben“ Relotius gestanden, hät-
ten sich gar nicht im Zimmer
befunden. Auch die Anzahl der
an Relotius vergebenen Preise
wird beanstandet, es seien nur
19 und nicht 40 gewesen. Die
höhere Zahl hatte bereits vor
Moreno eine Untersuchungs-
kommission des „Spiegels“ ver-
wendet, gegen diese Darstel-
lung hat Relotius aber zumin-
dest bisher nicht geklagt.
„Unserer Meinung nach han-
delt es sich um den Versuch,
mit Randfragen und Neben-
schauplätzen den Reporter Mo-
reno zu diskreditieren“, rea-
giert der Rowohlt-Verlag auf die
Unterlassungsforderung. Man
habe den Fall einer Anwältin
übergeben. Moreno selbst äu-
ßerte sich zunächst nicht. In
einem Punkt ganz am Ende sei-
nes Buches geht es aus juristi-
scher Sicht etwas mehr an die
Substanz. Da schreibt Moreno,
Relotius habe gegenüber einem
Kollegen behauptet, in einer
Klinik in Süddeutschland in Be-
handlung zu sein. Am „folgen-
den Tag“ habe aber eine Sekre-
tärin des „Spiegels“ Relotius
auf einem Fahrrad radelnd in
Hamburg gesehen. Diese Ab-
schlusspointe des Buches habe,
behauptet Schertz, „nachweis-
lich nicht stattgefunden“.
Es wirkt ironisch, sogar zy-
nisch, wenn sich der Mann, der
dem „Spiegel“ und dem deut-
schen Journalismus insgesamt
einen Glaubwürdigkeitsscha-
den größten Ausmaßes zuge-
fügt hat, sich nun via Anwalt
zum Medienethiker aufspielt
(und die „Zeit“ in diesem Fall
mit einem Text freundlich se-
kundiert). „Morenos Buch
müsste blütenweiß sein“, sagt
Christian Schertz. „Ist es aber
nicht.“ Er habe persönlich mit
Zeugen gesprochen, „alle
Punkte gegengecheckt“. Und
hier kommt, trotz der bitteren
Ironie, eine ebenso bittere
Wahrheit. Das Buch muss in
der Tat blütenweiß sein. Der
Text darf allerdings auch nicht
ohne Fairness und ohne Au-
genmaß kritisiert werden,
allein mit dem Ziel, das gesam-
te Buch unglaubwürdig zu ma-
chen. Der Gedanke, dass dies
das Ziel sein könnte, liegt zu-
mindest nahe.
Die Gefahr des Vorgehens
von Relotius, mit dem Moreno
für sein Buch nicht sprechen
konnte – er selbst attestiert
sich gegenüber der „Zeit“ einen
„krankhaften Realitätsverlust“:
die Ungeheuerlichkeit seiner
Fälschungen könnte relativiert
werden. Infolge dessen wäre
nicht nur der Fälscher schuldig
gesprochen und verbrannt,
sondern auch die Person, die
ihn als Lügner enttarnte. Am
Ende fragt sich das Publikum:
Wem sollen wir eigentlich über-
haupt noch glauben?

Der Fälscher als Opfer


PA/ DPA

/ URSULA DÜREN

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Das Buch von


Juan Moreno


gaukelt eine


Recherche vor,


die es in


einigen


wichtigen


Punkten aber


nicht gegeben


hat


Christian Schertz,
Medienanwalt

Hat den Medien-
anwalt Schertz
engagiert, um sich
gegen ein Buch
zu wehren:
„Spiegel“-Fälscher
Claas Relotius

Claas Relotius geht gegen den Bestseller „Tausend Zeilen Lüge“


von Juan Moreno vor – das Buch enthalte Unwahrheiten


über ihn. Eine Geschichte von bitterer Ironie

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