Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1

24 BÜCHER DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,24.OKTOBER2019


U


m ein Selfie zu ma-
chen, richtet man die
Kamera seines
Smartphones auf sich
und drückt auf den Auslöser.
Oder man macht es wie Randall
Munroe, denkt zunächst über das
Sichtfeld, den Bildwinkel und
perspektivische Verzerrungen
nach – und kommt dann zu dem
Schluss, dass man für ein optima-
les Ergebnis am besten andert-
halb Meter lange Arme haben
sollte. Oder einen Selfie-Stick.
Derlei Überlegungen haben
Munroe berühmt gemacht. Er er-
klärt der Welt seit 13 Jahren die
Welt – mit Naturwissenschaften,
subtilem Humor und Strich-
männchen. Sein Comic „xkcd“
zählt zu den 3000 meistbesuch-
ten Websites; sein Buch „What if



  • Was wäre wenn?“ wurde auch
    in Deutschland ein Bestseller.
    Gerade ist der 35-Jährige mit sei-
    nem neuen Buch „How to – Wie
    man’s hinkriegt“ durch die USA
    und Europa getourt; viele Lesun-
    gen waren ausgebucht. Zum In-
    terviewtermin in einem Berliner
    Hotel erscheint Munroe leicht
    erkältet – eines der wenigen All-
    tagsprobleme, für die er noch
    keine absurde, wirkliche wissen-
    schaftliche Lösung hat.


VON CÉLINE LAUER
UND CLAUDIA LIEBRAM

WELT: Niemand kann den gan-
zen Tag lustig sein. Wie dürfen
wir uns Ihren Arbeitstag vor-
stellen?
RANDALL MUNROE: Ganz un-
terschiedlich. Ich verbringe sehr
viel Zeit damit, seltsame Dinge
zu lesen. Oft fängt es damit an,
dass mir Leute Fragen schicken
und ich neugierig werde. Oder
ich will etwas herausfinden. Die
meiste Zeit verbringe ich also
mit der Suche nach der Antwort.
Der Witz dazu fällt mir oft erst
ein, wenn ich schreibe. Vorher
verliere ich mich regelmäßig in
Wikipedia. Ich schlage etwas
nach, dann klicke ich auf einen
Link, dann auf den nächsten und
auf den nächsten... Da gab es
zum Beispiel einmal die Frage
nach den Niagarafällen. Ein Le-
ser wollte wissen, was passiert,
wenn man die Niagarafälle
durch einen Strohhalm trichtern
würde.


Das klingt nach einer relativ
einfach zu beantwortenden
Frage: Man braucht das Volu-
men des Wasserfalls und die
Fläche des Strohhalms und be-
rechnet, wie schnell das Wasser
fließen muss.
Ja, aber die Geschwindigkeit wä-
re riesig. Man würde damit einen
Wasserstrahl erzeugen, dessen
Wucht die Welt zerstören würde.
Man kann das also nicht wirklich
machen. Und so sind eine Menge
der Fragen, die ich bekomme.
Viele Leute hoffen übrigens auch,
eine möglichst dramatische Ant-
wort zu erhalten, deren Szenario
ähnlich verheerend ausfällt wie
in einem Katastrophenfilm.


Könnte es sein, dass Sie sich
das Leben kompliziert machen?


Nein, ich bekomme ja auch kom-
plizierte Fragen. Ein Freund zum
Beispiel wollte die Ameisen in
seinem Haus auf dem Land los-
werden. Gift konnte er nicht aus-
legen, weil er kleine Kinder hatte,
die auf dem Fußboden herum-
krabbelten. Seine Idee war des-
halb, einen Lavagraben um sein
Haus zu bauen. Ich befürchtete
zwar Probleme mit dem Bebau-
ungsplan oder mit den örtlichen
Beamten, aber im Prinzip hätte
er das tun können. Doch wie viel
würde das wohl kosten? Das Teu-
erste daran wäre nicht das Ge-
stein, aus dem die Lava ist, son-
dern die benötigte Wärme, um
sie flüssig zu halten. Ich suchte
mir also die Wattzahl aus Studien
zusammen und berechnete: Watt
pro Quadratmeter mal Länge mal
Breite. So erhielt ich eine Ant-
wort in Watt. Das Ergebnis mul-
tiplizierte ich mit dem Preis für
Elektrizität, sagen wir 13 Cent
pro Kilowattstunde. Meinem
Freund konnte ich antworten:
Das kostet ungefähr 25.000 Dol-
lar pro Tag. Das war ihm dann
doch zu teuer.

In Ihren Büchern stellen Sie
viele absurde Berechnungen
dieser Art an.
Für jemanden, der keinen Spaß
daran hat, mache ich eine Menge
Mathematik. Weil sie mich Fra-
gen beantworten lässt, auf deren
Antworten ich neugierig bin. Ich
habe lieber Physik studiert, das

ist mehr angewandte Wissen-
schaft. In der Mathematik sind
die Probleme zu weit vom echten
Leben entfernt, selbst von dem,
das ein Mathematiker hat.

Und Ihre Probleme sind realer?
Ich überlege immer, welche All-
tagsaufgaben ich besser lösen
könnte. Zum Beispiel, wie ich an-
ders umziehen könnte. Ich hasse
Umzüge nämlich, die dauern im-
mer so lang. Also überlegte ich:
Welche anderen Wege könnte es
dafür geben, die vielleicht nicht
einfacher sind, aber die mich
nicht so langweilen? Warum soll
ich all mein Zeug in Kisten pa-
cken und die aus dem Haus tra-
gen? Ich könnte doch einfach das
ganze Haus anheben und es an
den neuen Ort bringen.

Das ist doch auch keine sehr
reale Lösung ...
Nein, aber sie zeigt, wie man
Häuser anhebt oder wie viel Ge-
wicht Helikopter heben können.
Selbst wenn die Lösungen, die
ich habe, nicht hilfreich sind, zei-
gen sie, wie man Mathematik auf
normale Probleme anwenden
kann. Oder wie man prüft, ob ei-
ne Idee gut oder schlecht ist.

Viele vertrauen der Forschung
nicht mehr. Ist es da nicht kon-
traproduktiv, völlig absurde
Szenarien zu erklären?
Ich glaube nicht, dass es da einen
Zusammenhang gibt. Sooft ich

absurde Szenarien finde, die Rea-
lität ist immer noch absurder.

Wir leben aber nun mal in einer
Zeit, in der wissenschaftliche
Fakten oft nur noch als eine
Meinung unter vielen gelten.
Wie gehen Sie damit um?
Ich glaube, es gibt ein generelles
Problem mit alternativen Fakten
und Falschinformationen, das
nicht nur die Wissenschaft be-
trifft. Schauen Sie in die Nach-
richten, da passiert mit Fake News
genau dasselbe. Ich habe darauf

keine Antwort. Viele Leute glau-
ben zwar, wir müssten nur lernen,
rationaler und kritischer zu sein
und unsere Informationsquellen
zu prüfen. Nur: Ich glaube nicht,
dass wir wirklich unkritischer
oder dümmer geworden sind.
Vielleicht haben wir einfach noch
keine Lösung dafür, wie wir Men-
schen beibringen, nicht an Propa-
ganda zu glauben. Das betrifft Fa-
ke News im Allgemeinen, aber
auch ganz konkret Themen, bei
denen sich der öffentliche Wis-
senschaftsbegriff stark von der
Sichtweise der Wissenschaftler
unterscheidet – das größte davon
ist sicherlich der Klimawandel.

Wie finden Forscher wieder
Gehör? Braucht es mehr Wis-
senschaftler, die der breiten Öf-
fentlichkeit ihre Arbeit auf ver-
ständliche Weise erklären?
Zum einen glaube ich nicht, dass
das sinnvoll wäre. Denn Wissen-
schaftler haben schon genug zu
tun: Sie sind Forscher, keine öf-
fentlichen Redner oder Pädago-
gen. Um diese Lücke zu schlie-
ßen, braucht es Menschen, die
über Wissenschaft kommunizie-
ren – also das tun, was auch mein
Job ist. Zum anderen weiß ich gar
nicht, ob diese Schnittstelle das
ist, was zwischen Wissenschaft
und Öffentlichkeit schiefläuft.

Wie meinen Sie das?
Es hat schon immer Leute gege-
ben, die versucht haben, den

„Die Realität ist


immer noch absurder“


Randall Munroe erklärt der Welt die Welt – mit Strichmännchen. Der Autor des Webcomics


„xkcd“ begeistert auch in Deutschland Laien für Wissenschaft. Ein Gespräch über selbst


gebaute Lavagräben, arrogante Forscher und Aufklärung in Zeiten „alternativer“ Fakten


Randall Munroe, geboren
1 984 in Pennsylvania, ist
Erfinder des Webcomics
„xkcd“ und Buchautor. In
„How to – Wie man‘s
hinkriegt“ gibt er Ant-
worten auf Alltagsfragen


  • wissenschaftlich kor-
    rekt, aber nur selten an-
    wendbar. Munroe ar-
    beitete nach seinem Phy-
    sikstudium als Ingenieur
    bei der Nasa. Porträtfotos
    von sich mag er nicht
    besonders.


Zur
MUNROE RANDALLPerson
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