Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1

Menschen wissenschaftliche
Themen näherzubringen. Den-
ken Sie an den Vizepräsidenten
Al Gore und an seine Dokumen-
tation über den Klimawandel.
Trotzdem haben solche Formate
nicht die Krise der Wissenschaft


in den USA verhindern können.
Ich glaube deshalb, dass diese
Krise vor allem auch ein politi-
sches Problem ist.

Das müssen Sie bitte erklären.
Ich glaube, dass es Industrien wie

etwa die Branche der fossilen
Brennstoffe gibt, die im letzten
Jahrzehnt begonnen haben, sich
politisch zu engagieren und
Falschinformationen zu verbrei-
ten. Sie haben ein sehr politisches
Thema aus dem Klimawandel ge-
macht, indem sie die Leute davon
überzeugt haben, dass man sie
hinters Licht führen wolle. Diese
Lobbyisten gehen so weit, dass
sie Klimawissenschaftler – Freun-
de von mir – angreifen und in Ar-
tikeln behaupten, dass sie
schlechte Forscher seien. Das
liegt aber weder an deren Wissen-
schaft, denn die ist bereits sehr
gut, noch an ihrer Kommunikati-
on, denn diese Forscher reden
sehr klar über ihre Arbeit. Es ist
eine politische Angelegenheit –
weil die Gesellschaft immer mehr
in diese Lager gespalten wird.

Würden Sie sich angesichts
dessen wünschen, dass die Wis-
senschaftler ihre Stimme erhe-
ben und politischer werden
würden?
Vielleicht. Aber dann wiederum
frage ich mich, ob das nicht dazu
führen würde, dass die Leute der
Wissenschaft noch weniger ver-
trauen, wenn sie sich mit der Po-
litik vermischt.

Wie diskutieren Sie mit Ihren
Lesern?

Es gibt sehr kluge Menschen, die
mein Zeug lesen. Das ist sehr ein-
schüchternd. Wenn jemand dage-
gen einfach behauptet, dass ich
ein Büttel der Demokraten sei,
weiß ich auch nicht, wie ich ihn
von dieser Überzeugung abbrin-
gen soll. Aber Katharine Hayhoe,
eine der führenden Klimawissen-
schaftlerinnen des Landes und
eine sehr intelligente Person, hat
viel dazu geforscht, wie man mit
Menschen über Wissenschaft
spricht, die anderer Meinung
sind. Sie sagt: Man muss erst an
das Herz herankommen, bevor
man den Kopf mit Fakten er-
reicht.

Warum muss Wissenschaft ei-
gentlich überhaupt kompliziert
klingen, wenn es offenbar doch
auch einfacher geht?
Wenn Sie forschen, werden Sie
von Ihrem eigenen Unwissen
verunsichert. Sie wollen nicht
zugeben, dass es Dinge gibt, bei
denen Sie sich nicht ganz sicher
sind. Und Sie wollen nicht doof
wirken. Also versuchen Sie, kom-
plizierte Begriffe zu nutzen – ei-
nerseits, weil Sie präzise sein
müssen und weil es wichtig ist,
genau zu sein. Aber andererseits
auch, weil Sie beweisen wollen,
dass Sie wissen, wovon Sie reden.
Sobald Sie dann aber mit jeman-
dem reden sollen, der diese Be-

griffe nicht kennt, klingen Sie
schnell überheblich. Und das ist
schlecht. Deswegen versuche ich,
den Lesern zu vermitteln: Es ist
in Ordnung, Dinge nicht zu wis-
sen. Das heißt nicht, dass man
dumm ist.

Und was versuchen Sie den
Wissenschaftlern zu vermit-
teln?
Redet nicht mit den Leuten, als
seien sie ungebildet. Sprecht mit
ihnen. Stellt euch vor, dass sie ei-
nen Job haben und dass sie sehr
beschäftigt sind. Sie haben keine
Zeit, etwas über Klimawissen-
schaften oder über die Ozon-
schicht oder über Ernährung zu
lernen. Ich halte es für anma-
ßend, zu behaupten, dass jeder
etwas darüber wissen muss. Man
kann einfach nicht alle Men-
schen dazu bringen, mehr darü-
ber wissen zu wollen. Aber wenn
ich ein bisschen Aufmerksamkeit
von jemandem erhalte, ist das
ein Privileg, und ich sollte versu-
chen, ihn dafür mit den besten
Informationen zu versorgen und
möglichst viel auf einfache Art
zu erklären – ohne davon auszu-
gehen, dass dieser Mensch mich
ja eh nicht versteht. Denn die
Leute kennen sich vielleicht
nicht mit Wissenschaft aus, aber
sie merken sehr wohl, ob jemand
sie für dumm hält.

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