Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1
AAAfD-Mitbegründer Lucke (l.) verlässt nach einer Vorlesung an der Universität Hamburg das Gelände fD-Mitbegründer Lucke (l.) verlässt nach einer Vorlesung an der Universität Hamburg das Gelände

DPA

/DANIEL BOCKWOLDT

DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,24.OKTOBER2019 POLITIK 5


9 0er-Jahre über 60 Menschen das
Leben kosteten. Dem „Tagesspie-
gel“ sagte Sarbo, sie wisse, dass es
sich um ein Meinhof-Zitat handel-
te, sie habe dieses aber „als witzi-
ge Polemik aufgefasst“.
Baberowski hatte auch den
Springer-Verlag (in dem WELT er-
scheint) auf beide Tweets auf-
merksam gemacht, der daraufhin
Anzeige sowohl gegen den Ac-
count-Inhaber @realsozialist er-
stattete als auch gegen Sarbo. In
einem Brief forderte der Histori-
ker die HU-Leitung zudem auf,
Maßnahmen gegen die Studentin
zu ergreifen, schließlich sei sie als
Mitglied des Akademischen Se-
nats dazu verpflichtet, „Regeln
einzuhalten und das Grundgesetz
zu achten“.
Die Uni verfasste nach ersten
Presseanfragen eine Stellungnah-
me, in der sie allgemein Äußerun-
gen, Tweets oder Kommentare,
die zu Gewalt aufrufen, „auf das
Schärfste“ verurteilte. Sollte es
dennoch solche geben und sei
„ein Zusammenhang zur Mit-
gliedschaft an der HU direkt her-
stellbar“, werde die Leitung sich
vorbehalten, „mögliche rechtliche
Schritte zu prüfen und gegebe-
nenfalls auch einzuleiten“. Nach
einem Gespräch mit Sarbo kam
die HU dann zu dem Ergebnis,


dass „zwischen Äußerungen von
Bafta Sarbo als Privatperson und
der Ausübung ihres Amtes an die-
ser Stelle kein Zusammenhang“
bestehe.
Schließlich stellte der for-
schungspolitische Sprecher der
CDU-Fraktion im Berliner Abge-
ordnetenhaus, Adrian Grasse, ei-
ne schriftliche Anfrage an den
Berliner Senat, der Rechts- und
AAAufsichtsbehörde der HU, um zuufsichtsbehörde der HU, um zu
erfahren, wie dieser zu dem Fall
steht. Die zuständige Wissen-
schaftsbehörde prüft das nun.
Grasse hält den Kommentar der
Studentin für „absolut inakzepta-
bel“. Auch er fordert, Sarbo aus
dem Akademischen Senat auszu-
schließen.
Der Druck auf die HU stieg. Zu-
mal Sarbo und Zieglerihrerseits
wegen des Facebook-Posts von
Baberowski Strafanzeige gegen
den Historiker wegen Beleidigung
stellten. Außerdem forderten sie
eine öffentliche Entschuldigung
von ihm sowie eine Distanzierung
der Uni von seinen Aussagen.
Am Dienstag meldete sich nun
also HU-Präsidentin Sabine Kunst
zum ersten Mal selbst zu Wort.
Sie tat dies so, dass sich beide Sei-
ten angesprochen fühlen durften.
KKKunst verurteilte Tweets, die zurunst verurteilte Tweets, die zur
Gewalt aufrufen, „aufs Schärfste“.

Freie Meinungsäußerung sei wich-
tig, doch die Mitglieder der Uni
hätten auch eine hohe eigene Ver-
antwortung, sich nicht beleidi-
gend zu äußern. Dies gelte für „al-
le Statusgruppen – egal ob Profes-
sorin oder Professor, Studentin
oder Student“.
Der RefRat kritisierte anschlie-
ßend, dass Kunst Baberowski
nicht explizit genannt hatte, und
ffforderte eine öffentliche Solidari-orderte eine öffentliche Solidari-
sierung mit den beiden Studentin-
nen Sarbo und Ziegler. Schließlich
hätte die HU-Leitung sich 2017
auch hinter Baberowski gestellt,
als ein Gericht entschieden hatte,
dass der AStA der Uni Bremen Ba-
berowski als „rechtsradikal“ be-
zeichnen dürfe.
Baberowski hatte an der Sit-
zung des Akademischen Senats
nicht teilgenommen, da er kein
Mitglied desselben ist. Er zeigte
sich aber enttäuscht, dass die Prä-
sidentin mit ihm bislang nicht ge-
redet hatte.
Die HU-Leitung teilte auf An-
fffrage mit, es hätte jeweils Gesprä-rage mit, es hätte jeweils Gesprä-
che des Prodekans der Philoso-
phischen Fakultät mit den Betei-
ligten gegeben. Ziel sei es, im
nächsten Schritt beide Parteien
zu einem gemeinsamen Gespräch
zu bewegen. Die Hochschule sieht
sich in der Rolle der Vermittlerin.

D


ie neue Drogenbeauftrag-
te der Bundesregierung,
Daniela Ludwig, wurde
von viel Häme ins Amt begleitet.
„„„Wieder eine, die sich nicht aus-Wieder eine, die sich nicht aus-
kennt“, hieß es über die CSU-Po-
litikerin. Wobei man sich fragt,
was „auskennen“ in diesem Sek-
tor bedeuten würde. Nach weni-
gen Wochen zeigt sich, dass Lud-
wig ihre Funktion aber durchaus
anders angeht als ihre Vorgänge-
rin und Parteifreundin Marlene
Mortler. Die war etwa nicht be-
reit, auch nur über eine Strategie-
änderung im Bereich einiger ille-
galer Drogen zu reden.

VON THOMAS VITZTHUM

VVVon Ludwig ist bisher zum Bei-on Ludwig ist bisher zum Bei-
spiel kein prinzipielles Nein zu ei-
ner Liberalisierung von Cannabis
zu hören. Sie will sich erst einmal
ein Bild der Lage machen. Dafür
spricht sie mit dem Hanfverband
ebenso wie mit Vertretern von
Kindern- und Jugendärzten; auch
mit dem niederländischen Bot-
schafter hat sie sich darüber aus-
getauscht. Die Niederlande sind
dafür bekannt, eine liberale Dro-
genpolitik zu verfolgen. „Wir
müssen uns wesentlich vielfälti-
ger in der Suchtpolitik, bei Prä-
vention und Behandlung aufstel-
len“, sagt Ludwig. Die bisherige
Nationale Drogenstrategie
stammt aus dem Jahr 2012.
Gut möglich, dass Ludwig,
wenn sie sich demnächst mit kon-
kreten Vorschlägen zu Wort mel-
det, auch in ihrer eigenen Partei,
der Union, viel Überzeugungsar-
beit leisten muss. Überzeugungs-
arbeit braucht es aber auch im
Hinblick auf bereits etablierte
Strategien zur Drogen- und
Suchtbehandlung. Laut dem aktu-
ellen Reitox-Bericht der Deut-
schen Beobachtungsstelle für
Drogen und Drogensucht, der
WELT vorliegt, fehlen zuneh-
mend Ärzte, die Substitutionspa-
tienten betreuen wollen.
AAAls Substitution bezeichnetls Substitution bezeichnet
man die Versorgung etwa von He-
roinabhängigen mit Ersatzstoffen
wie Methadon. Die Abgabe erfolgt
kontrolliert; die Patienten sind
deshalb nicht auf oft illegale Be-
schaffung angewiesen und kön-
nen die Medikamente unter hy-
gienischen Bedingungen einneh-
men. Mitte 2018 lag die Zahl der
Substituierten bei 79.400. Über
die Jahre sind es immer mehr ge-
worden. Dagegen nimmt die Zahl
der Praxen, in die die Süchtigen
gehen können, kontinuierlich ab.
Heute ist bei 14 Prozent der Ärzte,
die die Substitution anbieten, die
Hälfte aller Patienten gemeldet.
„Sorgen bereitet insbesondere die
VVVersorgung im ländlichen Raumersorgung im ländlichen Raum
sowie die Behandlung langjähri-
ger Substituierter“, heißt es in ei-

ner Kurzfassung des Drogenbe-
richtes. In manchen Regionen lie-
gen zwischen den einzelnen Pra-
xen Hunderte Kilometer. Somit
haben viele Abhängige keinerlei
Zugang zur Substitution, von frei-
er Arztwahl kann ebenfalls nicht
die Rede sein. „Es kann nicht sein,
dass die Patienten in eine Abhän-
gigkeit von einem einzelnen Arzt
geraten“, sagt Ludwig. Viele Ärz-
te, die keine Substitution anbie-
ten, argumentieren, dass sie be-
reits zu viele Patienten hätten.
Ein weiterer Grund ist aber sicher
auch, dass sich andere Patienten
an der Anwesenheit von Drogen-
aaabhängigen häufig stören. „Beibhängigen häufig stören. „Bei
der Substitution müssen wir für
AAAkzeptanz werben. Wir sind dakzeptanz werben. Wir sind da
noch nicht so weit, wie wir sein
wollen. Wir müssen die Versor-
gungslücken schließen“, sagt Lud-
wig. Dabei will sie auch die substi-
tuierenden Ärzte für ein weiteres

Thema sensibilisieren, Infekti-
onskrankheiten unter Abhängi-
gen. So stellt unter den Neudiag-
nosen von Hepatitis (Hep) C in-
travenöser Drogenkonsum in 80
Prozent der Fälle den Hauptüber-
tragungsweg dar. Hep C schädigt
über die Jahre die Leber massiv.
In einigen Ländern der Erde ist
die chronische Form der Krank-
heit der häufigste Grund für eine
Lebertransplantation.
„„„Wir müssen die ÄrzteschaftWir müssen die Ärzteschaft
sensibilisieren, ihre Patienten
standardmäßig auf Hep C zu tes-
ten und dann auch zu behandeln“,
sagt Ludwig. Bisher ist diese Be-
handlung nicht Standard. Dabei
gibt es seit etwa sechs Jahren eine
sehr gut verträgliche dreimonati-
ge Behandlungsmethode mit Tab-
letten, die Hep C in fast allen Fäl-
len heilen kann. Diese Therapie
ist einer der größten, aber wenig
beachteten Erfolge in der Medizin
der vergangenen zehn Jahre. Die
Therapie ist zwar noch immer
sehr teuer, wird von den Kassen
aaaber in der Regel übernommen.ber in der Regel übernommen.
„„„Wir brauchen einen Automatis-Wir brauchen einen Automatis-
mus bei Hepatitis C“, sagt Lud-
wig. Die hohen Infektionsraten
seien nicht hinnehmbar.

Gegen die Drogensucht


fehlen die Ärzte


Die Bereitschaft vieler Abhängiger, sich
in eine Behandlung zu begeben, steigt

,,


Sorgen bereitet


insbesondere die


Versorgung im


ländlichen Raum


Zitat aus dem Drogenbericht
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