Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1
ben das, dass sie eine Höherbe-
wertung der Rentenbezüge im
unteren Einkommensbereich
vornehmen, weil sie ein Gefühl
für die Fairness haben. Wir hat-
ten das immer auch mal. Es gab
Maßnahmen, mit denen wir die
Renten im unteren Einkommen
angehoben haben, zuletzt 1992.
Deshalb ist es völlig richtig, dass
die SPD darauf besteht, dass wir
diese Sache in Deutschland
auch hinkriegen.

Warum machen Sie es nicht
einfach so, wie es im Koaliti-
onsvertrag steht, also mit ei-
ner Bedürftigkeitsprüfung.
Das Thema wäre längst vom
Tisch.
Es ist nicht eine Lösung gewe-
sen, die funktioniert. Und man
kann das auch merken, wenn
man mit den Bürgern spricht.
Ich habe das sehr viel getan in
den vergangenen Jahren. Und
als der Vorschlag von Bundes-
minister Heil gemacht wurde,
eine Grundrente mit einer Hö-
herbewertung bei den Renten-
bezügen einzuführen, haben
sich unglaublich viele gemeldet
und mich auch angesprochen.
Sie haben sich gemeint gefühlt,
sie haben gesagt: Es geht um
mich, ich weiß ganz genau, wa-
rum das jetzt richtig ist. Ich war
fleißig, und wenn ich meine
Rente angucke, dann ist das
nicht in Ordnung, was dabei
rauskommt. Deshalb finde ich,
muss es eine Lösung geben, bei
der diejenigen, die den Respekt
vor ihrer Lebensleistung in der
Rente besser wiederfinden müs-
sen, als das heute der Fall ist,
auch das Gefühl haben, wir ha-
ben eine Lösung hinbekommen,
die aus dieser Perspektive funk-
tioniert.

Das sind hehre Ansprüche. In
Umfragen kann Ihre Partei
davon nicht profitieren. Re-
gieren und SPD: Ist das mitt-
lerweile eine toxische Kombi-
nation?
Nein. Wir regieren ja nicht nur
im Bund, wir regieren in vielen
Ländern sehr erfolgreich. Wir
stellen auch viele Regierungs-
chefs in unserem Land. Inso-
fern ist das eine gute Verbin-
dung. Was wir hinkriegen müs-
sen, ist, dass man uns das Regie-
rungsgeschäft ganz anvertraut.
Wenn die Sozialdemokraten das
Land regieren ...

Sie meinen mit einer absolu-
ten Mehrheit?
Das meine ich nicht, obwohl es
schön war, als ich das in Ham-
burg einmal erreicht habe. Es
hat Spaß gemacht, die vier Jah-
re, wo wir das nutzen konnten,
um Hamburg grundlegend auf
Kurs zu bringen. Zum Beispiel
bei den Fragen des Wohnungs-
baus.

Es klingt wie eine Geschichte
von einem anderen Stern.
Aber ich glaube schon, dass wir
so viel Unterstützung bekom-
men können, dass wir ein Man-
dat bekommen, eine Regierung
zu führen. Und das ist etwas,

nerhalb der Bundesregierung.
Seit geraumer Zeit streiten
CDU, CSU und SPD über die
Grundrente. Diese steht im
Koalitionsvertrag, trotzdem
gibt es noch immer keine Lö-
sung. Ist Schwarz-Rot über-
haupt noch handlungsfähig?
Die Geschichte, die Sie erzäh-
len, ist nicht ganz korrekt. Über
die Notwendigkeit einer Grund-
rente ist schon sehr lange ge-
sprochen worden. Das war so-
gar Gegenstand der Regierung,
die CDU, CSU und FDP mitei-
nander gebildet haben. Es ist
nicht gelungen. Es war in der
vergangenen Regierungszeit
Thema und Zielsetzung, eine
Lösung hinzubekommen. Und
jetzt wollen wir das finalisieren
und auch tatsächlich bewerk-
stelligen. Dass das keine einfa-
che Sache ist, ist offensichtlich.
Dass es aber dringend notwen-
dig ist, zeigt sich ja an der lan-
gen, immer wieder aufgenom-
menen Bewertung der Fragen,
ob man das tun soll – und wie
man das machen kann. Worum
geht es hier eigentlich?

Erklären Sie es uns, bitte.

V


on der Syrien-Initiati-
ve der CDU-Chefin
wusste Bundesfinanz-
minister und Vize-
kanzler Olaf Scholz nichts. Im
Interview kann der Sozialdemo-
krat seinen Unmut kaum ver-
hehlen. Aktuell hat er ganz an-
dere Sorgen: Gemeinsam mit
Klara Geywitz will er am Sams-
tag an die Spitze seiner Partei
rücken. Scholz gibt sich zuver-
sichtlich, ans Scheitern zu den-
ken sei „völlig sinnlos“.


WELT: Herr Scholz, CDU-Che-
fin und Verteidigungsministe-
rin Annegret Kramp-Karren-
bauer fordert eine von den
UN überwachte internationa-
le Sicherheitszone in Nordsy-
rien. Hat sie das eigentlich
mit Ihnen, dem Vizekanzler,
abgesprochen?
OLAF SCHOLZ: Nein. Ich glau-
be, auch sonst mit nicht so vie-
len.


Aber mit der Bundeskanzle-
rin, oder?
Das weiß ich nicht. Dazu will ich
mich nicht äußern, sondern da-
rauf hinweisen, dass die Frage,
was man international macht,
etwas ist, über das sorgfältig ge-
sprochen werden sollte – und
das nicht Gegenstand eines Auf-
tritts im Fernsehen ist. Es geht
darum, was internationale Part-
ner dazu sagen. Es geht um die
Frage, wie wir uns in den Ver-
einten Nationen verhalten wol-
len. Es geht um eine ernsthafte
Bewertung der ganzen Situation
und das Abwägen aller Hin-und-
her-Fragen, die sich stellen. Ins-
besondere, ob überhaupt ir-
gendjemand daran ein Interesse
hat und was die Folgen wären.
Da sind viele Fragen offen. Die
werden jetzt Stück für Stück zu
bereden sein. Das macht man
eigentlich nicht so.


Der Vorschlag ist nun in der
Welt und damit auch europa-
weit in der Debatte. Man hat
das Gefühl, die CDU möchte
international Verantwortung
zeigen. Ein solcher Einsatz
mit deutschen Soldaten wäre
ja tatsächlich eine Zäsur.
Wir sind weit weg von einer sol-
chen Situation. Im Übrigen er-
laube ich mir folgende Bemer-
kung: Es geht hier um die Frage,
was die Bundesrepublik
Deutschland, eingebunden in
die Vereinten Nationen, in die
Europäische Union, in die Nato,
an Vorstellungen entwickelt. Ein
Fernsehinterview ist keine Art,
zu einer Meinung zu kommen.


Kramp-Karrenbauers Vorstoß
sagt doch viel über den Um-
gang in der großen Koalition
aus. Hätte man so etwas nicht
auch im Koalitionsausschuss
besprechen können?
Ich glaube, das zeigt wenig über
die Arbeit der Koalition. Das
wirft Fragen im Hinblick auf die
Amtsführung der Ministerin
auf.


Kommen wir zu einem ande-
ren umstrittenen Thema in-


was wir auch niemals aufgeben
dürfen. Erster Punkt: kein Zick-
zackkurs. Zweiter Punkt: ganz
klare politische Linien, die jeder
versteht. Meine These ist, dass
die SPD immer so aufgestellt
sein muss, dass man weiß, wo-
ran man mit ihr ist, selbst wenn
man ihre Programme nicht von
vorne bis hinten liest. Drittens
muss es darum gehen, dass alle
sagen, wenn es um internatio-
nale Sicherheit, Europa, Ar-
beitsplätze und Wirtschaft, soli-
de Finanzen sowie innere Si-
cherheit geht, dann sind das
diejenigen, denen man vertrau-
en kann. Damit wir mit dem,
wofür wir besonders stehen,
nämlich dafür zu sorgen, dass
jeder denselben Respekt be-
kommt, wenn es um Arbeit
geht, dass der Sozialstaat gut
funktioniert, auch zusätzlich
durchkommen.

Wie wollen Sie das erreichen?
Meine These ist: Viele Bürger
würden gerne eine sozialdemo-
kratische Partei wählen, wenn
sie sich über alle Punkte sicher
wären, die da auch noch sind.
Und wir müssen immer modern
sein. Eine Partei, in der Frauen
eine zentrale Rolle spielen. Ei-
ne Partei, in der die Frage des
Klimawandels diskutiert wird.
Eine Partei, die die Vielfalt un-
serer Einwanderungsgesell-
schaft widerspiegelt. Und all
das kann man erreichen. Ich bin
da durchaus zuversichtlich,
dass das gelingt und dass wir
wieder mehr Zustimmung krie-
gen können, als wir sie gegen-
wärtig haben.

Wenige Tage noch können die
SPD-Mitglieder darüber ab-
stimmen, wer die Partei in Zu-
kunft führen soll. Haben Sie
schon gewählt?
Ja.

Sich selbst?
Klara Geywitz und mich.

Herr Scholz, was, wenn Sie es
nicht machen? Wenn Sie es
nicht werden? Was machen
Sie dann eigentlich?
Man tritt in solche Wettbewer-
be um ein Amt an. In einer De-
mokratie mit dem ganzen Res-
pekt dafür, dass diejenigen ent-
scheiden, die wählen. Und ich
glaube, dass es keinen Sinn er-
gibt, dann die Fragen zu erör-
tern. Das ist völlig sinnlos. Man
geht ein demokratisches Risiko
ein, das ist in einer Demokratie
eine fröhliche Veranstaltung.

Haben Sie einen Plan B?
Ich finde, man muss auch wagen
voranzugehen.

TDieses Interview wurde
von Michael Bröcker geführt,
Chefredakteur von Media Pio-
neer. Hierbei handelt es sich
um eine gekürzte Version. Es
erschien ebenfalls in Auszügen
in Gabor Steingarts werk-
täglichem Newsletter „Morning
Briefing“ und als Gespräch in
„Morning Briefing: Der Pod-
cast“.

MARTIN U. K. LENGEMANN/ WELT

„Unsere


Gesellschaft


ist nicht


besonders fair“


Finanzminister Olaf Scholz kritisiert


Annegret Kramp-Karrenbauers


Syrien-Vorstoß. Und sagt, was seine


Partei tun müsse, damit die Bürger


wieder Vertrauen in sie gewinnen


6 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,24.OKTOBER


Unsere Gesellschaft ist nicht
besonders fair. Es gibt ziemlich
viele, die sehr wenig Geld ver-
dienen. Und selbst heute, wo
wir immerhin einen Mindest-
lohn haben – und den hatten wir
in den vergangenen Jahrzehn-
ten ja in den meisten Zeiträu-
men gar nicht, weil das eine Ver-
besserung ist, die die SPD
durchgesetzt hat –, aber selbst
jemand, der den Mindestlohn
verdient, kann, wenn er sein
ganzes Berufsleben Vollzeit tä-
tig war, nicht mit einer Rente
rechnen, bei der er ohne öffent-
liche Unterstützung zurecht-
kommen kann. Das ist ein Zu-
stand, der nicht hingenommen
werden kann. Für die Zukunft
müssen wir deshalb dafür sor-
gen, dass die Löhne im unteren
Bereich steigen und dass wir ei-
nen ordentlichen Mindestlohn
haben, der auch höher ist als
heute. Ich habe mal zwölf Euro
genannt, damit wir rauskom-
men aus dieser Situation. Aber
wir müssen natürlich sicherstel-
len, dass wir denjenigen helfen,
die fleißig waren und sehr wenig
Geld verdient haben. Alle ande-
ren Länder um uns herum ha-
Free download pdf