Die Welt Kompakt - 24.10.2019

(coco) #1

8 POLITIK DIE WELIE WELIE WELTKOMPAKTTKOMPAKT DONNERSTAG,24.OKTOBER


Migranten an Bord unentdeckt
einschleusen zu können, gleich
null. Es wird spekuliert, dass die
Insassen möglicherweise bereits
bei der Ankunft in England tot
gewesen waren. Die Kühlung des
WWWagens lässt sich maximal bisagens lässt sich maximal bis
auf minus 25 Grad absenken, was


  • falls eine solche Fehlfunktion
    vorlag – rasch den Tod herbei-
    ffführen muss.ühren muss.
    Premier Boris Johnson zeigte
    sich während der mittwöchli-
    chen Fragestunde im Unterhaus
    entsetzt über „diese unvorstell-
    bare Tragödie“, sie sei „wahrhaft
    herzzerreißend. Alle diese Men-
    schenhändler sollten gejagt und
    ihrer gerechten Strafe zugeführt
    werden.“ Die Abgeordnete für
    den Wahlkreis Thurrock, zu dem
    Grays gehört, Jackie Doyle-Price,
    sprach von einer „ekelerregen-
    den Nachricht“: „39 Menschen in


G


roßbritannien steht
unter Schock: In der
Nacht zum Mitt-
woch, gegen 1.
Uhr, wurde in einem Industrie-
park in Grays (Essex), 30 Kilo-
meter östlich von London, ein
großer Containerlaster mit 39
Leichen an Bord entdeckt. Es
handelt sich um einen Kühl-
transporter bulgarischer Her-
kunft. Nach allem, was bisher zu
erfahren war, stehen die Behör-
den offenbar vor einem der größ-
ten Vorfälle an Migranten-
schmuggel auf die Britische In-
seln. Ob die Kühlanlage defekt
war oder andere Faktoren für
den Tod der Flüchtlinge verant-
wortlich waren, ebenso wie de-
ren Herkunft, unterliegt noch
den Ermittlungen. Sicher ist,
dass alle an Bord – 38 Erwachse-
ne und ein Teenager – qualvoll
erstickten.


VON THOMAS KIELINGER
UND MANUEL BEWARDER
AUS LONDON UND BERLIN

Der Fahrer des Lasters, ein 25-
Jähriger mit Wohnsitz in Nordir-
land, wurde festgenommen und
unter Mordanklage gestellt. Wo
die transportierten Menschen an
Bord genommen wurden, ist
noch unklar. Laut ersten Infor-
mationen sollte der Lkw über
den Hafen Holyhead an der Spit-
ze der nordwalisischen Insel An-
glesey auf die britische Hauptin-
sel eingereist sein. Später korri-
gierten die Behörden diese Ein-
schätzung. Die Polizei in Essex
geht nun davon aus, dass die
Fähre, die den Lastwagen nach
England brachte, in Zeebrugge in
Belgien ablegte und den Lkw
nach Purfleet an der Themse
brachte, unweit von dem Ort, wo
der Lastwagen dann sicherge-
stellt wurde. Vielleicht wollte
der Fahrer damit den Kontroll-
posten in Dover umgehen, denn
dort sind die Kontrollen am
schärfsten, die Aussichten, einen
KKKühltransporter mit 39 illegalenühltransporter mit 39 illegalen


einem Metallcontainer einzu-
schließen verrät eine Menschen-
verachtung, die ich nur von
Grund auf böse nennen kann.“
Die bulgarische Botschaft in
London bestätigte inzwischen
zumindest, dass der Kühltrans-
porter in Bulgarien registriert
gewesen ist. Über die Nationali-
tät der Toten ist bislang nichts
bekannt, da mögliche Papiere
bisher nicht gefunden wurden,
die auf ihre Identität hinweisen
könnten.
Man geht aber davon aus, dass
es sich weniger um Bulgaren
handelt, die ja als Mitglieder der
EU frei nach England einreisen
könnten, als um eine Gruppe
nahöstlicher Migranten, die von
einer Schlepperbande auf ihre
gefährliche Reise geschickt wor-
den waren. Die stellvertretende
Polizeichefin von Essex, Pippa

Mills, erklärte in einer erste Stel-
lungnahme, die Identität der Op-
fffer sicherzustellen sei „die Num-er sicherzustellen sei „die Num-
mer eins unserer Prioritäten“.
AAAber auch sie hielt fest, das wer-ber auch sie hielt fest, das wer-
de „ein langwieriger Prozess“
sein. Dem Vernehmen nach kon-
zentriert die Polizei ihre Ermitt-
lungen auch auf Personen in
England, die mit den ums Leben
Gekommenen in irgendeinem
Kontakt stehen könnten. Man
appelliert an „Freunde oder Ver-
wandte“:Hatten sie „Besuch“ er-
wartet?
Die britischen Inseln, auch
wenn sie schwerer anzusteuern
ist als kontinentale EU-Länder,
gilt nach wie vor als begehrens-
wertes Ziel für Migrationswillige
aus aller Welt. Die Statistik weiß
von 130 Ländern, aus denen bis-
lang verzweifelte Menschen das
lebensgefährliche Risiko auf sich
genommen haben, die englische
KKKüste zu erreichen. Die meistenüste zu erreichen. Die meisten
üüüber den Kanal, wobei unbe-ber den Kanal, wobei unbe-
kannt ist, wie viele bei diesen
VVVersuchen ums Leben gekom-ersuchen ums Leben gekom-
men sind. Meist werden sie in ih-
ren Dingis oder anderen
Schlauchbooten aufgegriffen
und den Immigrationsbehörden
üüüberstellt. Offiziell besagt dieberstellt. Offiziell besagt die
britische Politik, dass jeder sol-
cherart illegal nach England An-
kommende in sein Herkunfts-
land ausgewiesen werde. Doch
gibt es keine genaue Zahlen, wie
viele beispielsweise von den et-
wa 1200 Migranten, die in die-
sem Jahr bisher den Fluchtweg
üüüber den Kanal geschafft haben,ber den Kanal geschafft haben,
auch wirklich in ihre Heimat zu-
rückgeschickt wurden oder wie
viele von ihnen Asyl beantragt
haben.
Einen grauenhaften Fund wie
den von Essex hat es bisher nur

einmal in Großbritannien gege-
ben. Das war im Jahr 2000, als in
Dover 58 Chinesen tot in einem
plombierten Lastwagen gefun-
den wurden, in dem nur zwei
Menschen überlebt hatten. Der
holländische Fahrer wurde we-
gen fahrlässiger Tötung zu einer
langjährigen Gefängnisstrafe
verurteilt.
Anhaltender Migrationsdruck
nach Zentraleuropa und strenge-
re Grenzkontrollen haben in den
vergangenen Jahren dazu ge-
ffführt, dass Migranten bei der il-ührt, dass Migranten bei der il-
legalen Einreise verstärkt auf
kriminelle Helfer angewiesen
sind. Bei Sicherheitsbehörden
heißt es, dass Schleusungen seit
dem Ende des Durchwinkens ge-
fffährlicher geworden sind –ährlicher geworden sind –
gleichzeitig seien die Preise ge-
stiegen.
Wie das Europäischen Zen-
trum zur Bekämpfung der Mig-
rantenschleusung bei Europol in
seinem aktuellen Jahresbericht
fffeststellt, sind die Behörden be-eststellt, sind die Behörden be-
sonders entlang der Balkanroute
sowie beim Ärmelkanal mit ver-
mehrten Fällen der sogenannten
Behältnisschleusung konfron-
tiert – dabei verstecken sich Mig-
ranten zum Beispiel in Lkw,
Kleintransportern oder Contai-
nern unter oftmals lebensgefähr-
lichen Bedingungen. „Deutsch-
land und Großbritannien sind
die wichtigsten Zielländer“,
stellt Europol fest. Die Haupt-
routen verlaufen über den Bal-
kan und Österreich beziehungs-
weise durch Belgien, Frankreich
und die Niederlande.
Europol schreibt, dass Fahrer
Kontrollen umgehen möchten
und daher zu „rücksichtslosem
und gefährlichem Verhalten“
tendieren. Gleichzeitig versu-
chen die kriminellen Netzwerke,
Profit zu maximieren und pfer-
chen oftmals viel zu viele Leute
auf engem Raum zusammen.
WELT erfuhr aus Sicherheits-
kreisen weitere Details: In die
Lkw wird oft ein doppelter Bo-
den eingezogen. In dem dann
verbleibenden Zwischenraum
mit einer Höhe von vielleicht 40
bis 50 Zentimetern mangelt es
häufig an Sauerstoff.
Im aktuellen Lagebild des
Bundeskriminalamts zur Schleu-
sungskriminalität wird der Fall
von Personen geschildert, die in
einem Überseecontainer einge-
schlossen waren. Sie hatten mit
Geräuschen auf sich aufmerk-
sam gemacht – und berichteten
anschließend, dass sie mehrere
Tage eingeschlossen waren. In
die Containerhülle hatten sie
Löcher gebohrt: um atmen zu
können und für Verrichtung der
Notdurft. Die Schleuser hatten
ihnen dafür einen Akkuschrau-
ber mit Bohrer mitgegeben. Hät-
te man die Personen nicht beim
AAAbladen in Neuss gefunden, hät-bladen in Neuss gefunden, hät-
ten sie frühestens eine Woche
später entdeckt werden können


  • da sollte der Container abge-
    holt werden, heißt es beim BKA.
    Die Prognose für die kom-
    menden Jahre: Schiffe nach
    Großbritannien werden auch
    weiterhin für die illegale Migrati-
    on genutzt werden.


Experten der Spurensicherung untersuchen in einem Industriegebiet östlich von London den Lastwagen, in dem die Toten entdeckt wurden


REUTERS

/ HANNAH MCKAY

Verdacht auf tödlichen


Menschenschmuggel


Mordermittlungen in Essex: Nachdem


3 9 Tote in einem Lkw gefunden wurden,


versuchen die Behörden, die Opfer


zu identifizieren


Flaschenhälse der
Migrationsrouten,
höhere Nachfrage
nach Schleuserdiensten

Hauptwege

Illegale Migration in der EU

Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre Quelle: Europol, European Migrant Smuggling Centre
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