P.M. History - 11.2019

(Nandana) #1

NEUE SERIE: WIE KRANKHEITEN GESCHICHTE MACHEN DIE SYPHILIS






Das Bakterium hatte Europa kaum erreicht, da wurde es schon als


Mittel der biologischen Kriegsführung eingesetzt. Die Syphilis führte


zu lustfeindlicher Sexualmoral- und zur Erfindung des Kondoms


Von Ronald D. Gerste

ie Soldaten konnten ihr
Glück kaum fassen. Wäh­
rend sie die gegnerische
Hauptstadt belagerten,
entschloss man sich dort
zu einer offenbar verzweifelten Maß­
nahme. Ein Zeitzeuge berichtet, dass
die Verteidiger "gewaltsam ihre Huren
und Frauen aus der Zitadelle jagten, vor
allem die schönsten von ihnen, unter
der Begründung, dass die Nahrungs­
mittel zur Neige gingen. Und die Fran­
zosen, von Leidenschaft ergriffen und
von der Schönheit verzaubert, nahmen
sie auf." Der Zeuge hieß Falloppio, und
er konnte nicht ahnen, dass sich sein
noch ungeborener Sohn Gabriele einst
als einer der berühmtesten Anatomen
und Ärzte der Renaissance fast sein
ganzes Berufsleben lang mit den epide­
miologischen Folgen dieses Geschehens
beschäftigen sollte. Denn was Falloppio
senior beobachtete, war nichts ande­
res als ein frühes Beispiel biologischer
Kriegsführung.
Im Februar 1495 zog die siegrei­
che Armee des französischen Königs
Karl VIII. in das von ihr zuvor belagerte

KÜNSTLICHE NASE An einem
Brillengestell für entstellte Opfer
der Syphilis, Mitte 19. Jahrhundert

Neapel ein- in jene Stadt, deren Ve rtei­
diger den Feinden ihre schönsten Frau­
en ausgeliefert hatten. Dies war jedoch
nicht nur aus Sorge um die schwinden­
den Lebensmittelvorräte geschehen,
sondern mit dem Vo rsatz, die Armee
des französischen Königs nachhaltig zu
schädigen. Es war ein teuflischer Plan,
dessen Ergebnis alle Erwartungen über­
traf. Die Damen waren nämlich nicht
ganz gesund. Die Soldaten im französi­
schen Heer, die sich mit ihnen vergnüg­
ten, zahlten einen furchtbaren Preis. Als
es wenige Monate später, im Juli 1495,
zur Schlacht von Fornovo kan1, mach-

ten die Wundärzte, die sich um die Ver­
letzten kümmerten, eine entsetzliche
Entdeckung: Die Körper vieler franzö­
sischer Soldaten waren mit Pusteln und
anderen Hautveränderungen übersät,
die teilweise an Lepra erinnerten. Bei
einigen führte das Leiden zum Tod, an­
dere hatten Jahre qualvollen Siechtums
vor sich. Die Armee des Franzosenkö­
nigs wurde durch das Leiden schneller
dezimiert als durch die Soldaten der
italienischen Fürsten und musste den
Rückzug antreten. Die Wundärzte be­
obachteten bei den erkrankten Soldaten
einen schnellen körperlichen und geis­
tigen Verfall. Die neue Krankheit war
eine Heimsuchung wie eineinhalb Jahr­
hunderte zuvor der Schwarze To d. Eines
war indes anders als bei den bekannten
Epidemien wie der Pest, der Lepra oder
den Blattern: die Art und Weise der An­
steckung. Es war nicht zu übersehen, wo
die ersten Veränderungen auftraten: am
Penis. Und, so man deren Geschlechts­
partnerinnen oder Huren untersuchte,
an deren Vulva. Es war ganz ohne Zwei­
fel ein Leiden, das durch den Beischlaf
übertragen wurde.
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