P.M. History - 11.2019

(Nandana) #1

Versunkene Reiche


ie Legende, die Giuseppe
Ferlini auf den Schlacht­
fe ldern Afrikas zu Ohren
kam, war so ungeheuer­
lich und verheißungsvoll,
dass sie ihm fo rtan keine Ruhe mehr
ließ. Ferlini war Abenteurer durch und
durch: 1815 hatte er, gerade 18 Jah­
re alt, seine Heimat Italien verlassen,
war erst nach Griechenland gegangen,
wurde dann Chirurg und Söldner in
der ägyptischen Armee. Als Militärarzt
im Sudan flickte er die im Wüstenkrieg
verwundeten Soldaten zusammen- und
stieß dort zum ersten Mal auf die sagen­
hafte Geschichte vonjahrtausendealten
Schätzen aus dem Altertum.
In den Ruinen der Stadt Meroe soll­
ten sie liegen, nahe dem Dorf Begrawija
am Nil, nördlich von Khartum im Su­
dan. Unermessliche Goldschätze, in Py­
ramiden verborgen, noch immer unent­
deckt. Ferlini beschloss, alles auf eine
Karte zu setzen und "entweder ohne
einen Penny nach Hause zurückzukeh­
ren -oder mit den Taschen voller Schät­
ze". Er desertierte und besorgte sich
vom Gouverneur-General Ali Khurshid
Pasha eine Grabungserlaubnis für die
antike Stätte am Nil.
Am 10. August 1834 brach Ferlini
mit einer Expedition nach Meroe auf.
Eine wissenschaftliche Ausgrabung
plante er dort allerdings nicht - ihm
ging es um Gold, und nur um Gold. Die
brachiale Gewalt seiner Methoden lässt
Archäologen noch heute erschauern.
Was dem Italiener auf seiner Schatzsu­
che im Weg war, zertrümmerte er gna-

DYNAMIT-ARCHÄOLOGIE
Giuseppe Ferlini gilt als schlimms­
ter Berserker unter den Ausgräbern

denlos - notfalls mit Sprengstoff. Über
40 Bauwerke fielen seiner Gier zum Op­
fer, darunter die später "N6" genannte
Pyramide der Königin Amanishakhe­
to, die er systematisch von oben nach
unten abriss. Nur wenige Jahre zuvor
hatte der französische Naturforscher
Fn§deric Cailliaud das Bauwerk noch
zeichnen können: 28 Meter hoch, mit
64 Stufen, in exzellentem Zustand bis
auf die oberste Spitze.
In einer Kammer tief im Inneren
der Pyramide angekommen, wurde
Ferlini schließlich fündig. 62 Siegel­
ringe lagen darin, 57 von ihnen aus
purem Gold. Ve rmutlich war es nur
der Rest der Grabschätze von Königin

Amanishakheto, vergessen von antiken
Grabräubern in einem Schacht - doch
Ferlini reichte das Gold, um von den
Pyramiden abzulassen und nach Euro­
pa zurückzukehren. Dort gab er sich als
seriöser Archäologe aus, katalogisierte
und veröffentlichte seine Funde, in der
Hoffnung, auf diese Weise einen noch
besseren Preis dafür zu erzielen.
Doch niemand wollte die Goldringe
kaufen. Schmuck von solch hoher Qua­
lität konnte doch nicht aus einer Region
so tief im Süden stammen, waren die
seinerzeitigen Kunsthändler sicher. Aus
Ägypten vielleicht, aber doch nicht aus
dem staubigen Sudan, diesem weißen
Fleck auf der Landkarte.
Schließlich fand Ferlini Käufer in
Deutschland. König Ludwig I. von Bay­
ern erwarb einen Te il der geraubten
Schätze für seine Sammlung, den Rest
kaufte das Ägyptische Museum in Ber­
lin. Noch heute werden Ferlinis Mit­
bringsel dort ausgestellt.

as damals noch niemand
ahnte: Ferlini hatte als Erster
Schätze eines Großreiches
nach Europa gebracht, von dessen Exis­
tenz bis dahin kaumjemand wusste und
dessen Ausmaß noch völlig unbekannt
war. Kusch hieß das Reich, das zwi­
sehen 785 v. Chr. und 350 n. Chr. den
gesamten Oberlauf des Nils dominierte
und dem es zeitweise sogar gelungen
war, das mächtige Ägypten unter seine
Herrschaft zu bringen.
Noch heute ist das Reich Kusch
eine der großen Unbekannten der
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