Die Welt - 23.10.2019

(Rick Simeone) #1

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23.10.19 Mittwoch, 23. Oktober 2019DWBE-HP


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DWBE-HP






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10 WIRTSCHAFT *DIE WELT MITTWOCH,23.OKTOBER


W


oher auf einmal die
Hektik kommt, ist
nicht ganz klar. Hat
sich die Bundesre-
gierung etwa bei Fri-
days for Future mit Klima-Panik infi-
ziert? Oder ist es eher der für den Fort-
bestand der Großen Koalition entschei-
dende SPD-Parteitag, der zur Eile
drängt?
Noch in dieser Woche will die Bun-
desregierung jedenfalls eine ganzes
Bündel von Klimagesetzen durch die In-
stanzen peitschen. Das Klimaschutzge-
setz, die Steuerleichterungen auf Bahn-
ticktes sowie Änderungen beim Luftver-
kehrsgesetz sollen an diesem Freitag
vom Bundestag in erster Lesung ver-
handelt werden.

VON DANIEL WETZEL

Der selbst auferlegte Zeitdruck ist
ungeheuer: Denn zusätzlich hatte das
Bundesumweltministerium am vergan-
genen Samstag gegen 18 Uhr einen Ge-
setzentwurf verschickt, der für die Fi-
nanzierung der Energiewende einen Pa-
radigmenwechsel darstellt und für die
Kostenbelastung von Auto- und Immo-
bilienbesitzern weitreichende Folgen
haben wird: Mehr als 4000 Unterneh-
men des Verkehrs- und Wärmesektors
sollen der Pflicht zum Emissionshandel
unterworfen werden.
Doch bei der Beratung des neuen Ge-
setzes, das immerhin den gesamten
Kraft- und Brennstoffbereich einer neu-
en Klima-Regulierung unterwirft, durf-
ten die betroffenen Wirtschaftsverbän-
de kaum mitreden. Branchenvertretern
ließ die Bundesregierung lediglich einen
Werktag lang Zeit, das Paragrafenwerk
zu analysieren und zu kommentieren.
Bereits am Mittwoch sollte das Kabi-
nett das Gesetz beschließen.
Die Wirtschaft reagierte höchst ver-
ärgert über die fast völlige Abschaffung
der sonst üblichen Verbände-Konsulta-
tionen: „Werden heutzutage so Geset-
ze gemacht?“, schimpfte ein Verbands-
manager. „Die Vorgehensweise ent-
spricht bei diesem Vorhaben nicht den
Prinzipien guter Rechtsetzung“, er-
klärte auch der Bundesverband Erneu-
erbare Energie (BEE). „Eine Detailbe-
wertung der Auswirkungen des Gesetz-
entwurfs ist so nicht in angemessener
Weise möglich.“
In einem offenen Brief an die Bun-
desregierung machte ein Dutzend der
führenden Industrie- und Energiever-
bände von BDI über BDEW und DIHK
bis zu den Gewerkschaften ihrem Un-
mut Luft: „Aus unserer Sicht sind Län-
der- und Verbändeanhörungen ein fe-
ster Bestandteil des demokratischen
Prozesses“, heißt es darin. Jetzt aber
entstehe der Eindruck, dass Anhörun-
gen der Betroffenen nur noch „pro for-
ma“ und ohne jede Vorwarnung durch-
geführt würden. Es sei fraglich, „ob eine
sachgerechte Aus- und Bewertung der
eingegangenen Stellungnahmen durch
die Bundesregierung anschließend
überhaupt leistbar ist.“
Tatsächlich kommt bei soviel Hektik
in der Gesetzgebung offenbar auch
nichts Gutes heraus. Der Entwurf des
neuen „Gesetzes über ein nationales
Emissionshandelssystem für Brenn-
stoffemissionen“, kurz BEHG, wurde
von Experten trotz der kurzen Frist zur

Stellungnahme bereits heftig kritisiert.
Bleibe es in dieser Form, werde das Ge-
setz zumindest in den ersten Jahren
„eine reine Geldsammelmaschine, die
verfassungsrechtlich auf tönernen Fü-
ßen steht“, urteilte Patrick Graichen,
Chef der Denkfabrik Agora Energiewen-
de in Berlin.
Die Kritik trifft: Denn ein echtes
Emissionshandelssystem für Verkehr
und Heizenergie wird durch das Ge-
setz eben gerade nicht eingeführt. Der
Preis für CO2-Berechtigungen soll
sich nicht durch Angebot und Nach-
fffrage marktwirtschaftlich ergeben,rage marktwirtschaftlich ergeben,
sondern zumindest in den Jahren bis
2 026 staatlich festgesetzt werden. Da-
mit ist der Sinn und Kern des markt-
wirtschaftlichen Instruments des
Emissionshandels ausgehebelt, der
ökonomische Effekt gleicht nun eher
der einer reinen CO2-Steuer. „Ein
dreister Etikettenschwindel“, kriti-
siert der klimapolitische Sprecher der
FDP im Bundestag, Lukas Köhler:

„Der angebliche Emissionshandel ist
in Wahrheit eine CO2-Steuer“.
Ein Etikettenschwindel, der freilich
noch weitreichende juristische Proble-
me aufwerfen könnte. In einem Gutach-
ten des Öko-Instituts und der Hoch-
schule für Wirtschaft und Recht (HWR
Berlin) kommen die Autoren zu dem
Schluss, dass der geplante Emissions-
handel womöglich sogar verfassungs-
widrig sein könnte. Denn die Bundesre-
gierung will die Einnahmen aus den
Zertifikatsverkäufen schließlich dazu
nutzen, einen Teil der Erneuerbare-
Energien-Umlage im Strombereich zu
bezahlen. Eine direkte Subvention von
Erneuerbare Energien aus einer Steuer
wäre aber nicht zulässig.
Überdies bezweifeln Kritiker, dass
die CO 2 -Abgabe auf Benzin und Heizöl
einen positiven Klimaschutzeffekt hat.
Schließlich will die Bundesregierung
einen Berechtigungsschein für eine
Tonne CO 2 -Ausstoß im ersten Jahr für
lediglich zehn Euro abgeben: Viel zu

Klimagesetz


mit heißer Nadel


Kritiker halten neue CO 2 -Abgabe auf Benzin,


Heizöl und Gas für Etikettenschwindel


TTTanken wird teurer. Wieso E10 genauso besteuert werden soll wie E5, ist offenanken wird teurer. Wieso E10 genauso besteuert werden soll wie E5, ist offen


PA/AKG-IMAGES/DODENHOFF

wenig, um bei Verbraucher eine Verhal-
tensänderung zu bewirken, kritisieren
Klimaökonomen.
Auch wird im Gesetzentwurf nicht
recht klar, ob Biosprit durch die CO 2 -
Abgabe wirklich besser gestellt wird als
fossiler Kraftstoff: Dem Anschein nach
wird dort alles über einen Kamm ge-
schert. Christian Küchen, Hauptge-
schäftsführer des Mineralölwirtschafts-
verbandes: „Offen ist, wie sichergestellt
werden soll, dass für den Verkauf von
Super E10-Benzin weniger Emissions-
handelszertifikate gebraucht werden als
für Super E5.“
Damit nicht genug. „Für die Klima-
schutzwirkung ist verheerend, dass die
Anzahl der Zertifikate, die verkauft wer-
den sollen, gar nicht begrenzt wird. Es
sollen so viele verkauft werden, wie
nachgefragt werden“, kritisiert der Ber-
liner Emissionshandelsexperte Jürgen
Hacker. Denn notfalls wolle die Bundes-
regierung bei übergroßer Nachfrage
CO 2 -Berechtigungen, so genannte Zu-
weisungen im Rahmen des EU-Burden-
Sharing-Programms im europäischen
Ausland dazukaufen. Der Emissions-
handel ist in diesem Fall gar keiner, fol-
gert Hacker: „Jeder, der Zertifikate be-
nötigt, kann beliebig viele zum Fest-
preis bei der Bundesregierung kaufen.
Und jeder, der diese Zertifikate verkau-
fen will, musste sie vorher zu denselben
Festpreisen kaufen. Es kann also einen
Handel überhaupt nicht geben.“
Konkret sieht der Gesetzentwurf
vor, dass 4045 Unternehmen ermitteln
sollen, wie viele Treibhausgase durch
die von ihnen in einem Jahr in Verkehr
gebrachten Brennstoffe entstanden
sind. Dafür müssen sie eine entspre-
chende Menge an Zertifikaten bei der
Bundesregierung kaufen. Im Jahr 2021
kostet der CO 2 -Ausstoß zehn Euro pro
Tonne, bis 2025 steigt steigt der Preis
auf 35 Euro. Mineralölkonzerne und
Gasversorger wälzen diese CO 2 -Ko-
sten auf die Endverbraucherpreise
über. Geschätzt wird, dass sich der
Benzinpreis an der Tankstelle um zu-
nächst 3 Cent pro Liter, später um 10
Cent pro Liter verteuert.
Erst ab 2026 will die Bundesregie-
rung die staatlichen Fixpreise abschaf-
fen. Dann soll der Preis für CO 2 -Berech-
tigungen durch Angebot und Nachfrage
am Markt gebildet werden. Allerdings
soll auch hier zunächst eine Obergrenze
von 60 Euro pro Tonne Treibhausgas
gelten. Auch diese Obergrenze ist in
einem Emissionshandelssystem eigent-
lich systemwidrig. Der Europäische
Emissionshandel, der derzeit nur für
Kraftwerksbetreiber und große Indu-
strieanlagen gilt, kommt ohne Preis-
grenzen aus und erfüllt seine CO 2 -Min-
derungsziele punktgenau und effizient.
Viele Details bleiben offen. Einzelhei-
ten zum Verkauf der Zertifikate etwa
soll die Bundesregierung laut Entwurf
per Verordnung regeln dürfen. Sollte
eine unzumutbare Härte für ein Unter-
nehmen entstehen, sieht der Entwurf
eine finanzielle Kompensation vor –
Einzelheiten dazu lässt er noch offen.
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer
sagte, es werde ein „neues Bürokratie-
monster“ geschaffen, das rechtlich auf
wackeligen Füßen stehe. Details würden
durch die noch nicht vorliegenden ge-
planten Rechtsverordnungen in die Zu-
kunft verlagert.

Politik aus Berlin wirklich ist. Das Er-
gebnis: Seit Juli 2018 ist der „laufende
Erfüllungsaufwand um insgesamt 831
Millionen Euro gestiegen“, erklärt der
NKR-Vorsitzende Johannes Ludewig.
Das heißt: Neue Gesetze zu befolgen,
kostete Bürger, Wirtschaft und Verwal-
tung binnen 15 Monaten satte 831 Millio-
nen Euro mehr. Für die Bürger seien die
Kosten um knapp 31 Millionen Euro ge-
sunken, während die deutsche Wirt-
schaft mit mehr als 32 Millionen Euro
zusätzlich belastet wird, bilanziert der
Rat. Richtig teuer wurden die Bundes-
gesetze aber ausgerechnet für die eige-
ne Verwaltung.
Größter Kostentreiber war das Ge-
setz gegen illegale Beschäftigung, das
den Erfüllungsaufwand für die Verwal-
tung Mitte dieses Jahres in die Höhe
schnellen ließ. Mit dem Gesetz wurden
Kontrollen durch die Zollverwaltung
massiv gestärkt. Mehr Befugnisse und
Personal sollen ein konsequenteres Vor-
gehen gegen Schwarzarbeitermögli-
chen. Und das kostet – vor allem, weil
mehr Beamte für Kontrollen eingestellt
wurden, so Ludewig. Die Wirtschaft
werde hingegen nur wenig belastet.
Doch eigentlich sollen solche Büro-
kratie-Explosionen gar nicht mehr vor-
kommen. Dafür gibt es in Deutschland
seit 2014 die sogenannte One-in-one-

E


r habe das nur „leicht ironisch“
gemeint, alles halb so wild. Beim


  1. Berliner Kongress für wehrhaf-
    te Demokratie erklärte Innenminister
    Horst Seehofer im Sommer dieses Jah-
    res ganz unverblümt, wie er umstritte-
    ne Sicherheitsgesetze durch den Bun-
    destag schleust – ohne dass Abgeordne-
    te deren Brisanz erkennen. „Man muss
    Gesetze kompliziert machen, dann fällt
    das nicht so auf“, sagte der CSU-Politi-
    ker. Dann lachte er, nur um Tage später
    in einem Zeitungsinterview einen Rück-
    zieher zu machen: Die Bemerkung sei
    eben „leicht ironisch“.


VON FLORIAN GEHM

Doch worüber Seehofer lacht, ist für
die deutsche Wirtschaftzu einem ech-
ten Problem geworden. Gesetze sind so
kompliziert, dass neben den Abgeord-
neten auch gleich diejenigen sie nicht
mehr verstehen, die davon betroffen
sind. Und dieser Aufwand kostet Milli-
arden. Das zeigen regelmäßig die Gut-
achten des Nationalen Normenkon-
trollrates (NKR). Das Beratergremium
der Bundesregierung prüft seit 2011 die
gesamten Folgekosten in allen Geset-
zes- und Verordnungsentwürfen der
Bundesregierung. Das heißt: Wer die
Gutachten liest, versteht, wie teuer die

out-Regel. Die Idee: Neue Belastungen
dürfen nur in dem Maße eingeführt
werden, wie bisherige Belastungen ab-
gebaut werden. Damit soll besonders
der Mittelstandentlastet werden. In
Deutschland sorgt das tatsächlich für
Erfolg: Über neues Recht werde genau-
er nachgedacht, sagt der NKR. Das Pro-
blem: Während die Wirtschaft durch
deutsches Recht entlastet wird, steigt
der Aufwand, der durch europäische Re-
gelungen entsteht, immer weiter. „
Millionen Euro Aufwand aus der Um-
setzung von EU-Recht bleiben außen
vor, obwohl er die Wirtschaft genauso
belastet“, beklagt das Gremium.
Dass Unternehmen herzlich egal ist,
ob Belastungen aus Brüssel oder Berlin
kommen, unterstrich kürzlich Susanne
Herold, Chefin des Mittelständlers De-
lo. „Beim Thema Bürokratieabbau wird
viel angekündigt, aber bei Weitem nicht
genug umgesetzt, um den Mittelstand
nachhaltig zu entlasten“, beklagte die
Unternehmerin gegenüber WELT. Auch
die One-in-one-out-Regel sei nicht
mehr „als ein leeres Versprechen“, zähl-
ten doch „ausschließlich Informations-
kosten – und das auch nur bei Bundes-
gesetzen.“In ihrem Unternehmen seien
mehrere Dutzend der knapp 800 Mitar-
beiter mit dem Abarbeiten von Bürokra-
tievorgaben beschäftigt.

Warum diese Mitarbeiter auch nötig
sind, wird vor allem deutlich, wenn man
den Erfüllungsaufwand im Langzeit-
trend betrachtet: Seit Juli 2011 schätzt
der NKR die jährliche Belastung und hat
seitdem einen Zuwachs um rund 6,
Milliarden Euro verzeichnet. Der mit
Abstand größte Anteil, rund 4,9 Milliar-
den Euro, entfällt auf die Wirtschaft.
Und das, obwohl in diesem Zeitraum
gleich zwei Bürokratieentlastungsgeset-
ze für Erleichterung sorgen sollten. Das
zeigt: Jahr für Jahr fressen neue Maß-
nahmen vermeintliche Erleichterungen
auf – ohne dass Belastungen aus Brüssel
darin überhaupt eingerechnet sind.
Der Normenkontrollrat scheint die
Bedenken der Unternehmenswelt zu
teilen – und so wird schnell deutlich,
worüber dessen Chef Ludewig eigent-
lich reden will. Die Gesetzgebung sei zu
weit von der Realität von Unternehmen
und Verwaltung weg, beklagt der einsti-
ge Bahnchef. Ohne eine effiziente Ver-
waltung sei die wirtschaftliche Zukunft
eines Landes verbaut. Denn, so bemän-
gelt Ludewig: „Wir machen Gesetze wie
vor 100 Jahren. Das kann nicht stim-
men.“ Angesichts des vielfältigen Par-
teienspektrums habe sich dieses Pro-
blem noch verstärkt. Gesetzesentwürfe
der Bundesregierung würden zudem
immer öfter mit stark verkürzten Fris-

ten abgestimmt, teils binnen weniger
Stunden, sagt Ludewig. So sei es un-
möglich, Folgen abzuschätzen und Feh-
ler zu vermeiden. Das sorge für „unnö-
tigen Aufwand“ und „gefährdet auch die
Rechtsanwendung“.
Seine Forderungen hat der Normen-
kontrollrat deshalb gemeinsam mit der
Unternehmensberatung McKinsey in
ein Gutachten gegossen. „Erst der In-
halt, dann die Paragraphen“, lautet die
Devise. Künftig, so die Idee, soll vor der
Erstellung des juristischen Gesetzes-
textes ein erweitertes Eckpunktepapier
erstellt werden, das in einem „Gesetz-
gebungslabor“ mit den Betroffenen und
den Vollzugsbehörden diskutiert wird.
„Erst wenn Ziel und Inhalt klar sind und
intensiv mit den Betroffenen geprüft
wurden, sollte der konkrete Rechtstext
entstehen und nicht umgekehrt“, for-
dert Ludewig.
Doch die Erfolgsaussichten dieser
Vorstellung scheinen äußerst gering,
wie der NKR ganz nüchtern feststellt.
Kleine Ampeln zeigen den Fortschritt
der Regierung bei der Umsetzung be-
stimmter Ideen des NKR auf. Ausge-
rechnet wenn es darum geht, Ländern,
Kommunen und Unternehmen bei der
Gesetzgebung zuzuhören, stehen die
Zeichen aber auf rot. „Bei der Vorberei-
tung von Gesetzen auf Bundesebene

werden praktische Erfahrungen von
Ländern und Kommunen mehr zufällig
als systematisch mit einbezogen“, heißt
es im Jahresbericht. Pilotprojekte, um
das zu ändern, gibt es nach wie vor
nicht. Auch der sogenannte KMU-Test,
der die Auswirkungen von Gesetzen auf
die Wirtschaft prüfen soll, habe bisher
nur „eine überschaubare Wirkung ge-
zeigt“, formulieren die Räte vergleichs-
weise freundlich. Harscher könnte man
sagen: Beim Zuhören fällt die Bundesre-
gierung durch.
Immerhin will der Bund den dras-
tisch angestiegenen Erfüllungsaufwand
der vergangenen Monate rasch wieder
drücken. Das Bürokratieentlastungsge-
setz III soll den Aufwand um mindes-
tens eine Milliarde Euro senken. Poli-
tisch machbar wären deutlich höhere
Entlastungen, kritisiert Ludewig. Die
deutsche Wirtschaft hingegen sieht
schon jetzt wenig Potenzial in dem Ent-
wurf – einzig die elektronische Krank-
meldung und die Möglichkeit, Steuer-
nachweise nach fünf Jahren ausschließ-
lich elektronisch speichern zu dürfen,
seien „zwei gute Punkte“, moniert Mit-
telständlerin Herold. „Ansonsten aber
findet sich da nichts, was die Industrie
ernsthaft entlastet – und das ist nach
jahrelanger Diskussion eine äußerst
dürftige Ausbeute.“

„„„Wir machen Gesetze wie vor 100 Jahren. Das kann nicht stimmen“Wir machen Gesetze wie vor 100 Jahren. Das kann nicht stimmen“


Die Folgekosten von neuen Vorschriften sind deutlich gestiegen, warnt der Normenkontrollrat. Besonders teuer kommt die Wirtschaft die EU-Rechtsprechung


T


raktor nach Traktor schiebt sich
am Dienstagüber die Bonner
Straßen in Richtung Münster-
platz. An vielen Fahrzeugen sind Schil-
der angebracht. Manche sind witzig:
„Ohne Bauern keine Pommes“. Andere
ernsthaft: „Lieber Verbraucher, ich bin
noch da. Bitte rede mit mir, nicht über
mich.“ Kerstin Blumhardt ist zufrieden:
„Der Münsterplatz füllt sich.“

VON MICHAEL GASSMANN

Ein paar Tausend Landwirte dürften
es sein, die hier auftauchen. Blumhardt
ist Mitorganisatorin des Bauern-Netz-
werks „Land schafft Verbindung“, das
erst am 1. Oktober als Facebook-Gruppe
gegründet wurde und dem nach eigenen
Angaben bereits wenige Wochen später
30.000 Landwirte angehören. 100.
sollen zudem über WhatsApp mitma-
chen. Die Gruppe ist rasch dabei, zur
Bewegung zu werden. So groß ist der
Unmut auf dem Land. Zeitgleich mit
Bonn formieren sich auch andernorts
Treckerparaden. 2000 zählt die Polizei
in Hannover, 1000 in München, 400 in
Hamburg. Berlinund ein Dutzend wei-
tere Städte stehen gleichfalls auf der
Liste der Protestierer. Das Erstaunliche:
Die Aktionen finden am Deutschen Bau-
ernverband (DBV) vorbei statt. Dabei
gelten die Berliner Agrar-Lobbyisten ei-
gentlich als schlagkräftig, bestens ver-
netzt mit der Politik, eine effiziente In-
teressenvertretung für die Landwirte.
Doch den Bauern von „Land schafft
Verbindung“ reicht das nicht. Den De-
monstranten auf dem Münsterplatz
geht es auch nicht oder nicht in erster
Linie darum, mehr Geld einzufordern.
Was sie verlangen, ist Respekt für ihre
Arbeit von einer Gesellschaft, die aus
ihrer eigenen Sicht umso weniger Ver-
ständnis für die Erzeugung von Lebens-
mitteln hat, je weiter die Verstädterung
voranschreitet. Kritiker halten den Pro-
testierern vor, sich subventionieren zu
lassen, aber keine Konsequenzen für ein
umweltgerechtes Wirtschaften zu zie-
hen. Blumhardt sieht das nicht so. Ihr
Beispiel: „Natürlich gibt es das Problem
mit Nitratim Grundwasser. Aber es ist
nicht richtig, immer nur die Landwirt-

schaft als Sündenbock hinzustellen.“
Auch Kommunen trügen Verantwor-
tung, die undichte Abwasserkanäle dul-
deten.
Die Bauern fühlen sich als Tierquäler
und Umweltverderber verunglimpft.
Auf ihrer Website sprechen die Initiato-
ren von „Bauernbashing“: „Die perma-
nente negative Stimmungsmache führt
zu Ärger und Frustration im Berufs-
stand. Diskriminierung, Benachteili-
gung und Mobbing von Angehörigen ge-
hören zur Tagesordnung“, beklagen sie.
Furor und Wachstumstempo der Bewe-
gung erinnern an den Gelbwesten-Auf-
stand in Frankreich: „Es wurde ein Fun-
ke gezündet, der innerhalb kürzester
Zeit zu einem Flächenbrand wurde.“
Anders als die Gelbwesten betont „Land
schafft Verbindung“ allerdings die Ge-
waltfreiheit seiner Aktionen.
Der Deutsche Bauernverband hat of-
fenbar erkannt, dass er die Graswurzel-
bewegung aus den sozialen Netzwerken
nicht stoppen kann. „Wir haben volles
Verständnis für die Demonstranten und
sind solidarisch, solange die Aktionen
gewaltfrei bleiben“, sagte DBV-Präsi-
dent Joachim Rukwied gegenüber
WELT. Die Treckerparaden und Stern-
fahrten vom Dienstag seien erst der An-
fang: „Ich kann mir vorstellen, dass wir
nicht nur heute Proteste erleben, son-
dern auch in den kommenden Wochen.“
Bundeslandwirtschaftsministerin Ju-
lia Klöckner (CDU) kritisierte im ZDF-
„Morgenmagazin“, dass Bauern „häufig
als Tierquäler und Umweltverschmut-
zer abgetan“ würden. Die Bauern müss-
ten sich aber auch in die Pflicht nehmen
lassen, etwa beim Thema sauberes
Grundwasser. Der Fraktionsvorsitzende
der Grünen, Anton Hofreiter, bezeich-
nete die Proteste als Folge einer „jahr-
zehntelang verfehlten Agrarpolitik“.
Die Bauern fühlen sich von einer
Vielzahl von Gesetzen eingeengt, sei es
der Aktionsplan Insektenschutz, sei es
die Düngeverordnung, seien es Auflagen
bei der Tierhaltung. Auch das Freihan-
delsabkommen der EU mit den südame-
rikanischen Mercosur-Staatenmissfällt
ihnen. Unmittelbarer Auslöser der
Gründung von „Land schafft Verbin-
dung“ seien „ideologisch anmutende
Gesetzespakete“ gewesen. Den Bauern
sei sogar gedroht worden, Strafzahlun-
gen der Alterssicherung der Landwirte
anzulasten, empören sich die Initiato-
ren der Aktionsplattform.
Die letzten zwei Wochen, so Land-
wirtin Blumhardt, seien hart gewesen
mit der ganzen Organisiererei der
Kundgebung in Bonn. Die Arbeit auf
dem Hof laufe ja weiter. Und Protest-
erfahrung habe sie keine. Die Demo in
Bonn, sagt Blumhardt, war die erste in
ihrem Leben. Wie geht es weiter? Der
blitzartige Aufstieg war wohl bisher zu
schnell, um einen genauen Plan zu ent-
werfen. Aber zu Ende, da ist sich Blum-
hardt sicher, sind die Bauernproteste
nicht: „Wir werden uns schon wieder et-
was einfallen lassen.“

Bauern organisieren


AAAufstand aus dem Nichtsufstand aus dem Nichts


Landwirte fühlen sich zum Sündenbock gemacht


Brandenburger Bauern fahren mit ihren
TTTreckern um die Siegessäulereckern um die Siegessäule

DPA

/BERND VON JUTRCZENKA

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