Die Welt - 23.10.2019

(Rick Simeone) #1

E


igentlich handelte es sich nur um
ein Detail, das Designer Vincent
Connare noch kurz vor Veröf-
fentlichung des Microsoft-Programms
„Bob“ im Oktober 1994 ändern wollte.
Bei Bob handelte es sich um ein Paket
mit verschiedenen digitalen Hilfspro-
grammen, etwa einem Kalender, einem
Adressbuch, einem Finanzplaner – und
einem animierten gelben Hund. Conna-
re hatte nun die Idee, dem Hund Bob ei-
ne passende Stimme beziehungsweise
Schrift zu verpassen.

VON LAURA JUNG

Das süße Tier begleitete nämlich
Nutzer durch das Programm und gab
als Vorläufer der bekannten allwissen-
den Büroklammer mit den Glubschau-
gen Hilfestellungen – und zwar, zu Con-
nares Entsetzen, in der wahnsinnig drö-
gen Schriftart Times New Roman. Da-
bei sollte Bob doch Menschen die Angst
vor der Technik nehmen und sie ermu-
tigen, spielerisch mit ihr umzugehen.
Connare war sich sicher, dass das mit
dem sehr akkuraten, dafür langweiligen
Schriftsatz von Times New Roman nicht
fffunktionieren würde. Denn wie Mar-unktionieren würde. Denn wie Mar-
shall McLuhan ein für alle Mal festge-
stellt hat: Das Medium ist die Botschaft.
Und die Botschaft von Times New Ro-
man war klar: Das hier ist eine sehr tro-
ckene Angelegenheit. Also entwarf Con-
nare eine kindlichere, leichtfüßigere
Schrift für seine Software – Comic Sans.
Diese kleine Fingerübung sollte sich
aaaber schon bald verselbstständigen undber schon bald verselbstständigen und
zu einer der bekanntesten und vor allem
meist gehassten Schriftarten der Com-
puterwelt avancieren.

Als Inspiration dienten Connare,
natürlich, Comics. Vor allem „Batman“
und „Watchmen“, die damals beide –
so will es der Mythos – auf seinem
Schreibtisch lagen. Comic Sans imi-
tiert den handschriftlichen Charakter
von Sprechblasen in Comics. Die Ab-
stände zwischen den einzelnen Buch-
staben sind unregelmäßig, die Schrift
wirkt deswegen etwas unbeholfen,
aber irgendwie niedlich. Wie ein süßer
gelber Hund eben, der zwar nicht stu-
benrein ist, dem man die Flecken auf
dem Teppich aber nicht übelnehmen
kann, wenn man in seine großen Kul-
leraugen schaut.

Ins Betriebssystem Bob schaffte Co-
mic Sans es dann trotz aller Niedlich-
keit nicht. Das Microsoft-Produkt war
schon zu sehr auf Times New Roman
ausgelegt, Connares Schrift zudem zu
breit und groß. Sie schien seinen
Chefs aber dennoch zu gefallen. Je-
denfalls wurde sie erst im Microsoft
Movie Maker und dann im Wind-
ows-95-Plus-Paket eingeführt. Damit
begann die Erfolgsgeschichte von Co-
mic Sans, „dem Justin Bieber der
Schriftarten“, wie Connare seine Er-
fffindung rückblickend nennt.indung rückblickend nennt.
Nutzer liebten die Schrift. Bringt sie
doch, ähnlich wie die Retortenpopsongs

Biebers, eine kindliche Leichtigkeit mit
sich, der man sich nur schwer entziehen
kann. Comic Sans wurde das „Love
Yourself“ der späten 90er-Jahre: omni-
präsent und weltweit bekannt. Man
schrieb Gratulationen, Einladungen
und Briefe in Comic Sans, aber auch
harmlos-nette Produktwerbung wurde
darin gesetzt. Jede neue Anwendung
verstärkte, genau wie beim ubiquitär
vermarkteten Bieber, den Hype.
Bald fing man an, auch weniger nahe-
liegende Texte in der unschuldigen
Schrift zu verfassen: Grabsteine und
Gedenktafeln wurden mit Comic Sans
beschriftet, Beschwerdebriefe und Be-
werbungsschreiben damit aufgelockert.
Es schien, als hätte man McLuhan miss-
verstanden und glaubte, eine Verwen-
dung von Comic Sans würde jede noch
so ernste oder gar tragische Botschaft
gleich leichter verdaulich machen.
McLuhan selbst konnte nicht ein-
schreiten, Holly Combs und ihr Ehe-
mann David schon. Die beiden Ameri-
kaner hatten sich – so will es der My-
thos schon wieder – ineinander ver-
liebt, weil sie beide Comic Sans hass-
ten. Kaum verheiratet, starteten sie ei-
ne Kampagne gegen die Verwendung
der Schriftart, inklusive theatralischem
Manifest. Sie fühlten sich berufen „die
Heiligkeit der Typographie“ vor der
„Blasphemie“ der Comic Sans zu schüt-
zen. Sie versuchten zu erklären, dass al-
le Schriftarten eine eigene Botschaft
vermittelten: „Das Design der Schrift-
art ist selbst eine Stimme. Oft spricht
diese Stimme lauter als der Text
selbst.“ Wenn auch der pastorale Ton
ein wenig ironisch anmutet, so fand das
Ehepaar Combs doch ernstgemeinte

Unterstützung für seine Kampagne –
nicht zuletzt vom Erfinder der Schrift
selbst. Auch Connare sprach sich gegen
eine undifferenzierte Verwendung von
Comic Sans aus, so wie man sich gegen
eine andauernde Berieselung mit Jus-
tin-Bieber-Songs aussprechen sollte:
Manche Dinge ließen sich eben nur in
einem bestimmten Kontext und in ge-
ringer Dosis ertragen.
Es wurde zu einem regelrechten
Sport unter Ästhetikfanatikern, Comic
Sans in immer neuen Vergleichen zu
diskreditieren. Man schrieb, Comic
Sans sei der besoffene Onkel auf der Fa-
milienfeier, dessen unangenehme Wit-
ze mit jedem Bierchen lauter würden.
Helvetica sei dagegen die adrett geklei-
dete Tante, die nach jedem Gang ihren
Lippenstift auf der Toilette nachziehe
und ihre Nichten und Neffen mit Geld-
geschenken beglücke. Comic Sans wir-
ke so unprofessionell wie die kleinen
Visitenkarten von Autohändlern, die
nach längerem Parken hinter den
Scheibenwischern stecken. Andere
Schriftarten seien hingegen wie das Au-
tohaus von Mercedes in der besten Ge-
gend. Oder: Wären Schriftarten Anwäl-
te, dann wäre Arial Harvey Specter, der
schnieke Superanwalt aus „Suits“, und
Comic Sans der zwielichtige und im-
mer im Trüben fischende Saul Good-
man aus „Breaking Bad“.
Doch all die schönen Worte nützten
nichts: Comic Sans war gekommen, um
zu bleiben. Die Boykottkampagne konn-
te der Schriftart letzten Endes nichts
anhaben. 2012 wurde sogar die Entde-
ckung des Elementarteilchens Higgs-
Boson von Cern, der Europäischen Or-
ganisation für Kernforschung, in Comic

Sans präsentiert – ein Sakrileg für De-
signgläubige. Aber sie übersehen etwas:
Das Medium Comic Sans hat tatsächlich
eine Botschaft. Nur eben nicht die, die
Kritiker darin sehen.
Holly Combs behauptete in einer ih-
rer Brandreden gegen die Schriftart, in
Comic Sans zu schreiben sei in etwa so,
wie zu einem formellen Event im
Clownskostüm aufzukreuzen. Was
aber, wenn das Clownskostüm den
Abend rettet, einfach nur, weil sich
dann niemand mehr unwohl fühlt, die
Stimmung locker wird und alle was zu
lachen haben?
Und: Comic Sans kann tatsächlich
integrierend wirken, denn die Schrift-
art ist für Menschen mit Dyslexie be-
sonders gut lesbar. Das liegt gerade an
ihrer ihr so oft vorgeworfenen kindli-
chen Unregelmäßigkeit. Die unter-
schiedliche Höhe der Buchstaben, die
verschieden großen Abstände ermögli-
chen es Menschen mit einer Lese-
Rechtschreib-Schwäche, die Worte in
kleine Abschnitte aufzuteilen und so zu
lesen. Bei Standardschriften wie Times
New Roman oder Arial verschwimmt
der Text vor den Augen dieser Leute zu
einer unlesbaren Masse.
Wissenschaftliche Erkenntnisse in
Comic Sans aufzubereiten bedeutet al-
so vor allem, Menschen zu ermögli-
chen, sich mit komplexen Sachverhal-
ten auseinanderzusetzen, die sonst von
deren visueller Präsentation schon ab-
geschreckt werden. Es ist eine Einla-
dung zur angstfreien Neugierde, zum
spielerischen Umgang – ungefähr so,
wie es der Erfinder Connare im Sinn
hatte, als er Comic Sans vor 25 Jahren
entwickelte.

Vor 25 Jahren wurde die Schriftart


Comic Sans erfunden. Sie wird geliebt


und gefürchtet wie kaum eine andere


TTType. Für beide Extrempositionen gibt esype. Für beide Extrempositionen gibt es


gute Gründe


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23.10.19 Mittwoch, 23. Oktober 2019DWBE-HP


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22 FEUILLETON DIE WELT MITTWOCH,23.OKTOBER2019


S


alzburg, Dubai, Kairo. Und
Bonn. Städte, die ein austra-
lischer Reiseführerunter
die fünf Top-Reiseziele der
Welt gewählt hat. Bonn, ja
Bonn. Immer eine Reise wert. Kairo hat
den Nil und die Pyramiden von Gizeh,
Bonn hat den Rhein, die Rheinaue und
den Blick auf die Ruine Drachenfels.
Dubai hat den Burj Khalifa und viele an-
dere Hochhäuser, Bonn das als Langer
Eugen bekannte ehemalige Abgeordne-
tenhochhaus von Egon Eiermann sowie
den neueren Post Tower. Und damit
fast so etwas wie eine Skyline.

VON DAVID WAGNER

Bonn hat eine Bahnlinie, welche die
Stadt in zwei Hälften schneidet, und be-
schrankte Bahnübergänge, die diese
Hälften miteinander verbinden. An der
Schranke stehend lernen Bonner sich
kennen. Und wie Salzburg hat Bonn ei-
ne Altstadt. Und eine Südstadt mit noch
schöneren Altbauten, fast so schön wie
die Altbauten in Salzburg, nur nicht
ganz so barock.
Salzburg, die Nummer eins auf der
ominösen Liste der Top-Reiseziele des
australischen Reiseführer-Unterneh-
mens, hat Mozart, Bonn aber kontert
mit Ludwig van Beethoven. Bonn hat
zumindest sein Geburtshaus, eine
Beethovengasse, eine Beethovenhalle
(renovierungsbedürftig, wenn ich
mich recht erinnere) und nicht nur ein
Beethoven-Denkmal. Und darüberhi-
naus, zum Beethovenjahr, viele kleine
Beethoven-Skulpturen, die in der
Stadt herumstehen.
Bonn hat einen Hofgarten und Erin-
nerungen an große Demonstrationen,
die dort stattgefunden haben: gegen die
Notstandsgesetzgebung, gegen den Na-
to-Doppelbeschlussund gegen den
Irak-Krieg. Um nur drei zu nennen.
Bonn hat ein Schloss, das heute das
Hauptgebäude der Universität ist, und
Bonn hat Bad Godesberg, vielleicht
noch schöner als Bonn selbst.
Bonn hat Brücken, um auf die andere
Rheinseite zu gelangen – wozu aber ei-
gentlich? Zivilisation gibt es doch nur
auf der Seite links des Rheins. Es reicht
aus, hinüberzuschauen, und sich daran
zu erfreuen, auf der richtigen Seite zu
sein. Bonn hat den Fluss, den Strom,
Bonn hat aber auch einen Bahnhof mit
dem Bonner nach Köln fahren können,
die Stadt, die nicht unbedingt schöner,
aber immer größer war.
Zwischen Bonn und Köln liegt, so
erinnere ich es, eine unsichtbare se-
mipermeable Membran: das heißt, es
ist möglich, von Bonn nach Köln zu
reisen, unmöglich aber ist es für Köl-
ner nach Bonn zu gelangen. Wer weiß,
woran das liegt. Haben Kölner etwa
keine Lust? Dabei hat Bonn sogar ein
chinesisches Pagodenschiff, aus einer
alten Rheinfähre erbaut. Wer aber
dort essen möchte, der muss hinüber-
schwimmen oder erst Beueler, also
rechtsrheinischen Boden betreten,
denn das Chinaschiff liegt am Beueler
Ufer vor Anker.
Bonn-Bad Godesberg hat viele Alten-
und Pflegeheime, ja, am Rhein spazieren-
gehend, kann Besuchern der Verdacht

kommen, halb Bonn sei eine Anhäufung
von Seniorenresidenzen für verdiente
Protagonisten der alten Bundesrepublik,
fffür all die, die nicht mehr nach Berlin um-ür all die, die nicht mehr nach Berlin um-
ziehen wollten, konnten oder durften.
Bonn hat aber nicht nur die Südstadt
und die Villenviertel in Bad Godesberg,
Bonn hat auch ein Neubaughetto mit
fffabelhaft schlechtem Ruf, jedenfallsabelhaft schlechtem Ruf, jedenfalls

war das einmal so, Bonn-Tannenbusch,
ja, Bonn hat auch Neubauten und Alt-
neubauten, vielleicht zu viele davon.
Bonn hat große Friedhöfe, auf einem
von ihnen liegt Robert Schumann be-
graben, eine Pyramide aber wurde ihm
nicht erbaut. Statt einer Großen Pyra-
mide hatte Bonn das Bonner Loch,
aber das wurde nun zugeschüttet oder

überbaut, ich muss mir das ansehen,
ich war viel zu lange nicht in Bonn,
mindestens einen Monat nicht.
Bonn hat nicht nur die Bahn und den
Rhein, Bonn hat, wie Kairo, auch eine U-
Bahn. Oder möchte zumindest den An-
schein erwecken: Unter der Konrad-
Adenauer-Allee darf die Stadtbahn un-
terirdisch fahren. Bonn hat den Blick

aufs Siebengebirge, Bad Godesberg hat
die schönste Aussicht, Salzburg – das
Alexander von Humboldt zusammen
mit dem Golf von Neapelfür die
schönste Gegend der Erde hielt – hat
keine schönere.
Sage ich mal so. Bonn hat heute, wie
eine richtige Großstadt, ein Verkehrs-
problem, Bonn hat zu viele Autos und

wie Paris hat Bonn eine Banlieue, Orte
bzw. Nicht-Orte die Meckenheim oder
Sankt Augustin heißen, Schlafstädte,
deren Bewohner jeden Tag nach Bonn
oder sonst wohin pendeln. Oder zu
Hause bleiben.
Bonn ist, obwohl die Bundesregie-
rung die Stadt nach dem Hauptstadt-
beschluss verlassen hat, keine Ruinen-
landschaft geworden, Bonn hat die
UNO und die Telekom und zu seinem
AAAutoproblem auch ein Wohnungspro-utoproblem auch ein Wohnungspro-
blem, Leerstand gibt es nicht. Bonn
hat das Vorbild zur Berliner Gedächt-
niskirche – als der spätere Kaiser Wil-
helm in Bonn studierte, war er vom
Bonner Münster so beeindruckt, dass
er die Kirche in Berlin vergrößert
nachbauen ließ.
Bonn hatte auch ein Bonn-Center –
das aber wurde abgerissen, ja, spektaku-
lär gesprengt. Bonn hat aber noch ein
bis heute nicht abgerissenes Stadthaus,
ein bunkerähnliches, zweiundsiebzig
Meter hoch aufragendes Hochhaus, für
das einmal ein ganzer Block Altbauten
weichen musste.
Bonn hat eine Oper und einen Bahn-
hof, den Hauptbahnhof, von dem Besu-
cher, obwohl er zur Zeit umgebaut wird,
nach ihrer Bonn-Besichtigung wieder
abreisen können, nachdem sie die Bon-
ner Fußgängerzonen durchwandert ha-
ben, denn selbstverständlich hat Bonn,
wie jede richtige westdeutsche Stadt ei-
ne Fußgängerzone.
Und Bonn hat nicht nur eine weitläu-
fige Fußgängerzone, Kaufhäuser und Fi-
lialgeschäfte wie in jeder anderen Stadt,
Bonn hat, wie schon erwähnt, eine Uni-
versität und daher auch Studierende.
Ich selbst war mal einmal einer von ih-
nen, hielt es aber nicht länger als ein
Jahr aus in Bonn, es war zu schön für
mich, ich musste fliehen.
Dabei hat Bonn die ausgefallensten
Stadtteilnamen aller deutschen Städte,
Beethoven wurde so musikalisch, weil
er mit Ortsnamen wie Muffendorf, Plit-
tersdorf, Graurheindorf und Dotten-
dorf sprechen lernte, Namen, die, im
rheinischen Singsang aufgesagt, in sei-
nen Kinderohren wie Melodien klingen
mussten: Kessenich, Lessenich, Ückes-
dorf, Poppelsdorf, Pützchen. Und nicht
zu vergessen: Hochkreuz und Venus-
berg (wo Richard Wagners Tannhäuser
seine schönsten Wochen verbrachte,
nein stimmt nicht).
Bonn hat sogar, aber wer würde, ein-
mal dort, je wieder abreisen wollen, ei-
nen Flughafen. Manche behaupten, es
sei der Kölner Flughafen, Ansagen dort
begrüßen Reisende aber gern auch mit
einem „Willkommen in Bonn“, obgleich
sonst meist vom Flughafen Köln/Bonn
die Rede ist.
In Köln, das auf der australischen
Top-Reiseziele-Liste gar nicht auf-
taucht, mag der Kölner Dom stehen,
Bonn hat dafür die Haribo-Fabrik in
Kessenich. Und ist deshalb sowieso
weltberühmt. Oder war da noch etwas
anderes?

TDavid Wagner ist Schriftsteller und
hat gerade den Roman „Der vergess-
liche Riese“ (Rowohlt Verlag) veröffent-
licht, der zu großen Teilen in Bonn und
Umgebung spielt.

Salzburg, Dubai, Kairo – Bonn?


Laut „Lonely Planet“ gehört Bonn zu den fünf besten Reisezielen der Welt. Wie konnte das


passieren? Über eine Stadt von wirklich sehr diskretem Charme.


VVVon David Wagneron David Wagner


PICTURE ALLIANCE / IMAGEBROKER

/THOMAS ROBBIN

Wahrzeichen von Weltruhm:
Schürmannbau und
Langer Eugen

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