Berliner Zeitung - 23.10.2019

(Brent) #1

Berlin


10 * Berliner Zeitung·Nummer 246·Mittwoch, 23. Oktober 2019 ·························································································································································································································································································


DieFälschunggehörtzurKunst


VerschiedeneMärkte,Rekordpreise,genialeKopisten–warumesschwierigwerdenkann,dieEchtheiteinesGemäldeszuüberprüfen


VonIrmgard Berner

D

as Geschäft mit der
KunstfloriertseitJahren.
DerMarktwir ddabeizu-
weilen voneiner Dyna-
mikerfasst,diesichjederRationali-
tätentzieht.EswerdenSummenge-
zahlt,diedenWerteinesKunstwerks
nicht mehr zurechtfertigen schei-
nen.DerMalerGerh ardRichter,des-
sen Gemälde mitWeltrekordpreisen
gehandeltwerden, nannte es selbst
einmal „absurder als dieBanken-
krise“(2008).
Seitesdie Kunstgibt,verleitetsie
zudunklenGeschäften.Dennindie-
sem Marktgibt es immerGewinner
und Verlierer –und vieleNuancen
dazwischen. Es gibt Fälscher und
solche,die gefälschteKunst in den
Marktschleusen. DerBetrug hat
viele Gesichter,man denke nur an
den schillerndenFall Beltracchi, für
dessenFälschungenvonBilderndes
SurrealistenMaxErnstderlegendäre
Kunstexperte,Werner Spies,Echt-
heitszertifikate ausstellte,sodass
diese fürMillionenbeträgeverk auft
werdenkonnten.Oderanjenenbis-
herteuerstennichteinmalgesicher-
tenLeonardodaVinci.
Wieaber kann es passieren, dass
ein Kunstkäufer oderSammler vom


Verkäufer derarthinters Licht ge-
führtwirdundzum TeilUnsummen
füreineFälschungbezahlt?Aufwel-
chem Markthaben Fälschungen
überhauptBestand?Undwiekommt
es,dasswieimaktuellenFalldesan-
erkanntenBerliner Galeristen und
Kunsthändlers Michael Schultz,
mutmaßlicherBetrug in Millionen-
höhemöglichwird?

Primär-undSekundärmarkt
Galeristen undGaleristinnen bauen
bekanntlich Künstler auf.In Berlin
geschieht das sehr erfolgreich, die
Akteurelassen den Kunststandort
glänzen undwerden international
hochgeschätzt.DieKunst,ihr eWare,
stammt so gut wie immer aus den
Produktionsstätten der Künstler,
frisch aus denAteliers oder wirdfür
AusstellungendirektindenGalerie-
räumenoftortsspezifischerstinstal-
liert. Dasheißtim FachjargonPrim-
ärmarkt.In dem bewegt sich auch
MaikeCruse,dieLeiterindesGallery
Weekends.DieFragenachFälschun-
genstellesichindemMarktsegment
der zeitgenössischenKunst, in dem
siearbeitet,nicht,sagtsie.Manwisse
genau,woherdieKunstkommt.
Im Fall des GaleristenMichael
Schultz, der seit über 30Jahren im
GeschäftistundzumTeilhohesAn-

sehen beiKollegen genießt, stoßen
die Vorwürfe in derBranche auf
großeÜberraschung.Schließlichhat
ereineprächtigeVitavorzulegen,hat
auf der ArtCologne ausgestellt, war
Messebeirat, führte nicht nur eine
DependanceinSeoul,sondernorga-
nisierteMuseumsausstellungen in
Korea.ErhatKünstlerwiedieKorea-
nerin SEOverdienstvoll aufgebaut,
hat Cornelia Schleime oder A.R.
Penck in den 90er-Jahren als einer
dererstenvertreten,PopArtundRoy
Liechtensteinausgestellt.Füralldie
Künstler,die er vertrat, müssen die
Vorwürfe gegen Schultz sehr bitter
sein,ebensofürseineKooperations-
partner ,schließlichhaterinternatio-
nalden BerlinerKunsthandelreprä-
sentiert.Er trat auf als einGalerist,
der das Talent hatte,aus einem
blauen Bild vieleTausend Euro zu
machen.Sein besonderes Charisma
ließ offenbar keineZweifel aufkom-
men. Das, was ihn so strahlen ließ,
wurde ihm womöglich zumVer-
hängnis.
Schultz ist fürNachfragen nicht
zuerreichen.Dabeiwartenjetztviele
nichtnurinderKunstszeneaufeine
Erklärung.Siewollen wissen, was
dranistandenVorwürfen.Obertat-
sächlichzumBetrügerwurde.Ober
tatsächlichgefälschteKunstwaremit

gefälschtenEchtheitszertifikatenbe-
legthat.Daszumindestisteinerder
Vorwürfeder Staatsanwaltschaft,die
–wie berichtet–gegen ihnHaftbe-
fehl ausgesprochen hat.Aber kann
ein anerkannterGalerist tatsächlich
solche krummenGeschäfte durch-
ziehen –vielleicht sogar überJahre?
und wie kann jemand, außer durch
seine Überzeugungskraft, seinen
KäufernimVoraus großeSummen
Geld entlocken, fürKunstwerke,die
erdannniebeschaffthat?Werprüft–
undwowirdnichtgeprüft?Auchder
aktuelleFall kam erst insRollen, als
ein Sammler,der vonihm ein Ge-
mälde vonGerhar dRichter gekauft
hatte,diesesübereinenAuktionator
weiterverk aufen wollte.Der ließ es
im Gerh ard-Richter-Archiv inDres-
den prüfen, es stellte sich als Fäl-
schungheraus.
Zu unterscheiden sei hier zwi-
schen Primärmarkt undSekundär-
markt,istvoneinemBerlinerAukti-
onshauszuerfahren.FüreinenGale-
risten, der wieMichael Schultz im
Primärmarkt tätig ist, stelle sich die
Frage derProvenienz einesKunst-
werk saber erst gar nicht.Jedoch
agierte er auch alsKunsthändler im
Sekundärmarkt. DieArbeitenvon
Richter,dieerausstellte,habeerviel-
leicht nicht nurvonRichter direkt

Irmgard Berner
bewegt sich seit Jahren
in der Künstlerszene.

bekommen,sondernvonSammlern
oder auf demMarktzusammenge-
kauft,hießesvondemBerlinerAuk-
tionshausweiter.Daher wirdunter
Umständen nicht jedes Objekt auf
Herz und Nieren aufEchtheit ge-
prüft.AndersistdieSituationbeirei-
nen Händlernoder auch beiAukti-
onshäusern,diealleObjekteaufihre
Stichhaltigkeitüberprüfen.

KriterienfürdieEchtheit
Wieaber erfolgt diesePrüfung? Bei
EinlieferungeinesWerkswerdendrei
Grundsätzefürei neProvenienzkette
untersucht:AnersterStellestehtdie
Herkunft –ist dasWerk bis zumUr-
sprungzurückzuverfolgen?Jelänger
dieserzurückliegt,destoschwieriger
sei es oft.Derzweite Punkt sei die
technisch-naturwissenschaftliche
Analyse,die das Auktionshaus
durchführt.Undschließlichwerde
die Stilkritik vondemjenigen einge-
holt, der dasWerkve rzeichnis bear-
beitet. Je klarer dieseProvenienzen
seien, desto mehr hilft das dem
Kunstwer kunddemKünstler.
FürAuktionshäusergehörtesz ur
Systemat ik,alles genau zurecher-
chierenundmitdendafürrichtigen
Authentifizierungsstellen abzuklop-
fen.BeiKünstlernwieGerh ardRich-
ter fungiertsein Archiv,das unter

http://www.gerhardrichter.com für jeder-
manneinsehbarist,alseinRegister,
hinterdemeineArtBlockchainliegt
undKlarheitschafft.DennbeiRich-
ter sei so vielBewegung imMarkt,
sagtderArchiv-LeiterundKunsthis-
toriker Dietmar Elger,dass man nie
exakt nachvollziehen könne,wer
wannwelchesBildbesessenhat.
DerKunstma rktlebt vomHan-
del mit symbolischen Güternund
die Preise spiegeln nie nur ihren
Materialwert.Ohnediesenaktuel-
lenFallzubagatellisieren:DasGe-
schäft mit der Fälschung gehört
zum Kunstmarkt wie die Kunst
zum Markt, seit es sie gibt. Es ist
auchkeineErfindungderÜberhit-
zung diesesMarktes.ImP rinzip
wirdmit Dingen gehandelt, die
nutzlos sind.Dienur au sder so-
zialen Magie heraus leben, die
man in sie hineinprojiziertoder
die aus ihnen herausspringt.Was
zählt,istdermagischeMoment,in
dem derUrheber,das Werk,sich
mitdemBetrachter ,derzumKäu-
ferwird,emotionaltrifft.

Vermutlich alles Originale: Das MuseumFrieder Burda in Baden-Baden zeigt dieWerke„Birkenau-Reproduktion 937 B“ (links), „93 Details Birkenau“ (Mitte) und „Birkenau“ (rechts) von Gerhard Richter. DPA/ ULI DECK


Richtigverbunden


Prüfungsängste?Beziehungsprobleme?EinoffenesOhrbietetkünftigdieNightlineBerlin,einstudentischesZuhörtelefon.DieTelefonseelsorgeindesistskeptisch


V


on dieser Woche an finden
Berliner Studierende bei ei-
nem neuen, anonymenHilfetele-
foneinoffenesOhr.„Die Nightline
BerlinistjedenDonnerstagvon
bis24 Uhrerreichbar“,sagteTanja
Rathmann,MitgründerindesTele-
fondienstes.Abhängig vonder
Nachfrage könnten die Zeiten
nocher weitertwerden.


FüralleBerl inerStudenten

„ImPrinzipkönnenStudierendemit
jedemProblemanrufen“,sagteRath-
mann. Mandürfe nur nichtverg es-
sen,dassdieZuhörerkeineausgebil-
deten Psychologen seien.DieNight-
line unterscheidet sichvonanderen
Beratungsstellen darin, dass am an-
deren EndederLeitungebenfallsStu-
denten sitzen.So solle ein niedrig-
schwelliges Gesprächsangebot auf
Augenhöhegeschaffenwerden,heißt


esvonderHumboldt-Universität.Die
HochschulehatdieFinanzierungder
Hotline für zunächst einJahr zuge-
sagt.DasAngebotrichtetsichanStu-
dentenallerBerlinerUniversit äten.
DieehrenamtlichenMitarbeiter
derNightlinelernenaneinemSchu-
lungswochenende,aktiv zuzuhören
unddieeigenenGrenzenzukommu-
nizieren.WennAnruferallerdingsvon
schwerwiegenden Problemen be-
richten,sollensieananderepsycho-
soziale Dienste weitergeleitetwer-
den, betonteRathmann.Zudemsol-
len regelmäßigeBesprechungen un-
tereinandersowieSupervisionenvon
professionellenPsychologenverhin-
dern,dasssichdiestudentischenZu-
hörer überfordertfühlen oder gar
selbstProblemeentwickeln.
„Ich befürchte,dass ein Schu-
lungswochenende nicht genug
ist“, warnte dieDiplompsycholo-

Nightline inPotsdam, wo es den
DienstschonseitmehrerenJahren
gibt.OftriefenauchNeuankömm-
linge in derStadt an, die sich ein-
sam fühlten.Auch diesenwerde
natürlichGehörgeschenkt.
„Ich möchte in einer Gesell-
schaft leben, in der dieMenschen
fähig sind, einander zuzuhören“,
begründeteRathmann ihrEnga-
gement.Bereitsdie Erfahrung,mit
einemProblemnichtalleinedazu-
stehen, bringe Entlastung und
könnehelfen,selbstaufLösungen
zukommen.
Nightlinesgibtesbereitsinvie-
len anderen deutschenStädten,
unterandereminDresden,Müns-
terund FrankfurtamM ain.InBer-
lin ist derDienst immer am Don-
nerstag in derZeit von21b is 24
unter der Telefonnummer 030
2093-70666zuerreichen.(dpa)

ginBettinaSchwab.Sieistzustän-
dig für dieAusbildung bei derTe-
lefonseelsorgeBerlin. DieMitar-
beitermüsstensehrhellhörigsein,
ab wann ein Anrufer akute und
professionelleHilfebrauche.

InPotsdamseitJahren
Daher daueredie Ausbildung bei
der Telefonseelsorge anderthalb
Jahre. „Trotzdem halte ich die
Nightline prinzipiell für eine gute
Idee“, sagte Schwab.Sie sei an ei-
nem Austausch und einerZusam-
menarbeit interessiert, nicht an
einerAr tdesKonkurrenzdenkens.
Tanja Rathmann ist selbst aus-
gebildeteNotfallseelsorgerin, und
erzählt, dass sich die meisten An-
rufer der Studentenhotlinewegen
Problemen in ihrer Beziehung
oder aber imStudium meldeten.
Die Nightline Berlin hilft Studenten in Not. IMAGO IMAGES Daszeigten Erfahrungen mit der
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