Berliner Zeitung - 23.10.2019

(Brent) #1
Saisonlangan.DieDresdnerwurden
nierichtigheimischimWedding.
Viele Jahrespäter,inZeiten der
Berliner Mauer,durfte Hertha BSC
nach langenBemühungen imRah-
men des streng reglementierten
„deutsch-deutschen Sportkalen-
ders“ imApril1978 zu einemSpiel
nachDresdenreisen.Damalsmach-
ten sichHunderte Berliner Fans per
Sonderzug auf nachDresden und
trafen sich dortmit vielen Anhän-
gerndes 1. FCUnion, die endlich
einmaldieHerthaliv eerlebenwoll-
ten,diesienurausdemWestfernse-
henkannten.DieUnionerbevölker-
ten die Autobahn mit
ihren Trabbis,Wart-
burgs ,und schließlich
sahen 40000 Zu-
schauer das deutsch-
deutsche Duell, das
Dynamo 1:0 gewann.
Es kam zuvonden
DDR-Oberen nicht
gerngesehenenVer-
brüderungenderFans
ausOstundWest.Man
kann dieses Ereignis
als Geburtsstunde der
Fanfreundschaft zwi-
schen Hertha und
Union bezeichnen.
DiehieltbiszumMau-
erfall, aber zerbrach
danachimmermehr.
Viele der Hertha-
Anhänger,die 1978 in
Dresden vorOrt waren, sind heute
Ende 50, Anfang 60 und halten den
Blau-Weißen dieTreue.Die Berliner
Fans sollten zumPokalspiel auch in
Scharen insOlympiastadion kom-
men,umeinenGegenpolzudenDy-
namoszubilden.Dielassensichga-
rantiertetwas Besonderes einfallen.
Beieinem Heimspiel in derSaison
2015/16enthülltensieeine350Me-
terlangeund35MeterbreiteBlock-
fahne,diegrößteihrerArtinE uropa.
Ichbinmirsicher,dassder Pokal-
HitEndspiel-Atmosphärehaben
wird. Vielle icht schafftHertha-
CoachAnteCovicind ieserSpielzeit
das,was Vorgänger PalDardai ver-
wehrtblieb:denEinzuginsDFB-Po-
kalfinale im eigenenWohnzimmer.
DasmussersichabergegenDresden
mitden30000Dynamo-Fansteilen.

VonMichaelJahn

V

or einigenTagen fuhr ich
nachDresden. DasRudolf-
Harbig-Stadion desZweit-
ligisten Dynamo Dresden
warmeinZiel. Achtung, Hertha-
Fans:dieseschmucke32000-Mann-
Arena ist tatsächlich nah, steil und
laut und kann alsVorbild für ein
neues,natürlich größeresHertha-
Stadion mit steilenTribünen ohne
Laufbahn dienen. VonDynamos
Sportchef Ralf Minge,einst torge-
fährlicherMittelstürmer,wollte ich
wissen,obwirklichrund30000Fans
ihreMannschaft zum
DFB-Pokalspiel nach
Berlin begleiten.
Minge bestätigte das
und nannte dieFan-
Karawaneein„Phäno-
men.“ In Runde zwei
erwartet Hertha am


  1. Oktober Dynamo
    imOlympiastadion.
    Dresdenwarschon
    immer eineverrückte
    Fußballstadt. Dy-
    namo,achtmal DDR-
    Meister,kann98 Euro-
    pacup-Spiele aufwei-
    sen,vieledavonwaren
    denkwürdig. Bilder
    vombrisanten Duell
    im Landesmeister-
    Cup1973/74zwischen
    Dresden und dem FC
    Bayern München sehe ich noch
    heute vormir.Nach der 3:4-Nieder-
    lage vonDynamo im Hinspiel in
    München trennte man sich nach
    dramatischemVerlauf3:3.Dabeilief
    derdoppelteTorschützeUliHoeneß
    dem knorrigenDynamo-Verteidiger
    EduardGeyer in Usain-Bolt-Manier
    zweimalleichtfüßigdavon.Aberwas
    hatnun Herthamit Dresdenzutun?
    Kurioserweise verbindet den
    DresdnerFußballeinigesmitHertha
    BSC. Dasbegann 1950, alsSpieler
    der SG Dresden-Friedrichstadt,
    Nachfolger desDresdner SC,Deut-
    scher Meister von1943 und 1944,
    ZufluchtbeiHerthasuchten.Elfbe-
    kannte Aktiveder Dresdner,darun-
    ter der spätereBundestrainerHel-
    mutSchön,gingennachWestberlin.
    Diese „Fusion“ hielt aber nur eine


VonAndreas Baingo

D

asZauberwortind erAl-
tenFörstereiderzeitund
vordem Match bei den
Bayernkannnurheißen:
genießen.DenSiegüberdenSCFrei-
burgnatürlich.Dasdritte Bundesli-
gator vonMarius Bülter und das
erste vonMarcus Ingvartsen.Dazu
die ersteNull, die Rafal Gikiewicz
hintenfestgemachthatimOberhaus
fürdie Rot-Weißen,diedemvorEhr-
geiz sprühenden Schlussmann das
Adrenalinnochmehrsprudelnlässt.
Vorallemhatesdieseneinzigartigen
Augenblick gegeben:
dasDebütin Deutsch-
lands Eliteliga fürMi-
chaelParensen.
Esisteinüberwälti-
gender Moment, weil
es selten geworden ist
im Fußball auf dieser
Ebene,dass jemand
mit33 Jahren,dreiMo-
natenund25Tagenin
den Kreis derer aufge-
nommenwird,dievon
sich sagen dürfen:Ich
war dabei! Es ist der
Ritterschlag. Als Me-
thusalem geht der
Dauerbrenner trotz-
demnichtganzdurch.
Da gibt es anderein
der 56-jährigenHisto-
riederBundesliga,zu-
malRekordemeistausdenAnfangs-
jahren stammen, als die Bälle sozu-
sagen bundesweit erst fliegen lern-
ten und die Debütanten der
Anfangssaison teils schon amEnde
ihrer Karrierenstanden.
SoRichardKreß,der Stürme rvon
Eintracht Frankfurt.Alsermit38Jah-
rendebütierte,hatte er neun Län-
derspiele unterBundestrainerSepp
Herberger und ein europäisches
Meistercupfinale hinter sich: 3:7 ge-
genRealMadrid,wobeiereinTorer-
zielte.Erhatte nur noch diese erste
Bundesligasaisonvorsich. 38 war
auch MaxMorlock, der 54er-Welt-
meistervom1.FCNürnberg, wie
auch Dragomir Ilic, einstTorhüter
vonWerder Bremen. Heinz Kwiat-
kowski, einweiterer Schlussmann,
war37,alserfürBorussiaDortmund

inderB undesligadebütierte.Ebenso
MortenOlsenfürden1.FCKöln.An-
ders ausgedrückt: Micha, das ist
docherstderAnfang.
Am ehesten mit ihm zuverglei-
chen istCarsten Linke,aucherein
Abwehrspieler. Alsder 2002 mit 36
Jahren er stmals in derBundesliga
eingesetzt wurde,für Hannover96
nämlich, hatte er mit denNieder-
sachsenwieder„ewigeMicha“ei nen
Aufstiegausderdrittenindiezweite
und aus dieser in die erste Liga ge-
schafft.Fußballgotthabensieihnin
Hannovergerufen. Wiesich das an-
fühlt,weißParensengenau.InKöpe-
nickisterdasvonAn-
fang an und nunmehr
imelftenJahr.
Einen besonderen
Spaß hat sich ein an-
derer 96-Spieler bei
seinem Debüt ge-
gönnt, JörgSievers.
Aucher warmit36erst
ganz oben angekom-
men. Sievers ,der Tor-
wart, erinnertsich:
„Weil ich schon so alt
bin, ziehe ich das äl-
testeTrikotan,dasich
auftreibenkann.“2002
war das,auchFredi
Bobic schoss damals
Tore für die Hannove-
raner,die –Beispiel
nehmen,Union –als
Tabellenelfter souve-
rändieKlassehielten.
Genießen also.Und das so lange
wie möglich.Denn es könnte am
Sonnabend,sogegen17.20Uhr, erst
einmal wieder zuEnde se in damit.
Vielleicht muss Parensen seinen
Platz wieder räumen. Eventuell
kommendieBayernwieder insR ol-
len. Trotzallem: genießen.Denn in
Fröttm aning steigt fürviele Eiserne
dasSpiel derSpiele.Eines,das sich
vonselbst erklärt.In demesn ichts
zuverlierengibtfüreinenAufsteiger,
nurzugewinnen.Anerkennungoder
Erfahrun g. Einersei ts.Andererseits
grenzt schon einPunkt an Utopie
undwäreeinregelrechterTraum.
Ungeachtet desAusgangs beim
Rekordmeister,ein Traum ist diese
gesamte Saison ohnehin. Für alle
undfür MichaelParensensowieso.

Berliner Zeitung·Nummer 246·Mittwoch, 23. Oktober 2019–Seite 22**
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Sport


Arbeitan


der


Explosivität


NiklasStarkstehtbeiHertha
vorderRückkehrinsTeam

VonSebastian Schmitt

D


ie Seriehat Spuren hinterlas-
sen.NachdreiSiegenunddem
am vergangenen Wochenende in
Bremen erkämpften Remis betrat
Herthas Cheftrainer Ante Covic am
Dienstag den Schenckendorffplatz
hörbar gut gelaunt.„Jawoll Jungs,
das sieht gut aus“, rief er seiner
Mannschaft bei intensiven Pass-
übungen zu und scherzte: „Man
könntemeinen,IhrseidFußballer.“
HerthaBSChatindenvergange-
nen Wochen eifrig Punkte gesam-
melt.„Diewarenwichtig.Damitha-
benwirunsRespektverschafft.Esist
allessehrenginderTabelle“,erklärte
Covic.Danebendürfteauchdiesich
anbahnendeRückkehrvonAbwehr-
spieler Niklas Stark, 24, sich positiv
aufdieGemütslagedesTrainersaus-
wirken. „Es sieht sehr gut bei ihm
aus“, sagte Covic nach der ersten
Einheit des Tages,bei der Stark
gleichwohlnochfehlte.Nochindie-
serWochesollerwiedermitdenKol-
legen trainieren. „Das halte ich für
realistisch.Er wirdnoch an seiner
Explosivitätarbeitenund dann wie-
dereinsteigen“,sagteCovic.
StarkselbstbetratrunddreiStun-
dennachdemTeamzusammenmit
Athletiktrainer Hendrik Vieth den
Trainingsplatz und konnte über
seine kuriose
Verletzung
schon wieder
schmunzeln.
Starkwar ja zu-
letzt in der Län-
derspielpauseso
etwas wie der
Pechvogel der
Nation. Gegen
Argentinien
musste der
Franke,der zuvor bei sechs Nomi-
nierungen nicht zum Einsatz ge-
kommen war und demBundestrai-
ner Joachim Löwvordem Klassiker
gegen die Südamerikaner eineEin-
satzgarantie ausstellt hatte,wegen
einesMagen-Darm-Infektskurzfris-
tig passen.Danach zogers ich vor
dem EM-Qualifikationsspiel in Est-
landinderNachtimTeamhotelnach
einem Zusamm enpral lmit einem
Glastisch eine Schnittwunde am
Knie zu, die ihm einen historischen
RekordbeimDFBbescherte.

WichtigeSpielpraxis
„Natürlich ist das sehr bitter“, be-
schrieb Starknun au fdem Schen-
ckendorffplatz erstmals seine Ge-
fühlslage.Ess ei dunkel imZimmer
gewesen und er habe schlichtweg
nichts gesehen. „GanzDeutsc hland
hat meine Aktion mitbekommen.
Wennesnichtsobitterwäre,wärees
schon eine witzigeGeschichte“, er-
zählte derInnenverteidiger,dessen
WundedenEinsatzin Tallinunmög-
lichgemachthatte.
Für dasSpiel an diesemSonn-
abend gegen dieTSGHoffenheim
hofft Niklas Stark, wieder dabei zu
sein. „Ich muss jetzt erst mal
schauen, wie das Kniereagiertund
wieessichanfühlt.Aberesistmein
Ziel,wiederinsTeamtrainingeinzu-
steigen.“Dann würdeStarkKarim
Rekik aus derStartelf verdrängen,
derin BremenanderSeitevonDed-
ryckBoyata dasAbwehrzentrum ver-
teidigthatte.
Starkwürde nach den fast tragi-
schenErlebnissenwichtigeSpielpra-
xis für die intensivenächste Woche
samm eln, wenn es zunächst in der
zweitenPokalrunde gegenDynamo
Dresden geht, bevor beiUnion das
erste Bundesliga-Derbyzwischen
denbeidenBerlinerKlubssteigt.

Zuversichtlich:
Niklas Stark.

DPA/GAMBARINI

Ölins


Spiel


O


beine Aktion als gut oder
schlecht zu gelten hat, ist eine
Frage der persönlichen Einschät-
zung.SoverhältessichimSport,so
verhält es sich auch in der Politik.
Kritischwirdes,wennsichbeideBe-
reichemiteinandervermischen.
Am Montagabend(Ortszeit) ha-
ben BrasiliensFußball-Erstligisten
ECBahiaundCearaSCeinenSach-
verhalt bewertet. Siedemonstrier-
ten gegen eine der größtenUm-
weltkatastrophen,diedassüdame-
rikanischeLandbislangerlebthat:
eineÖlpest,siebetrifftdieStrände
in neun Bundesländern, darunter
auch die Regionen,aus denen die
beidenFußballklubsstammen.Die
GastgeberausBahiatrugenaufih-
remTrikotgroßeschwarzeFlecken.
DievomCeara-TeamausFortaleza
stecktenbei der traditionellenNa-
tionalhymne vorder Partie ihre
rechte Faust in schwarze Hand-
schuhe;andasVereinsemblemauf
der Brust gehalten,war auch das
eineDemonstration.


DebatteumMilitärgruß

DerGrund für die Umweltkatastro-
phe wurde bislang nicht gefunden.
DieUrsachensinddeutlichspürbar:
für die Natur,für die Menschen so-
mit. Undweil Fußballspielerund
Fans Menschen sind, ist ein Protest
verständlich.ZumalbeieinerÖlpest
die Meinungenwohl kaum ausein-
andergehendürften.Sieistschlecht,
dasistKonsens.
VoranderthalbWochenhatesim
europäischenFußballeineDemons-
trationgegeben.TürkischeNational-
spieler haben mittels militärischem
SalutaufdieInterventionihresHei-
matlandesimsyrischenGrenzgebiet
aufmerksamgemacht.SeiesausSo-
lidarität für denMilitärschlag oder
fürjene Soldaten,dieihnauszufüh-
renhatten und dadurch ihr Leben
riskierten.DieBeweggründe moch-
tenvonNationalspielerzuNational-
spieler variieren, die politischeBot-
schaft als solche war jedoch klar er-
kennbar.Die Meinungen dazu gin-
genweitauseinander.
Mündige Sportler sind wün-
schenswert, zumindest politisch in-
teressierte und positionierteAthle-
ten.Siesollenihr eMeinungäußern,
sollen durchausDebatten befeuern
mitArgumenten,dieeinedemokra-
tischeStreitkulturbereichern.


ErinnerungenanBlackPower

Für einenpolitischenDiskurs gibt
es allerdings andereForen als das
Stadion. Siesollen imIdealfall da-
für sorgen, dass auch dieStimme
vonMenschenGewicht bekommt,
die nicht auf einer derartgroßen
Bühne stehen wie etwa einFuß-
ballnationalspieler.
DieGestederAkteureausCeara,
der schwarze Handschuh, erin-
nerte an dieSiegerehrung bei den
Olympischen Spielen 1968, als
schwarze US-Athleten bei derSie-
gerehrung dierechte Faust in den
Himmel reckten. Dieser Protest
war deshalb wirkungsvoll, weil
neu.Wiejetztin Brasiliensoginges
damals inMexiko-Stadt ebenfalls
umeindrängendesProblem.
WobeiauchdieFrage,wasdrän-
gend ist und was nicht, eineFrage
der persönlichenDefinition ist.Ist
jedenfallsdereineProtestzulässig,
muss es der andereauch sein.Ein
Sportaber,dervonpolitischenBot-
schaften überzogen wird,verliert
den Kern seiner Daseinsberechti-
gung aus demBlick: die sportliche
Leistung.


Fußball undPolitik


ChristianSchwager
siehtdenProtestbrasiliani-
scherProfiszwiespältig.

Ewige Treueund


realeSeitenwechsel


„Den Dresd-


ner Fußball


verbindet ei-


niges mit


Hertha BSC.


Undesb e-


gann bereits


1950.“


EwigerMichaund


einerealeUtopie


Der Weisheit letzter Schuss


Zwei BerlinerTeams in der Bundesliga,


zwei Kenner des Berliner Fußballs:


MichaelJahn undAndreas Baingogeben


immer mittwochs ihre Expertise ab.


MichaelJahn für Hertha BSC, seineHertha, die er seit


mehrals zwei Jahrzehntenals Reporter begleitet.Und


AndreasBaingofür den 1. FC Union,seineEisernen,


für die er selbstfrüheram Ball war.


Vordem neuntenSpieltaggeht es um ein Duellmit


TraditionundVorbildcharaktersowieum


Genussmenschenauf großer Bühnein München.


IMAGO/PANTHERMEDIA

„Genießen


also.Dennes


könnte am


Sonnabend


erst einmal


wieder zu


Ende sein


damit.“

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