Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Nach Campact-Entscheidung


Ringen um die Gemeinnützigkeit


Nach Attac wurde nun auch


der Organisation Campact die


Gemeinnützigkeit aberkannt.


Die SPD fordert jetzt


Reformen.


Heike Anger, Dietmar Neuerer


Berlin


D


ie Entscheidung der Finanz-
behörden, der Organisation
Campact den Status einer ge-

meinnützigen Organisation abzuerken-


nen, hat eine Debatte über das Ge-


meinnützigkeitsrecht entfacht. Bun-


desfinanzminister Olaf Scholz (SPD)


gab am Dienstag bekannt, „mit Hoch-


druck“ an einer Modernisierung zu ar-


beiten, und kündigte an, „in den


nächsten Wochen“ einen Gesetzent-


wurf für Reformen vorlegen zu wollen.


„Wenn Organisationen, die sich für De-


mokratie und Menschenrechte einset-


zen, schlechter gestellt werden als je-


der x-beliebige Verein, müssen wir das


Steuerrecht ändern“, sagte Scholz.


Derzeit liefen Gespräche mit Nichtre-


gierungsorganisationen und den zu-


ständigen Länderfinanzministerien.


Der Koalitionspartner reagierte et-


was zurückhaltender. „Richtig ist, dass


wir uns fragen müssen, ob die gesetzli-


chen Grundlagen für eine Betätigung


im Rahmen der Gemeinnützigkeit


noch den aktuellen Entwicklungen


standhalten“, sagte die finanzpolitische


Sprecherin der CDU/CSU-Bundestag-


fraktion, Antje Tillmann, dem Handels-


blatt. Hier biete die neuerliche Recht-


sprechung allerdings klare Aussagen


für eine vernünftige Abgrenzung von


gemeinnütziger und politischer Betäti-


gung. „Politische Betätigung kann nur


Nebenzweck eines gemeinnützigen


Vereins sein“, betonte Tillmann.


Die Finanzbehörden hatten der


Kampagnenorganisation Campact am


Montag den Status einer gemeinnützi-


gen Organisation aberkannt. Vorausge-


gangen war dem ein Urteil des Bun-


desfinanzhofs (BFH): Ende Februar


hatten die Richter dem globalisie-


rungskritischen Netzwerk Attac die


Gemeinnützigkeit entzogen und auf


die in der Abgabenordnung festgeleg-


ten 25 gemeinnützigen Tätigkeitsberei-


che verwiesen. Dazu zählen unter an-


derem der Sport, der Umweltschutz


und die Volksbildung, nicht aber die


Tagespolitik. Nach dem Entzug der


Gemeinnützigkeit können Mitglieder


und Unterstützer der Organisationen


ihre Beiträge und Spenden nicht mehr


von der Steuer absetzen.


„Seit dem Attac-Urteil wollen wir die


Rechtslage anpassen“, berichtete der


SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner.


„Bislang haben CDU und CSU jedoch


eine Gesetzesreform blockiert.“ Dabei


sei es wichtig, zivilgesellschaftliches


Engagement zu fördern.


Die Grünen fordern eine breitere


Debatte über die Gemeinnützigkeit.


„Es handelt sich nicht nur um eine


steuerrechtliche Frage, sondern auch


um die Frage, wie demokratische Teil-


habe gefördert werden kann“, sagte


Manuela Rottmann, Obfrau der Grü-


nen im Ausschuss für Recht und Ver-


braucherschutz des Bundestags, dem


Handelsblatt. Konkret fordern die Grü-


nen, den Zweckkatalog für Gemein-


nützigkeit in der Abgabenordnung zu


konkretisieren und zu ergänzen, etwa


um Klimaschutz oder Menschenrech-


te. „Gemeinnützigen Organisationen


muss es außerdem erlaubt sein, sich


im untergeordneten Umfang auch zu


anderen Themen jenseits des eigenen
Zwecks äußern zu dürfen oder hier ge-
sellschaftspolitisches Engagement zu
entfalten“, erklärte Rottmann. FDP-
Fraktionsvize Christian Dürr betonte
hingegen: „Zivilgesellschaftliches En-
gagement ist wichtig. Dennoch muss
die Abgrenzung zu politischem Enga-
gement trennscharf sein. Wir sollten
nur die Organisationen fördern, die
wirklich gemeinnützig arbeiten.“

Die Steuergewerkschaft warnt vor
einer Reform des Gemeinnützigkeits-
rechts. Der Gesetzgeber könne zwar
den Begriff der Gemeinnützigkeit offe-
ner als bisher definieren, sagte der
Bundesvorsitzende der Deutschen
Steuer-Gewerkschaft, Thomas Eigen-
thaler. Eine Öffnung werfe aber „ver-
fassungsrechtliche Fragen“ auf. Denn
die Parteien hätten nach dem Grund-
gesetz einen herausgehobenen Status,

der durch eine Ausweitung der Ge-
meinnützigkeit nicht unterlaufen wer-
den dürfe. Wer an das Attac-Problem
herangehen wolle, müsse „das für Ver-
eine geltende Steuergeheimnis ab-
schaffen“, forderte Eigenthaler. Es be-
stehe sonst die „große Gefahr, dass
sich viele radikale Vereine unter dem
Deckmantel der Gemeinnützigkeit und
des Steuergeheimnisses auch noch
steuerliche Privilegien verschaffen“.

Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


11


Anzeige
Free download pdf