Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

„Alle Republikaner müssen


sich daran erinnern, was


sie hier erleben – einen


Lynchmord.“


Donald Trump, US-Präsident, hat das von
den Demokraten gegen ihn angestrengte
Amtsenthebungsverfahren als „Lynchmord“
bezeichnet.

„Ich mute den Landwirten etwas


zu, Veränderungen, aber ich


mache das nicht, ohne dass ich


sie auch finanziell unterstütze


mit Fördermaßnahmen.“


Julia Klöckner, Agrarministerin, hat unmittelbar vor
den Bauernprotesten in zahlreichen Städten
Verständnis für die Sorgen der Landwirte geäußert.

Stimmen weltweit


Zu den heftigen Unruhen in Chile schreibt die
spanische Zeitung „El País“ am Dienstag:

D


ie schwerwiegenden Vorfälle in Chile (...)
stellen die Institutionen des Landes auf
die Probe, die im Rahmen der Gesetze
verhältnismäßig und ruhig reagieren müssen. So
können sie den Bürgern die wahre Botschaft
übermitteln, dass Chile eine Demokratie ist, die
rechtlich und effektiv in der Lage ist, mit solchen
Situationen umzugehen.
Aber die Worte von Präsident Sebastián Piñera
helfen nicht, die Gemüter angesichts des Ausma-
ßes der Unruhen zu beruhigen: „Wir befinden
uns im Krieg.“ Nein. Das Land Chile befindet sich
glücklicherweise nicht im Krieg mit irgend -
jemandem (...).
Piñera sollte sich bewusst sein, welches Amt er
besetzt und dass seine Worte eine Bedeutung ha-
ben, die weit über eine persönliche Meinung ei-
nes normalen Bürgers hinausgeht. Seine Worte
sind absolut unverantwortlich und sind ein ge-
fährlicher Hinweis auf seine Strategie – oder das
Fehlen einer solchen –, die Situation anzugehen.

Zum Ringen um den Brexit meint der Londoner
„Independent“ am Dienstag:

F


ür die Fortsetzung der Mitgliedschaft
Großbritanniens in der EU-Zollunion oder
im gemeinsamen Binnenmarkt – oder gar
für beides – könnte es inzwischen im Unterhaus
durchaus eine Mehrheit geben. Dennoch bleibt
es eine demokratische Notwendigkeit, dass das
Volk abstimmt. Was im Juni 2016 durch das Volk
begonnen wurde, kann auch nur durch das Volk
abgeschlossen werden. Es ist die Regierung, die
herumwurstelt und Zeit vergeudet. Sie hat das
mit albernen Briefen an die EU getan und damit,
dass sie wertvolle Zeit im Parlament verschwen-
det, weil es ihr nicht gelingt, ihr neues EU-Aus-
trittsgesetz voranzubringen. Je länger die Regie-
rung benötigt, um ihren Job zu machen, desto
länger dauert es mit dem Brexit, und desto grö-
ßer ist die Chance, dass er unter dem Gewicht
REUTERS, dpa, imago images / Michael Weberseiner eigenen Widersprüche zusammenbricht.

Die Proteste in Ländern wie Chile, Libanon
oder Algerien kommentiert die französische
Regionalzeitung „Charente Libre“ am Dienstag:

D


ie U-Bahn-Tickets in Chile, Gas in Ecua-
dor, Gebühr auf Anrufe im Libanon. Und
überall Wut gegen wachsende Ungleich-
heiten, Korruption, eine unverändert herrschen-
de Klasse, den Rückgang der Freiheiten. Seit Mo-
naten kommt diese Wut auch in Algerien oder in
Hongkong zum Ausdruck.
Die Proteste in den Ländern haben weder die
gleichen Ursachen, noch haben die Länder die
gleichen politischen Systeme. Aber es ist schwer,
es als Zufall der Geschichte zu betrachten, wenn
man die gleichen Sätze von Demonstranten in
Santiago, Beirut und Algier hört, also auf drei
Kontinenten. (.)
Es ist schwer, keine Ähnlichkeiten mit den „Gelb-
westen“ in Frankreich zu sehen, die seit elf Mo-
naten im Land demonstrieren.

D


er Koalitionspartner SPD fühlt sich übergangen,
Außenminister Heiko Maas düpiert, weil sich
die Verteidigungsministerin ohne Absprache in

den Kernbereich seines Ressorts einmischt. Annegret


Kramp-Karrenbauer (CDU) mag mit ihrem Vorstoß, eine


internationale Sicherheitszone an der türkisch-syri-


schen Grenze einzurichten, ihren Kompetenzbereich


mindestens gedehnt haben. Ihr Vorschlag aber birgt


durchaus auch Chancen, im endlosen Syriendesaster


womöglich doch Lösungswege zu finden. Auch wenn


diese Chancen zunächst nicht groß erscheinen.


Als Schwäche brandmarken ihre Kritiker, dass


Kramp-Karrenbauers Vorstoß ziemlich unkonkret da-


herkommt. Sie spricht von einer „international kontrol-


lierten Sicherheitszone unter Einbeziehung der Türkei


und Russlands – mit dem Ziel, die Lage dort zu deeska-


lieren“. Sie will „einen europäischen Vorstoß innerhalb


der Nato“ und ein Vorgehen im Rahmen der bestehen-


den UN-Resolution. Truppeneinsätze, auch unter Betei-


ligung der Bundeswehr, deutet sie nur an.


Genau diese Unschärfe aber hat dazu geführt, dass in


Deutschland tatsächlich breit diskutiert wird, was denn
möglich wäre nach dem hastigen Abzug der US-Trup-
pen aus dem Norden Syriens. In ihren jeweils zweiten
Sätzen nach der Kritik übers Vorpreschen sagen auch
Außen- und Verteidigungsexperten von SPD und Grü-
nen, dass eine UN-Mission erstrebenswert wäre. Die
russische Regierung signalisiert Gesprächsbereitschaft.
Für die Türkei bieten sich zudem Anknüpfungspunkte,
gesichtswahrend aus der Offensive wieder herauszufin-
den. Denn seit sich die syrischen Kurden mit Assads
Truppen verbündet haben, droht die türkische Invasion
in einen Krieg mit Syrien zu eskalieren. Und womöglich
ist es ja auch für Russlands Präsidenten Wladimir Putin
attraktiv, dauerhaft weniger Soldaten zwischen den
Konfliktparteien des Nahen Ostens im Einsatz halten zu
müssen. Zumindest also hat Kramp-Karrenbauer Ge-
sprächsmöglichkeiten in Richtung Frieden eröffnet.
Ja, es kann sein, dass nichts aus ihrem Vorstoß wird.
Dann herrscht weiter die Situation, wie sie bisher war:
Europas Außenminister stoppen halbherzig Waffenex-
porte an die Türkei und kritisieren Erdogans Einmarsch
in Syrien auf das Schärfste. Und das war es dann auch,
während Tod und Vertreibung an Europas Außengren-
ze immer neue Opfer fordern.
Ein innerhalb der Bundesregierung abgestimmter
Vorstoß wäre natürlich besser gewesen. Allerdings ist
der Eindruck wohl nicht ganz falsch, dass dies in dieser
Koalition unendlich viel Zeit gebraucht hätte, während
Putin und Erdogan Fakten schaffen – und die Nato-Mi-
nister in dieser Woche wohl wieder einmal nur unver-
bindlich beraten hätten.

Syrien


Endlich ein Vorschlag


Bei aller berechtigten Kritik: Die
Verteidigungsministerin hat
zumindest eine Diskussion über
Lösungen für Syrien in Gang
gebracht, lobt Donata Riedel.

Die Autorin ist Hauptstadtkorrespondentin in Berlin.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]

Wirtschaft & Politik


MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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