Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1
Martin Buchenau, Roman Tyborski
Stuttgart, Düsseldorf

D


er Autozulieferer Conti-
nental spaltet seine An-
triebssparte Vitesco ab.
Das gab der Dax-Kon-
zern am Dienstag in ei-
ner Ad-hoc-Mitteilung bekannt. Der
Continental-Vorstand habe demnach
beschlossen, die Vorbereitung eines
möglichen Teilbörsengangs von Vites-
co nicht mehr länger zu verfolgen.
Stattdessen wird nun eine Abspaltung
von 100 Prozent mit anschließender
Börsennotierung angestrebt. Der Auf-
sichtsrat und die Hauptversammlung,
die am 30. April 2020 zusammen-
kommt, müssen diesem Plan noch
zustimmen.
„Im kommenden Jahr soll unser
Antriebsgeschäft die erforderliche
Selbstständigkeit und Handlungsflexi-
bilität für die anstehenden Wachs-
tumsschritte erhalten“, teilt Conti-
Chef Elmar Degenhart in einem
Schreiben mit.

Der Zulieferer nutzte die Gelegen-
heit, um neben seinen Plänen für die
Antriebssparte auch Eckdaten für das
dritte Quartal bekanntzugeben, über
das der Konzern am 12. November
berichten wird – und die dürften die
Autobranche überrascht haben.
Denn Continental erwartet keine
deutliche Erholung des Pkw-Absatz-
marktes in den nächsten fünf Jahren.
Zuvor gingen die Hannoveraner da-
von aus, dass sich der Absatzmarkt
nach einer Schwächephase im kom-
menden Jahr ab 2021 stabilisieren
werde.
„Wir rechnen nicht damit, dass
sich die weltweite Produktion von
Pkws und leichten Nutzfahrzeugen in
den kommenden fünf Jahren wesent-
lich beleben wird“, teilt Finanzvor-
stand Wolfgang Schäfer in einem
Schreiben mit. Das niedrigere Wachs-
tumsszenario beruhe auf den aktuel-
len Daten zur Entwicklung des Fahr-
zeugmarktes, die Continental ausge-
wertet hat. „Wir gehen zwar nicht
davon aus, dass sich die negative
Marktentwicklung, die wir 2020 er-
warten, in den darauf folgenden Jah-
ren in dieser Form fortsetzen wird“,
sagt Schäfer in einer Telefonkonfe-
renz mit Journalisten. „Aber eine
deutliche Erholung werden wir nicht
sehen.“ Ab 2021 werde der Absatz-
markt jedes Jahr weniger als ein Pro-
zent wachsen.
So konservativ hat sich bislang
noch kein Zulieferer oder Autoher-
steller zur Marktentwicklung geäu-
ßert. Für die Konkurrenten dürfte
das ein Alarmsignal sein.
In der Branche sorgte die Prognose
für Verwunderung. „Dafür, dass ei-
gentlich keiner wirklich weiß, was in
zwölf Monaten ist, scheint der Zeit-
raum von fünf Jahren doch etwas
weit gegriffen“, erklärt ein Branchen-
kenner. Generell sei schwer zu sagen,
was konjunkturbedingt sei und was
der Transformation zu Elektroantrie-

ben geschuldet sei. „Da wird vermut-
lich Erwartungsmanagement für die
spezielle Situation von Continental
betrieben.“
Dennoch sieht es auch bei den gro-
ßen Konkurrenten ZF und Bosch
nicht mehr so gut aus. Zwar ist bei-
spielsweise ZF anders als Continental
oder Bosch nicht so stark vom Ein-
bruch der Diesel-Nachfrage betrof-
fen, aber dem schrumpfenden Ge -
samtmarkt kann sich auch der Stif -
tungskonzern nicht entziehen. Der
Gewinn brach im ersten Halbjahr um
35 Prozent auf 650 Millionen Euro
ein. Im Gesamtjahr wird nur noch
ein leicht rückläufiger Umsatz zwi-
schen 36 und 37 Milliarden Euro er-
wartet. Auch Marktführer Bosch hat-
te bereits angekündigt, dass Umsatz
und Ren diteziele in diesem Jahr nicht
erreicht werden. Zuletzt rechnete
Bosch noch mit einer Rendite von
sechs Prozent.
Auch Bosch-Chef Volkmar Denner
geht in seinen Szenarien davon aus,
dass die weltweite Automobilproduk-
tion bis 2025 nicht wachsen wird.
„Wir sind da vorsichtig, aber gehen
immer davon aus, dass wir stärker als
der Markt wachsen werden“, sagte er
zuletzt auf der IAA. Aktuell führen
die Schwaben Gespräche über Perso-
nalabbau mit den Arbeitnehmerver-
tretern an den Standorten Feuerbach
und Schwieberdingen. „Es geht um
die Bereiche Verwaltung, Vertrieb
und Entwicklung“, bestätigte ein
Konzernsprecher. Von betriebsbe-
dingten Kündigungen ist allerdings
noch nicht die Rede.
Feuerbach ist als Stammwerk einer
der Hauptstandorte für Dieseltechno-
logie, in der Bosch als Marktführer
gilt und damit besonders stark von
der Dieselkrise betroffen ist.

Abschreibungen auf
Firmenwerte

Bei Continental wird sich der schwä-
chere Marktausblick zwar nicht mehr
negativ auf das Ergebnis auswirken.
Nach wie vor rechnet Continental da-
mit, die Jahresziele für 2019 zu er -
reichen. Trotzdem wird der Han -
noveraner Dax-Konzern zum Jahres-
ende voraussichtlich rote Zahlen
schreiben.
Das liegt an einer Wertminderung
des sogenannten Goodwills, also der
Bewertung von diversen Firmenzu-
käufen. Dieser sei laut Schäfer nach
einem Akquisitionszeitraum von etwa
30 Jahren deutlich gestiegen. In die-
ser Zeit hatte Conti etwa den Brem-
senhersteller Teves und Siemens
VDO, das ein Kernbestandteil der
heutigen Automotive Group des Zulie-
ferers bildet, übernommen. „Auf-
grund von Rechnungslegungsstan-
dards und den gesunkenen Erwartun-
gen an die Marktentwicklung haben
wir daher eine Wertberichtigung auf
die Gesamtsumme unseres Goodwills
vorgenommen.“ Die Wertberichti-
gung beträgt rund 2,5 Milliarden
Euro. Das Goodwill sinkt deswegen
von 7,2 auf 4,7 Milliarden Euro.
Operativ habe das dritte Quartal
den Erwartungen der Analysten ent-
sprochen: Der Umsatz habe bei 11,1
Milliarden Euro gelegen, die um Son-
dereffekte bereinigte operative Um-
satzrendite (Ebit-Marge) betrug 5,6
Prozent.
Die Continental-Aktie reagierte am
Dienstag zunächst mit starken Kurs-
ausschlägen und lag im Laufe des Ta-
ges rund 2,5 Prozent im Plus.

Zulieferer


Alarmsignal


für die Branche


Conti beerdigt seine Börsenpläne für die


Antriebssparte. Außerdem rechnet der Konzern


nicht mehr mit einer Erholung des Pkw-Marktes.


Ein Fanal für die gesamte Branche.


Continental unter Druck
Kennzahlen für das 3. Quartal in Vergleich

10,8 11,2


Rubber-
group

Automotive


2018 2019


4,4


4,6
12,5 % 12,3 %

4,0 % 1,6 %


7,1 % 5,6 %


6,4 6,6


Umsatz in Mrd. Eur o


Rubbergroup


Automotive


Gesamt-
konzern

2018 2019


Bereinigte Ebit-Marge
in Prozent

Aktienkurs in Euro


HANDELSBLATT 3. Quartal 2019: Vorläufige Zahlen • Quellen: Unternehmen, Bloomberg

123,04 €


1.10.2018 22. 10 .2019


160

150

140

130

10

110

100

11,1


MILLIARDEN


Euro Umsatz macht Continental
im dritten Quartal.

Quelle: Unternehmen


Spannungswandler
für E-Autos: Die Antriebssparte,
zu der das Geschäft gehört,
wird abgespalten.

Alex Kraus/Bloomberg/Getty Images

Unternehmen & Märkte


MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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