Stauvermeidung
Nur mit IT
geht es nicht
E
s klingt nach einer wunder-
baren Vision: Mit einem
Quantencomputer will Volks-
wagen dafür sorgen, dass niemand
mehr unter einem Stau leiden
muss. Die gewaltige Rechenkapazi-
tät von Quantencomputern könne
das Verhalten von Millionen von
Verkehrsteilnehmern rechtzeitig an-
tizipieren und so lange Staus im Vo-
raus verhindern.
Schön wäre es, wenn es so kom-
men würde. Aber die Erfahrungen
der vergangenen Jahrzehnte spre-
chen dagegen. Schon mit der Ein-
führung der Navigationssysteme
vor 20 Jahren hat die Autobranche
das Ende der Staus versprochen.
Doch es ist bei einem Versprechen
geblieben. Auch die neueste Gene-
ration der Navigationssysteme, die
permanent online sind und damit
auf aktuelle Straßenverhältnisse
reagieren können, hat dem Stau
kein Ende bereiten können.
Die Vorhersagen eines Quanten-
computers können nur dann stim-
men, wenn die Datenqualität in
Ordnung ist. Das heißt nichts ande-
res, als dass Millionen von Ver-
kehrsteilnehmern ihre Daten tat-
sächlich bereitstellen müssen. Kann
ein Hersteller wie VW das garantie-
ren? Nein. Und auf die Freiwilligkeit
etwa der Autofahrer sollte niemand
setzen. Dagegen spricht schon die
stark wachsende Datenskepsis in
der Bevölkerung.
Zudem gibt es noch ein weiteres
Argument, das gegen ein schnelles
Ende der Staus spricht: Unsere Stra-
ßen sind inzwischen einfach zu voll
geworden. Da hilft auch kein noch
so schlauer Computer. Auf unserem
begrenzten Straßensystem sind zu
viele Autos unterwegs, die letztlich
für die leidigen Staus sorgen.
Ein Ende der Staus kann es nur
mit weniger Autos geben. Doch die-
sen radikalen Schritt denkt heute
noch niemand. Denn das hätte zur
Voraussetzung, dass das Auto seine
Priorität verlöre und dass alle Ver-
kehrsträger gleichberechtigt wären.
Und dann würde ein Quantencom-
puter vielleicht dazu raten, doch
lieber den Zug zu nehmen, weil sich
auf der Autobahn gerade in diesem
Moment ein neuer Stau zu bilden
droht.
VW verspricht eine staufreie
Zukunft mithilfe des Quanten-
computers. Doch das wird nicht
reichen, ahnt Stefan Menzel.
„Die Negativzinsen und vor allem
deren Folgen werden sich mehr und
mehr in die Märkte hineinfressen.”
Walter Strohmaier,
Bundesobmann der Sparkassen
Worte des Tages
Der Autor ist Redakteur im
Unternehmensressort.
Sie erreichen ihn unter:
S
o schnell abwärts ging es noch nie im
Land der milliardenschweren Start-ups.
Noch vor zwei Monaten machte sich der
amerikanische Büroanbieter WeWork be-
reit für einen Börsengang – mit einer Be-
wertung von 47 Milliarden Dollar. Nun jedoch muss
Großinvestor Softbank einen Rettungsplan aufstel-
len, der mit harten Bedingungen verknüpft ist. Fri-
sches Geld gibt es nur, wenn der Unternehmenswert
um 83 Prozent nach unten korrigiert wird. WeWork
wird Tausende Stellen streichen, auch eine Insol-
venz ist möglich. Dabei war die Firma vor Kurzem
noch das wertvollste Start-up in den USA.
Der Sternenstaub ist auch andernorts verflogen.
Gründer, Investoren und Banken, die den Hype der
sogenannten Einhörner – Start-ups, die mit mehr als
einer Milliarde Dollar bewertet werden – lange mit-
getragen haben, kommen in der tristen, harten Rea-
lität an. Die existenzielle Krise bei WeWork führt zu
einer branchenweiten Katerstimmung, die das Ver-
halten in der Start-up-Welt verändern wird – und
zwar nicht nur in den USA. Schließlich ist Softbank-
Chef Masayoshi Son, der vor dem Rettungspaket be-
reits elf Milliarden Dollar in WeWork steckte, ein in-
ternationaler Investor, der in den USA, in Deutsch-
land, Indien und Japan aktiv ist.
Der Stimmungswandel ist längst überfällig und ein
wichtiger Schritt. Wenn Gründer und Investoren die
richtigen Schlüsse aus dem WeWork-Debakel ziehen,
dann werden sich folgende drei Dinge verändern.
Erstens: Sie müssen sich vom Hyperwachstum ver-
abschieden. „Blitzscaling“ war lange Zeit eine belieb-
te Strategie im Silicon Valley, die da lautet: Umsatz
steigern, koste es, was es wolle. Denn das treibt auch
die Bewertung an, so die Hoffnung. Das ist gut für
Gründer und Mitarbeiter, genauso wie für die Inves-
toren. Doch das System hat Grenzen. Das hat nicht
nur das Debakel bei WeWork gezeigt, sondern auch
die Probleme von Start-ups wie Uber, Lyft, Peloton
und Slack. Diese Unternehmen sind in den vergange-
nen Monaten an die Börse gegangen. Aber sie sind
dort keine Stars, sondern werden abgestraft. Wachs-
tum ist zwar gut, doch zumindest einen Weg zur
Profitabilität wollen die Banker und Anleger schon
sehen. Wer künftig an der Börse erfolgreich sein will,
der wird sich das zu Herzen nehmen.
Zweitens: Start-ups brauchen mehr Aufsicht. Die
Zeiten, in denen Gründer wie Halbgötter gefeiert
werden und sich praktisch alles erlauben können,
sind vorbei. Travis Kalanick, der Gründer von Uber,
konnte sich immer neue Skandale und eine frauen-
feindliche Firmenkultur erlauben, bevor Risikokapi-
talgeber Benchmark ihn schließlich aus dem Chef-
posten drängte. Benchmark ist wie Softbank auch
bei WeWork investiert. Und auch dort ließen die
Geldgeber Dinge durchgehen, die vermutlich in kei-
nem börsennotierten Unternehmen stattfinden wür-
den. So zahlte WeWork, das im ersten Halbjahr 900
Millionen Dollar Verlust machte, den Chauffeur für
den Maybach von Co-Gründer Adam Neumann. Für
60 Millionen Dollar schaffte das Unternehmen einen
Privatjet an. Neben seinem Büro ließ Neumann ein
Mini-Spa einrichten, inklusive Eispool, um sich nach
dem Work-out mit dem Personal Trainer schneller
zu regenerieren. Der Verwaltungsrat ließ alles ge-
schehen. Der 40-Jährige sollte mit dem Börsengang
schließlich alle reich machen.
Dass Neumann nun zwar den Vorsitz des Verwal-
tungsrats abgibt, aber seine Anteile offenbar noch
für eine Milliarde Dollar an Softbank verkaufen und
zwei Verwaltungsratsmitglieder bestimmen kann,
lässt ihn zu gut wegkommen. Doch die Diskussion
um mehr Disziplin, persönlich wie finanziell, ist
längst entbrannt. Andere werden ihre Lehren daraus
ziehen. Verwaltungsräte müssen ihrer Kontrollfunk-
tion nachkommen, sonst schaden sie dem Unterneh-
men, dem sie dienen sollen. Auch müssen die Kon-
trolleure dafür sorgen, dass der CEO gut darauf vor-
bereitet wird, ein börsennotiertes Unternehmen zu
führen. Und wenn das nicht geht, muss ein anderer
ran. Gründer sind nicht immer die richtigen Chefs.
Drittens: Die Geschäftsmodelle müssen sich verän-
dern. Ohne den Zwang zu möglichst schnellem
Wachstum werden wir im besten Fall Start-ups mit
robusteren, nachhaltigeren Ansätzen sehen. Immer
wieder stellt man sich als Verbraucher die Frage, wie
Dienste wie Uber, der Scooter-Anbieter Lime und
der Lieferdienst DoorDash überleben können, wenn
sie ihre Angebote kontinuierlich subventionieren.
Venture-Capital-Geber könnten künftig geneigt sein,
nicht mehr in neue Delivery- oder Scooter-Apps zu
investieren, sondern vielleicht stärker in Start-ups,
die große Probleme wie den Klimawandel angehen.
Auch wenn diese im Zweifel weniger sexy sind, hin-
gegen aber eine Wirtschaftskrise überstehen können
- etwas, was WeWork auch bei einem erfolgreichen
Börsengang vielleicht nicht geschafft hätte.
Die Macher in der Einhorn-Welt müssen künftig ei-
ne schwierige Balance finden: Ein bisschen verrückt
dürfen die innovativen Start-ups schon sein, aber es
muss klar erkennbare Grenzen geben. Wer diese Ba-
lance schafft, wird zu den Gewinnern zählen.
Leitartikel
Mehr Disziplin
für Start-ups!
Das Debakel bei
WeWork verdirbt
die Party -
stimmung bei
jungen Firmen
in den USA.
Das ist gut so,
findet Astrid
Dörner.
Die Krise bei
WeWork wird
die Welt der
Start-ups
verändern
- in den USA und
darüber hinaus.
Die Autorin ist Korrespondentin in New York.
Sie erreichen sie unter:
[email protected]
Meinung
& Analyse
MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204
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