Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Tokioter Aktienmarkt


Perlen fischen


an Japans Börse


L


ange Zeit galt Japan als „No-go-Area“ für
Investoren, weil die Kombination aus sta-
gnierendem Wachstum und schwacher In-
flation als abschreckender Mix empfunden wur-
de. Aber die Stimmung hat gedreht. Bei SYZ Asset
Management glaubt man beispielsweise, dass
sich Japan aus dem „deflationären Treibsand“ be-
freien könnte, während sich die Aussichten für
die Euro-Zone weiter verschlechtern würden.
Besonders optimistisch gestimmt sind die Ana-
lysten bei Nikko Asset Management für Nippons
Substanzwerte. Dabei werden in einer Analyse
für das Handelsblatt im Wesentlichen zwei Argu-
mente angeführt: einmal seien die Aktienbewer-
tungen im Vergleich zu anderen Börsenplätzen
historisch niedrig und zweitens zeigten die Refor-
men in der Corporate Governance, also der gu-
ten Unternehmensführung, langsam Wirkung.
Besonders aussichtsreich seien die Investments
dann, wenn ein Unternehmen über eine Eigen-
schaft verfüge, die der Markt noch nicht erkannt
habe und die als künftiger Wachstumstreiber fun-
giere. Das könnten eine attraktive Marke, eine in-
novative Technologie oder gute Produkte sein.

Japan erwacht aus Lethargie
Auch „Brand Finance“ hat im jüngsten Jahresbe-
richt die „Marke Japan“ auf den vierten Platz hin-
ter den USA, China und Deutschland hochge-
stuft. Das Land in Fernost profitiere vom dynami-
schen innerasiatischen Wachstum, negativ sei
jedoch die Überalterung der Bevölkerung. Auch
gäben die zunehmenden Touristenzahlen und
die Olympischen Spiele 2020 neue Impulse,
meint David Haigh von Brand Finance.
Besonders auffällig ist für die Nikko-Analysten
die günstige Bewertung der japanischen Titel.
Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den japani-
schen Aktienindex Topix liege bei 13,0 und damit
nicht nur unter seinem Durchschnitt der letzten
zehn Jahre von 15,6, sondern auch unterhalb des
KGVs fast aller wichtigen Börsenindizes, wie etwa
des S&P 500 in den USA, des deutschen Leitin-
dex Dax oder des französischen Cac 40.
Auch bei den Dividenden zeigt der Trend nach
oben. Seit dem Tiefpunkt während der Finanz-
krise 2008/2009 wurde in den vergangenen
neun Jahren jedes Jahr mehr ausgeschüttet, bis
zum Rekordhoch 2018 von umgerechnet rund
120 Milliarden Euro.
Die Vermögensmanager von Nikko sprechen
keine Kauf- oder Verkaufsempfehlungen aus,
aber zwei Werte würden derzeit in der Value-
Strategie berücksichtigt. Da ist einmal Nintendo,
der Hersteller von Computerspielen und Konso-
len. Schwache Verkaufszahlen der Wii-U-Konsole
und des 3DS-Handheld-Systems schlugen sich bis
zum Geschäftsjahr 2013 in drei Jahren nacheinan-
der mit operativen Verlusten nieder. Dank seiner
Erfahrung habe sich das Unternehmen 2017 mit
seiner neuen Spielekonsole Switch wieder erholt.
„Switch ist eine Erfolgsgeschichte, die unserer
Meinung nach auch weiterhin ein Wachstumstrei-
ber für das Unternehmen sein wird“, heißt es bei
Nikko.
Das zweite Papier ist Sony. Das Unternehmen
könnte dafür sorgen, dass Japan im Inhaltege-
schäft von Rundfunk, Filmen und Musik nicht
länger unterrepräsentiert ist. Diese Bereiche bö-
ten Aussicht auf ein potenzielles Geschäftsvolu-
men von 446 Milliarden Dollar.
Die Gefahr einer Überhitzung des japanischen
Aktienmarktes besteht aktuell nach Ansicht der
Experten nicht. Luc Filip, Leiter Investment bei
der Bank SYZ, erinnert an die absolute Euphorie
Ende der achtziger Jahre, die den Nikkei-225-In-
dex bis auf sagenhafte 39 000 Zähler steigen ließ,
bevor die Finanzblase platzte. Heute liegt der In-
dex bei vergleichbar unspektakulären 22 750
Punkten. Peter Köhler

Commerzbank-Devisenexperte Ulrich Leucht-
mann sieht den Yen noch aus einem anderen
Grund als prädestinierten sicheren Hafen: In kei-
nem anderen großen Industrieland hat die Noten-
bank die geldpolitischen Mittel so weit ausge-
schöpft wie in Japan. Das Land gilt international als
Labor der Geldpolitik. Seit 1995 liegen dort die Leit-
zinsen nahe der Nullgrenze. Bereits im Jahr 2001
begann die japanische Notenbank mit dem Ankauf
von Staatsanleihen – lange vor der US-Notenbank
Fed und der EZB. Inzwischen ist sie als erste große
Notenbank der Welt dazu übergegangen, die Rendi-
tekurve durch ihre Geldpolitik direkt zu kontrollie-
ren. Aus Sicht von Leuchtmann heißt die Vorreiter-
Rolle im Umkehrschluss aber auch: Sie kann nicht
mehr viel machen. „An den Märkten glaubt man,
dass Japan die geldpolitischen Grenzen erreicht
hat. Dagegen trauen die Märkte der EZB eine noch
weitere Lockerung der Geldpolitik zu.“
Zuletzt hat die japanische Notenbank zwar signa-
lisiert, dass auch sie zu einer weiteren Zinssenkung
bereit ist. Auch die exportorientierte japanische
Wirtschaft leidet unter der langsameren Weltkon-
junktur und dem Handelsstreit zwischen China
und den USA. Die japanische Notenbank berät
nächste Woche über ihren weiteren Kurs.

Geringer Spielraum, stabiler Kurs


Allerdings liegt das Ziel für den kurzfristigen Zins
mit minus 0,1 Prozent bereits sehr niedrig. Auch
wenn die kurzfristigen Zinsen im Euro-Raum und in
der Schweiz noch darunter sind, ist die japanische
Notenbank bislang bewusst nicht stärker unter die
Nullgrenze gegangen. Sie fürchtet negative Folgen
für den Bankensektor. Wie gering der Spielraum
der Japaner ist, zeigt ein Vergleich mit den USA:
Dort hat die Notenbank Fed den Leitzins in diesem
Jahr bereits zweimal gesenkt. Er liegt aber immer
noch in der Spanne von 1,75 bis zwei Prozent. Die
Fed kann also die Zinsen noch deutlich stärker sen-
ken. Viele Experten erwarten allein in diesem Jahr
noch ein bis zwei weitere Schritte in diese Rich-
tung. „Wenn es zu einer globalen Rezession kommt
und weltweit die Zinsen gesenkt werden, hat die ja-
panische Notenbank weniger Spielraum mitzuzie-
hen,“ sagt Leuchtmann. „In diesem Fall würde die
Zinsdifferenz zu anderen Währungsräumen sin-
ken – was tendenziell den Yen-Kurs stützt.“
Für den Yen spricht aber nicht nur der Status
als sicherer Hafen. Einige Experten glauben, dass
die Währung künftig auch von der demografi-

schen Entwicklung des Landes profitiert. Japans
Bevölkerung altert wegen der steigenden Lebens-
erwartung und der geringen Geburtenrate so
schnell wie kaum eine andere. Das wirkt sich auf
die internationalen Kapitalströme aus. In den ver-
gangenen Jahrzehnten haben die Japaner erheb-
liche Vermögensanteile im Ausland erworben.
Dieser Trend kehrt sich nun um. „Wegen der Al-
terung der Gesellschaft holen Pensionskassen
zum Teil Vermögen aus dem Ausland zurück in
die Heimat. Das stützt den Kurs des Yens etwas“,
sagt Leuchtmann.
Der Devisenchef der US-Bank Morgan Stanley,
Hans Redeker, glaubt, dass sich dieser Faktor
noch stärker bemerkbar machen wird, wenn es
größere Verluste an den US-Aktienmärkten gibt,
wie er vor Kurzem im Interview mit dem Han-
delsblatt erklärte. Der Yen habe im vergangenen
Jahr aufgewertet, obwohl sich der amerikanische
Aktienmarkt gut entwickelt habe. Die Schwan-
kungen am US-Kapitalmarkt seien gering gewe-
sen, daher habe es für Investoren eigentlich noch
keinen Grund gegeben, Kapital aus den USA ab-
zuziehen. „Wenn die Schwankungen am US-Ak-
tienmarkt zunehmen, könnte der Yen noch sehr
viel stärker aufwerten,“ sagte Redeker. Auch das
spricht dafür, dass der Yen eine gute Absicherung
gegen eine schwache Weltwirtschaft und politi-
sche Risiken ist.

Sichere Währung Yen
Wechselkurs in Yen je Euro, inverse Skala

120,89 Yen


HANDELSBLATT

22.10.2018 22.10.2019


Quelle: Bloomberg

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Beliebt bei Anlegern:
Die japanische
Währung gilt als so
genannter sicherer

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MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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