Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Angelika Ivanov Frankfurt


A


nders als die Jungs aus
seinem Dorf im Müns-
terland hatte David
Hennekamp nie Inte-
resse an Fußball. Und
Philipp Haagen war eigentlich profes-
sioneller Jazzmusiker – bis er den
BVB entdeckte. Moritz Kessler aus
Hamm bei Dortmund aber war schon
immer Fan. Was diese drei Männer
verbindet: Sie alle besitzen Aktien
des Dortmunder Bundesligaklubs.
Rund 92 Millionen Aktien des
SDax-Unternehmens gibt es. 40 Pro-
zent davon gehören dem Verein und
Großinvestoren wie dem Sportarti-
kelhersteller Puma, dem Chemiekon-
zern Evonik und dem Versicherer
Signal Iduna. 60 Prozent sind in
Streubesitz. Laut dem britischen Ana-
lysehaus Edison liegen davon 40 Pro-
zent breit verteilt bei Großanlegern
wie Versicherern und Fonds.
Die restlichen 20 Prozent des
Klubs gehören Kleinaktionären wie
Hennekamp, Haagen und Kessler.
Normalerweise bleiben sie unsicht-
bar, treffen sich vielleicht jährlich auf
der Hauptversammlung.
Sie sind Fußballfans und Anleger
zugleich. Eigentlich ein Paradoxon:
Während ein Fan, vom lateinischen
Wort fanaticus, also göttlich inspi-
riert, abstammt und über jeden Zwei-
fel erhaben an den Sieg „seiner
Jungs“ glaubt, sollten Anleger nüch-
tern die Zahlen kennen und abwä-
gen, sich nicht von Gefühlen leiten
lassen. Der Star-Investor Warren Buf-
fett formulierte es einmal so: Erfolg
an der Börse hat derjenige, der in der
Lage ist, „Gefühle wie Angst und Gier
zu kontrollieren, die andere Investo-
ren in Schwierigkeiten bringen“. So
zogen die drei Fans und Anleger da-
raus denn auch höchst unterschiedli-
che Lehren und Konsequenzen.

Vom Musiker zum Trader
Wie anstrengend diese Doppelrolle
sein kann, hat Haagen am eigenen
Leib erfahren. 2012 investierte er ei-
nen sechsstelligen Betrag in den Ver-
ein, beschäftigte sich bis zu 15 Stun-
den am Tag mit den Daten von Bo-
russia Dortmund und teilte sein
erarbeitetes Wissen in seinem Blog
bvbaktie.blogspot.com und Foren
unter den Pseudonym Halbgott.
Wie andere Fans Tore und sportli-
che Ereignisse ihrer Mannschaft run-
terbeten können, erinnert sich Haa-
gen an alle Schlüssel-Aktienkurse des
Vereins seit dem Börsengang im Jahr

2000, als das Papier für elf Euro auf
den Markt kam. Ein Wert, der nie
wieder erreicht wurde.
„Zusammen mit den Spielen war
das ein ziemlicher Suchtfaktor“, sagt
er. Irgendwann habe er das emotio-
nal kaum ausgehalten und aufgehört,
alle Spiele zu gucken. Danach kon-
zentrierte er sich auf die Daten und
Fakten, die Quoten der Buchmacher.
Dabei ist der 55-Jährige eigentlich
nicht vom Fach. Er ist Musiker. Nach
der Schule studierte er Jazzposaune
und -klavier, tourte danach über die
Bühnen der Republik. Fußball, Bier
trinken und im Stadion grölen – das
war weit weg von seiner Welt.
Zum Anlegen kam er durch Zufall.
Im Jahr 1999 kurz vor der Dotcom-
Blase, als gefühlt die ganze Nation in
Telekom-Aktien investiert hatte, erb-
te Haagen. Damals hatte er keine Ah-
nung von Aktien und steckte das
Geld in einen Fonds. Dieser entwi-
ckelte sich gut. Innerhalb von zwei
Jahren hatte sich das Vermögen ver-
doppelt. „Deutschland war 2000 im
Aktienfieber. Ich wurde nervös und
wollte auch mitmachen“, erzählt er.
Also verkaufte er seinen „braven“
Fonds und reinvestierte das Geld im
Alleingang, bis die Blase platzte und
er die Gewinne des Fonds verspielt
hatte. „Dann wollte ich mit der Börse
pausieren, bis sich ein positiver
Trend abzeichnen würde, um die
entgangenen Gewinne zurückzuho-
len“, sagt er. Ein paar Aktien behielt
er aber im Auge.
Als die BVB-Aktie 2009 im Kurstief
80 Cent kostete, wurde er aufmerk-
sam. Er prüfte die Daten: Auf ihn

wirkte das Unternehmen sehr solide.
„Die Schulden lagen deutlich unter
dem Wert des Stadions, dazu der
Wert des Kaders und der Marke“,
sagt er. Die Bewertungen etwa von
KPMG seien weit von der Börsenkapi-
talisierung entfernt gewesen. Beim
Kurs von 1,80 Euro steckte er 2012
sein sechsstelliges Kapital komplett
hinein. „Das ist natürlich hochspeku-
lativ, aber ich war überzeugt, dass die
Aktie stark unterbewertet ist.“
Zwischenzeitlich war Haagen
hauptberuflich Trader. Dank akribi-
scher Recherche zu ausgewählten
Unternehmen war er sehr erfolg-
reich. „Ich überlege, nun wieder zur
Musik zurückzukehren“, sagt er. Von
den BVB-Aktien hat er sich mittler-
weile verabschiedet, beobachtet die
Aktie und den Verein aber weiterhin


  • zumindest auf der Leinwand.


Vom Anleger zum Fan


„Fußball ist die Torte, die Aktie die
Kirsche“, sagt Anleger und BVB-Fan
Hennekamp*. Erst mit 30 Jahren ist
der heute 36-Jährige zum Fußball ge-
kommen. Ihn hat es jahrelang nicht
interessiert, über Punktestände und
Spiele zu sprechen.
Bis die Finanzkrise kam. Als 2008
die US-Investmentbank Lehmann
Brothers pleiteging und die Weltwirt-
schaft Kopf stand, studierte er Politik-
wissenschaften in Duisburg. Er fragte
sich, wie es sein kann, dass Finanz-
märkte so eine Macht auf die Politik
und Gesellschaft haben.
Um es besser zu verstehen, eröff-
nete er ein Tradingdepot bei einem
Onlinebroker. Zunächst handelte er
kaum, las stattdessen Bücher über
den Großinvestor und die „heimliche
Weltmacht“ Blackrock, Wirtschafts-
nachrichten, Analysen – auch zur
BVB-Aktie. Das Thema Finanzmarkt
wurde für ihn immer interessanter.
Hennekamp, der gern Karten spielt
und Rätsel löst, reizte dann die Pra-
xis. In der letzten Saison, als Jürgen
Klopp noch Trainer des BVB war, be-

schloss er, Aktien zu kaufen. Im Au-
gust 2014 erwarb er 100 BVB-Aktien,
die damals pro Stück 4,78 Euro koste-
ten. Es war sein Testballon mit gerin-
gem Einsatz und wenig Risiko.
„Ich habe die Aktie zunächst mal
beobachtet“, sagt er. Irgendwann fiel
ihm ein Muster auf: Verliert Borussia
Dortmund am Wochenende, gerät
die Aktie montags unter Druck. Ein
guter Zeitpunkt hinzuzukaufen.
„Meistens erholt sie sich zum Wo-
chenende wieder“, sagt er. Wobei
das Muster keineswegs allgemeingül-
tig sei, fügt er hinzu. Mehr will er
nicht verraten.
Der finanzielle Anreiz hat ihm den
Sport nähergebracht. Regelmäßig
schaut er die Spiele. Selten im Stadi-
on, eher in einer Sportkneipe, wo er
ungestört Bier trinken und rauchen
kann. Unter der Woche, wenn die
Börse geöffnet ist, schaut er dabei
auch auf sein Depot. In den BVB aus
der Unterhaltungsindustrie habe ein
Anleger besseren Einblick als etwa in
eine Industriefirma, meint er. Und es
sei auch viel nachhaltiger als etwa bei
Sportwetten. „Da ist dein Geld ein-
fach weg. Bei mir kann höchstens der
Wert sinken.“ Wie hoch sein Depot
nach fünf Jahren Investment ist, ver-
rät er nicht. Nur so viel: „Einmal im
Jahr finanziere ich damit einen Ur-
laub.“ Aber entscheidend sei, dass
die Aktie ihn viel über den Finanz-
markt gelehrt habe.

Vom Fan zum Anleger


Schon als kleiner Junge hat Kessler
für den Dortmunder Fußballklub ge-
fiebert. Genau wie sein Vater. Der hat
ihn auch darauf gebracht, in den Ver-
ein zu investieren. Als die Aktie mit
80 Cent auf dem Tiefpunkt stand, hat
sein Vater zugeschlagen. Eigentlich
unüblich: „Meine Eltern sind sehr si-
cherheitsorientiert“, sagt er. Seitdem
verfolgt auch Sohn Moritz die Aktie,
hat sich in Begriffe wie Dividende,
Volatilität und Market Cap eingele-
sen. Aber erst drei Jahre später im

Fußball und Geldanlage


Echte Liebe


im Depot


Gewinnt der BVB ein Spiel, freuen


sich die Fans. Einige doppelt, weil


sie anschließend mehr Geld im


Depot haben. Drei Fans berichten.


Steilpass BVB-Aktie
Aktienkurs in Euro

9,27 €


HANDELSBLATT

31.10.2000 22.10.2019


Quelle: Bloomberg

10

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6

4



0

20


PROZENT


der insgesamt
rund 92 Millionen
BVB-Aktien gehören
Kleinanlegern.

Quelle: Statista


Private Geldanlage
MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204

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