Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Moritz Koch Berlin


A


m 15. Oktober wandte sich die euro-
päische Ratspräsidentschaft mit ei-
nem Schreiben an die EU-Mitglieds-
länder. Der Titel: „Entwurf der
Schlussfolgerungen des europäi-
schen Rats zur Bedeutung von 5G für die euro-
päische Wirtschaft und die Notwendigkeit, mit
5G verbundene Risiken zu entschärfen“. Das Do-
kument, das dem Handelsblatt vorliegt, endet
mit dem eindringlichen Appell an die EU-Part-
ner, ein „gemeinsames Vorgehen“ zu erarbeiten,
um „effektive gemeinschaftliche Werkzeuge“ zur
Risikokontrolle zu entwickeln.
Doch die Bundesregierung, die sonst gern die
Bedeutung der europäischen Einigkeit hervor-
hebt, will die mühsame Entscheidungsfindung in
Brüssel nicht abwarten. Noch am selben Tag, an
dem das EU-Schreiben versandt wurde, legte sie

ein nationales 5G-Konzept vor. Die Bundesnetz-
agentur veröffentlichte den überarbeiteten Ent-
wurf des „Katalogs von Sicherheitsanforderun-
gen für das Betreiben von Telekommunikations-
und Datenverarbeitungssystemen“ – und löste
damit internationale Verstimmungen aus.
Jetzt begehrt auch das Parlament gegen den
Regierungskurs auf: „Ein Großteil der Experten,
einschließlich der Nachrichtendienste, ist sich ei-
nig: Technische Überprüfungen sind nur be-
grenzt möglich, weshalb eine Manipulation der
Netze grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden
kann“, mahnen führende Unionspolitiker um
den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses,
Norbert Röttgen.
Der CDU-Abgeordnete Peter Beyer, zugleich
Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung,
sagt: „Es ist unsere Verantwortung als Parlamenta-

rier, aufzuwühlen, wachzurütteln und öffentliche
Aufmerksamkeit für sicherheitspolitisch höchst re-
levante Weichenstellungen zu schaffen.“ Immer
mehr Koalitionspolitiker schließen sich dieser Auf-
fassung an: Sie wollen der Regierung die Entschei-
dung über die 5G-Netze entreißen und die Debat-
te anschließend in den Bundestag tragen.
„Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, dass sich
prominente Unionspolitiker in dieser strategisch
wichtigen Frage so offen gegen die Kanzlerin stel-
len“, sagt Mikko Huotari, stellvertretender Leiter
der Berliner China-Denkfabrik Merics. Der
Schritt sei „richtig und notwendig“. Denn mit ih-
rem bisherigen Kurs unterminiere die Bundesre-
gierung den europäischen Entscheidungspro-
zess. „Auch aus industriepolitischer Perspektive
ist es langfristig-strategisch sinnvoll, auf europäi-
sche Anbieter wie Nokia und Ericsson zu setzen

Wer hat Angst vor


Huawei?


Abgeordnete der Koalition begehren gegen die 5G-Politik von Kanzlerin Angela


Merkel auf. Sie wollen der Regierung die Entscheidung über den Netzausbau entreißen


und im Parlament entscheiden, ob dabei chinesische Anbieter zum Zuge kommen.


Huawei-Labor
in Dongguan:
Komplizierte
Technik, anfällig
für Spionage.

REUTERS

Titelthema


Sicherheit beim 5G-Ausbau


MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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