Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

picture alliance / Bernd Kammere [M]


Nachruf


Monika Schoeller: Die
Verlegerin hat sich stets
dem PR-Zirkus versagt.

Monika Schoeller


Die in die


Wüste ging


Die große Dame der


deutschen Verlagsszene ist


gestorben. Sie hatte einen


untrüglichen Instinkt für


gesellschaftliche Debatten.


I


m deutschen Literaturbetrieb,
der das Krachende liebt wie jetzt
in der aufgeladenen Debatte über
Peter Handke, war sie eine große Ver-
legerin im Verborgenen. Eine Persön-
lichkeit der leisen Töne, taktvoll,
warmherzig, mit Fähigkeit zur Selbst-
ironie: Als sie 2018 die Maecenas-Eh-
rung erhielt, lautete die eigene Wahr-
nehmung: „nicht gesellschaftsfähig“.
Einer Gesellschaft im Sinne einer
GmbH kann das nicht gegolten ha-
ben. Monika Schoeller, die Tochter
des aus dem Westfälischen nach
Stuttgart gezogenen Medienunter-
nehmers Georg von Holtzbrinck, war
jahrzehntelang in der Holtzbrinck-
Gruppe Gesellschafterin der Buchver-
lage, zu der heute Springer Nature,
Macmillan, Rowohlt, Kiepenheuer &
Witsch, Droemer Knaur sowie S. Fi-
scher in Frankfurt gehören.
Dort, am Main, war sie 1974 Verle-
gerin geworden, nach dem Studium
von Sprachen sowie Kunstgeschichte
und Germanistik und dem Erlernen
des Verlagshandwerks, unter ande-
rem bei Artemis & Winkler und dem
Arche Literatur Verlag.
Bei S. Fischer begründete Monika
Schoeller ihren legendären Ruf als
Verlegerin mit einem untrüglichen
Instinkt für gesellschaftliche Debat-
ten, zum Beispiel über die Schrecken
und Nachwehen der Nazizeit. Mehr
als 250 Titel umfasst ihre „Schwarze
Reihe“ (später „Die Zeit des National-
sozialismus“). Oder sie initiierte die
Reihe „Die Frau in der Gesellschaft“,
die mit Alice Schwarzers „Der kleine
Unterschied und seine großen Fol-
gen“ startete.
1978 publizierte sie 1 000 Seiten
von Doris Lessings Roman „Das gol-

dene Notizbuch“. Wo die Budgetmit-
tel des Verlags nicht ausreichten, half
sie schon mal mit Mitteln aus dem ei-
genen Vermögen nach. Die Gesamt-
ausgabe der Werke von Hugo von
Hofmannsthal (bisher 41 Bände) so-
wie Ausgaben zum Schaffen von Tho-
mas Mann oder Franz Kafka belegen
ihre Schaffenskraft. Oder Virginia
Woolfs gesammelte Werke und die 17
Bände von Hubert Fichtes „Geschich-
te der Empfindlichkeit“.
Solcher „Output“ sprach für sie,
nicht irgendein lautsprecherisches
Interview, wie sie in Aufmerksam-
keitsrennen postmoderner Gesell-
schaften üblich wurden. Hier meinte
es jemand ernst. Monika Schoeller
entsagte sich dem PR-Zirkus und
hatte doch weiter viel zu sagen. „Ich
muss mir meine Reserven enthalten,
und ab und zu muss ich in die Wüste
gehen, um mich zu erholen“, lautete
einer ihrer Selbstbestimmungssätze.

Vom Rande aus sehen


Kraft kostete beispielsweise die Ar-
beit der Unternehmensberater von
McKinsey, die die innere Struktur des
Verlags auf Vordermann brachten.
Aus dem Tagesgeschäft der S. Fischer
Verlage zog sie sich 2002 zurück,
wirkte jedoch weiter als Vorsitzende
der Geschäftsführung und gründete
die S. Fischer Stiftung, die sich der
Förderung von Übersetzungen ver-
schrieben hat. Und die 2012 die „De-
bates on Europe“ ins Leben rief, zu-
sammen mit der Deutschen Akade-
mie für Sprache und Dichtung.
Zudem geht das Netzwerk Traduki
(Vermittlung südosteuropäischer Li-
teratur) auf Monika Schoellers Initia-
tive zurück. Für ihre Aktivitäten ist
die Verlegerin deshalb vielfach ausge-
zeichnet worden, etwa mit dem Bun-
desverdienstkreuz und der Goethe-
Plakette der Stadt Frankfurt.
Als sie 2006 von der jüdischen Or-
ganisation B’nai B’rith Europa geehrt
wurde, erzählte Monika Schoeller
einmal davon, wie sie im Kriegsjahr

1943 mit der Familie auf die Schwäbi-
sche Alb geflohen war und dabei er-
fuhr, wie es ist, „am Rande zu sein“.
Diese frühe Erfahrung habe bei ihr
im Literaturbetrieb immer eine Rolle
gespielt. „Vom Rand aus sieht und
versteht man besser“, erklärte die
Frau, die mit dem Literaturwissen-
schaftler Bernd Schoeller verheiratet
war und eine Tochter hatte.
Es sei ihr um Werte gegangen, sagt
Stefan von Holtzbrinck, „um Stil, An-
stand und Geduld“, sowie um „Tole-
ranz und Mitmenschlichkeit, den Wil-
len zu Freiheit und Gerechtigkeit“,
was wir nach der jüngsten deutschen
Geschichte immer wieder aufs Neue
lernen müssten.
Vor wenigen Wochen noch, an
ihrem 80. Geburtstag, hätte man ihr
nicht anmerken können, „dass sie

sich bald mit einem Lächeln verab-
schieden würde, im Guten mit sich,
den Menschen und ihrem großen
Werk“. Mit ihrem Halbbruder Stefan
und ihrem Bruder Dieter von Holtz-
brinck, dem Verleger des Handels-
blatts, war die große alte Dame deut-
scher Verlegerkunst eng ver bunden.
Ihr gebühre „Ehre durch Ruhm-
vermeidung“, formulierte einmal
Schoellers Freundin, die verstorbe-
ne Schriftstellerin Silvia Boven-
schen. Was ist schon Ruhm, wenn es
ein Leben für Kultur gibt, das erin-
nert werden wird? Am vergangenen
Freitag – als die Buchmesse wie je-
des Jahr Titel um Titel feierte – ist
Monika Schoeller in Filderstadt bei
Stuttgart nach kurzer, schwerer
Krankheit ge storben. Hans-Jürgen
Jakobs








 


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