Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

Benny Gantz


Soldat in neuer


Mission


I


n Israel kommt das fast schon einer
Sensation gleich: Erstmals seit zehn Jah-
ren soll ein Kandidat, der nicht Benja-
min Netanjahu heißt, eine Koalition auf die
Beine stellen. Nachdem es Premierminister
Netanjahu nach den jüngsten Parlaments-
wahlen nicht gelungen ist, eine mehrheitsfä-
hige Regierung zusammenzustellen, soll es
nun sein Gegenspieler Benny Gantz versu-
chen.
Der ehemalige Generalstabschef hat 28
Tage Zeit, um mindestens 61 Parlamentarier
hinter sich zu scharen. Gelingt ihm das,
wird er in ein paar Wochen der 13. Premier-
minister des Landes sein. Weil seine Partei
Blau-Weiß nur 33 Mandate hat, muss Gantz
mindestens 28 Parlamentarier von anderen
Parteien überzeugen. Er braucht das Ge-
schick eines politischen Zauberers, um ins
Büro des Regierungschefs einzuziehen.
Im Gegensatz zu Netanjahu sind Gantz
theatralische Gesten fremd. Er spricht, als
wäre ihm das Reden eine Last. Trotz seiner
zurückhaltenden Art hat Gantz in der Ar-
mee eine schnelle Karriere hingelegt.
Als 18-Jähriger wurde er Soldat. Bei sei-
nem ersten Einsatz in Uniform war er im
Team, das für die Sicherheit beim Staatsbe-
such des damaligen ägyptischen Präsiden-
ten Anwar as-Sadat in Jerusalem verantwort-
lich war. Später führte er das Kommando
bei der Luftbrücke „Operation Salomon“,
mit der 14 000 äthiopische Juden nach Israel
gebracht wurden. Im Jahre 2011 wurde er
Generalstabschef.
Nachdem Gantz die Uniform abgelegt hat-
te, versuchte er sich, zunächst ohne Erfolg,
als Geschäftsmann. Dann zog es ihn in die
Politik. Er gründete eine eigene Partei und
wenig später das Bündnis Blau-Weiß, an des-
sen Spitze er jetzt Premier werden will.
Welche Politik er verfolgen würde, wisse
niemand, meint der Kolumnist der israeli-

schen Zeitung „Haaretz“, Anshel Pfeffer. Als
Offizier durfte Gantz sich politisch nicht äu-
ßern, und während des Wahlkampfs blieb
er vage. In Sicherheitsfragen denkt er ähn-
lich wie Netanjahu, zeigt freilich mehr Sym-
pathien für Friedensgespräche. Innenpoli-
tisch setzt er sich für Themen ein, die für
säkulare Bürger wichtig sind und von streng -
religiösen Israelis abgelehnt werden. Dazu
gehört zum Beispiel, dass am Schabbat Bus-
se fahren dürfen, ferner die Anerkennung
der gleichgeschlechtlichen Ehe sowie die
Wehrpflicht auch für ultraorthodoxe Israe-
lis.
Eine Große Koalition mit Netanjahus Li-
kud-Partei könnte Gantz’ Partnerproblem
lösen. Aber erst wenn feststeht, dass Netan-
jahu, dem man Korruption vorwirft, tatsäch-
lich angeklagt wird. Sollte der Generalstaats-
anwalt in den nächsten vier Wochen ent-
scheiden, dass er Netanjahu den Prozess
macht, könnte es innerhalb des Likuds zu
einem Putsch gegen Netanjahu kommen.
Dann wäre für Gantz der Weg für eine Zu-
sammenarbeit mit dem Likud frei. Blau-
Weiß und Likud würden zusammen über ei-
ne ausreichende Mehrheit verfügen. Doch
bislang steht der Likud loyal zu Netanjahu
als Premierminister, was eine Große Koaliti-
on unmöglich macht.
Gantz könnte sich zwar auf andere Bünd-
nispartner stützen – zum Beispiel auf religiö-
se Parteien oder die Ultrarechten. Doch fast
jede dieser Parteien stellt Bedingungen, die
Gantz nur schwer erfüllen kann, oder hat
Forderungen, die andere potenzielle Part-
ner ablehnen. Mitunter sind es auch persön-
liche Animositäten unter Parteichefs, die ei-
ner Zusammenarbeit im Parlament im Weg
stehen.
Die Aufgabe, sich in diesem Klima der po-
litischen Gegensätze und privaten Feind-
schaften durchzusetzen, fällt niemandem
leicht. Aber für Gantz ist die Herausforde-
rung besonders schwierig. Der 60-Jährige
hat in einer Umgebung Karriere gemacht, in
der Hierarchien beachtet und Befehle be-
folgt werden. Einerseits.
Kaum neun Monate in der Politik, hat er
anderseits bereits zwei Wahlkämpfe geführt,
ist mit dem erfahrenen und politisch mit al-
len Wassern gewaschenen Netanjahu prak-
tisch gleichgezogen – und hat ihm nun das
Heft der Regierungsbildung aus der Hand
genommen.
Scheitert Gantz an seiner Aufgabe, wer-
den die Bürger ein drittes Mal innerhalb ei-
nes Jahres wählen müssen. Pierre Heumann

BenBenBennynyGanGantz:t
ErErE kökönnte neuer
PrePremiemir werden.

REUTERS


Welche Politik


Benny Gantz


verfolgen


würde,


weiß


niemand.


Anshel Pfeffer
Kolumnist der
israelischen Zeitung
„Haaretz“

BusinessLoungeLounge


Adieu! Mit einer emotionalen Rede hat sich
EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker
nach fünf Jahren Amtszeit verabschiedet. „Ich
scheide nicht betrübt, auch nicht übermäßig
glücklich, aber im Gefühl, mich redlich bemüht
zu haben“, sagte der 64-Jährige.

Kaiserzeremonie:
Bei einer prachtvol-
len Zeremonie hat
Japans neuer Kaiser
Naruhito den
Wechsel auf dem
Thron der ältesten
Erbmonarchie der
Welt verkündet.
Von seinem über-
dachten Thron
sprach er zu 2 000
Würdenträgern aus
dem In- und Aus-
and, darunter
auch Bundespräsi-
dent Frank-Walter
Steinmeier.

B l J N W T E W V d s W d


la
a
d
S

Eröffnung: Amazon hat südlich von Paris ein
neues Verteilzentrum in Betrieb genommen.
Frankreichs Staatssekretär Cédric O(2.v.l.) und
Amazon-ManagerFrédéric Duval(2.v.r.) haben
den Standort eröffnet.

Eröffnung:Amazon hat südlich von Paris ein


Jahresbericht: Beim Abbau von Bürokratie hat
Deutschland aus Sicht von Johannes Ludewig,
Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats,
noch viel zu tun. Er übergab den Jahresbericht
des Rats an Kanzlerin Angela Merkel.

Jahresbericht:BeimAbbauvonBürokratie hat


REUTERS, dpa, imago images/Kyodo News, AFP

Der ehemalige Generalstabschef


könnte Israels Premierminister


werden – wenn er einen


Koalitionspartner findet.


Namen des Tages
1

MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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