I
m März wurden in Deutschland die Li-
zenzen für den neuen Mobilfunkstan-
dard 5G versteigert. Die Deutsche Tele-
kom zum Beispiel baut in fünf deutschen
Städten 5G-Netze aus – in drei davon mit
Komponenten des chinesischen Herstellers Hua-
wei, in zwei unter Beteiligung der schwedischen
Firma Ericsson. Bei der Auswahl spielte die Un-
abhängigkeit der Unternehmen von ausländi-
schen Regierungen bisher keine Rolle.
Dieser entscheidende Aspekt findet sich auch
in dem Sicherheitskatalog der Bundesregierung
nicht wieder. Das verkennt die strategische
Reichweite des 5G-Netzausbaus: Es handelt sich
um eine der wichtigsten Zukunftsentscheidun-
gen. Die nationale Sicherheit und die technologi-
sche Souveränität Deutschlands und Europas ste-
hen beim 5G-Ausbau auf dem Spiel.
Der neue Mobilfunkstandard 5G operiert wie
eine Art digitales Nervensystem für Wirtschaft,
Gesellschaft und Staat. Darum ist die Sicherheit
der Systeme so entscheidend. Ein Großteil der
Experten, einschließlich der Nachrichtendienste,
ist sich einig: Technische Überprüfungen sind nur
begrenzt möglich, weshalb eine Manipulation der
Netze nicht ausgeschlossen werden kann. Hinzu
kommt, dass schon die Möglichkeit der Manipula-
tion Macht ist. Die Drohung reicht aus und macht
uns als Staat und Gesellschaft angreifbar.
Wenn wir die Technik nicht sicher kontrollie-
ren können, dann wird 5G zu einer Frage des
Vertrauens in die Hersteller und die Staaten, die
hinter den Unternehmen stehen. Mit Blick auf
den chinesischen Ausrüster Huawei schließt das
die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit der
Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) ein. Hua-
wei ist gesetzlich zur Kooperation mit der KPCh
verpflichtet. In Zeiten, in denen China immer öf-
ter gegen Staaten vorgeht, die sich chinesischen
Vorstellungen nicht unterordnen, kann die Ant-
wort auf die Frage, ob wir der KPCh vertrauen,
nur entschieden „Nein“ lauten. An dieser Stelle
entzündet sich unsere Kritik an dem vorgelegten
Sicherheitskatalog. Er begnügt sich damit, dass
die Mobilfunkanbieter sich von ihren Ausrüstern
die Vertrauenswürdigkeit per Eigenerklärung zu-
sichern lassen: Das wird jeder Lieferant tun. Den
Mobilfunkanbietern kann man keinen Vorwurf
machen, denn sie entscheiden nach wirtschaftli-
chen und nicht sicherheitspolitischen Kriterien.
Es muss Aufgabe des Staates sein, die Vertrau-
enswürdigkeit der Ausrüster zu überprüfen.
Um die Abhängigkeit von einzelnen Herstel-
lern zu reduzieren, sieht der aktuelle Entwurf ei-
ne Ausrüster-Diversität vor. Nicht mehr als zwei
Drittel der Komponenten in einem System sollen
von einem Ausrüster stammen – damit liegt der
erlaubte Anteil extrem hoch. Eine enorme Ab-
hängigkeit von diesem Hersteller wäre die Folge.
Dies entspricht in etwa dem verwendeten Anteil
von Huawei-Komponenten bei der Deutschen Te-
lekom. Sollte sich dieses Modell in Europa durch-
setzen, dann wäre das für die europäischen Her-
steller Ericsson und Nokia eine existenzielle Be-
drohung. Denn China behält sich vor, kritische
Infrastruktur ausschließlich von chinesischen
Firmen ausbauen zu lassen. Das führt zur zwei-
ten strategischen Dimension von 5G und der Fra-
ge, ob wir als Europäer unsere technologischen
Fähigkeiten in diesem Bereich langfristig bei -
behalten wollen. Dazu müssen wir für das noch
vorhandene Know-how die Voraussetzungen für
eine wirtschaftliche Anwendung schaffen.
Wir sind der Auffassung, dass zwei derart weit-
reichende Fragen im Parlament entschieden wer-
den müssen. Das Bundesverfassungsgericht hat
wiederholt klargestellt, dass politische Entschei-
dungen mit weitreichenden Auswirkungen auf
die Bürger vom Gesetzgeber zu treffen sind. Die
Risikoanalyse der Europäischen Union spricht
eindeutig dafür, dass sicherheitspolitisch eine er-
hebliche Gefährdungslage gegeben ist. Der Si-
cherheitsaspekt bei der Ausgestaltung der
5G-Netze betrifft nicht nur die allgemeinen Le-
bensverhältnisse in der Bundesrepublik, sondern
auch das Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung jedes einzelnen Bürgers. Dem Bundestag
ist es möglich, seiner Verantwortung im Rahmen
der anstehenden Novelle des Telekommunikati-
onsgesetzes nachzukommen. Dabei ist zu ent-
scheiden, wem wir unser digitales Nervensystem
überlassen wollen und ob wir unsere technologi-
sche Souveränität langfristig verteidigen können.
Sicherheit
geht vor
Vertrauen reicht beim 5G-Ausbau nicht, warnen
Norbert Röttgen und Christoph Bernstiel.
Norbert Röttgen (CDU) ist Vorsitzender des
Auswärtigen Ausschusses im Bundestag.
Christoph Bernstiel ist Berichterstatter IT und
Cybersicherheit AG Innen. Außerdem haben
diesen Artikel verfasst: Peter Beyer,
Transatlantik-Koordinator der
Bundesregierung, Stefan Rouenhoff,
Berichterstatter Industrie- und Handelspolitik
AG Wirtschaft, Roderich Kiesewetter,
Berichterstatter 5G-Netzausbau AG Außen, und
Mark Hauptmann, Vorsitzender Junge Gruppe.
action press, 360-berlin/Metodi Popow
Der neue
Mobilfunk-
standard 5G
operiert wie
ein digitales
Nerven-
system für
Wirtschaft,
Gesellschaft
und Staat.
Darum ist die
Sicherheit so
entscheidend.
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Gastkommentar
MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204
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