Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1

EU-Staaten


Gemeinsamer


Werkzeugkasten


B


is Silvester wollen die EU-Staaten so weit
sein: Bis dahin wollen sich die Regierun-
gen auf einen Maßnahmenkatalog ver-
ständigen, mit dem sie die Sicherheitsrisiken
beim Aufbau der neuen Mobilfunknetze in den
Griff bekommen wollen. Über die Palette der In-
strumente diskutieren derzeit Experten der na-
tionalen Behörden und der EU-Cybersicherheits-
agentur ENISA – sie reicht von der Zertifizierung
der Bauteile bis hin zum Ausschluss bestimmter
Produkte oder gar Lieferanten, die als zu risiko-
behaftet eingestuft werden. Die EU-Regierungs-
chefs hatten im März verabredet, ihr Vorgehen
untereinander abzustimmen. Die nun gemein-
sam zu erarbeitenden Handlungsempfehlungen
werden für die einzelnen Staaten zwar rechtlich
nicht bindend sein – Fragen der nationalen Si-
cherheit liegen in der Verantwortung der Regie-
rungen, nicht der EU. Aber der Druck zum abge-
stimmten Vorgehen ist dennoch hoch: Wenn ein-
zelne Mitgliedsländer „davon abweichen wollen,
was kollektiv vereinbart wurde, müssen sie das
öffentlich erklären können“, mahnte EU-Kom-
missar Julian King kürzlich.
Brüssel hält sich mit öffentlichen Äußerungen
zum Vorgehen der Bundesregierung zurück – der
Aufbau der Netze liege in der Verantwortung der
Mitgliedstaaten, heißt es nur. Eine Kommissions-
sprecherin macht aber zugleich deutlich, die Re-
gierungen könnten durchaus einzelne Unterneh-
men aus Sicherheitsgründen ausschließen, wenn
diese die nationalen Vorgaben nicht erfüllten.

Kritik am Ansatz der Kanzlerin


Unverhohlene Kritik kommt hingegen aus dem
Europaparlament. „Einem Konzern, der im Zwei-
felsfall unter die Dienstbarkeit für den chinesi-
schen Partei-Staat fällt, kann man Zugang zu sen-
sibler Infrastruktur nicht anvertrauen“, warnt
der Grünen-Abgeordnete Reinhard Bütikofer. In-
dustriepolitisch sei zudem schwierig zu verste-
hen, wieso die Bundesregierung nicht auf die eu-
ropäischen Anbieter Ericsson und Nokia setze,
statt Technologieabhängigkeit zu riskieren.
Auch der Direktor des European Centre for In-
ternational Political Economy (ECIPE), Hosuk
Lee-Makiyama, kritisiert den Ansatz der Kanzle-
rin. Das Problem sei weniger Huawei als die Ver-
pflichtung aus dem chinesischen Geheimdienst-
gesetz, mit den Sicherheitsbehörden zu koope-
rieren, sagt er. Geschädigte Unternehmen oder
private Nutzer hätten zudem keine Möglichkeit,
in China Rechtsschutz zu erhalten. „Merkel muss
sich die Frage stellen, warum die US-Regierung
nach den Snowden-Enthüllungen Justizreformen
durchführen musste, um das Vertrauen zurück-
zuerlangen, und China nicht“, sagt er.
Die EU-Staaten machen auch keinen Hehl da-
raus, dass sie das chinesische System als Problem
sehen. „Feindliche Staaten könnten Druck auf
5G-Anbieter ausüben, um Cyberangriffe zu er-
leichtern, die ihren nationalen Interessen die-
nen“, hieß es in einer gemeinsamen Risikoanaly-
se. Besonders groß sei diese Gefahr, wenn es eine
enge Verbindung zwischen Unternehmen und
Regierung gebe, die Druck ausüben könne, und
demokratische Kontrollmechanismen fehlten.
Viele EU-Länder haben sich noch nicht festge-
legt, wie sie mit chinesischen Anbietern umge-
hen wollen. Frankreich hat im Juli das „Huawei-
Gesetz“ verabschiedet, wonach die Netzbetreiber
die Genehmigung der Regierung für den Einsatz
von 5G-Ausrüstung brauchen. Das Büro des Pre-
mierministers kann diese verweigern, wenn es ei-
ne „ernste Bedrohung“ der nationalen Sicherheit
sieht, oder die Freigabe an Bedingungen knüp-
fen. In Spanien wiederum schafft der Mobilfunk-
konzern Vodafone bereits Fakten – er nahm im
Juni gemeinsam mit Huawei aufgebaute 5G-Netze
in 15 Städten in Betrieb. Till Hoppe

und eine eigene industrielle Basis zu erhalten“,


so Huotari.


„Keine Checks and Balances“


Obwohl die EU ausdrücklich vor Anbietern aus


Ländern warnt, „in denen keine legislativen oder


demokratischen Checks and Balances existieren“,


will die Bundesregierung das Netz für chinesische


Lieferanten offenhalten. Dieses Vorgehen sei „un-


verantwortlich“ schimpfte ein hochrangiger Vertre-


ter der US-Regierung im Gespräch mit dem Han-


delsblatt.


Im Mittelpunkt des Streits steht Huawei, der


Marktführer bei 5G und das Kronjuwel der chinesi-


schen Tech-Industrie. Die USA halten Huawei für


einen verlängerten Arm der Kommunistischen Par-


tei Chinas und fordern ihre Verbündeten auf, Hua-


wei-Komponenten aus ihren Netzen zu verbannen.


Auch in Deutschland warnen Experten davor, dass


staatlich kontrollierte chinesische Hackergruppen


Huawei-Technologie für Cyberangriffe nutzen


könnten. In der Bundesregierung allerdings setzte


sich die Auffassung durch, dass dieses Risiko tech-


nisch beherrschbar sei. Kanzlerin Angela Merkel


stellte klar, dass sie ein Huawei-Verbot für einen Irr-


weg hält. Eine Klausel, wonach Lieferanten ver-


trauenswürdig sein müssen, wurde daher bei der


Erarbeitung des Sicherheitskatalogs entscheidend


abgeschwächt: Anbieter müssen ihre Vertrauens-


würdigkeit nur noch schriftlich zusichern. Damit


hätte Huawei natürlich kein Problem.


Thorsten Benner, Direktor des Global Public Po-


licy Institutes in Berlin, begrüßt darum den Vor-


stoß der Parlamentarier: „Das Aufbäumen des Par-


laments kommt spät, aber keinesfalls zu spät“, sagt


er. „Merkels Entscheidung, aus Angst vor Repressa-


lien aus Peking Hochrisikoanbieter wie Huawei zu-


zulassen, fügt Deutschland sicherheitspolitisch,


wirtschaftlich und diplomatisch schweren Schaden


zu.“ Der Alleingang der Kanzlerin „isoliert Deutsch-


land gegenüber wichtigen europäischen Partnern


sowie den USA und Ländern wie Australien und


Neuseeland“. Zudem signalisiere Berlin gegenüber


China Schwäche. „In Peking wird man erfreut zur


Kenntnis nehmen, dass man Berlin in einer so ent-


scheidenden Frage durch Drohungen eingeschüch-


tert hat“, warnt Benner. „Diese Schwäche Deutsch-


lands wird die Partei auch in Zukunft auszunutzen


versuchen.“


Merkels Kritiker erinnert ihre Entscheidung an


die Gaspipeline Nordstream 2. Wieder verstärke


die Bundesregierung ihre Abhängigkeit von einem


autoritär regierten Staat und wieder setze sie natio-


nale Wirtschaftsinteressen ohne Rücksicht auf eu-


ropäische Abstimmungsprozesse durch. Diese


„Germany first“-Politik passe nicht zu den wohl-


klingenden Bekenntnissen der Kanzlerin für ein


starkes und eigenständiges Europa.


Nur zwei Tage nach der Veröffentlichung des Si-


cherheitskatalogs ergriff Merkel im Plenum des


Bundestags das Wort, um ein Loblied auf die EU


anzustimmen. „Europa muss eigene Akzente set-


zen und digital souverän werden“, erklärte sie. Der
Mensch müsse im Mittelpunkt der Digitalisierung
stehen, eben das sei der europäische Ansatz. Und
dieser „Leitgedanke“ komme auch zum Tragen,
wenn es um „den Umgang mit Daten im 5G-Netz-
bereich geht“. Die Regierung betont, dass von An-
fang an geplant gewesen sei, das Parlament einzu-
binden – und zwar bei der anstehenden Novelle
des Telekommunikationsgesetzes.
Allerdings gibt der überarbeitete Sicherheitskata-
log, der in den kommenden Wochen mit Vertre-
tern von Unternehmen und Verbänden diskutiert
werden soll, wesentliche Standards bereits vor. Das
ist es, was in den Bundestagsfraktionen nun so viel
Ärger hervorruft. SPD-Außenpolitiker Nils Schmid
verweist auf das Verfassungsrecht. Dort gebe es die
„Wesentlichkeitstheorie“, erläutert er. „Diese ver-
langt, dass weitreichende Entscheidungen nicht
von der Verwaltung erlassen, sondern mit einem
Gesetz beschlossen werden müssen.“

Mehrheiten unklar


Unterstützung erhalten die Huawei-Gegner von
den Grünen. „Kanzlerin Merkel ist der Auseinan-
dersetzung mit dem Deutschen Bundestag aus dem
Weg gegangen“, kritisiert Katharina Dröge, Spre-
cherin für Wirtschaftspolitik der Grünen-Fraktion.
„Angesichts der ernsthaften Sicherheitsbedenken
hinsichtlich der Beteiligung von Huawei als 5G-Aus-
rüster hätte die Regierung dem Parlament Klarheit
geschuldet. Wenn die Bundesregierung die Sicher-
heit der 5G-Netze nicht garantieren kann, muss sie
bestimmte Anbieter ausschließen. Es ist nicht ak-
zeptabel, dass sie hier keine klare Aussage trifft.“
Wie die Mehrheitsverhältnisse im Parlament aus-
sehen und ob die Abgeordneten tatsächlich ein
Huawei-Verbot beschließen würden, ist derzeit
noch unklar. Grundsätzlich verlaufen die Fronten
so: Die Außen- und Sicherheitspolitiker der Koaliti-
on halten die Risiken durch chinesische Anbieter
für zu groß und wollen Huawei aus dem 5G-Netz
verbannen. Wirtschaftspolitiker von Union und
SPD dagegen warnen vor einem Ausschluss einzel-
ner Anbieter, etwa weil sie fürchten, dass sich da-
durch der Aufbau des 5G-Netzes verzögert und
Deutschland im internationalen Wettbewerb zu-
rückfällt. Die deutsche Wirtschaft hat hohe Erwar-
tungen an die 5G-Technologie, ein neues Kapitel
der Konnektivität soll sie aufschlagen.
Klar ist auch: Eine Entscheidung für ein Huawei-
Verbot würde Folgen für die deutsch-chinesischen
Beziehungen haben. Das chinesische Vertrauen in
die Bundesrepublik wäre erschüttert, denn Peking
betrachtet Deutschland als engen Wirtschaftspart-
ner und europäische Führungsnation. Aus chinesi-
scher Sicht haben die Amerikaner begonnen, einen
technologischen kalten Krieg zu führen. Eine Ent-
scheidung gegen Huawei würden die Chinesen so
auffassen, dass sich Deutschland in diesem Konflikt
auf die Seite der Amerikaner schlägt. Genau diese
Erwägungen halten die Bundesregierung bisher da-
von ab, Huawei auszuschließen.

Das


Aufbäumen


des


Parlaments


kommt spät,


aber


keinesfalls


zu spät.


Thorsten Benner
Global Public Policy
Institute

Einen kompletten Ausschluss von Huawei-
Geräten beim Aufbau der 5G-Netze gibt es


bereits in mehreren westlichen Ländern.
Diese sind: USA, Japan, Taiwan, Australien.


Konkret diskutiert wird der Ausschluss in
Kanada und Neuseeland.


Möglich ist ein Ausschluss auch in Indien, Polen,
Dänemark und Tschechien.


Für nationale Sicherheitsregeln, aber gegen einen
generellen Ausschluss hat sich bisher die deutsche
Bundesregierung entschieden. Ähnlich ist es der-
zeit in Frankreich, Großbritannien und Norwegen.

Geplant oder bereits angeschoben ist der Auf-
bau der 5G-Netze mit Huawei-Technik in China
und darüber hinaus in Russland, Saudi-Arabien,
der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emira-
ten, Indonesien, Thailand und Malaysia.

Unterschiedliche Herangehensweisen


Sicherheit beim 5G-Ausbau


MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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