Handelsblatt - 23.10.2019

(Jacob Rumans) #1
D. Riedel, A. Ballin, O. Demircan, E. Fischer, M.
Koch, T. Riecke Berlin, Moskau, Istanbul, Brüssel

K


urz vor der Halbzeitbilanz der Gro-
ßen Koalition schwinden in dieser
Woche die Gemeinsamkeiten wei-
ter. Außenminister Heiko Maas und
weitere SPD-Politiker reagierten
beleidigt auf einen Vorstoß von Verteidigungsmi-
nisterin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) für
eine internationale Syrien-Sicherheitszone. „Von
SMS-Diplomatie halte ich wenig. Daraus wird
schnell eine SOS-Diplomatie“, kritisierte Maas
den Kommunikationsstil seiner Kabinettskolle-
gin. Kramp-Karrenbauer hatte den SPD-Politiker
erst kurz vor Verkündung ihres Vorschlags für ei-
ne internationale Schutzmission in Nordsyrien in
einer kurzen SMS vorgewarnt, aber keine inhalt-
lichen Details genannt.
Maas wollte sich deswegen zu den Inhalten nicht
klar positionieren. Er sagte aber, dass der Vor-
schlag bei den Bündnispartnern Fragen aufwerfe.
„Es gibt auch, und das ist unbestreitbar, eine gewis-
se Irritation bei unseren Partnern.“ Der SPD-Politi-
ker wies darauf hin, dass es unter den Verbünde-
ten bisher keine Diskussion über eine solche
Schutzzone gibt. „Die Fragen, die es dort gibt, sind
zahlreich“, sagte er.

Kramp-Karrenbauer hatte am Montagabend der
Deutschen Presse-Agentur und mehreren Fern-
sehsendern gesagt, sie wolle Verbündete für einen
internationalen Stabilisierungseinsatz im um-
kämpften Nordsyrien gewinnen. „Die Lösung liegt
in der Schaffung einer international kontrollierten
Sicherheitszone unter Einbeziehung der Türkei
und Russlands, mit dem Ziel, die Lage dort zu de-
eskalieren“, sagte Kramp-Karrenbauer. Ziel sei es,
den Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer
Staat (IS) fortzusetzen und mit einem Wiederauf-
bau zerstörter Regionen die Rückkehr von Flücht-
lingen zu ermöglichen. Darüber wolle sie am Don-
nerstag mit den Nato-Verteidigungsministern in
Brüssel diskutieren. Auch die Bundeswehr solle
sich beteiligen.
Maas sprach von einem „Vorschlag der Parteivor-
sitzenden der CDU“ – und nicht der Verteidigungsmi-
nisterin. Der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid ging
hart mit Kramp-Karrenbauer ins Gericht: Die Vertei-
digungsministerin zeige ein „unglaubliches Ausmaß
an Unprofessionalität“ mit ihrem „unvorbereiteten,
unabgestimmten und unausgewogenen Vorstoß“,
sagte er dem Handelsblatt. Die Erfolgsbedingung für
eine Schutzzone in Nordsyrien seien ein UN-Mandat
und die Zustimmung von Russland und der Türkei.
Hier hätte man zunächst auf diplomatischem Weg
Möglichkeiten ausloten müssen. Schmid wertet den

Vorschlag der Ministerin daher vor allem als „innen-
politischen Profilierungsversuch“.
Unionspolitiker lobten ihre Ministerin dagegen.
Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Nor-
bert Röttgen (CDU), nannte den Vorstoß „mutig“
und warb um Unterstützung des Bundestages. Und
der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion,
Jürgen Hardt (CDU), nannte es nach dem Abzug der
US-Soldaten aus Nordsyrien „folgerichtig, dass
Europa sich stärker einbringt. Verteidigungsministe-
rin Kramp-Karrenbauer zielt mit ihrem Vorstoß ge-
nau auf diese Rolle Europas“, sagte er.
Experten halten den Vorstoß der Ministerin zu-
mindest für diskussionswürdig. Sollte es um eine
„Koalition der Willigen“ gehen, wäre die Schutzzone
„wenig realistisch“, sagte Volker Perthes, Direktor
der Stiftung Wissenschaft und Politik, dem Handels-
blatt: Es wäre dann nicht klar, wer wen schützen
würde. „Denkbar dagegen wäre eine durch UN-Trup-
pen überwachte Truppenentflechtung im syrischen
Nordosten, ähnlich wie zwischen Syrien und Israel
auf den Golanhöhen“, sagte Perthes, der lange für
die UN in diesem Konflikt vermittelt hat. Ein UN-
Mandat zu erwirken „dürfte schwierig, aber nicht
unmöglich sein“, sagte er.
Wenn es ein solches Mandat gäbe, wäre es militä-
risch jederzeit möglich, eine internationale Schutzzo-
ne zu errichten. Davon jedenfalls ist der frühere
Nato-General Hans-Lothar Domröse überzeugt.
Domröse war von 2012 bis zu seiner Pensionierung
im März 2016 Oberbefehlshaber des Allied Joint For-
ces Command der Nato in Brunssum. „Wenn man es
will, würde das gehen, und die Bundeswehr wäre da-
zu auch in der Lage“, sagte Domröse dem Handels-
blatt. Wenn sich die internationale Gemeinschaft auf
ein gemeinsames Vorgehen einigen würde, wäre ein
Einsatz ähnlich wie im Kosovo denkbar. Es sei auch
den Versuch wert, Russland in eine solche Mission
einzubeziehen.
Lufteinsätze würden allerdings nicht ausreichen.
„Man müsste dort mit Bodentruppen stehen, die
der Bevölkerung sichtbar zeigen: ,Wir schützen
euch‘“, sagte Domröse. Für eine 110 Kilometer lan-
ge Schutzzone entlang der türkisch-syrischen Gren-
ze bräuchte man wohl drei Brigaden, also bis zu
15 000 Soldaten aus mehreren Ländern. Der Ein-
satz dürfte eine ähnliche Größe haben wie früher
der Kosovo-Einsatz. „Ohne UN-Mandat würde ich

Streit über die


Schutzzone


Der Außenminister reagiert verschnupft auf den Vorstoß der


Verteidigungsministerin für internationale Schutztruppen in Nordsyrien.


Experten sehen aber auch Chancen für einen UN-Friedenseinsatz.


Kramp-Karrenbauer
mit Bundeswehr-Soldaten
im Nordirak: Neuer Blick
auf Syrien.

dpa

3,


MILLIONEN


Flüchtlinge sind
während des Syrien-
Kriegs in der Türkei
untergekommen.

Wirtschaft

& Politik

MITTWOCH, 23. OKTOBER 2019, NR. 204


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